Murad ADZHI
Die
Kiptschak,
die
Oghusen
Das
Mittelalter des Turkvolkes und der Großen Steppe
Ein Buch für Schulkinder und ihre Eltern
Moskau
Das ist der zweite Band des Buches über das
Turkvolk: über seinen Werdegang im Altai und die Ausbreitung über den
euroasischen Kontinent. Bildhafte Schilderungen und Sagen künden von wenig
bekannten Ereignissen in der Weltgeschichte der Menschheit, vom Leben und
Wirken des Turkvolkes im Mittelalter, über seine Niederlagen,
Errungenschaften und Siege.
Solche Bücher hat es bisher nicht gegeben.
© Murad Adzhi, 2002
© Internationale Wohltätigkeitsstiftung
„Heiliger Georg“ („Dshargan“), 2002
© www.adji.ru
Einleitung
Europa und das
Turkvolk
Altrömische
Sitten
„Kathylik“
bedeutet „Verbündeter“
Die neuen
Römer
Europa nach
Attila
Der Nahe Osten
und das Turkvolk
Das
„Räuberkonzil“ und andere Konzile
Papst Gregor der
Große
Die turkischen
Katholiken
Die
angelsächsischen Feldzüge
Die englischen
Kiptschak
Der Islam
Der Koran
Zeichen des
Islams
Sultan Mahmud
Das turkische
Kalifat
Am Vorabend
großer Veränderungen
Unstimmigkeiten
Die neuen
Europäer
Die
Kreuzzüge
Die Gentry und
die Ritterschaft
Die Seldschuken
Dschingis Khan
Die Sulde-Fahne
des „himmlischen Glückes“
Ein Joch, das es
nicht gab
Die Inquisition
Dschingis Khans
Nachkommen
Verzeichnis der
Illustrationen und Kommentar
Ex oriente lux –
Aus dem Osten kommt das Licht …
… und wandelt die Welt um
Einleitung
Im Leben eines
jeden Volkes kommt es, ebenso wie im Leben jedes Menschen, zu Ereignissen. Sie
sind zahlreich. Eigentlich ist das Leben eben eine unendliche Kette von
Ereignissen. Die einen sind unmerklich, alltäglich, andere dagegen toben
wie ein Orkan und fegen alles hinweg. Der Zusammenbruch des Alten bedeutete
schon immer das Aufkommen von Neuem. Die Epochen in der Geschichte der
Menschheit begannen und endeten immer mit Ereignissen, die die Welt
erschütterten.
Ein verheerender
Orkan war die Große Völkerwanderung vom 2. – 5. Jahrhundert, die das
Leben auf dem eurasischen Kontinent bis zur Unkenntlichkeit veränderte. Nach
ihr trat die altertümliche bzw. antike Welt in die Epoche des Mittelalters.
Die Große
Völkerwanderung begann im Alten Altai, und das still und alltäglich.
Dabei sollte sie sich auf das ganze gigantische Eurasien auswirken. Damals
zogen die turkischen Reiter in jede Richtung, von Zentralasien aus erreichten
sie die Küste des Pazifischen, des Indischen und des Atlantischen Ozeans.
Sie legten tausende Kilometer zurück und besiedelten riesige, früher
beinahe menschenleere Räume. Es fand sich in der Welt keine Kraft, die
diesem lebendigen Strom, welcher sich aus dem Altai ergoss, hätte
standhalten, hätte ihn zum Stehen bringen können. Alle Armeen, denen
die Reiter begegneten, unterlagen ihnen.
Ein gewaltiges
Ereignis. Die antike Welt wurde von den Hufen der Reitertruppen zertreten.
Diese Reiter
zerstörten das Alte, um den Menschen ein neues Leben zu bringen.
Die Große
Völkerwanderung ist ein einzigartiges Phänomen. Ihr kann in der
Menschheitsgeschichte nichts an die Seite gestellt werden, weder früher
noch später. Die Siege Alexanders von Mazedonien, der römischen
Kaiser und selbst des berühmten Dschingis Khan verblassen daneben und
wirken viel zu gewöhnlich.
Die Große
Wanderung entstand natürlich nicht plötzlich, nicht über Nacht.
Sieben Jahrhunderte lang sammelte das Turkvolk seine Kräfte und bereitete
sich geduldig darauf vor, indem es eine Kultur schuf, die nach der antiken
Kultur die Welt vorwärtsbrachte.
Hier gab es
nichts Zufälliges, so etwas war ausgeschlossen. Die Völker
akzeptierten widerstandslos die neue Kultur, die des Mittelalters. Warum? Was
zeichnete diese Kultur aus, warum fühlten sich die Menschen von ihr
angezogen?
In erster Linie
war das der Glaube an den Gott des Himmels, an Tengri, der das Turkvolk beschützte. Der Glaube an Einen Gott
war etwas absolut Neues im Leben der Menschheit. Die Menschen der antiken Welt,
wie übrigens auch die der Urgesellschaft, kannten ihn nicht, sie waren
Heiden. Jene Epochen standen im Zeichen der Vielgötterei und des Heidentums.
In
Altgriechenland z. B. beteten die Menschen zu Zeus und Hera, im Römischen
Imperium zu Merkur, Jupiter und anderen Göttern. Vor ihren Darstellungen
neigte man das Haupt, ihnen wurde geopfert, bei ihnen Schutz gesucht.
Außer dem Turkvolk kannte damals kein anderes Volk den Gott des Himmels,
niemand außer ihm betete zu ihm.
Tengri (Ewiger
Blauer Himmel) – so nannte der Altai seinen Beschützer. Unter seinem nie
müden Auge zogen die Reiter in die Welt hinaus. Sie taten das
unerschrocken und sicher, weil sie vor jeder Attacke, vor jedem neuen Gefecht
laut im Chor sagten: „Allah billa! Allah billa!“ In der Turksprache bedeutete
das: „Mit Gott“ oder „Gott mit uns“. Und sie siegten immer.
Das ließ
andere Völker sofort aufmerken.
Damals bestand
der Glaube, dass der Sieg in einem Kampf nicht von den Kriegern, sondern vom
beschützenden Gott – nur von ihm allein! – abhänge. Wenn die Menschen
zu einem neuen Glauben übertraten, baten sie gleichsam einen
stärkeren Gott um Schutz. Eben darin besteht der Sinn des Glaubens im
Leben der Völker. Eben deshalb beschäftigen sich die Ethnografen so
viel mit der Religion.
Ein zweites
Charakteristikum der turkischen Kultur war Eisen, das Metall, das der
große Tengri den Menschen geschenkt hatte.
Dank Eisen
konnten die Altaier zahlreiche nützliche Dinge für den Haushalt, die
Arbeit und die Kriege herstellen; niemand in der Welt wusste Eisen so gut zu
schmelzen und es so breit anzuwenden. Tausende Schmelzöfen lieferten Tag
und Nacht das kostbare Metall, Eisen wurde damals mehr als Gold geschätzt.
Auch das zog andere Völker an.
Im Altai bestand
ein Fest des Eisens, und zwar bereits fünf Jahrhunderte vor unserer
Zeitrechnung, als andere Völker den Eisenguss gerade erst lernten. Der
Große Khan persönlich eröffnete das Fest. Er trat an den Amboss
heran und schlug mit dem Hammer auf das glühende Metall. Jeder Schlag
weckte den Stolz im Volk und erinnerte es an die Größe der Ahnen,
die ihren Nachkommen Freiheit und Stärke gegeben hatten. Erst danach
begann das eigentliche Fest: Pferderennen, Tänze, Gesang, Gelage und
Unterhaltung.
Das war das
allgemeine Fest des Turkvolkes.
Es ist folglich
so, dass die Große Völkerwanderung nicht einfach die Ausbreitung der
Menschen über immer neue Gegenden war. Und erst recht nicht die
Unterordnung von Nachbarländern. Es ging um etwas ganz anderes. Um etwas,
was die Bronzezeit in der Menschheitsgeschichte unabwendbar zerstörte und
der Eisenzeit den Weg eröffnete.
Das Turkvolk
zerstörte das Alte, Überlebte bewusst und setzte Neues,
Fortschrittliches durch: Darum ging es damals auf dem Kontinent.
Über jene
Zeit spricht man heute unterschiedlich und nennt sie bald eine „Invasion der
Barbaren“, bald einen „Einfall der Hunnen“. Das stimmt nicht. Denn der Glaube
an den Gott des Himmels sowie das Eisen kamen bei vielen Völkern gerade
damals, nach der Bekanntschaft mit dem Turkvolk, auf: in der Epoche des
Mittelalters.
Die Reiter wurden
als Abgesandte des Gottes des Himmels vergöttlicht.
Selbst
äußerlich unterschied sich das Turkvolk von den Übrigen, es
hatte seinen eigenen, unverwechselbaren Typ, der dem keines anderen Volkes
unseres Planeten glich. Eines seiner Merkmale war das Pferd, das sich zu einem
Symbol oder Tamga (Sippenzeichen) der Ankömmlinge vom Altai entwickelte.
Genauso wie Tengris Kreuzfahnen.
Die antike Welt
hatte so etwas nicht gekannt. Selbst eine solche Kleidung hatte sie früher
nicht gesehen: Das war die Kleidung von Reitern, Predigern und Kriegern, die
sich niemals von ihrem Pferd trennten.
Nein, die
Große Wanderung war kein spontaner Exodus aus dem Altai, wie darüber
geschrieben wird. Auch keine Invasion. Ausgewandert waren nicht „wilde
Nomaden“, vielmehr tat das ein Volk, dem es in den Altaitälern zu eng
geworden war. Es brauchte neue Territorien, einen neuen Raum. Damals kam das
Wort „Kiptschak“ („jener, dem es zu eng ist“) auf. Mit diesem Wort bezeichnete
man die wandernden Reiter.
Was den Altai
angeht, so meinte man damit ganz andere Gebiete als heute, nämlich ganz
Südsibirien mit dem Baikalsee im Osten und dem Pamir im Westen, d.h. ein
riesiges Gebirgsland, das bis Tibet reichte. Das nannte man den Altai.
An jene fernen
Tage gemahnen Denkmäler, Zeugen der Vergangenheit. Sie sind zahlreich,
bisweilen höchst überraschend. Man sehe sie sich genauer an.
1974 entdeckten
Archäologen einen Kurgan im nordwestlichen China, in dem ein Herrscher
begraben war. Dort leben bis heute die Uiguren, ein Turkvolk, das allerdings
seine Geschichte vergessen hat. Die Funde aus dem altertümlichen Kurgan
verblüfften die Wissenschaftler: Dort gab es mehrere Tausend
Tonstatuetten, an denen man die Kleidung eines Kriegers und das Geschirr seines
Pferdes erkennen konnte. Sie alle lagen mit dem Gesicht nach Norden, zum
heiligen Berg des Altai, dem Utsch-Sumer, hin. Die Plastiken waren eindeutig
nicht chinesischer Herkunft.
Deshalb nicht,
weil die Chinesen im 3. Jahrhundert v. u. Z. dort nicht lebten. Ihr Land lag
viel weiter südlich, hinter der Chinesischen Mauer. Die tönernen
Krieger sind den heutigen Uiguren, Kirgisen, Kasachen, Chakassen und Nogaiern
wie aus dem Gesicht geschnitten. Solche Gesichter sieht man oft auch unter den
Kumyken, Tataren und Baschkiren. Aber nicht unter den Chinesen.
Ein weiteres,
ebenfalls sehr ausdrucksvolles Beispiel.
In der Nähe
der kleinen nepalesischen Stadt Rummindeia gibt es eine Säule mit
altertümlichen Inschriften. Der Ort sei heilig, behaupten die Buddhisten,
an der Säule sei der Name des Begründers
ihrer Glaubenslehre eingemeißelt. Jenes Menschen, der von den Altaibergen
hinabgestiegen sei und aus der Sippe Schakja stamme. Die Säule datiert vom
5. Jahrhundert v. u. Z. Die Inder sahen damals erstmalig Angehörige des
Turkvolkes und bestaunten sie. Deshalb nannten sie Buddha einen „turkischen
Gott“ bzw. „Buddha Schakjamuni“. Seitdem wird er blauäugig dargestellt –
gleich den anderen Angehörigen des Turkvolkes.
Heute ist der
Buddhismus eine führende Weltreligion. Die Zeit hat ihre geheimnisvolle
Spur verborgen, aber sie ist trotzdem zu erkennen. Darüber berichtet die Religionswissenschaft. Sie erforscht
die Geheimnisse des Glaubens und lässt vieles aus der Vergangenheit, das
auch heute fortlebt, verstehen.
So leben die
buddhistischen Mönche in ihren Gemeinden nach einer strengen Satzung, die
den Wissenschaftlern bekannt ist. Was könnten diese Angaben schon
aussagen, fühlt man sich versucht zu fragen. Nun, vieles. Einem
aufgeklärten Menschen sagen sie, dass der Buddhismus tatsächlich vom
Turkvolk geschaffen wurde. Der Tengri-Glauben und Buddhas Lehre haben viele
Gemeinsamkeiten, weil vor allem dieselbe Quelle: das Wissen der altaischen
Weisen. Deshalb wurde der Alte Altai das Paradies auf Erden und der
blühende Garten Eden genannt: Hier liegen die Anfänge der
Weltreligionen.
Sie stammen vom
altaischen „Ewigen Blauen Himmel“ ab!
Vor dreitausend
Jahren begann im Altai die geistige Suche. Es formte sich der Glaube an den
Gott des Himmels. Die Zeiten waren alles andere als ruhig. Ein Teil des
Turkvolkes wanderte, um den alten Glauben zu erhalten, nach Indien, dem Iran
und in die europäischen Steppen aus. Man nannte sie „Skythen“, „Saken“
usw. Der religiöse Protest ließ sie die ersten Straßen entdecken,
die sie vom Altai wegführten.
Im 2. Jahrhundert
nun wanderten schon große Massen der Altaier in die Steppe ab, nur dass
der Grund jetzt anders, nämlich wirtschaftlicher Art, war. Es gab
inzwischen viel zu viele Altaier, die Gebirgstäler wurden ihnen zu eng.
Das Volk brauchte neue Ackerböden, Weideplätze und Nutzflächen.
Seitdem
bürgerte sich im Kaukasus, Nahen Osten und in Europa die Turksprache ein.
Die Reiter waren gekommen, die Epoche des Mittelalters zu eröffnen.
Europa und das Turkvolk
Jedes Ereignis
hat bekanntlich sein Resultat.
Das Resultat der
Großen Völkerwanderung war der Staat
Descht-i-Kiptschak, der größte in der Menschheitsgeschichte. Er
wuchs mit großen Schwierigkeiten und lange auf, seine Grenzen schoben
sich auseinander, je weiter die Reitertruppen zogen. „Wo unsere Pferde ihre
Hufe setzen, da ist unser Land“, hieß es bei den Kiptschak.
Seine
Blütezeit erlebte der Staat unter dem unbesiegbaren Feldherrn Attila. Im
5. Jahrhundert, nach Attilas Tod, zerfiel der Steppenstaat. Das ist wohl das
Schicksal aller übergroßen Länder, sie sind kurzlebig.
Descht-i-Kiptschak ging unter, aber schuld daran waren nicht Feinde, auch nicht
Katastrophen oder etwa Überschwemmungen. Die Schuld lag beim Turkvolk
selbst. Es zerstörte seinen Staat mit eigenen Händen.
Wie und weshalb
geschah das? Kurz lässt sich das nicht beantworten. Das ist eine ganze
Geschichte.
Zuerst wurde das
Land von Fehden erschüttert und in Dutzende Kleinstaaten aufgespalten.
Aber das war nicht der einzige Grund seines Niedergangs. Die ganze alte, antike
Welt hasste Descht-i-Kiptschak und ließ nichts unversucht, nur um ihm
Schaden zuzufügen und sein Ende herbeizuführen.
Besonders eifrig
war hierbei Rom, das Römische Imperium. Dieses war eine Hervorbringung der
antiken Welt, ihre Krönung. Einst war Rom ein Stadtstaat, dann eine
Republik, in der die ganze Macht dem Senat gehörte. Die Senatoren stammten
aus der Patrizierschicht, d. h. aus dem Adel. Julius Cäsar wandelte diese
Regel um. An die Macht gekommen, machte er aus der Republik ein Imperium. In
seiner Regierungszeit waren die Erfolge der Römer einfach fantastisch: Sie
eroberten die Mittelmeerküste. Die antike Welt lag ihnen zu
Füßen.
Das Imperium
lebte wie im goldenen Zeitalter, ohne Niederlagen zu kennen. Seinen Ruhm
gründete sich nicht auf Handwerk, Kunst oder Religion. Berühmt
machten das Reich seine Kriege. Das Land arbeitete für das Heer, das Heer
diente dem Land.
Die
größten Feinde der Römer waren die Griechen. Beide Völker
rivalisierten seit langem miteinander um den Handel mit dem Orient, namentlich
mit dem Iran. Die Griechen lebten näher an die Iraner und beherrschten
lange Zeit die Handelsstraßen nach Europa.
Nachdem die
Römer die Republik ausgerufen hatten, versetzten sie Griechenland einen
vernichtenden Schlag, so dass die Griechen zu ihren Untertanen herabsanken.
Siebenhundert sorglose Jahre dauerte die Macht von Rom: Das Imperium bestimmte
seine Grenzen selbst und entschied eigenmächtig über das Schicksal
Europas.
Julius Cäsar
setzte die Nordgrenze am Rhein fest und legte dort eine Reihe von Befestigungen
und Festungen an. Kaiser Augustus seinerseits zog die Grenze im Osten, an der
Donau. Das Reich wirkte wie eine uneinnehmbare Zitadelle. Der antike
Geschichtsschreiber Plinius d. Ä. schrieb von jener Zeit des Imperiums wie
von einer „unwahrscheinlichen Größe Roms“. Und er hatte recht mit
seiner Behauptung.
Doch Blitz kommt
manchmal auch aus heiterem Himmel.
Roms Ruhe wurde
im Jahre 312 gestört, dicht an seinen Mauern. Die bis dahin unbesiegbare
Armee, der Stolz der Kaiser, erlitt erstmalig eine furchtbare Niederlage. Die
von den Griechen eingeladenen turkischen Reiter schlugen sie mühelos.
Kaiser Maxentius
fiel, von einem Säbel niedergestreckt.
Nach jener
Schlacht brach das Römische Imperium zusammen, es zerfiel in das
Östliche und das Westliche Reich. Im Östlichen Reich herrschte der
Grieche Konstantin, im Westlichen waren immer noch die Römer an der Macht.
Aber das waren schon nicht die früheren selbstzufriedenen Römer.
Ihnen blieben lediglich Erinnerungen an die alte Zeit übrig.
Konstantin
offenbarte sich als ein schlauer und tückischer Herrscher. In seinem Land
verkündete er die Obermacht des turkischen Glaubens und zollte dem
Turkvolk einen Tribut. Dafür bat er Descht-i-Kiptschak um eine
Kleinigkeit: um Umsiedler, die in der griechischen Armee dienen, den Griechen
den Bau neuer Städte und Tempel, die Bodenbestellung und Viehzucht
beibringen sollten.
Scheinbar hatte
der Herrscher die friedlichsten Absichten.
Auf diese Weise
schläferte er die Wachsamkeit der Khane ein. Er erniedrigte sich, um Zeit
zu gewinnen und mit den Händen der Angehörigen des Turkvolkes die
Domination auf den Handelsstraßen aus dem Orient zurückzuerlangen.
Dann sollten Zeit und Geld für die Griechen arbeiten. Darauf gründete
er seine listigen Berechnungen.
Kurzum,
Konstantin nahm sich vor, die Große Völkerwanderung in einen neues
Bett zu lenken: Die turkische Kultur ergoss sich wie ein umgeleiteter Fluss in
die hellenische Welt und bereicherte diese. Es entstand eine neue Kultur, die
später byzantinisch genannt
werden sollte.
Byzanz wurde in
der Tat zu einem Land, in dem die Spuren des Altai buchstäblich in allem
zu finden waren. Die Griechen übernahmen den Glauben der Kiptschak: Seit
dem Jahr 312 beteten sie zu Tengri. Im Jahre 325 nannten sie den Tengri-Glauben
skrupellos „griechisches Christentum“ und erklärten Kaiser Konstantin zu
Gottes Statthalter auf Erden. Nach ihrer Vorstellung hatte kein anderer als
Konstantin dem Großen Römischen Imperium ein Ende gesetzt.
Die christlichen
Griechen schonten den alten, heidnischen Glauben nicht. Sie zerstörten die
alten Tempel und Paläste, vertrieben und mordeten die Priester. Blieb in
Byzanz nach dem 4. Jahrhundert noch etwas griechisch? Das wird wohl niemand
behaupten können.
Um ihr
Christentum zu betonen, vernichteten die Griechen die Bücher von
Aristoteles, Platon, Herodot und anderen großen Gelehrten. Im Jahre 391
verbrannten sie sogar die berühmte Bibliothek von Alexandria mit ihren
überaus seltenen antiken Handschriften. Nichts war ihnen heilig.
Aber die
Schätze der alten Welt verschwanden nicht: Die Kiptschak retteten sie. Nur
dank ihnen weiß die Welt heute von Aristoteles oder Platon. Niemand denkt
heute noch daran, dass gerade Angehörige des Turkvolkes tausend Jahre lang
in ihren Bibliotheken Übersetzungen aus Europas antiken Autoren bewahrten.
Zu der Zeit, da
die Griechen die altertümlichen Handschriften verbrannten, kannte man im
Westlichen Reich nicht den Glauben an den Gott des Himmels. Bis 380 erkannte
das offizielle Rom nur Merkur als den größten Gott an und verfolgte
Andersgläubige. Dem lag eine Berechnung zugrunde: Kaiser Valentinian
träumte von einer Revanche. Er hasste die Kiptschak und machte kein Hehl
daraus. Unter ihm erstarkte die römische Armee wie nie zuvor. Immer
häufiger erwachte das Land zu den Trompetenklängen, die den Truppen
das Signal zum Sammeln gaben.
Gesagt sei, dass
jener Kaiser eine rätselhafte Figur ist. Wer war er? Wie kam er auf den
Thron? Bekannt ist nur wenig.
Sein Vater war
ein Offizier, doch nicht das ist wesentlich. Zeitgenossen wiesen auf das
für einen Römer ungewöhnliche Aussehen des Kaisers hin: Er war
blauäugig und blond. Ein echter Angehöriger des Turkvolkes. Mehr
noch, in seine Armee nahm der Kaiser sehr gern turkische Söldner auf. Mit
ihnen verständigte er sich mühelos. Auf welche Weise? Das ist
ungewiss.
Seine erste
Prüfung musste er im Jahre 374 bestehen. Damals wanderten Aufklärer
der Kiptschak ins Weströmische Reich ein. Nach der Überquerung des
Ister (Donau) siedelten sie sich auf dem heutigen Territorium von Ungarn und
Österreich an. Ihrem Beispiel folgte später eine ganze Horde. Rom
konnte sich mit dieser friedlichen Unterwanderung natürlich nicht
abfinden.
Doch gleich in
der ersten Schlacht wurde seine Armee in die Flucht geschlagen.
Im Jahr darauf
verließen die Römer das Schlachtfeld als Sieger. Freilich
vergällte ihnen eine ihnen nachgeschickte Botschaft der Kiptschak das
Fest. Sie kam ins Hauptquartier, ohne auch die geringsten Zeichen von Respekt
zu zeigen, und verspottete die Sieger grob. Kaiser Valentinian konnte die
Beleidigung nicht aushalten, er zitterte vor unbeschreiblicher Wut und starb an
der Stelle.
Auf den
fruchtbaren Feldern an der Donau behaupteten sich turkische Städte und
Stanizas, die ersten in Westeuropa. Die Ansiedler wurden „Hunnen“, „Alemannen“,
„Ostgoten“ und „Westgoten“ genannt. Auch der Name des Westgoten-Khans hat sich
erhalten, wenn auch in entstellter Form. Er hieß Fritigern. Mit diesem
für einen Kiptschak sonderbaren Namen ist er für Jahrhunderte in
Legenden und Chroniken eingegangen.
Dafür haben
uns die Namen der Sippenbegründer in nicht entstellter, d. h. in ihrer
turkischen Form erreicht. Die Westgoten gehörten dem Geschlecht der Balten
(„Streitaxt“ in der Turksprache), die Ostgoten dem Geschlecht der Amaler
(„still“, „ruhig“, „sanft“ in der Turksprache) an. Das haben die
europäischen Chroniken genau festgehalten.
Am 9. August 378
setzten die römischen Truppen am Donauufer die turkische Reiterei erneut
einer Prüfung aus und hatten sich wieder verrechnet. Ein Flankenangriff
der Reiter war überraschend. Nach dieser Schlacht hatte das Westliche
Reich seine Armee endgültig verloren.
Deshalb musste
Rom die Kiptschak anerkennen.
Altrömische Sitten
Nach der
Niederlage im offenen Kampf bemühten sich die Römer um erfolgreiche
Schritte in der Politik – und fanden sie. Über den byzantinischen Kaiser
Theodosius I. erreichten sie, was sie wollten, diese ihre Siege sind
unbestreitbar.
Über
Theodosius haben sich widersprüchliche Nachrichten erhalten. Er galt als
Müßiggänger und faul, war jedoch in Wirklichkeit ein
verschlossener Mensch und kluger Politiker: Alles, was er anfing, brachte ihm
sichtbare Erfolge. Im Jahre 380 erließ er ein Gesetz, das das Heidentum
verurteilte, dann noch eines, über die Glaubenseinheit. Zu der Zeit, da
Theodosius zum Herrscher sowohl über Byzanz als auch über Rom wurde,
hatte er den Glauben an den Gott des Himmels in der ganzen westlichen Welt
durchgesetzt. In Rom war man nicht darauf gefasst, die Nachricht
überraschte die Menschen.
Es schien, als
hätte der Kaiser mehrere Gesichter auf einmal. Er nannte sich einen
Christen, genoss jedoch den Anblick der Folterungen seiner Untertanen.
Böse und grausam, handelte er unvorhersagbar und setzte sein Gefolge gern
in Erstaunen. Dabei war alles bei ihm Kalkül. Niemand konnte ihn verstehen,
als er im Jahre 382 eine turkische Horde (militärischen Stammesverband)
ins Weströmische Reich einlud.
Er ließ die
Kiptschak kommen, die von Rom verachtet und zugleich enorm gefürchtet
wurden!
Theodosius
verfügte, ihnen Landgüter zu schenken, allerdings unter der
Bedingung, dass die Kinder der neuen Gutsherren in seiner Armee dienten. Solche
Landgüter waren eine Art kleine fremde
Staaten: Dort sprach man die Turksprache und ordnete sich den turkischen
Gesetzen und Herrschern unter. Das Reich hatte keine Macht über sie. Sie
waren in allem völlig frei und unabhängig.
Wohl am besten
zeugen von jener Zeit turkische Ortsbezeichnungen, die gleichzeitig mit den
Kiptschak aufkamen. Sie sind zahlreich und überall dort in Westeuropa
festzustellen, wo sich die Kiptschak ansiedelten. So heißt eine
Bergspitze in der heutigen Schweiz seitdem Mont Tendre. Offenbar erinnerte sie
die Kiptschak an den altaischen Berg Khan-Tengri.
Die freien
turkischen Siedlungen lösten in Europa Wut aus, besonders nachdem die
römischen Gutsherren verpflichtet wurden, ein Drittel ihrer
Ackerböden und die Hälfte der Waldflächen den Kiptschak
abzutreten.
Diese Aktion
hieß Gastfreundschaft, das
Wort stammt aus dem Gesetz des Kaisers. Und das Wort wurde zum Auslöser.
Früher waren
Ehen zwischen Römern und Kiptschak strengstens verboten. Nun wurde dieses
Gesetz aufgehoben. Im Gegenteil, Mischehen wurden sogar begrüßt. In
Rom kam die turkische Kleidung in Mode, zumal sie wärmer und praktischer
war. Aristokraten fanden Gefallen an den schönen wollenen Hemden, Hosen
und Schalwaren, an den Überwürfen (Epantschen) der Kiptschak.
Alles vermischte
sich in Europa, alles veränderte sich zusehends.
Kiptschak, diese
„Barbaren“, gehörten neuerdings zum Gefolge des Kaisers und besetzten
verantwortliche Posten. Khan Arbogast, dessen Name in der Turksprache „roter
Hals“ bedeutete, wurde zum Lehrer der
Soldaten, d. h. zum Oberbefehlshaber. Seine Stimme klang wie Donnerrollen.
Dieser Lauthals
und Grobian fühlte sich im Gefolge des Kaisers absolut ungezwungen. Als
man ihn abzusetzen versuchte, schleuderte er unverfroren dem Kaiser ins
Gesicht: „Meine Macht hängt nicht von deinem Lächeln oder deinen
düsteren Brauen ab.“ Ein paar Tage darauf wurde der Kaiser erstickt im
eigenen Bett gefunden.
Ein Zeitgenosse
und Zeuge jener Ereignisse hinterließ folgende Zeilen: „Der Rang eines
Senators, in der Antike der Gipfel der Ehren für die Römer, sank
wegen dieser blonden Barbaren zu etwas Unwürdigem herab.“
Das stimmte. Denn
niemand von den römischen Patriziern konnte es mit den Kiptschak in der
Kriegskunst oder Staatspolitik aufnehmen. Niemand von den Plebejern verstand
es, so gut den Boden zu bestellen, Vieh zu züchten, Städte und Tempel
zu bauen. Die Römer waren zu verzärtelt und schwach. Ihnen blieb nur
eins: die „blonden Barbaren“ zu hassen.
Der Lauf der
Dinge in Westeuropa wiederholte im Grunde die Geschichte der Entstehung von
Byzanz. Auch hier begegneten sich zwei Kulturen, die von Ost und die von West.
Auch hier behaupteten die Kiptschak ihre führende Stellung, diesmal in der
lateinischen Gesellschaft.
Der Osten siegte
offensichtlich, nur die Große Steppe störte ihn. Genauer: ihre
Traditionen und Gesetze (die Adat), die wie schwere Klötze an seinen
Beinen hingen und sein Handeln behinderten. Es war die Erziehung, die Arbogast
hinderte, die Macht im Weströmischen Reich zu nehmen, obwohl sie faktisch
in seinen Händen lag: Immerhin war er der Oberbefehlshaber! Nach der Adat
durfte er nicht Kaiser sein, weil er nicht in der Familie eines Herrschers
geboren wurde, folglich hatte ihm Gott nicht den Segen zum Thron erteilt.
Die Europäer
fanden diese Schwachstelle der Kiptschak – ihre Treue zum Wort und Gesetz –
schnell heraus. Der Edelmut der Kiptschak brachte diesen seitdem nur Schaden,
und die Feinde beeilten sich, sich das zu Nutze zu machen.
Die Herrscher von
Rom und Byzanz hatten keine Angst, Kiptschak in ihre Nähe zu bringen, sie
vertrauten ihnen die eigene Bewachung und hörten auf ihre Ratschläge.
Die Kiptschak kosteten den Staat wenig, die Steppe hatte sie daran gewöhnt,
mit wenigem auszukommen.
Doch weder
Theodosius noch andere Kaiser erlangten den erwünschten Frieden im Reich,
indem sie die Kiptschak in ihren Dienst nahmen. Im Gegenteil, die Unruhe
breitete sich aus. Schuld daran waren nicht die Steppenbewohner, vielmehr die
Unduldsamkeit und der Hochmut der Römer. Die Jahrhunderte der Herrschaft
hatten sie verdorben.
Auch Christen
geworden, waren die Römer keineswegs gesinnt, „ihren Nächsten zu
lieben“, d. h. jene Bürger, die die Turksprache sprachen. Da waren die
kaiserlichen Erlasse ebenso machtlos wie gutes Zureden.
Sinnlose Wut
drohte die Römer zu ersticken. Sie wollten nicht in die Armee eintreten
und verstümmelten sich absichtlich, nur um dem Dienst auszuweichen. Die
Kiptschak aber, ihre Verteidiger, die sich nicht schonten, wurden erniedrigt.
Man ging rücksichtslos mit ihnen um und verspottete sie offen, wie man
Sklaven verspottet. Dichter erfanden Geschichten über sie, eine absurder
als die andere. Selbst wenn der Kaiser vom Volk des Reiches sagte, es sei „ein
Volk der Gleichen und durch einen einheitlichen Namen verbunden“, hörten
die Spottreden nicht auf.
Man lese nur:
„Sie sind unerhört hässlich und ungeschlacht, diese zweibeinigen
Bestien, und ähneln Baumstümpfen, die wie Götzen an den
Brücken stehen.“ Oder: „Gleich Tieren, die nicht vernunftbegabt sind,
kennen sie keinen Unterschied zwischen Wahrem und Falschem.“ Der römische
Adel verlangte sogar, man solle die Kiptschak des Reiches verweisen oder gar
versklaven.
Diese Drohungen
waren natürlich eine Pose des Schwächeren. Schon damals, im 4.
Jahrhundert, sahen bereits alle ein, dass das Turkvolk ein fester Bestandteil
Europas und dieses die Heimat der jungen turkischen Generation war. Niemandem
war es gegeben, etwas an dieser Sachlage zu ändern.
Nach dem Tod von
Theodosius versuchten seine Söhne, die „gewohnheitsmäßigen
Landzuteilungen an das Heer“ aufzuheben. Doch das misslang. Es wurde bereits
die erste Generation der lateinischen Kiptschak geboren, ihre Zahl ging in die
Tausende. Selbstverständlich hätten sie sich niemals versklaven
lassen. Immerhin waren ihre Väter keine Schwächlinge.
Trotzdem brach
ein Aufstand aus. Das Unglück schlich sich unmerklich heran. Das geschah
in den letzten Tagen des Jahres 406. Ausgerechnet am 25. Dezember, dem
Tengri-Tag, dem größten turkischen Fest, gingen die Römer
daran, die Frauen und Kinder jener Kiptschak, die in der Armee des Reiches
dienten, hinzurichten. Schon früh am Morgen schwangen die Henker ihre
Beile, und das beschleunigte die Ereignisse.
Die Kiptschak,
die so viel Schande und Erniedrigung hatten über sich ergehen lassen
müssen, hielten es nicht mehr aus und lehnten sich auf. Im
Weströmischen Reich kam es zu einem Bürgerkrieg. Der Anführer
der Kiptschak war Khan Alarich, ein Mann, der von langen Verhandlungen nicht
viel hielt.
Er belagerte die
Hauptstadt. Da schien sich Rom endlich zu besinnen und bat um Gnade. Senatoren
und Adlige entschuldigten sich vor den Kiptschak und zahlten ihnen viel Gold,
damit sie die Belagerung aufhoben. Aber schon ein Jahr später wiederholte
sich alles.
Im Jahre 410
belagerten die Kiptschak Rom zum dritten Male. Jetzt glaubten sie den falschen
Worten seiner Einwohner nicht mehr und besetzten die Stadt. Zur Strafe
plünderten die Krieger die Stadt gründlich aus.
Die Feindschaft
drohte die römische Gesellschaft zu überfluten und zu zerstören,
doch so weit kam es nicht. Unter den Römern fand sich ein weiser Mann, der
drei Jahrzehnte vor dem Ausbruch der Feindschaft begriffen hatte, dass es
unmöglich ist, aus zwei Völkern ein einziges zu machen. Wenn man sie
jedoch durch einen gemeinsamen Glauben miteinander verband, musste ein neues
Volk entstehen.
Diese Idee war
ihm von den Kiptschak, ihren Geistlichen und dem Wort der Turksprache „kathylik“ (Verbündeter)
eingeflößt. Es entstand die „katholische Doktrin“ bzw. der Katholizismus. Ein dominierendes
Ereignis, das die Geschichte des modernen Westeuropa einleitete.
Jener weise
Römer hieß Damasus I. Zwischen 366 und 385 war er der Bischof von
Rom, faktisch der erste Papst.
„Kathylik“ bedeutet „Verbündeter“
In Rom mit seinen
300 000 Einwohnern hatte es früher keine Kirche gegeben.
Dort bestand seit
dem 1. Jahrhundert eine Sekte: Ein Dutzend Menschen versammelte sich in einer
unterirdischen Höhle, und gerade sie wurden später Christen genannt.
Sie befolgten die Regeln der jüdischen Religion: beteten in Synagogen,
feierten die biblischen Feste und nahmen die Beschneidung vor. Für die
meisten Römer waren die Wörter „Jude“ und „Christ“ gleichbedeutend.
Das zeichnete das
frühe Christentum aus, das anders als heute war. Die Sektierer nannten
sich selbst Atheisten (das war ihr Wort!), erkannten keine Götter an,
hatten keine Kirchen, kannten weder Kreuz noch Heiligenbilder.
Die Behörden
hatten Angst vor diesen Gottlosen und setzten sie Verfolgungen aus.
Das Wort Christentum kam Ende des 3.
Jahrhunderts bei den Griechen auf. Als Religion wurde es Anfang des 4.
Jahrhunderts in Derbent, d. h. im Kaukasus, bekannt. Dann erkannte man den
Glauben in Europa und in den Nahostländern an. Aber in Rom gilt von alters
her Rom allein als die Wiege des Christentums. Das ist dort die herrschende
Ansicht, weil das einmal die katholische Doktrin verkündete. Den Bischof
von Rom erklärte sie zum ersten Geistlichen der christlichen Welt, zum
Papst.
Bemerkenswerterweise
erfuhren die Römer das Wort „Papst“ ebenfalls Anfang des 4. Jahrhunderts:
Die früheste Inschrift ist an den Wänden der römischen
Katakomben des Hl. Calixtus gefunden worden. Aus irgendeinem Grund wird dem
Wort griechische Herkunft zugeschrieben, obwohl die Griechen selbst einen
solchen Titel nicht kannten.
Kennzeichnend
für die Urheber der katholischen Doktrin war eine unerklärbare Logik
buchstäblich in allem. Nur selten entsprach sie der Wirklichkeit, ja sie
widersprach ihr, aber das störte niemanden. Der Grund bestand darin, dass
die Römer damals auf Erfolge der Griechen neidisch waren. Denn unter dem
Vorwand des Kampfes um das Christentum begann Byzanz die Eroberung des Nahen
Ostens, seiner reichen Städte und Länder. Die Römer wollten dem
etwas entgegensetzen, darauf wirksam reagieren, aber ihre Armee war nicht stark
genug. Deshalb unterzogen sich Politiker der Aufgabe, wozu sie die Kleidung von
Bischöfen anlegten.
Die Berechnung
war einfach: das griechische Christentum anzunehmen, zu Verbündeten von
Descht-i-Kiptschak zu werden und mit Hilfe der Kiptschak das eigene Ziel zu
erreichen.
Deshalb fassten
sie das Wort der Turksprache „kathylik“, das sie vom byzantinischen Kaiser
Theodosius hörten, ganz anders auf: Das Wort sagte ihnen die Idee eines
Bündnisses vor! Beweise sind vorhanden, z. B. wurde im Jahre 382 eine
Kiptschak-Horde zur Ansiedlung im Weströmischen Reich eingeladen.
Wohlgemerkt: nicht in Byzanz! Alles wurde in Betracht gezogen und
einkalkuliert. Alles fügte sich in den Rahmen besagter Politik ein.
Der turkische Patriarch
Ulfilas billigte die Idee der Römer, weil er darin einen Weg zur
Aussöhnung zwischen Kiptschak und Europäern sah. Das war die
Anerkennung des Katholizismus durch die Große Steppe.
Der erste Schritt
gelang. Also ging Europa noch weiter und sprach vom „Arianismus“, von einer
neuen Lehre, aus der hervorging, dass die turkische Religion angeblich ein
„falscher“ Teil des Christentums sei. Äußerlich änderte diese
Behauptung natürlich nichts. In Wirklichkeit veränderte sie vieles:
Die Worte erlangten die Stärke eines Schwertes, die Politik (das Wort!)
verdrängte die Armee und trat in den Vordergrund.
In geheimer Veränderung der Welt liegt das
Wesen des Katholizismus.
Etwas
verändern, aber mit fremden Händen. Töten, aber mit fremden
Händen. Nicht ein Glaube, sondern eine neue Politik entstand, die für
Jahrhunderte das Wesen der westlichen Kirche ausmachen sollte. Eine solche
Politik ist da – und doch gleichsam nicht da, weil sie geheim ist, den Augen
und Ohren der Uneingeweihten verborgen bleibt – eine Politik, die das eine sagt
und etwas ganz anderes tut.
Seitdem geschah
alles in Europa gleichsam zufällig.
Der Bischof
Damasus wurde schon in hohem Alter zum Papst, sein Leben verging in Rom. Seit
den ersten Tagen umgaben Kiptschak den Papst, weil er nur ihnen allein wirklich
vertraute. Sie brachten ihm die Geheimnisse des Glaubens an den Gott im Himmel
bei. Andere Lehrer gab es damals nicht, konnte es nicht geben.
Daher rührt
der berühmte Ausspruch der Kirche: Aus
dem Osten kommt das Licht. Er gehört als fester Bestandteil zu dieser
Kirche.
Im Gefolge des
Papstes waren große Dichter und Gelehrte jener Zeit, später nannte
man sie Doktoren und Kirchenväter. Der Papst „sprach ihre Worte nach“.
Damals wurden die ersten heiligen Bücher geschrieben, von denen sich die
Katholiken bis heute leiten lassen.
Die Namen
Wassili, Grigori Nasiansin, Hieronymus, Ambrosius sind dem Leser wohl kaum
bekannt, ebenso wie der Name des Bischofs Augustin. Von diesen Menschen,
hervorragenden Denkern, wurden Legenden erzählt. Doch ihre Schriften
existieren nicht mehr, die Katholiken selbst verbrannten sie, als sie die
Spuren der Anwesenheit des Turkvolkes in Europa vernichteten.
Man denke jedoch
darüber nach, wer diese Menschen sein konnten, die dem Westen die
Anfänge der turkischen religiösen Kultur und den Glauben an Gott
beibrachten. Sie verbanden den Tengri-Kult mit Christus – und darum eben ging
es.
Wenn das nicht
Kiptschak waren – wer sonst? Andere Träger des geheimen Wissens gab es in
der Welt tatsächlich nicht. Auf jeden Fall gingen sie aus einem Milieu
hervor, das mit der griechischen oder hebräischen Kultur am wenigsten
bekannt war.
Europa wandte
sich dem Osten zu, weil Licht aus dem Osten kommt.
Gewiss, ihre
eigenhändigen Manuskripte wurden verbrannt, ihre Biografien umgemodelt. Aber
das Geschriebene hat sich erhalten! Man findet es auch in Kirchen, die nicht
mit Rom oder Byzanz verbunden sind. Das ist das turkische geistige Erbe, an dem
Europa in keiner Weise beteiligt ist, es lernte bloß bei den altaischen
Lehrern.
Die alten christlichen
Bücher waren meist in der Turksprache geschrieben, denn in dieser Sprache
wurde im 4., 5. und 6. Jahrhundert der Gottesdienst in allen Kirchen
abgehalten. Das war Gottes eigene Sprache
sowohl in Europa als auch im Nahen Osten. Bekannt sind Texte, die über
anderthalbtausend Jahre alt sind. Sie werden wie Heiligtümer aufbewahrt,
beispielsweise in Armenien.
Nur das Turkvolk
besaß damals umfangreiches Wissen vom Gott des Himmels. Und dieses Volk
hatte keinen Mangel an Wissenschaftlern, namentlich an Philosophen. Das ist
eine Glaubenstradition, die in sehr alte Zeiten, die Epoche des Altai und
seiner Klöster, zurückreicht. Schon Herodot betonte die Weisheit und
die Erkenntnisse der Skythen (d. h. Angehörigen des Turkvolkes) und
staunte über die tiefen Wurzeln ihrer Kultur.
Im 1. Jahrhundert
demonstrierte Khan Erke (Kanischka) dem Osten diese Kultur so glänzend,
dass die Buddhisten auf dem IV. Konzil die Riten und die Philosophie des
Tengri-Glaubens annahmen. So entstand ein neuer, der nördliche Zweig des
Buddhismus.
Noch eine
bemerkenswerte und ebenfalls sehr beredte Tatsache.
Selbstzufrieden,
wie sie waren, lernten die Römer nie Griechisch, weil sie die Griechen
verachteten. Die Griechen vergalten es ihnen mit Gleichem. Die Kiptschak
dagegen taten sich auch hier hervor: Europa kannte keine besseren
Übersetzer als sie.
Niemand
hätte es in der Kunst des Übersetzens mit Hieronymus aufnehmen
können, dabei stammte er von einem turkischen Geschlecht an der Donau,
einem jener Geschlechter, die als Erste den Boden des Römischen Imperiums
betraten. Er nahm das Christentum an, wurde zum nächsten Berater des
Papstes und widmete sich dem Redigieren und der Übersetzung heiliger
Bücher aus der Turksprache ins Latein.
Wohlgemerkt: aus der Turksprache!
Seine lateinische
Übersetzung der Bibel („Vulgata“) war jener Keim, dem die gesamte
christliche Literatur von Westeuropa entspross. Die Texte der Originale werden
bis heute in der Bibliothek des Vatikans aufbewahrt. Sie wurden aus
Descht-i-Kiptschak, genauer: vom Don, gebracht.
Die Vulgata
(lat.: zugänglich, in der Volkssprache abgefasst) war sogar mehr als
Übersetzung. Darin wurde dem einfachen Volk, d. h. den Römern, der
Sinn der Hl. Schrift in der ihnen verständlichen Sprache erläutert.
Anders gesagt, klärte sie sie auf und machte sie zu kultivierten Menschen.
Oder folgende
Tatsache. Als die Stadt der Wissenschaft und Kunst von ganz Westeuropa galt in
jenen Jahren Mailand, in dem Bischof Ambrosius lebte. Zu seinen Predigten
strömten ganze Menschenmengen herbei. Große Stadtplätze
hörten ihm zu. Dank Ambrosius war Mailand eine Stadt, in der die
Turksprache und die Ideen des Turkvolkes hoch in Ehren standen. Dort lebten
fast ausschließlich Kiptschak und so gut wie keine Römer.
Unter dem Druck
dieses „ungestümen Bischofs“ musste der Kaiser im Jahre 381 seine Residenz
nach Mailand verlegen und im Weströmischen Reich die heidnische
Götzenverehrung verbieten. Anders ausgedrückt: Er trat gegen die
Traditionen der römischen Kultur auf!
Die lateinischen
Kiptschak dienten der katholischen Idee treu. Sie wünschten einen Bund mit
Europa als ihrer neuen Heimat und wurden katholisch, um Tengri zu rühmen.
Anfang des 5.
Jahrhunderts kam es im Weströmischen Reich zu einem weiteren Ereignis, das
ebenfalls mit den Kiptschak verbunden war. Sie sprachen Rom die Rechte der
Hauptstadt ab und erklärten 402 Ravenna zur Reichshauptstadt.
Ravenna
unterschied sich insofern günstig von Rom, als es von allen Seiten von
Sümpfen umgeben und Feinden unzugänglich war. Der einzige Zugang war
die Meeresküste. Die neue Hauptstadt wurde in den Traditionen der
turkischen Architektur gebaut, weil in ihr nicht Römer, sondern nur
Kiptschak lebten.
Eine
Sehenswürdigkeit der Stadt waren Basiliken und mit hellblauen Mosaiken
verzierte orientalische Mausoleen, besonders aber das berühmte
Baptisterium, in dem Christen getauft wurden. Oktagone und Kuppeln – Zeichen
der turkischen Architektur – waren hier überall anzutreffen.
Diese
Novitäten waren ebenfalls ein unbestreitbares Ergebnis der Großen
Wanderung, mit ihnen begann eine neue Architektur, die Gotik. Nach der Einwanderung der Kiptschak wurden die
europäischen Städte ganz anders gebaut und geschmückt.
Die neuen Römer
Im Jahre 411 trat
Constantius an die Spitze der römischen Armee. Die Ahnen dieses
ungewöhnlich begabten Mannes waren Angehörige jenes Teils des
Turkvolkes, der sich an der Donau angesiedelt hatte. Er war zwar Militär,
aber im Grunde ein geborener Politiker. Ein weiser Politiker, wie ihn Rom noch
nicht erlebt hatte.
Die Griechen
schrieben über ihn: „Das war ein Mann mit großen Augen, einem langen
Hals und einem großen Kopf, den er zum Hals seines dahinstürmenden
Pferdes beugte … Bei Festmahlen war er reizend und witzig und hätte es mit
den Hofnarren aufnehmen können, die sich um seinen Tisch tummelten.“
Interessante
Zeilen. Ein Reiter, der vorgebeugt dahinstürmt. Mit dem Äußeren
eines Kiptschak. Mit dem Blut eines Kiptschak. Mit den Gewohnheiten eines
Kiptschak. Mit einem Hofnarr bei Festmahlen. Aber – schon ein Römer. Ein
neuer Römer.
Das
altertümliche Rom verwandelte sich damals in eine zweisprachige Stadt.
Seine Sitten veränderten sich zu den Lebzeiten nur einer Generation. Neu
wurden der Alltag der Menschen, ihre Denkweise, ihre Wünsche und
Verhaltensmuster. Alles veränderte sich in der Ewigen Stadt unter dem Einfluss
des Turkvolkes.
Als Feldherr
wurde Constantius in Gallien berühmt. Mit einem kleinen Heer zerschlug er
die Armee der Gallier. Aber diese Schlacht war nur eine kleine Episode in
seinem Leben. Der Oberbefehlshaber dachte nicht so sehr an seine Armee wie
vielmehr an Politik, in der er eine Gewähr seiner militärischen
Erfolge sah. Das war für das kriegerische Rom ungewöhnlich und
deshalb erstaunlich.
Im Jahre 413 warb
Constantius mehrere große Sippen der turkischen Horde – Burgunder –
für das Reich an und teilte ihnen Ländereien auf dem Territorium des
heutigen Frankreich zu. Dort begründeten sie eine Stadt am westlichen
Rheinufer. Man nannte sie „Föderaten“, und bald kam in Westeuropa ein
neues Land der Kiptschak – Burgund –
auf.
Constantius
verwirklichte seine Politik durch die Übersiedler, und das erfolgreich. Er
sah ein: Das Reich brauchte die Kiptschak nicht als Feinde, sondern als
Verbündete. Darin offenbarte sich die Weisheit des Feldherrn: Er forderte
nicht zu Kriegen, sondern zu einer Zusammenarbeit zum gemeinsamen Wohl auf.
Einen
günstigen Verlauf nahmen auch die Verhandlungen mit dem Khan Ataulf, der
damals die unzufriedenen lateinischen Kiptschak anführte. Man brachte ihn
dazu, dem Bürgerkrieg ein Ende zu bereiten. Hierbei wurde die Sache so schlau
eingefädelt, dass die lateinischen Kiptschak ihren Zorn auf Spanien
übertrugen und dort sich und das Reich mit Ruhm bedeckten.
Mit ihnen
entstand Katalonien, ein weiteres
neues turkisches Land (sein Name leitet sich vom Wort der Turksprache „kathyl“,
sich anschließen, ab).
Ruhmbedeckt,
kehrten die Eroberer von Spanien heim. Selbst die mürrischen Römer
empfingen sie als nationale Helden. Auch sie erhielten den Status der
Föderaten. Im Jahre 418 bestimmte das Reich die Stadt Toulouse zu ihrer
Hauptstadt. Das war ein richtiges Fest der Anerkennung der lateinischen
Kiptschak.
Die Kirche
schätzte den diplomatischen Sieg von Constantius sehr hoch ein.
Früher als alle anderen verstand sie, dass die Kiptschak für immer
nach Europa gekommen waren und nun die größte politische und
militärische Kraft darstellten.
Im Februar 421
überreichte das Volk von Rom Constantius die Krone und den Titel des
Kaisers des Weströmischen Reiches. Er war nicht der erste und nicht der
letzte Angehörige des Turkvolkes, der es zum Kaiser von Rom brachte.
Leider starb er
sieben Monate nach der Krönung. Die Ursache des rätselhaften Todes
wurde nicht festgestellt. Doch wohl kaum ging es dabei ohne Byzanz ab: Dazu
widersetzte es sich der Inthronisierung eines Kiptschak viel zu stark. Byzanz
hatte Angst vor dem Erstarken des Westlichen Reiches.
Der Sohn von
Constantius, der Thronfolger Valens, war nicht einmal fünf Jahre alt,
deshalb ging die Macht an seine Mutter Placidia, eine fromme und eigenwillige
Frau, über.
Ihrer Abstammung
nach eine Römerin, hatte sie in ihrer Jugend viel Ungerechtigkeit seitens
der Kiptschak erleben müssen und hasste alles Turkische.
Mischehen waren schon damals keine Seltenheit, man nannte sie „Früchte
des Katholizismus“. Die Früchte erwiesen sich als bitter. Wenn ein
Angehöriger des Turkvolkes eine Römerin heiratete, wechselte er die
Kleidung und den Namen. Das war die Vorbedingung einer solchen Ehe.
Die Kirche erfand
für sie den Kirchenkalender, d. h. Namenslisten. Eine auf den ersten Blick
harmlose Angelegenheit. Aber die Namen waren griechisch und hebräisch,
manchmal römisch – und nie turkisch. Deshalb sind wirklich turkische Namen
in der Geschichte Europas so selten.
Ein Name ist aber
Merkmal eines Volkes, sein „Tamga“, das eine klare und verständliche
Sprache führt. Namen wie Napoleon oder Homer spiegeln eine ganze Epoche
wider. Das war den europäischen Angehörigen des Turkvolkes nicht
gegeben. Selbst Attila ist nicht der eigentliche Name des Feldherrn, er hat uns
entstellt, in römischer Aussprache erreicht.
Die Kinder der
lateinischen Kiptschak wurden als Katholiken und Römer großgezogen.
Man verbot es ihnen natürlich nicht, die Turksprache zu sprechen, die
turkischen Sitten und Gebräuche einzuhalten und turkische Feste zu feiern.
Doch wurde das auch nicht gerade gefördert.
Solche Regeln
hatte die Kirche eingeführt: Regeln einer Moral mit doppeltem Boden, die
die jungen Menschen zu Heuchlern erzogen.
Aus der Ehe eines
Donau-Kiptschak und einer adeligen Römerin ging ein schöner Knabe
hervor, den die Geschichte von Europa als Aëtius kennt. Höchst
begabt, wuchs dieser spätere römische Held unter Kiptschak auf. Der
Sohn des Befehlshabers der Reiterei (Magister equitum) wurde gemäß
einer Steppentradition und entgegen den Regeln der Kirche einer turkischen
Familie zur Erziehung anvertraut. Dieser altertümliche altaische Brauch
heißt Atalyk (Vaterschaft).
Der Junge lernte viel von den Steppenbewohnern.
Als erwachsener,
kultivierter Mensch kannte Aëtius die Sitten der einen und der anderen
Bürger des Reiches. Attila selbst erzog seinen Sohn und nannte Aëtius
lange Zeit seinen Bruder. Deshalb lebte er sich ohne weiteres sowohl unter
Feinden als auch unter Freunden ein. Um ein Weniges wäre er römischer
Kaiser geworden, das ließ jedoch Placidia, eine Tigerin auf dem Thron,
nicht zu.
Diese Frau
erkannte die Idee des Katholizismus (des Bundes) nicht an, war eine
leidenschaftliche Anhängerin von Kriegen, und es dauerte nicht lange, da
brachen sie im Reich wieder aus. Das Land setzte wieder auf die Armee – und
erlitt mehrere Niederlagen, wobei die von 429 besonders spürbar war. Das
löste im Reich einen abermaligen Bürgerkrieg aus.
Alles begann von
Neuem. Der Unmut des Volkes brach mit neuer Kraft aus, der ohnehin unsichere
Frieden war gestört.
Eben damals
stellte sich Aëtius an die Spitze der Kiptschak. Mit Hilfe der
Verbündeten aus Descht-i-Kiptschak entschied er über den Ausgang des
Bürgerkrieges in einer einzigen Schlacht. Das Ansehen des jungen Feldherrn
nahm von Tag zu Tag zu. Bittsteller aus der Provinz kamen zu ihm, Beamte erstatteten
ihm Berichte, wohlgemerkt: ihm und nicht dem halbwüchsigen Kaiser und auch
nicht der kriegerischen Dame, die auf dem Thron saß.
Das Reich erlebte
eine niederdrückende Doppelherrschaft, und diese ist bekanntlich nie von
langer Dauer. Ein neuer Bürgerkrieg schien unvermeidlich. Der
byzantinische Kaiser wollte den Moment zur Einmischung nutzen, schaffte es
jedoch nicht mehr. Alles kam ganz anders.
Eine dritte Kraft
trat in Erscheinung: die Kiptschak der jungen turkischen Staaten Gallien und
Katalonien. An ihrer Spitze stand Khan Geiserich. Wie ein Chronist schrieb,
hatte er „einen scharfen Verstand, verachtete den Luxus und mochte den
Wohlstand, war wortkarg und in seinem Zorn unbezähmbar“. Kurzum, ein
echter Kiptschak.
Sein Name
ließ alle erzittern und an Gesser, den unbesiegbaren Sohn Tengris,
denken.
Ganz ruhig, ohne
viel Worte, schlug er die vereinigte Armee von Ost- und Westrom aufs Haupt.
Dann wandte er sich Afrika zu und eroberte dort die letzten römischen
Kolonien, die das Reich mit Getreide belieferten. Die bedeutendste Trophäe
war 439 Karthago, Afrikas größte Stadt.
Auf eine solche
Wendung war niemand gefasst. Die Welt kippte um. Die neuen Römer
erschütterten das Reich in seinen Grundfesten: Die Flotte, die Armee, die
Städte lagen nun in ihren Händen.
Aëtius
konnte sich, wiederum mit Hilfe von Descht-i-Kiptschak, doch an der Macht
halten: Im Namen des Kaisers regierte er beinahe zwanzig Jahre lang, und ebenso
lange blieb er Attilas Freund. Aber den Kaiserthron bestieg er nicht, weil das
Schicksal des Reiches besiegelt war: Die Hervorbringung der antiken Welt musste
untergehen, der Tod blies ihm ins Gesicht.
Europa nach Attila
Der Schlag der
lateinischen Kiptschak war niederschmetternd.
Doch das letzte
Wort gehörte Attila. Ein neues Europa wartete auf ihn: Ost und West
mussten sich im offenen Kampf miteinander messen. Damit der Schlusspunkt hinter
der Großen Völkerwanderung gesetzt werden konnte. Damit Attila alle
besiegte …
Und damit die
turkische Steppe zur Großen Steppe wurde.
So kam es auch.
Attilas Reiterei durchzog unter der Tengri-Fahne alle Lande des Reiches, selbst
der Papst Leo I. kniete vor ihr nieder. „Ich begrüße dich, du
Geißel Gottes“, sagte er zu Attila. Der römische Kaiser aber gab ihm
die Hälfte des Staatsschatzes ab, als Zusatz zu dem Tribut, den Rom den
Kiptschak alljährlich zahlte.
Damals erhielt
Europas höchstes Gebirge seinen heutigen Namen: Die Kiptschak benannten es
zu Attilas Ehren! Das Wort der Turksprache „alp“ bedeutet so viel wie Held,
Sieger. Und so spricht man auch heute von den Etzel-Alpen, d. h. Attilas Alpen.
Der Herrscher von
Descht-i-Kiptschak hatte sein Hauptquartier gerade in den Alpen, offenbar
irgendwo zwischen den heutigen Städten Davos und Innsbruck,
möglicherweise im Tirol, das dem Altai ähnlich ist.
Attilas Zeit war
der Kulminationspunkt der Großen Völkerwanderung, ihre Krönung,
ihr Triumph. Damals begann eigentlich das Mittelalter. Beinahe jeder zweite
Europäer war ein Ankömmling und sprach die Turksprache. Folglich hat
auch heute beinahe jeder zweite Europäer turkisches Blut in seinen Adern.
Attila, der
große Feldherr, konnte von niemandem besiegt werden.
Aber der Mensch
Attila wurde besiegt. Er war selbst daran schuld. Die Zahl seiner Söhne
betrug hundertvierundachtzig. Mädchen wurden nicht erst gezählt. Haltlose
Liebe aber ist für eine Familie verderblich. Besonders für die
Familie eines Herrschers.
Im Jahre 453,
nach seinem verhängnisvollen Tod, gingen die Söhne daran, sich in die
Macht zu teilen, wussten jedoch nicht recht, wie sie das anfangen sollten. Unter
ihnen waren Römer und Byzantiner (von europäischen Müttern), sie
erkannten die turkischen Sitten nicht an. So kämpften sie gegeneinander,
zogen das Los und begriffen nicht, was sie anstellten, indem sie freie Ulus und
Horden der Kiptschak aufs Spiel setzten.
Sie zerteilten
ein freies Volk, als hätte es sich um Sklaven gehandelt.
Als Erster lehnte
sich Khan Ardarich auf, ein Freund und treuer Berater Attilas, ein hoch
geachteter Mann. Er hielt die Beleidigung nicht aus und griff zur Waffe. Zu
spät: Der Krieg von Kiptschak gegen
Kiptschak hatte schon begonnen.
Sie, die alle
Armeen der Welt besiegt hatten, mussten nun sich selbst besiegen. Nur so konnte
die Große Wanderung enden. Der Krieg von Kiptschak gegen Kiptschak war
unvermeidlich.
Die Ursache liegt
natürlich nicht in den Kindern Attilas, nicht im Hader, sondern in der
Natur der Menschen. Wenn ein Volk sich nicht als eine große
Verwandtschaft empfindet, stirbt es. Das ist ein Gesetz.
Brüder
dürfen einander nie vergessen, nicht in den Minuten der Freude und nicht
in der Zeit der Leiden, wie schlecht der andere auch sein mag. Sonst ist alles
zu Ende und ein langsamer und qualvoller Untergang einer Familie, dann eines
Geschlechts und schließlich eines Volkes unausweichlich.
Die blutigen
Bruderkriege der Kiptschak dauerten jahrhundertelang, im Laufe des ganzen
Mittelalters. Geschlechter und Familien entfremdeten sich. Das Leben teilte die
Kiptschak-Ulus in neue Völker, veränderte ihre Namen und ihre
Sprache, ließ sie die Gebote der Ahnen, die eigene Geschichte verleugnen.
Ein Bruder tötete den anderen, und es war kein Ende abzusehen.
Was ist
furchtbarer und qualvoller für ein Volk?
Das war ein Krieg
ohne Regeln noch Sieger. So ist das Leben nun einmal. Ein Resultat dieses
Krieges ist die heutige Kultur von Europa.
Indem die
Kiptschak die antike Welt zerstörten, zerstörten sie auch sich, ihre
Einheit, ihre Gesellschaft. Langsam wandelten sie sich um. Ihre Kinder wuchsen
mitten in einer anderen Kultur, einem anderen Volk auf, wenn sie auch noch die
Turksprache sprachen.
Indem die
Menschen ihre Namen und ihre Kleidung veränderten, wurden sie unmerklich
für sich selbst ebenfalls anders. Auch ohne es zu wünschen. Sie
entfremdeten sich selbst, ihrem eigentlichen Wesen, ihren Ahnen, ihrer
Großen Steppe. Selbstverständlich bemerkte das niemand von ihnen,
keiner machte sich darüber Gedanken. Das Leben ging weiter, ging seinen
gewohnten Gang. Alles geschah aber auf ebendiese Weise: unmerklich.
Am Dnepr, am Don,
im Kaukasus oder am Jaik lebten ebenfalls Kiptschak, aber sie lebten nach wie
vor und wahrten ihre Steppentraditionen. Deshalb berührten sie die
verderblichen Veränderungen noch nicht. Allerdings handelten auch sie oft
anders als z. B. die Altaier, Chakassen oder Jakuten.
Und so gingen die
Kiptschak unter, indem sie eine neue Kultur schufen. Sie verzehrten sich wie
eine brennende Kerze. Sie beleuchteten den Weg in die Zukunft und opferten sich
für den Fortschritt auf. Hier liegt die Ursache ihrer Verluste und Gewinne
– im Verlust der einstigen Einheit.
Selbstverständlich
wandelten sich nicht nur die Kiptschak im mittelalterlichen Europa um, auch die
Griechen, Römer und Kelten veränderten sich, bekamen neue
Gewohnheiten und entdeckten ein neues Leben. Die Europäer entwickelten
sich zu neuen Europäern. Die Welt wurde für sie ein riesiger
„Schmelztiegel“ der Kulturen. Das geht nie anders.
Die Geschichte
des Kuschanreiches, von Byzanz und Italien veranschaulicht das. Ohne das
Turkvolk hätten die Griechen das blühende Byzanz nicht aufgebaut, die
Angehörigen des Turkvolkes ihrerseits ohne die Iraner das herrliche
Kuschanreich nicht errichtet.
Aber … Eine alte
Weisheit lehrt: Sucht man Fremdes, so verliert man Eigenes. Darin liegt ein
weiteres Lebensgesetz beschlossen. Man muss Fremdes vorsichtig übernehmen,
mit viel Bedacht.
Die
Machtkämpfe und Fehden, die nach Attila in Europa ausbrachen, können
natürlich Kriege genannt werden, aber im Grunde ging es um einen Dialog
der Kulturen. Das war die Politik des Mittelalters, eine Politik, die eine neue
Welt schuf.
Die Kiptschak
schufen sie mit. Der Anteil des Turkischen am heutigen Europa ist nicht
geringer als der des Römischen oder Griechischen. Das Turkvolk war der
Sieger über das Große Römische Imperium, es gab den Menschen
den Glauben an den Gott des Himmels, schenkte ihnen Wissen, Architektur und
Literatur. Das darf nicht übersehen werden.
Es wäre
für das Weströmische Reich besser gewesen, wenn es gleich nach
Attilas Tod zusammengebrochen wäre. Denn es erlebte danach nur noch
Schande. Im Jahre 454 ließ Kaiser Valentinian Aëtius hinrichten.
Aber dessen Mitstreiter töteten den undankbaren Kaiser. Als Antwort darauf
besetzte Khan Geiserich Rom und ließ es zwei Wochen lang plündern.
Seitdem taten die
Kiptschak im Reich, was sie wollten.
Als Khan Ricimer
Oberbefehlshaber wurde, ließ er römische Kaiser den Thron besteigen,
oder er stürzte sie nach Belieben. Er verachtete sie und machte kein Hehl
daraus: Binnen 15 Jahren wechselte er die „Herrscher“ zehnmal. Er selbst konnte
wegen seiner Herkunft nicht den Thron besteigen, aber die gesamte Macht lag in
seinen Händen.
Nach ihm war
Orest der Oberbefehlshaber, der ehemalige Beichtvater von Attila. Orest war ein
Mensch von ganz anderer Art. Er verstieß gegen die Adat und ernannte
seinen Sohn zum Kaiser, der den Namen Romulus Augustulus bekam.
Dieser Kiptschak
war der letzte römische Kaiser.
Die Kiptschak
selbst stürzten ihn im Jahre 476, weil sie in der Herrschaft des jungen
Mannes einen Verstoß gegen die Gesetze des Himmels sahen. Um der heiligen
Altai-Traditionen willen tat das Khan Odoaker, der erklärte: „Das Imperium
lehnt den Titel eines Imperators ab.“ Unter Odoaker fand das Wort „Italien“
seinen wahren Sinn wieder: In der Turksprache bedeutet „ytala“ so viel wie
„lehne ab“. Nach Byzanz wurde eine Botschaft mit der Krone, die ihre Zeit
überlebt hatte, und sonstigen Insignien des Kaisers geschickt. Auf diese
Weise endete die Geschichte des Alten Rom.
Es begann die
Geschichte Italiens.
Der Nahe Osten und das Turkvolk
Seit dem 4.
Jahrhundert entschieden die Griechen, ihre Politik und ihre Kirche über
das Schicksal von Europa. Die Patriarchen dieser Kirche stellten die Ordnung
her. Sie machten vor nichts Halt, nur um das Mittelmeergebiet zu beherrschen
und sich zu erhöhen. Aber wie konnte das erreicht werden?
Wie wird ein
Theologe bekannt? Wie gelangt eine Kirche zu ihrer führenden Stellung?
Durch ihre Taten und ihr Wissen. Gerade daran mangelte es den Griechen: Sie
hatten weder Taten noch Wissen aufzuweisen. Die griechische Kirche wurde vom
Kaiserhof bevormundet, war ein Teil des Staates, ein Machthebel. Nicht mehr. So
war das seit der Zeit von Kaiser Konstantin, so ging das auch weiter.
Im Unterschied zu
Rom hatte die griechische Kirche kein Bedürfnis nach einer neuen Idee, sie
brauchte sich keine Sorgen um ihren Ruf, die Gesundheit der Gesellschaft, die
Zukunft des Landes zu machen. Statt ihrer tat das die weltliche Macht,
während die Kirche nur ein Schmuck des Kaisers war.
Die satten
griechischen Patriarchen hatten Angst vor Neuem und wollten von einer
katholischen Doktrin nichts hören. Sie dachten nur an sich und
fürchteten deshalb jede Veränderung. Doch Veränderungen treten
im Leben von selbst ein, und zwar immer überraschend.
Natürlich
machten sie auch um das mediterrane Gebiet keinen Bogen, die
Völkerwanderung musste sich doch auch dort auswirken.
Die ersten
Kiptschak waren dort Prediger aus Derbent, diese reitenden Geistlichen. Mit
ihrer Hilfe wurde der Kaukasus eine geistige Quelle für Syrien,
Palästina, Ägypten und Nordafrika. Die Kunde vom allmächtigen
Gott des Himmels erreichte auch diese Länder. Die Menschen hörten
einen für sie neuen Namen: Tengri.
Waren diese
Prediger Angehörige des Turkvolkes oder nicht? Das ist ungewiss. Aber
gerade sie brachten den Glauben an den Gott des Himmels mit. Gerade sie
öffneten den Heiden in langen Disputen die Augen und überzeugten sie
vom eigenen Glauben. Gerade sie schließlich begruben hier ihre
Anführer in Kurganen unter Mitgabe vom Pferd und Waffen. Genauso wie
seinerzeit im Altai. Die Herrscherkurgane in Nordafrika sind eine wahre Schatzkammer
für Archäologen.
Sind die
geografischen Namen etwa zufällig, in die der Name Tengri gleichsam
eingemeißelt ist? Dongar oder Dangri wurde er in Abessinien, Ägypten
und im Sudan genannt. Daher rührt auch der Blaue (d. h. Himmlische) Nil.
Eine erstaunliche Sache, nicht wahr?
Funde aus den
Hügelgräbern führen uns vor Augen, dass das Wort „Kiptschak“
einst im Nahen Osten dem Wort „heilig“ gleichgesetzt wurde. Nein, nicht mit
Waffen zog hier die neue Kultur der mittelalterlichen Welt ein, sondern mit dem
Wort Gottes. Eben das Wort brachten die Prediger aus Derbent mit.
Lange Zeit
wussten die Historiker so gut wie nichts über die nahöstlichen
Kapitel der Großen Völkerwanderung. Nur Sagen rankten sich um dieses
Ereignis. Aber im Dezember 1945 fanden Bauern in den Ruinen einer
altertümlichen Siedlung (heute Nag Hammadi) in Ägypten zufällig
sehr schlau versteckte Papyrusrollen. Dann kamen Wissenschaftler dorthin und
bestätigten eine der großen archäologischen Entdeckungen des
20. Jahrhunderts.
Die älteste
der Bibliotheken hat zu ihren Lesern wieder gefunden.
Jede Rolle stellt
ein richtiges Buch dar. Gegenwärtig werden sie in einem Museum von Kairo
aufbewahrt. Die Handschriften stammen aus dem 4. Jahrhundert. Darin wird der
Gott des Himmels erwähnt. Sie sind dem religiösen Leben der
mittelalterlichen Welt gewidmet. Der Schleier des Geheimnisses um die
Vergangenheit scheint ein wenig gelüftet zu sein.
Auch die
Geschichte der koptischen Kirche machte den Wissenschaftlern vieles klar. Sie
ist wegen ihres Alters bekannt wie auch dafür, dass sich die Kopten nur
zum Gott des Himmels (Tengri) bekennen, obwohl sie sich Christen nennen.
Diese Kirche
hält sich nach wie vor an die altertümlichen Traditionen des
Gottesdienstes: jene, die die turkischen Geistlichen lehrten. Derbent ist
für die Kopten immer noch eine heilige Stadt, dort liegen die Anfänge
ihres Glaubens oder, richtiger gesagt, der Schule des Lebens.
Wer sind Kopten?
Sie sind Ägypter, die im Jahre 325 das griechische Christentum nicht
annahmen, weil sie es für unrichtig hielten. Das Leben selbst fügte
es, dass die Kopten seitdem die Bewahrer der turkischen geistlichen Werte sind.
Offenbar
erhielten sie damals ihren heutigen Namen „Kopten“, was in der Turksprache so
viel bedeutet wie „hat sich erhoben“ bzw. „Erhabener“. Heute zählen die
Kopten etwa anderthalb Millionen und halten standhaft an ihrem Glauben fest.
In der Welt
bestehen mehrere ähnliche Glaubensgemeinschaften. In einer Wüste
verlorenen Oasen gleich, leben sie ihr eigenes Leben. Es gibt keinen Zugang zu
ihnen.
Ägypten war
seit jeher für seine erstaunliche Kultur berühmt. Nicht wegen der
Pharaonen und der Pyramiden, sondern wegen der Schule von Alexandria. Sie war
immer sein Hauptreichtum, sie schenkte der antiken Welt hervorragende
Wissenschaftler: Philosophen, Mathematiker, Astronomen, Ärzte, Redner. In
Alexandria befand sich das Kulturzentrum des ganzen mediterranen Raums.
Gelehrte
erlangten ihr höchstes Wissen nicht in Griechenland oder Rom, sondern in
Alexandria. Gerade dort wurden sie zu Gelehrten.
Die Ägypter
nahmen das Christentum Anfang des 4. Jahrhunderts zusammen mit den Armeniern,
Albaniern und Iberern an. Sie waren besser als die anderen darauf vorbereitet,
die neue Kultur, die die Große Völkerwanderung der Welt gab,
aufzunehmen. Der Gipfel des Wissens wurde für sie die Lehre vom Gott des
Himmels.
Damals entstand
im Nahen Osten – ebenfalls aus der turkischen Welt entlehnt! – die „arabische“ Schrift.
In Wirklichkeit handelte es sich um altturkische Schriftzeichen, die
übliche Schnellschrift. Man gebrauchte sie im Alten Altai, wozu man sich
der Gänsekiele oder Stäbchen bediente. Die Runen dienten dem Turkvolk
als „Druckbuchstaben“. Sie wurden in Felsenwände eingemeißelt, damit
man sie von weit her sah, und in der Schnellschrift schrieb man Nachrichten,
Briefe oder Gedichte. Gelesen wurde der Text von rechts nach links oder von
oben nach unten.
Später
bezeichnete man die altturkische Schnellschrift als „uigurische Schrift“. In
der turkischen Welt bestand sie beinahe bis zum 18. Jahrhundert.
Die
früharabischen und die uigurischen Schriftzeichen sind einander
verblüffend ähnlich, beinahe nicht voneinander zu unterscheiden. Das
machte die Wissenschaftler oft stutzig, besonders wenn man schriftliche
Denkmäler im Ural, im Altai fand, d. h. weit entfernt von Ägypten und
dort, wo es nie Araber gab.
Niemand kam
darauf, dass es sich um altturkische Denkmäler handelte. Um schriftliche
Botschaften der Ahnen. Alle glaubten nämlich, dass das Turkvolk kein
Schriftsystem hatte. Dem ist jedoch nicht so.
Die „arabische“
Schrift konnte im 4. Jahrhundert nicht etwas für den Orient Neues und
Unerwartetes sein. Im Iran z. B. erfuhr man von ihr im Jahre 248 v. u. Z.,
nachdem die Dynastie der Arsakiden an die Macht gekommen war. Das waren
Angehörige des Turkvolkes vom Altai (Rothaarige Saken). Ihre ersten
amtlichen Dokumente weisen gerade diese in der westlichen Welt unbekannte
Schrift auf.
Die Ägypter
hatten bekanntlich ihre eigene, auf Hieroglyphen
beruhende Schrift. Das zeigen auch ihre alten Papyri. Das neue Alphabet war
überaus wichtig, es symbolisierte die neue Kultur, wurde zu einer Art
Zeichen des Himmels im Nahen Osten. Bekanntlich kommen neue Schriftzeichen bei
einem Volk nie aus dem Nichts, zufällig auf. Dem geht etwas sehr Ernstes
voraus. Hier liegt der Grund offen: der Übertritt zum Glauben an den Gott
des Himmels.
Die
altägyptischen Texte von Nag Hammadi haben gerade das bezeugt. Einige von
ihnen sind in einer „unbekannten“, den Ägyptern unverständlichen
Schrift geschrieben. Die Wissenschaftler haben diese Texte nicht entziffern können.
Sie behaupteten
nur, dass einzelne Zeichen dieser unbekannten, koptischen „Schrift“
griechischen Buchstaben ähnlich seien. Im Übrigen wurden viele
Vermutungen darüber geäußert. Aber nur eben Vermutungen. Weil
niemand auf den Gedanken kam, diese Texte und die entsprechenden Ereignisse mit
der Großen Völkerwanderung und der Einwanderung des Turkvolkes in
den Nahen Osten in Zusammenhang zu bringen.
Wohl bekannt ist
dagegen etwas anderes. Die den heutigen Ägyptern unverständlichen
Zeichen und „Buchstaben“ dienten den koptischen Geistlichen als Geheimschrift. Gehörten sie nicht
zur Turksprache?
Leider ist eine
genaue Antwort nicht bekannt: Kein einziger Turkologe hielt diese
altertümlichen Rollen in der Hand, keiner von ihnen hat sie erforscht.
Dabei müssen die Papyri eine „turkische Spur“ haben: Im 4. Jahrhundert war
die Turksprache nämlich die Sprache des Gottesdienstes.
Später ging
man in Ägypten beim Gottesdienst zur örtlichen Sprache, zum Koptisch,
über. Ein Gleiches geschah auch in Armenien und anderen Ländern, in
denen die alten heiligen Bücher in der Turksprache geschrieben sind und
der Gottesdienst ursprünglich ebenfalls zuerst in der Turksprache und erst
dann in der Sprache der einheimischen Bevölkerung abgehalten wurde.
Hier sind die
unwahrscheinlichsten Entdeckungen möglich. Sie stehen noch bevor.
Das 4.
Jahrhundert ist ein Markstein in der Geschichte. Ein neues Schriftsystem kam
beinahe in ein und demselben Jahr bei den Ägyptern, Armeniern, Georgiern,
Albaniern und anderen Völkern auf, die den Glauben an den Gott des Himmels
übernommen hatten. Das ist eine unbestreitbare Tatsache.
Die Verbindung
zwischen dem neuen Glauben und dem neuen Schriftsystem liegt auf der Hand, sie
lässt sich in den Büchern wie auch in der Geschichte dieser
Völker verfolgen. Nur dass einige die turkische Runenschrift als Grundlage
nahmen, wie z. B. die Armenier oder Georgier, andere dagegen die altaische
Schnellschrift vorzogen. Das ist der ganze Unterschied.
Es gibt viele
Zeugnisse vom Einzug des Turkvolkes in den Nahen Osten. Eines davon ist die
berühmte Kirche von Alexandria, in der der Gottesdienst einst
gemäß der turkischen Tradition zelebriert wurde. Sie ist ein absolut
unbestreibarer Beweis. Beim Konzil von 325 wurde sie denn auch die
„maßgeblichste Eparchie“ genannt.
In Syrien
entstand damals die antiochische Kirche, die tausende Gläubige taufte und
vereinigte. In Afrika bestand die äthiopische (abessinische) Kirche, in
Armenien die armenische, in Kaukasisch-Albanien die albanische Kirche.
Sämtlich befolgten sie die turkische Tradition und wurden deswegen von den
Griechen verurteilt.
Diese Kirchen
bekannten sich nur zum Gott des Himmels, nicht zu Christus. Sie negierten den
Sohn Gottes nicht, verehrten jedoch nur Tengri, nur zu ihm beteten sie. Ebendas
unterschied sie vom „griechischen Christentum“.
Die heidnische
Welt veränderte sich nach dem Einzug des Turkvolkes auch im Nahen Osten
zusehends, es war die neue Kultur, die sie veränderte. Das beunruhigte die
Byzantiner sehr, die vom Ruhm des Großen Römischen Reiches träumten.
Im
religiösen Streit um die Führung in der christlichen Welt blieben die
Griechen hinter den Römern und den Ägyptern hoffnungslos zurück:
In Griechenland gab es keine solchen Philosophen und Theologen. In
Konstantinopel setzte man nur auf Stärke und Befehl. Das war jedoch viel
zu wenig.
Die Befehle des
Kaisers machten auf die Geistlichkeit Ägyptens und der anderen
östlichen Kirchen keinen Eindruck, denn sie bewiesen nichts und
demonstrierten lediglich die Schwäche der Griechen.
Wie konnten die
Ägypter gehorsam gemacht werden? Darüber dachte schon Kaiser
Konstantin nach – und erfand nichts Besseres als den Krieg. Freilich endete
sein Feldzug gegen Ägypten tragisch. Statt der Beute wurde nach
Konstantinopel nur die Leiche des Kaisers gebracht. Das geschah im Jahre 337.
Dann kamen neue
Kriege. Im Jahre 391 verbrannten die Griechen ein Heiligtum der Ägypter,
deren berühmte Bibliothek von Alexandria samt ihren unschätzbaren
Manuskripten. So wollten sie das ägyptische Volk um die Quelle seines
Wissens bringen. Tausende Texte gingen in Flammen auf. Trotzdem konnten die
griechischen Christen ihre Überlegenheit nicht beweisen.
Ihr Schwert war
ohnmächtig. Selbst erobert, wollte sich das ägyptische Volk nicht
unterordnen. Sein Geist war ungebrochen. Das Volk suchte nach Wegen zur
Freiheit. Im Nahen Osten reiften Ereignisse heran, niemand wusste aber, was
geschehen sollte.
Ein Krieg
entschied nichts mehr. Das sahen alle ein, was sogar aus einem Schreiben des
päpstlichen Abgesandten Hieronymus hervorgeht, der 396 den Nahen Osten
aufsuchte. Er fand dort Kiptschak vor, die dem sinnlosen Blutvergießen
ein Ende setzten. Das Schreiben verrät den Schrecken, den unter den
kaiserlichen Soldaten die Reiterei der Kiptschak hervorrief, die es als
schändlich empfanden, zu Fuss Krieg zu führen. Wie der Abgesandte des
Papstes schrieb, „können sie nicht den Boden betreten, und sobald sie ihn
(im Kampf) berühren, halten sie sich für tot“.
Damals also kam
die berühmte „arabische“ Reiterei auf. Das Datum steht genau fest. Die
Reiter waren aus Derbent, von jenseits des „Eisernen Tors im Kaukasus“
gekommen, das hielt Hieronymus fest. Derbent war eine turkische Stadt, und dort
befand sich der Apostolische Stuhl, der der christlichen Welt Frieden bringen
wollte.
Der Abgesandte
des Papstes kam in den Nahen Osten nicht zufällig. Der Aufstieg von Byzanz
und dessen Auseinandersetzung mit Ägypten erfüllten Rom mit
Besorgnis. Der Papst konnte nicht offen mit den Griechen kämpfen, und so
verließ er sich auf die alte Regel der Politik: Teile und herrsche!
Vorläufig
verlegten sich die Römer aufs Teilen. Es entstand ein unentwirrbares
Knäuel von politischen Leidenschaften. Große Kräfte wurden
gesammelt. Beim Konzil von Ephesos im Jahre 431 prallten sie aufeinander. Nicht
mehr Krieger, sondern Politiker im Geistlichengewand kämpften um das
Mittelmeer, darum, ob es griechisch oder ägyptisch sein sollte. Die Kirche
teilte auf ihre Art die Hinterlassenschaft des Großen Römischen
Imperiums auf. Rom aber beobachtete stumm den Streit seiner gestrigen Sklaven.
„Wes Gott, des Macht“: Das war die Regel
des mittelalterlichen Europa, und sie wurde vorbehaltlos befolgt.
Ein Vorwand
für das Konzil fand sich mühelos, es waren Meinungsdifferenzen
zwischen den Kirchen. Der Bischof von Konstantinopel Nestorius sagte 428, die
Gottesmutter sei Christi Mutter zu nennen, weil Gott keine Mutter haben
könne.
Seine Worte
enthielten natürlich ein Körnchen Vernunft. Ein zutiefst
gläubiger Mensch, suchte Nestorius nach seinem Weg zu Gott, und das war
bewunderungswürdig. Sein Unglück war jedoch, dass er sich, ohne
genügend Kenntnisse zu haben, auf die Behörden, die weltlichen
Politiker verließ. Um z. B. den Kaiser von Byzanz auf seine Seite zu
bringen, versprach er ihm die Schlüssel zum Himmel. Wie war aber ein solches
Versprechen einzulösen?
Die theologischen
Feinheiten interessierten die kaum gebildeten Griechen jedoch herzlich wenig.
Ihnen ging es darum, der griechischen Kirche und so auch Byzanz mehr Geltung zu
verschaffen.
Das „Räuberkonzil“ und andere Konzile
Es war beileibe
kein Zufall, dass das Konzil in der Stadt Ephesos zusammentrat. Die Griechen
assoziierten sie mit Gottesmutter und ihren letzten Lebensjahren. Sie hatten
schon immer viel für „Wunder“ übrig und wollten nun als
„Auserwählte Gottes“ gelten, um mit Hilfe der Legende ihre führende
Stellung im Christentum zu beweisen.
Sie brauchten ein
Konzil gerade in Ephesos!
An der Spitze der
Ägypter stand der Bischof von Alexandria Kyrill. „Es gilt, nicht zu
philosophieren, sondern einfach zu glauben“, pflegte er zu sagen. Auf Kyrills
Seite stand der Papst von Rom, der sich vom Konzil nichts versprach; sein
einziger Wunsch war, den Griechen Schaden zuzufügen. Der Papst verstand
nämlich: Eine Revision der Kirchenlehre war gleichbedeutend mit einer
Revision der Weltpolitik. „Wes Gott, des Macht“: Das hing in der Luft von
Ephesos.
Zu einem
geistlichen Disput gedieh die Sache allerdings nicht. Alle schätzten
sofort Kyrills tiefes Wissen nach Gebühr ein. Seine flammende Rede zeigte
die Ignoranz der Griechen auf. Hinter Kyrill standen immerhin die
jahrhundertealten Traditionen der wissenschaftlichen Schule von Alexandria.
Eine Streitigkeit wurde noch am selben Tage geschlichtet.
Damit endete das
Konzil allerdings nicht. Die Griechen gaben keine Ruhe und suchten Streit.
Gegenseitige Beleidigungen arteten zu einem richtigen Handgemenge aus. Soldaten
mischten sich ein.
Die Ägypter
gewannen das religiöse Disput, nicht aber das Mittelmeer, und begannen
einen neuen Kampf vorzubereiten. Ihnen ging es darum, den Erfolg auszuweiten,
d. h. in Derbent, beim Patriarchen der christlichen Welt, Unterstüzung zu
finden.
In Derbent
hörten sie von der Dreieinigkeit, von den drei Hypostasen (Seinsweisen)
des Gottes im Himmel: „Einer in drei Personen“, sagten die Angehörigen des
Turkvolkes von Tengri. Die Ägypter übertrugen die Dreieinigkeit auf
das Christentum.
Im Jahre 449
beriefen sie ein weiteres Konzil nach Ephesos ein, es ging in die Geschichte
als „Räuberkonzil“ ein, wurde jedoch für die alexandrinischen
Theologen zu einer Schlappe: Sie hatten ihr Wissen überschätzt. Aus
lauter Ärger schlugen jetzt schon die Diener der alexandrinischen Kirche
auf die Griechen ein. Direkt im Sitzungssaal erhielt der griechische Patriarch
Flavian mehrere Schläge ins Gesicht.
Dann wurden die
„Konzilsväter“ aufgefordert, ein unbeschriebenes Papyrusblatt zu
unterzeichnen, auf dem die Entscheidung formuliert werden sollte. Wer sich
widersetzte, wurde wiederum geprügelt oder mit Nadeln gestochen.
Alle
Bischöfe unterzeichneten das saubere Blatt.
So kam jene
Entscheidung des II. Konzils von Ephesos zustande, die die Ägypter
brauchten. Allerdings wurde sie bald aufgehoben.
Erst im Jahre 451
kamen die Christen zu ihrer Dreieinigkeit, freilich war sie anders als die
turkische. Anstatt der Dreieinigkeit entstand bei ihnen faktisch eine
„Zweieinigkeit“. Darauf hatten die Griechen bestanden.
Das geschah auf
einem weiteren Konzil, in der Stadt Chalkedon. Sofort brach ein neuer Skandal
aus. Im Jahre 452 vertuschte ihn der byzantinische Kaiser, der befahl:
„Niemand, gleich, von welchem Rang und Stand, darf öffentliche
Glaubensstreite auslösen.“
Darauf
verstummten alle geistlichen Dispute. Sie wurden nicht mehr benötigt: Die Aufteilung der Welt hatte sich
vollzogen. Die Kirche leitete nun alles – die gesamte Geschichte Europas und
des Christentums – von den „griechischen Wurzeln“ ab.
Auf diese Weise
siegten die Griechen über die alexandrinische Kirche, erniedrigten die
Ägypter, warfen einen Schatten auf den turkischen Glauben, vor allem aber
stiegen sie in ihren eigenen Augen. Es störte sie nicht, dass die „falsche
griechische Dreieinigkeit“ von den Krichen des Orients abgelehnt wurde, dass in
Ägypten sofort ein Aufstand ausbrach. Sie triumphierten.
Was die
Gläubigen angeht, so protestierten sie heftig gegen die
Glaubensentstellung durch die Griechen. In Palästina gärte es
jahrelang. Dort gingen die Menschen um des Glaubens an Einen Gott willen in den
Tod. Viel Blut wurde damals vergossen.
Nachdem Byzanz im
Streit um die Kirchenlehre besiegt hatte, fühlte es sich stark und
weigerte sich sogar, den Kiptschak Tribut zu zahlen. Dort begann man mit der
Vorbereitung eines Anschlags auf Attila. Selbstzufrieden erklärte Kaiser
Markian: „Mein Gold ist nur für meine Freunde da, für meine Feinde
habe ich nur Eisen.“ Er verstand sich darauf, die Lage zuzuspitzen.
Im Jahre 453
brach ein großes Unglück über die Kiptschak herein: Attila
wurde vergiftet. Der neue Herrscher über Europa war nun der byzantinische
Kaiser.
Nur die
Römer erkannten die Macht der griechischen Kirche an, im Orient aber
hieß sie „Christentum zweiter Reihe“. Der Nahe Osten konnte sie kraft
seiner Traditionen und seiner einstigen hohen Kultur nicht akzeptieren. Dort
beabsichtigte man, einen eigenen Glauben – einen „Glauben erster Reihe“ – zu
schaffen.
Die Suche nach
einer reinen Religion führte
die ägyptischen Theologen zur Idee des Islams: des Glaubens an den Gott
des Himmels, doch mit anderen, nichtgriechischen Riten.
Ein reges
„schöpferisches“ Treiben herrschte in jener Zeit auch in Byzanz,
allerdings ging das Denken dort in eine andere Richtung. Das Land produzierte
immer neue Erfindungen und Märchen: Man erdachte Heilige und „Wunder“. Die
Griechen behaupteten sich, wie sie nur konnten.
Auch das ist ein
Beitrag zur Weltgeschichte, ein Beitrag der Heiden.
Den
altgriechischen Gott des Weines Dionysos, einen Sohn von Zeus, dachten sie in
den christlichen Märtyrer Hl. Dionysius um, Kaiser Demetrios wurde zum Hl.
Demetrius, die Göttin der schönen Künste Minerva (Pallas) zur
Hl. Palladia, der Sonnengott Helios zum Hl. Elias. Jedem heidnischen Gott wurde
ein neues, aber immer mit Byzanz verbundenes Heiligenleben angedichtet.
Das war das
griechische „Christentum zweiter Reihe für das einfache Volk“. Aber was
hatte es mit dem Gott des Himmels, mit der Religion zu tun?
Die
aufgeklärte Welt war entsetzt.
Papst Gregor der Große
Die Lehre von der
Dreieinigkeit spaltete das Christentum. Das war nicht die erste seiner
Spaltungen. Die ägyptische Kirche trat von der Bühne der Weltpolitik
für immer ab.
Anders stand es
um Rom. Auch dort reifte die Unzufriedenheit mit den Griechen heran, doch wurde
ihr nicht offen Ausdruck gegeben. Die Päpste schluckten ihren Ärger
in sich hinein und verlangten von den Gläubigen das Gleiche. Insgeheim
suchten sie nach einem Ausweg. Er wurde im Jahre 495 gefunden: Man nannte den Papst
von Rom erstmalig „Christi Statthalter auf Erden“.
Hinter dieser
Formel steckte etwas überaus Wichtiges: eine neue Teilung der Kirche,
diesmal in eine rechtgläubige (orthodoxe) und eine katholische.
Seitdem wuchsen
die Differenzen von Jahr zu Jahr, wenn auch unmerklich: Rom hegte die Absicht,
sich die Griechen unterzuordnen und so seine führende Stellung in der Welt
wieder zu erlangen. „Wes Gott, des Macht“: Das vergaß Europa niemals.
Die Ehre, Rom zu
neuem Ruhm zu verhelfen, wurde Papst Gregor, genannt der Große, zuteil.
Ein überaus weiser Mann jener Epoche, war er ein Genie der Diplomatie.
Er wurde im Jahre
540 als Sohn eines adeligen Senators geboren, unter seinen Ahnen gab es sogar
Päpste von Rom. Von ihnen erbte der Jüngling eine Weisheit, die sich
schon in jungen Jahren offenbarte. Gregor studierte das Recht und wurde zu
einem Präfekten von Rom. Der Tod des Vaters brachte ihm eine riesige
Erbschaft. Der Sohn wollte jedoch den Reichtum nicht behalten und stellte ihn
dem Kloster von Monte Cassino zur Verfügung.
Damit zog er sich
den Ruf eines Verrückten zu.
Es sei gesagt,
dass Europa vor der Einwanderung der Kiptschak keine Klöster und kein
Mönchstum gekannt hatte. Beide Institutionen kamen in die westliche Welt
mit der Großen Völkerwanderung, wurden von den Kiptschak
eingeführt, die Klöster und Mönche schon vor unserer
Zeitrechnung gehabt hatten.
Das Wort Abt bedeutete bei ihnen „neben dem
Vater“ („abata“, wie die Kiptschak sagten). Was Kloster bzw. Münster angeht, so begann ein
turkisches Gebet mit den Worten „Manastar chyrsa“ („Vergib mir meine
Sünden“). Als einer der Ersten im Westen sprach diese Worte Bischof
Ambrosius aus, jener unermüdliche katholische Kiptschak, der in Mailand
gedient hatte. Nach dem Jahr 380 gründete er dort ein eigenes Kloster.
Das
Mailänder Kloster ist dafür bekannt, dass es nicht christlich war.
Dort wurde nur zu Tengri gebetet. Selbst Attila verschonte das Kloster, als er
die Stadt zerstörte. Offenbar war das nicht das einzige Kloster im
Weströmischen Reich. Auf diese Weise fasste die turkische Kultur Wurzeln
und hinterließ für immer ihre Spur.
Zuerst hatten die
ansässigen Römer Angst vor den Klöstern, das Klosterleben war
ihnen fremd und unbegreiflich. Nicht sofort – erst Mitte des 5. Jahrhunderts –
wurden die Klöster in den Schoss der Kirche aufgenommen.
Im Jahre 530
begründete Benedikt von Nursia den Mönchsorden der Benediktiner. Wer
war dieser Mensch? Genau weiß man das nicht. Auf jeden Fall hatte er
unter den Kiptschak, den neuen Bürgern von Italien, gelebt; nicht auszuschließen
ist, dass auch er Kiptschak war. Nur sie allein wussten damals um die
Geheimnisse des Mönchstums.
Bekannt ist
allerdings, dass in der Benediktiner-Abtei von Nursia nur Kinder von neuen
Römern, also von Kiptschak, erzogen wurden. Sie bildeten damals den Adel
des Reiches. Bekannt ist ferner, dass das Kloster von herrschenden Kiptschak
aufgesucht wurde, die zu Benedikt kamen. Unter ihnen war z. B. Khan Totila.
Die ersten
Abteien in Westeuropa können nur von Kiptschak gegründet worden sein.
Ihnen lagen die Traditionen des Altai und ganz Zentralasiens zugrunde. Es
handelte sich um jene heiligen Orte, zu denen Einsiedler und Prediger kamen;
hier wurde gebetet, philosophiert, gelernt. Archäologen haben Ruinen
altturkischer Klöster gefunden, und zwar recht viele. Beispielsweise das
vergessene Kloster Abat-Baitak in Kasachstan bei der Stadt Aktjube. Solche
Denkmäler gibt es in Tschimkent und Semipalatinsk, ja in ausgedehnten
Gebieten: in Mittelasien, im Altai, Ural und Wolgagebiet, demnach in ganz Descht-i-Kiptschak.
Besonders berühmt waren die Klöster beim heiligen See Issyk-Kul, die
selbst von Pilgern aus Katalonien besucht wurden. Auf ihrer Wanderung benutzten
die Pilger eine Landkarte, und die ist bekannt.
Gewöhnlich
lebten die Mönche in einer Entfernung von Siedlungen, widmeten sich dem
Gebet und strebten nach Erkenntnis der Wahrheit. Andere unter ihnen belehrten
die Besucher, versahen den Gottesdienst in der Kirche und predigten in fernen
Siedlungen.
Gerade diese
Formen des turkischen Mönchstums bürgerten sich im Christentum
für immer ein. Andere gibt es darin einfach nicht. Als Benedikt von Nursia
seinen Mönchsorden stiftete, wiederholte er also schon Bekanntes,
Altaisches.
Als
Begründer des allerersten Klosters nach turkischer Art gilt der
Ägypter Pachomius der Große. Im Jahre 312 diente er in der Armee von
Kaiser Konstantin, deren Rückgrat Kiptschak bildeten. Deshalb sprachen
ihre Soldaten die Turksprache. Die Bekanntschaft mit den Kiptschak
eröffnete Pachomius vieles im Leben.
Nach dem
Armeedienst kehrte er nach Ägypten zurück, von seinen turkischen
Freunden begleitet, und sie bildeten eine Mönchsgemeinschaft. Sie
zählte siebentausend Mönche! Die „Pachomius-Gemeinschaften“ lebten
nach den strengen Regeln der altaischen Klöster. Selbst ihre Kleidung
erinnerte an den Alten Altai: Kapuzen, Baschlyks, Überwürfe aus
Schaffell.
Es ist nicht
ausgeschlossen, dass diese Mönche jene alten Rollen hinterließen,
die die Archäologen bei der ägyptischen Stadt Nag Hammadi gefunden
haben. Wie sonst ist zu erklären, dass Worte der Turksprache in den Texten
und im Munde der ägyptischen Mönche waren? Worte wie Abt, Altar,
Amen, Artos, Gott, Bursa und noch viele, viele andere.
Nur Turkologen
wissen z. B., wie das rätselhafte Wort „sarabaita“ aus den alten Texten
übersetzt werden kann, warum auf koptischen Ikonen jener Zeit neben der
Darstellung des heiligen Vaters das Wort „apa“ steht und wie es zu verstehen
ist.
Heute wissen nur
wenige Angehörige der Turkvölker noch, dass „apa“ im Altertum nicht
nur „ältere Schwester“ und „Mutter“ bedeutete, sondern auch „Vater“. Das
Wort hatte viele Nuancen, darunter auch die Bedeutung „heiliger Vater“.
Fragen über
Fragen. Aber die einzige Antwort lautet: Ägyptens Geistliche waren der
„göttlichen“ Sprache mächtig, die dem einfachen Volk unverständlich
war.
Die Genealogie
mancher koptischer Geschlechter gibt ebenfalls über vieles Aufschluss. Wie
sich erweist, nannten die Kopten ihre Ahnen „achmar“, was so viel wie
„rothaarig“ bzw. „mit hellen Haaren“ bedeutet. Von den altertümlichen
Ankömmlingen mit hellem Haar und blauen Augen künden auch Legenden
von Ägypten, Sudan und Äthiopien.
Was waren das für Menschen? Diese altertümlichen
Ankömmlinge, die Hügelgräber und Legenden hinterlassen hatten?
Die Reiter waren und mit ihrem Pferd starben?
Die Römer,
die Griechen, die Perser oder gar die Afrikaner waren kaum als hellhaarig zu
nennen. Folglich handelt es sich wiederum um die Kiptschak.
In der arabischen
Sprache haben sich sehr viele Wörter der Turksprache aus alten Zeiten
erhalten. Woher kommen sie? Als Zufall ist so etwas kaum zu bezeichnen. Die
Geschichte des frühen Mittelalters im Nahen Osten ist aufs Engste mit der
Großen Völkerwanderung verbunden. Daher auch die so auffällige
turkische Spur.
Kennzeichnenderweise
kannte Mönch Pachomius kein Griechisch und war kein Christ, und das galt
für seine gesamte Gemeinschaft. Sie beteten zu Tengri (Gott des Himmels)
und gingen christlichen Bischöfen aus dem Wege. Erst 451 übergaben
die Griechen nach der Eroberung Ägyptens seine Klöster an die
griechische Kirche.
Für Europa
waren Klöster damals östliche
Exotik, das Wort „östlich“ sei hier betont. Außer Exotik sahen die
Griechen und Römer in ihnen nichts. Christlich geworden, boten die
Klöster einen traurigen Anblick. Sie fristeten ihr Dasein, und von
geistlichem Suchen konnte keine Rede mehr sein.
Die
Mönchsgemeinschaft starb langsam dahin, still wie ein gefangener Vogel.
Das ging so
weiter, bis der Verwalter von Rom Gregor in den Klöstern die Zukunft
Italiens und des ganzen Römischen Imperiums erblickte. Ihm waren wie
Schuppen von den Augen gefallen. Es war Papst Pelagius II., der ihm die Augen
öffnete.
Dieser Papst war
ein echter Kiptschak. Wie sich herausstellt, nicht der erste und nicht der
letzte Kiptschak, der es zum Oberhaupt der katholischen Kirche brachte. Er
wurde in einer adligen Familie geboren, verwaltete die Kirche ohne Zustimmung
von Konstantinopel, und niemand im ganzen Rom kannte die starken und schwachen
Seiten der Kiptschak besser als er.
Papst Pelagius
war wohl die kostbarste Perle der Katholiken und das schlimmste Gift für
die Kiptschak. Er klärte die Europäer über die wichtigsten
Geheimnisse der Großen Steppe auf. Mit ihm begann die Erhöhung der
römisch-katholischen Kirche und das Erlöschen von Descht-i-Kiptschak.
Freilich bestand sein Ziel in etwas anderem.
Lange
Gespräche des Papstes mit Gregor brachten reiche Früchte. Der
Präfekt von Rom – die zweitwichtigste Person im Lande! – opferte den
Mönchen sein ganzes Vermögen, entsagte darauf dem weltlichen Leben
und übernahm ein Diakonat. Der Papst entsandte ihn als seinen Statthalter
nach Byzanz. Alles bekam die günstigste Wendung.
Wieder in Rom,
trat Gregor in ein Kloster ein, lange Zeit hörte man nichts mehr über
ihn. Doch nach dem Tod von Papst Pelagius wählten die Kleriker im Jahre
590 ihn, einen Mönch, zum neuen Papst. Ein für die Kirche
präzedenzloser Fall.
Er war ein kluger
Verwalter und ordnete viel in den kirchlichen Angelegenheiten, wobei er weit
ausholte. Zuerst schaffte er Ordnung in seinen Papstbesitzungen, mit denen sich
niemand je beschäftigt hatte. Er ernannte Ökonomen, erhöhte die
Einkünfte aus den Ländereien, machte die Kirche vom Staatsfiskus
unabhängig. Das erwirtschaftete Geld ließ der neue Papst nicht den
Beschöfen zukommen, sondern verwendete es für die Bedürfnisse
der Römer und den Loskauf von Gefangenen. Das brachte ihm Anerkennung und
erhöhte die Autorität der römischen Kirche.
Und das waren bei
weitem nicht alle Taten von Papst Gregor.
Sein
Hauptaugenmerk richtete er jedoch auf die Klöster, in ihnen bildete er
seine künftige Stütze heran, mit deren Hilfe er die ganze Welt
umzuwandeln und der Kirche unterzuordnen beabsichtigte.
Inzwischen hatten
sich auf dem Territorium des Weströmischen Reiches neue Staaten
herausgebildet, die in offener Feindschaft miteinander und mit Italien lebten.
Dort war es nie ruhig. Der Papst fühlte sich von diesen neuen Staaten
angezogen. Er wusste: Die Menschen würden, kriegsmüde wie sie waren,
ihm und den Mönchen Gehör schenken. Man musste nur die richtigen
Worte finden.
Der Papst
entsandte seinen Boten an den König von Spanien und führte selbst
inzwischen einen Dialog mit Brunhilde, der kriegerischen Herrscherin von
Austrasien (die heutigen Staaten Frankreich, Schweiz, Deutschland und
Österreich). Ganz Westeuropa geriet in sein Blickfeld. In den Mittelpunkt
setzte er die Langobarden.
Die Langobarden
waren die Einwohner von Norditalien, die Kiptschak, die Rom wiederholt
belagerten, eine Horde mit der Hauptstadt in Mailand. Von ihnen ist nicht wenig
bekannt. Als sie aus dem Altai nach Europa kamen, unterschieden sie sich durch
nichts von Attilas Kriegern und glaubten an Tengri. Unter den entdeckten
Papieren, die in europäischen Archiven zufällig erhalten geblieben
sind, gibt es Dokumente der Langobarden, sie sind sowohl in Runen als auch in der
Schnellschrift, in der Turksprache geschrieben. Wohin sind andere Zeugnisse
verschwunden? Und die Langobarden selbst? Das ist ein großes Geheimnis.
Es hört
jedoch auf, ein Geheimnis zu sein, wenn man von den Taten von Papst Gregor dem
Großen und der gesamten römischen Kirche erfährt.
Nach Abschluss
des Friedens mit den Langobarden im Jahre 592 erklärte Papst Gregor die
römische Kirche zur turkischen
Kirche und sich selbst zu ihrem Vorsteher. Es gab diese vergessene Episode
in der Geschichte des Katholizismus.
Der Papst lernte
sogar die Turksprache (Griechisch kannte er nicht), weshalb die Griechen ihn
„Gregor den Dialog“ nannten. Er begann ein überaus schlaues Spiel. „Gott
des Himmels“ sagte er den Römern, den Langobarden aber redete er von
Tengri. Der Papst tat, als hätte er alles vergessen und als wisse er
nichts. Wie ein unwissendes Kind bat er die Kiptschak, ihn in die Geheimnisse
des Tengri-Glaubens einzuweihen.
Die Benediktiner,
diese treuen Diener des Papstes, strömten zu den Kiptschak. Sie schlichen
sich mühelos in die turkischen Kirchen ein und stießen bis zu den
größten Heiligtümern vor: weil Papst Gregor sich immer wieder
den „Bischof nicht der Römer, sondern der Langobarden“ nannte.
Außerdem
einen „Diener der Gottesdiener“. Das sind seine persönlichen Worte.
Er kam nach
Mailand als Pilger, im Überwurf eines Sklaven. Die Kiptschak nannten
solche Überwürfe „kapa“ oder „tschekrek kapa“. Nach einer Verbeugung
vor der Kirche sagte er in der Turksprache: „Da bin ich, Diener der
Gottesdiener!“ Sowohl die Verbeugung als auch die Worte machten auf die
ehrgeizigen Kiptschak einen großen Eindruck.
Sie sind also
„Gottesdiener“, er aber ihr Diener. Nicht jedermann ist imstande, eine solche
Schmeichelei zu überhören und als leere Phrase abzutun. Die Kiptschak
glaubten dem schlauen Fuchs, sie bissen auf den Köder.
Die Benediktiner
aber arbeiteten ihr Brot ehrlich ab: Der Papst wusste, auf wen er sich
verlassen konnte. Die Mönche waren zwar Angehörige des Turkvolkes,
aber schon in dritter oder vierter Generation Italiener und Katholiken.
Turkische Katholiken wurden gern in die Klöster aufgenommen, wo ihnen ein
sattes Leben sicher war. Die Bezeichnung Orden
kam ebenfalls nicht so einfach auf. Aus der Turksprache übersetzt,
bedeutet dieses Wort „von oben gegeben“ – also gleichsam von Gott. Daher diese
Mönchsorden, diese gehorsamen Krieger des Papstes, die Europa still und
leise eroberten.
Die Katholiken
siedelten sich in den Städten der Kiptschak an. Sie verbrannten dort keine
Tempel, töteten niemanden, und bald empfanden die Langobarden sie nicht
mehr als Fremde.
Ein
demütiges Lächeln verließ nie das Gesicht der Benediktiner. Sie
glaubten aufrichtig, ihren irregeleiteten Brüdern Frieden zu bringen.
Papst Gregor allein verstand, dass sich die Langobarden, d. h. die Kiptschak,
früher oder später an Christus und die römische Kirche
gewöhnen mussten und dann ihren eigenen Glauben und sich selbst vergessen
würden.
„Gottvater und
Gottessohn bilden eine einzige Familie“, pflegte er zu sagen und nannte dabei
immer häufiger den Namen des Sohnes und ließ den Namen des Vaters
aus.
Wie „eine einzige
Familie“ beteten die Christen neben den Langobarden. Ihre Kirchen unterschieden
sich nicht voneinander, ihre Gebete und Riten waren einander beinahe gleich. So
war es bis zum 8. Jahrhundert den einfachen Gläubigen verboten, die
christlichen Kirchen zu betreten. Sie beteten neben den Kirchen, in der
Nähe. Alles kam vom Turkvolk her! Von Kilissa, dem heiligen Berg
Utsch-Sumer.
Bemerkenswerterweise
erschien die erste christliche Basilika im Westen im Jahre 313, nach dem Sieg
der Kiptschak über Roms Armee. Darin gab es keinen Altar, doch die Erbauer
hatten sie genau nach dem Altai orientiert. Das blieb für immer eine Regel
des Christentums. Man betete, den Blick gen Osten gerichtet, denn: „Ex oriente
lux“.
In jener Zeit
übernahmen die Katholiken viele Riten der Kiptschak, beispielsweise den
Kirchengesang, der zu Ehren von Papst Gregor dem Großen, welcher ihn zu
einem christlichen Ritus machte, „gregorianisch“ heißt.
Ist das eine
turkische Tradition oder nicht? Jeder Streit ist überflüssig. Sie
bestand schon im Alten Altai, und im 1. Jahrhundert machte Khan Erke (Herrscher
Kanischka) seine neuen Anhänger mit ihr bekannt. Sie übernahmen die
Tradition und die turkische Art der Musikaufzeichnung, die so genannte
Krjuki-Notation. All das hat sich in der Geschichte des Buddhismus, in den
buddhistischen Gemeinschaften erhalten.
Die liturgischen
Weisen – Akathistos, Heirmos, Kontakion – waren die Musiksprache der turkischen
Religion. Auch das ist bekannt. Diese Musik macht einen
überwältigenden Eindruck, besonders das uralte Utsch-Sumer-Gebet.
Darin lebt die Seele des Turkvolkes.
Zu den
Klängen dieses Gesanges besiegten die Benediktiner die Kiptschak ohne alle
Waffen, ohne Kämpfe und Attacken. Der römische Papst Gregor der
Große unterwarf sie völlig, restlos.
Die Zahl der
Katholiken in Italien stieg seitdem schnell an.
Die turkischen Katholiken
Länger als
drei Jahrhunderte dauerte dieser stille Krieg um die Herzen der Menschen.
Die Kirche redete
von Frieden, Nächstenliebe und Demut. Sie führte die edelsten Worte
im Munde. Und die Feindschaft in Italien legte sich. Die Kiptschak gaben nach
und fühlten nicht einmal, wie ihr Leben zerfressen wurde: Sie
gewöhnten sich an Christus.
Dann kam die
Stunde, da die Langobarden den Papst den „größten der Gottesdiener“
nannten. Ein Körnchen Wahrheit lag gewiss in ihren Worten.
In Westeuropa gab
es tatsächlich weniger Kriege. Die Menschen sahen darin ein Verdienst der
Kirche. Niemand bemerkte, dass das freie Leben vorbei war. Nun verlief es unter
dem allsehenden Auge des Papstes und seiner Aufseher. Die Mönche – die
Augen und Ohren des Papstes! – schlichen sich überall ein. Spione des
Papstes überschwemmten die Städte. Sie kannten nicht einmal in der
Nacht Ruhe, sahen alles und wussten von allem. Die Kirche erhielt die Macht über Völker und Länder.
Dank Papst Gregor
wuchs nicht nur die Zahl der Katholiken, sondern es nahm auch ihre Stärke
zu. Alle Könige und Monarchen sahen sich gezwungen, auf die Kirche
Rücksicht zu nehmen. Sie wurde eine reale Macht: im Grunde ein Staat mit
seinem Heer, mit Gold und Ländereien und – ohne Grenzen.
Die Kirche
vergrößerte ihre Macht auf diverse Weise.
So entsandte
Papst Gregor sofort nach Abschluss des Friedens mit den Langobarden die
schöne Theodolinde, die Tochter eines adeligen Römers und Katholikin,
zum Khan, damit dieser sie ehelichte. Und bald sah sich der Khan von Katholiken
umgeben. Er hatte sie selbst in sein Haus eingelassen. Die Adat verbot es den
Kiptschak, Fremdländerinnen zu heiraten. Man durfte die eigenen Frauen
weggeben, aber nicht fremde nehmen. Bald sahen sich die Langobarden in der
Macht der Kirche – hilflos wie Fliegen im Honig. Und waren selbst daran schuld.
Sie entlehnten
den Römern ihre Sitten und spotteten nun über „die Grobheit, die
wilde Hemmungslosigkeit, Gefrässigkeit und das hässliche Aussehen“
ihrer Ahnen. Das steht in ihren Dokumenten geschrieben.
Sie verzichteten
auf die Stutenmilch und aßen kein Pferdefleisch mehr. Sie
veränderten sogar ihre altertümliche Bestattungsart: Die Kirche
verbot es ihnen, ihre Toten unter Mitgabe von Pferden in Kurganen zu begraben.
Die päpstlichen Agenten waren ungeheuer eifrig und handelten energisch.
In Burgund
brachten sie die Ehefrau eines Herrschers mithilfe von reichen Geschenken dazu,
katholisch zu werden. Sie ihrerseits bekehrte ihren Ehemann zum neuen Glauben.
Der Vorwand war im Grunde nichtig.
Vor der Schlacht
bei Tolbiacum, an deren Ausgang die Burgunder stark zweifelten, beteten sie zu
Christus – und siegten. Das reichte. Die Kiptschak waren nämlich fest
davon überzeugt, dass Gott jenem den Sieg gebe, auf dessen Seite die
Gerechtigkeit sei. Und die Kiptschak aus der Burgunder Horde erkannten den
Papst an. So wollte es das Schicksal.
Seitdem
veränderten sich die Burgunder ebenfalls, selbst ihre Essgewohnheiten
wurden anders: Der Stutenmilch und dem Pferdefleisch zogen sie nun Schnecken
und Frösche vor. „Erschrocken flüchteten sich die Musen bei den
Klängen der wilden Burgunder Lyra“, schrieb ein Zeitgenosse. Anders gesagt:
Die Burgunder vergaßen allmählich die Steppe und ihre
Hügelgräber. Sie verwarfen ihre Musikinstrumente, deren Klänge
sie neuerdings ärgerten.
Das war
natürlich nicht tragisch. Die lateinischen Kiptschak konnten nicht anders als Christen zu werden. Früher oder
später musste das geschehen. In ihnen „keimte“ der Glaube, der die
Europäer – die neuen und die alten – miteinander aussöhnte. Das war
für sie Katholizismus, d. h. Verbundenheit.
Der neue Glaube
war ihnen nicht fremd, da in ihm alles von Tengri herkam, und wurde mit jeder
Generation zunehmend als der eigene Glaube empfunden.
Selbstverständlich
verachteten die katholischen Langobarden die Römer nach wie vor, es ging
jedoch ohne Kriege ab. Sehr kennzeichnend ist eine „Gesetzessammlung“, die sie
im Jahre 643 annahmen. Der Text ist zwar lateinisch, aber darin steht
geschrieben, dass sie die ursprünglichen Römer für ihre Sklaven
halten. Das war echt nach der Art der Kiptschak.
Erstaunlich: Sie
erkannten das römische Recht zwar an, passten es jedoch der turkischen
Adat an.
Einst achtete das
Turkvolk in Europa sich selbst und die eigene Geschichte. Die Langobarden z. B.
betonten, auch nachdem sie Italiener geworden waren, ihre
Ausschließlichkeit. Das ist sehr aufschlussreich. Ihr Stolz war also
nicht über Nacht abgestorben.
Die katholischen
Burgunder dagegen dachten nicht an sich selbst, sondern an ein Bündnis mit
dem Papst, um in seinem Namen die Macht über die Nachbarländer zu
behaupten. Die Burgunder nahmen den Namen Franken
an, um von der turkischen Welt abzurücken und sich mehr dem Papst zu
nähern. Sie erhielten das Recht, ihre Goldmünzen („Scherwan“) zu
prägen. Nur Angehörige des Turkvolkes hatten solche Münzen
geprägt. Das „neue“ Volk hatte eindeutig alte Gewohnheiten!
Die Kiptschak
lebten überall nach der Regel: „Unter Fröschen sollst auch du ein
Frosch sein.“ Das hatten sie im Blut. Niemals zwangen sie einem anderen Volk
seine Regeln auf, vielmehr passten sie sich jedesmal den neuen
Lebensbedingungen an. Das ist eine Tradition, die nicht zu erklären ist. So
und nicht anders war es in Indien, China und im Iran, überall.
Überall wurden sie „Frösche“, nahmen neue Namen an, lösten sich
gleichsam in anderen Völkern auf. Dennoch blieben sie Angehörige des
Turkvolkes, wenn auch in verblasster Form.
Das bedeutete
natürlich nicht, dass sie ihre Steppentraditionen aufgaben. Nein, sie
bewahrten sie sich. Obwohl zu Franken geworden, blieben die Burgunder z. B.
ihrem Schmiedehandwerk treu, züchteten ihre Pferde noch fleißiger
als früher und veranstalteten grandiose Wettrennen, die für sie ein
Fest waren. Auch das Faustrecht bestand bei ihnen weiter, ebenso wie das Recht
auf Zweikampf, das in der Großen Steppe so hoch in Ehren gestanden hatte.
Nach wie vor hieß es bei ihnen: „Es geht nicht, dass ein Mutiger im Unrecht,
ein Feigling dagegen im Recht sei.“
Selbst jene, die
Tengri vergessen hatten, wussten noch um seine Gerechtigkeit.
Hier die Worte
eines mittelalterlichen Weisen, und sie treffen das Wesen der Sache genau: „Ein
Kiptschak ist wie eine Perle. Innerhalb ihrer Muschel ist sie wertlos, aber
außerhalb der Muschel wird sie zu einer Kostbarkeit, die Herrscherkronen
schmückt.“
Liegt hierin
vielleicht die Ursache des „Verschwindens“ des Turkvolkes in Europa? Sie
schmückten fremde Kronen.
Die Kirche trug
eifrig dazu bei. Sie spielte geschickt die Schwächen der Kiptschak aus und
ließ sie schließlich sich selbst und der Hinterlassenschaft ihrer
Ahnen entfremden. Vieles gelang der Kirche dabei, und das mühelos und
scheinbar ohne jemandem Unrecht getan zu haben.
Von dieser
Fähigkeit der Römer hieß es noch im 3. Jahrhundert: „Sie
stellen Opfertische für unbekannte Gottheiten auf, um sich die
Heiligtümer anderer Völker und dann auch deren Reiche anzueignen.“
Auch fünfhundert Jahre später spielte sich alles genauso ab. Die
Kirche bediente sich der bewährten Waffen aus dem Arsenal des Alten Rom
und siegte.
Was sie als Neues
schuf, war das vergessene Alte, von dem die offenherzigen Kiptschak nicht
wussten.
Damals waren die
größten geistigen Kräfte für die römisch-katholische
Kirche –Ägypter, Kiptschak und auch Römer selbst – tätig. Sie
alle arbeiteten an einem äußerst schwierigen Werk: Sie
gründeten einen neuen Glauben, der die Völker zu einer einheitlichen
christlichen Familie zusammenschließen sollte.
So war der
berühmte lateinische Bischof Dionysios der Kleinere (Dionysios Exegetus)
Kiptschak und ein ausgezeichneter Kenner der Steppensitten und der Riten des
Tengri-Glaubens. Anfang des 6. Jahrhunderts schrieb er seine „Apostolischen
Regeln“, eine Satzung, von der sich die christliche Kirche bis heute leiten
lässt. Aber die Feste, Gebete und heiligen Riten darin stammen
sämtlich von den Kiptschak.
Vater Dionysios
übersetzte turkische Bücher ins Lateinische. Er war ein bedeutender
Astronom und Mathematiker und hinterließ uns jenen Kalender, nach dem wir
auch im 21. Jahrhundert leben. Bis dahin begann die Zeitrechnung in Europa mit
der Gründung von Rom.
Für den
neuen Glauben arbeitete auch ein weiterer katholischer Kiptschak, der
Geschichtsschreiber Jordan. Im Jahre 551 verfasste er das Buch „Getica“ und
erzählte darin von der Einwanderung des Turkvolkes in Europa. Leider
schrieb er vieles nach dem Geheiß der Kirche und setzte sein Volk herab.
Dennoch ist es
gut, dass sich sein Buch erhalten hat. Es beschreibt die Sitten und die Moral
des mittelalterlichen Europa. Nach den Entstellungen aber ist zu erkennen, dass
die Europäer versuchten, die Spuren der Großen Völkerwanderung
zu verbergen. Gewisse Dinge waren ihnen denn auch ganz gut gelungen.
Aber nicht alle.
Die angelsächsischen Feldzüge
Papst Gregor
hieß der Große, aber selbst er, der „Statthalter Christi auf
Erden“, vermochte es nicht, ein neues Volk zu schaffen. Italien schloss sich
die Lombardei an, wurde jedoch weder einheitlich noch friedlich. Es blieb
für immer ein Land mit zwei stark unterschiedlichen Teilen, einem
nördlichen und einem südlichen. Hier leben unterschiedliche
Völker, wenn sie sich auch seit Jahrhunderten sämtlich als Italiener
und Katholiken empfinden und dieselbe Sprache sprechen.
Die Langobarden
waren und blieben Angehörige des Turkvolkes. Im Jahre 567 begannen sie
einen Krieg gegen Rom, was bei tausenden Kiptschak in Europa Unterstützung
fand. Jahrhundertelang gingen die Unruhen in Italien von der Lombardei aus. Bis
heute ist dort das turkische Blut nicht erkaltet.
Folglich vermischten
sich in Italien die Sprachen, nicht aber die Völker selbst! Die Religion
schloss sie zusammen und söhnte sie miteinander aus. Aber sie
veränderte die Menschen nicht. Ein Volk kann unmöglich geschaffen
werden. Das Blut der Ahnen stirbt nicht, es geht auf die Nachkommen, auf jede
ihrer kleinsten Zellen, schließlich auf ihre Seele über.
Die Erinnerung an
die eigene Vergangenheit kann in einem Volk erlöschen. Aber auch das nicht
für alle Zeiten. Sie wird durch die Stimme des Blutes geweckt. Diese Stimme
klingt nach und lässt das turkische Europa bis heute nicht absterben.
Die
römisch-katholische Kirche beschäftigten damals nicht nur die
Langobarden, sondern auch die Kiptschak an den Rheinufern. Wodurch war dieses
Interesse bedingt? Nicht durch das Territorium. Am Rhein hatten die Kiptschak
reiche Eisenerzvorkommen gefunden und brachten den Eisenguss in Gang. Sie
nannten diese Gebiete Thering, was
als „etwas Reiches“ übersetzt wird. Das Eisen zog die Kirche an. Ohne
Eisen wäre Westeuropa ein Hinterhof der mittelalterlichen Welt geblieben.
Plötzlich
tauchten hier Benediktiner auf, sie wollten „das, was vom Römischen
Imperium übrig geblieben war, mit der überschäumenden jungen
Kraft der Kiptschak vereinigen“. Sie handelten planmäßig und waren
stets auf dem Laufenden.
Früher
einmal hatten Kelten am Rhein gelebt, ein Volk, von dem sich wenig sagen
lässt. Ein Benediktiner berichtete dem Papst über ihre Begegnung mit
den Kiptschak: Die Kelten „waren über die Menschen verwundert, die ihnen
körperlich und geistig überlegen waren“, sie bestaunten die Kleidung
der Kiptschak, ihre Waffen, besonders aber ihren „festen Geist“.
Das Staunen ist
begreiflich: Die Kelten trugen Röcke, kannten das Eisen nicht und hatten
bis dahin keine Pferde gesehen. Ihr Leben war völlig anders als das des
Turkvolkes, wenn auch genau so beschaffen wie das Leben der übrigen,
originären Europäer.
Außerdem
lebten die Gallier am Rhein, die sich wenig von den Kelten unterschieden. Die
Römer nannten die Gallier, die Kelten und die dortigen Kiptschak mit dem
Sammelnamen germanische Stämme.
Dabei waren das unterschiedliche Völker. Aber im mittelalterlichen Europa
wusste man von Völkern recht wenig.
Die Byzantiner z.
B. bezeichneten alle Nicht-Byzantiner als „Skythen“ oder als „Kelten“, wobei
sie nicht ein Volk, sondern die Bevölkerung
eines Landes meinten.
Die „germanischen
Stämme“ besiedelten das nicht-italienische und nicht-byzantinische Europa,
sowohl seine Wälder als auch seine Steppen. In der Waldgegend lebte die
„Bevölkerung“ ganz anders als in der Steppe. Die Lebensweise, die
Wirtschaft, die Sprache, der Glaube, die Kleidung, aber in erster Linie die
Waffen waren unterschiedlich. Die „Germanen“ in der Steppe wurden in Chroniken
„Tungren“, „Tangren“ und „Tengren“ genannt. Wovon zeugen wohl diese Worte?
Awaren,
Alemannen, Barsilen, Bulgaren, Burgunder, Goten, Ostgoten, Gepiden, Hunnen,
Langobarden, Utiguren, Kurtiguren – das wäre vielleicht nur ein Zehntel
der Namen der „germanischen Völker“, die die Historiker fixieren. Hier
aber eine Zeile aus einem byzantinischen Brief aus dem Jahr 572: „… Hunnen, die
wir gewöhnlich Kiptschak nennen“. Da wird mit einem Mal alles klar.
Diese Zeile ist
bei weitem nicht die einzige.
Wie sich
herausstellt, sprachen einige „germanische Völker“ die Turksprache und
unterschieden sich gar nicht voneinander. Sie hatten die gleiche Sprache, die
gleichen Sitten, die gleiche Geschichte. Sie waren gute Schmiede, führten
Kriege hoch zu Ross, zu ihrer Kleidung gehörten Hosen, sie tranken die
Stutenmilch, einige trugen blonde Perücken. All diese Fakten sind der
Wissenschaft bekannt.
Genauso wie die
Tatsache, dass der heilige Schutzgeist in Sachsen der Drache war. Er
schmückte die Fahnen der „Germanen“ bis ins 12. Jahrhundert hinein. Das
unverkennbare Zeichen des Alten Altai!
Wenn Historiker
von „wilden germanischen Stämmen“ sprechen, irren sie gewaltig. Sie wissen
nicht, dass das Turkvolk einst in Übereinstimmung mit der Regel lebte,
nach der ein Ulus (Geschlecht), das an die Macht kam, der Horde seinen Namen
gab. Manchmal nahm eine Horde den Namen ihres Anführers, des Khans, an.
Manchmal gab es auch einen Beinamen, wenn er berechtigt war.
Die
Angehörigen des Turkvolkes haben eine scharfe Zunge und gaben viele
treffende Beinamen. So entstand der Name „Gepiden“ oder „Gepanta“ keineswegs
zufällig. Eine Sage berichtet darüber, wie die Goten über ein
Meer fuhren und einige ihrer Landsleute hinter den Übrigen
zurückblieben, so dass ihr Schiff als Letztes die Küste erreichte.
„Gepide“ heißt „faul“, hier handelt es sich um ein Wortspiel in der
Turksprache: „gepi anta“ bedeutet so viel wie „dort sollst du dich auch
abtrocknen“.
In einer Chronik
heißt es, später hätten sich „die Langobarden und die Awaren“
von den Gepiden getrennt.
Um die Awaren gab
es eine andere Geschichte, und auch die ist wohl bekannt. Dieses Geschlecht
floh im 6. Jahrhundert aus dem Altai nach Europa, und der Große Khan
ließ es verfolgen. Aber die Flüchtlinge wurden nicht gefangen, sie
hielten sich im Kaukasus versteckt. Dann zogen sie nach Konstantinopel weiter
und tauchten schließlich im Alpenvorgebirge auf. Heute heißen sie
Bayern.
Ein weiteres
Beispiel. Ein Khan hatte zwei Söhne, Utigur und Kurtigur. Nach dem Tode
des Vaters teilten die Söhne die Besitzung, ihre Horden hießen
seitdem die „Utiguren“ und die „Kurtiguren“. Die einen rasierten sich den
Hinterkopf, die anderen den ganzen Kopf kahl. Das war der ganze Unterschied
zwischen diesen zwei „germanischen Völkern“.
Andere trugen
nach wie vor lange Haare oder rasierten sich den Kopf bis auf eine Stirnlocke
kahl. Die „germanischen“ Kiptschak führten das gleiche Leben wie die
Große Steppe und bauten gleiche Städte, denn sie kannten nur diese
eine Bauweise.
Ihre Städte
leben fort. Eine davon ist das berühmte Calais, „Festung“ in der
Turksprache, aber keine steinerne, sondern eine aus Holz und von einem Erdwall
umgeben. Nach der Stadt wurde die Straße, die das Festland von einer
riesengroßen Insel trennt, Pas de Calais genannt. In römischen
Chroniken war diese Insel als Albion bekannt, aber die Kiptschak nannten sie
Inglend.
Warum?
In der alten
Turksprache bedeutete die Vorsilbe „ing“ so viel wie Beute. Inglend, bzw.
England, war „erbeutetes Land“. Erbeutet wurde es bei einem Feldzug.
Im 5. – 6.
Jahrhundert fanden die berühmten angelsächsischen
Feldzüge statt. Zwei große Horden landeten damals auf der Insel.
Ihre Anführer waren Khan Cerdic und sein Sohn Cynric (kommt der Vorname
Heinrich nicht daher?). Die mit Piken bewehrten Reiter bestiegen ihre Schiffe
und erreichten die Insel. Dieses Ereignis ist in der Geschichte Englands genau
fixiert.
Über jene
Zeiten erzählt eine Sage.
Ein junger
Kiptschak ging am Ufer eines Flusses entlang, seine Beine trugen ihn nicht
recht. An seinem müden Körper hingen dicke Goldketten, seine Arme
waren mit Spangen voller Edelsteine geschmückt. „Wozu hast du die
Schätze nötig?“ fragten ihn die Inselbewohner. „Ich suche einen
Käufer dafür. Auf den Preis kommt es mir nicht an.“ Da sagte ein
Mann: „Ich gebe dir viel Flusssand.“ Der junge Mann war einverstanden,
verkaufte sein Gold gegen einen Sack Sand und ging. Alle lachten über ihn
und priesen ihren Genossen, der den Fremden so schlau betrogen hatte.
Am Tag darauf
erschienen dort Reiter. Die Bewohner waren entrüstet. Darauf trat der
junge Mann mit einem Sack voll Sand hervor und verstreute ihn über das Ufer.
Die Inselbewohner verstummten, denn sie verstanden: Nun ist es sein Land, er
hatte es am Tag zuvor für sein Gold gekauft.
Der Tradition
getreu, schlugen die Kiptschak ein Lager auf, später bauten sie eine
Festung und nannten sie einfach Kent („steinerne Festung“). Niemand wagte mehr,
sich gegen sie aufzulehnen, denn sie hatten das Land redlich erworben.
Das war die
Einleitung zu den englischen Kapiteln der turkischen Geschichte.
Die englischen Kiptschak
Auch die
angelsächsischen Feldzüge wurden aus der Erinnerung des Turkvolkes
absichtlich verdrängt.
Jahrhundertelang
wurden Gräuelmärchen von Bestialitäten der Ankömmlinge
ausgestreut. Eine Erfindung jagte die andere. Das hat absurde Ausmaße
angenommen. In der Geschichte Großbritanniens orientiert sich heute das
ungebildete Publikum besser als so mancher Wissenschaftler. Viel zu viel wurde
darin durcheinander gebracht.
Die
Frühgeschichte ist im Grunde nicht erforscht, das verbot die Kirche, die
selbstständig Englands „Geschichte schuf“. Im 8. Jahrhundert schrieb der
Benediktiner aus dem Kloster Yarrow, Beda Venerabilis („der Ehrwürdige“),
das Buch „Die angelsächsische Kirchengeschichte“. Mit ihm begann die
Verfälschung, und Lügen trübten für immer das einst klare
Wasser der Themse.
Doch gibt es auch
eine andere, wirklich beeindruckende Schrift: die Arbeit des hervorragenden
englischen Historikers Edward Gibbon, sieben unübertroffene Bände,
die er im 18. Jahrhundert verfasste. Wie sonst niemand, berichtete der
Wissenschaftler über das mittelalterliche Europa, und dies
ausführlich und etwas genauer, als die Kirche ihm erlaubte. Dieses „etwas
genauer“ reichte, um die Vorwürfe des Papstes und seiner Diener
hervorzurufen.
Die Vergangenheit
Großbritanniens sei so gut den am wenigsten gebildeten meiner Leser bekannt
und so dunkel für die Wissenschaftler selbst, stellte Gibbon traurig fest.
Tatsächlich
gab es keine Eroberung Englands, denn es waren die Inselbewohner selbst, die
die „überaus weisen Saken“ (so nannten sie die Kiptschak) zur Einwanderung
aufforderten. Sie überließen ihnen die fruchtbarsten
Ländereien, damit die Kiptschak ihnen das Pflügen beibrachten, und
eigneten sich das Züchten für sie neuer Vieharten an. Sie erkannten
auch Tengri und sein Kreuz an.
Jahrhundertelang
wurde alles Turkische in der englischen Geschichte eifrig ausgemerzt. Die
„nomadisierenden Hunnen“, die einst an der Küste von Albion landeten und
zu den Lieblingshelden der altenglischen Balladen wurden, sind inzwischen
vergessen worden.
Es ist, als
hätte es in Englands Geschichte nicht den Prediger Aidan gegeben, der den
Inselbewohnern den Glauben an den Gott des Himmels eröffnete. Der
Seelenhirt durchwanderte das englische Land in Begleitung eines Dolmetschers,
weil er woanders geboren worden war. Noch früher, im Jahre 432, empfing
auch der nationale Heilige Irlands, Patrick, das Kreuz aus Aidans Händen.
Gesagt sei, dass
das lateinische Kreuz in jenen Jahren nicht existierte. Es entstand erst ein
Jahrhundert später. Die Christen hatten das turkische, gleichseitige
Kreuz. Solche Kreuze sind an den Denkmälern des alten England geblieben,
nur sie werden von Archäologen gefunden.
Das ist ein
für den Historiker sehr wichtiges Detail.
Den Namen Aidan
(in der Turksprache: „hell“, „licht“) wird von den Engländern
gegenwärtig etwas anders ausgesprochen, als Eden. Zu ihrer Ehre sei
gesagt, dass sie die Tat des Predigers dennoch nicht entstellt und nicht
umgeändert haben. Allerdings wurden viele Einzelheiten ausgelassen.
Vergessen sind
auch die alten Kurgane, die in Südengland seit Attilas Zeiten geblieben
sind. Dabei sind sie sichtbar und sehen genauso aus wie die Kurgane des Altai
oder der Großen Steppe. Im Ort Sutton-Hoo der Grafschaft Suffolk besteht
sogar das Hügelgrab eines Herrschers, das größte der
fünfzehn hier entdeckten.
Ausgegraben
wurden Waffen und Goldschmuck, eine außerordentlich feine Arbeit, echte
Kunstwerke. Die Ornamente sind unverkennbar turkisch. Besonders schön sind
Hirschfigurinen. Sie sind wie eine Kopie der altaischen Elen, als hätte
man sie von dort hergebracht. Und das in England, einem Land, das, wie
Lehrbücher behaupten, im 5. Jahrhundert von „wilden Barbaren“
überfallen worden war.
Übrigens ist
das Wort „London“ turkischer Herkunft (vom chines. lung, in der Turksprache „Drache“, „Eidechse“); es sagte schon im
5. Jahrhundert den englischen Jungs, das es dort, am Flussufer, viele Schlangen
gab.
Von der
altenglischen Sprache wollen wir hier nicht sprechen – um den Turkologen, die
sich diesem Rätsel vielleicht einmal zuwenden werden, ihr künftiges
Fest nicht zu vergällen. Sie werden sicherlich über die erstaunliche
Ähnlichkeit von vielen Worten der Turksprache und des Altenglischen
verblüfft sein. Dafür gibt es nicht wenig Beispiele. Hier nur einige
davon.
Die turksprachige
Entsprechung des Wortes „young“ war „jang“; „befestigen“ hieß „tak“ usw.
Sinngemäß und in der Schrift sehr nahe sind die altturkischen und
englischen Wörter wie „ton“ (Haltung, Ton, Stil), „kert – kerf“ (Kerbe,
Einschnitt), „tang tung et – tang“ (schrill tönen). Selbst der berühmte
Londoner Tower ist ein Hinweis auf den Hügel, auf dem er steht: „tau“
bedeutete so viel wie Hügel oder Berg.
War ein Dialekt
der Turksprache womöglich die Sprache von Altengland? „Das ist hier die
Frage!“
Die
Engländer übernahmen das Latein unter dem Druck der Kirche, davon
zeugen ihre Bücher. Beispielsweise „Ethelberts Gesetze“, das älteste
Buch in Altenglisch, das an der Wende zum 7. Jahrhundert in der Stadt Kent
erschien. Darin wurden – die Gesetze der Langobarden und anderer Kiptschak
wiederholt. Denn auch die neuen Engländer lebten in Übereinstimmung
mit diesen Gesetzen. Der Text ist in Runen geschrieben, gleich anderen
altenglischen Texten. Später verschwand das Buch rätselhafterweise.
Warum wohl? Das ist nur zu verständlich.
Die Kirche
verbrannte die Bücher Altenglands auf den Scheiterhaufen der Inquisition.
Aber Kopien blieben, und von Zeit zu Zeit werden sie unter den
überraschendsten Umständen gefunden. Solche Funde sind
unschätzbar.
Nach allem zu
urteilen, war die altenglische Literatur sehr ausdrucksvoll. So ist in der
Tierdichtung „Bestiarium“ die Rede von drei Schutzgeistern: dem Irbis, dem
Walfisch und dem Rebhuhn. Woher wussten die Engländer vom Irbis, einem
Tier aus dem Altai? Woher von dem altaischen Brauch, die Schutzgeister zu
verehren?
So manche
englische Gewohnheit weist direkt auf ihre turkische Herkunft hin, z. B. das
Einander-auf-die-Schulter-Klopfen. Das war ein echt turkischer Brauch.
Wissen die
vergesslichen Engländer, dass ihr geliebtes Polospiel (vom Pferd aus und
mit Treibhammern) lange vor der Großen Völkerwanderung ebenfalls im
Altai entstand? Nur dass dort nicht mit dem hölzernen Treibball gespielt
wurde, sondern mit dem Kopf eines Feindes, der in einem Ledersack steckte. Das
war ein festliches Siegesspiel.
Nein, das Blut
der Kiptschak ist in den kalten Adern der Engländer nicht erkaltet. Das
Äußere und das Verhalten dieser Menschen, die es manchmal ganz
heiß mögen, verraten dieses Blut. Beliebt sind Boxen oder auch eine
einfache Schlagerei.
Selbst ihren Tee
nehmen sie nach wie vor mit Milch, wie Schafhirten bei einer Rast, denn so
tranken ihre Ahnen einst Tee. Sie lieben Pferde und Pferderennen, weil Pferd
und Rennen zu den Kiptschak gehörten. Sie veranstalten Treibjagden auf
Füchse und Hirsche in ihrem England, weil Angehörige des Turkvolkes
nur so, nämlich vom Pferd aus, jagten. Auch die Falkenjagd kennen die
Engländer ausgezeichnet. Woher stammt all das bei den Bewohnern von
Albion? Eines Randgebietes des Römischen Reiches?
Ein interessantes
Volk, das seine Traditionen pflegt, ohne zu verstehen, dass es sich um
Überreste seiner einstigen Kultur handelt. Jener Kultur, die vergessen
oder, richtiger, die zu vergessen befohlen
wurde.
Bis zuletzt
bewahrten die Engländer beispielsweise ihre alten Geldzeichen und
Münzen. Ihr „komisches“ Geld ist ebenfalls ein Echo des Steppenlebens. Der
englische Shilling rührt vom Wort der Turksprache „scheleg“, „für den
Umlauf untaugliche Münze“; er enthält 12 Klein- oder
Umlaufmünzen. „Penny“ leitet sich von „peneg“, d. h. Kleinmünze, ab.
Und schließlich der Sterling: Diese Masseneinheit hieß in der
Turksprache „sytyr“ oder „sytyrling“ und zählte 20 Scheleg. Alles ist bei
den Engländern genauso geblieben.
Die
Ähnlichkeit des Wortes der Turksprache „manat“ mit dem englischen Wort
„money“ untermauert diese Beobachtung. Das eine wie das andere bedeutet „Geld“.
In ihrem
Parlament haben die Engländer – seit vielen Jahrhunderten! – einen Sack
mit Schafwolle. Ein solcher Sack war bei den Kiptschak ein Symbol der Macht. In
der Großen Steppe saßen die meist verehrten Richter darauf. Die Engländer
tragen ihre Fracks und wissen nicht, dass diese aus dem Altai kommen.
Ihre Nachbarn,
die Schotten, tragen ihre Kilts und genießen die traurigen Klänge
ihrer Schalmeien, haben eine andere Lebensweise und dulden nichts Turkisches um
sich. Weil es ihnen fremd ist. Auch ein anderes Volk Großbritanniens, die
Waliser, die auch von den Engländern fremd genannt werden, haben nichts
„Turkisches“ übernommen. Selbst ihre Feste sind anders – viel zu
langweilig für einen echten Kiptschak.
Die englischen
Kiptschak stolzieren heutzutage selbstbewusst umher – und haben vergessen, was
ihre Ahnen im Altai sagten: „Auch wenn man eine fremde Hose anzieht, bleibt man
nicht unerkennbar.“ Das war Volksweisheit!
Die Benediktiner
schafften es mit List und Lüge doch, den Engländern fremde Hosen
anzuziehen, veränderten sie jedoch dadurch nicht, machten sie nicht zu
einem neuen Volk.
Ein Anführer
der Mönche, Augustin, wurde im Jahre 597 der erste englische Bischof. Der
Papst setzte die Macht der Kirche in England durch. Als Erste bekannten sich
Adlige zum Katholizismus. Die vierte oder fünfte Generation des Adels aber
schämte sich bereits ihrer „wilden“ Ahnen. Alles kam genauso wie bei den
Langobarden und Burgundern.
Die Mönche
gingen auf der Insel Tan an der Küste bei Kent an Land und begaben sich
zum König, weil sie wussten, dass seine Ehefrau schon vor ihrer Heirat
heimlich zum Katholizismus übergetreten war. Bei ihr fanden sie Zuflucht.
Bald konvertierte Ethelbert, noch kein König, aber auch kein Khan mehr,
zum katholischen Glauben. Ihm folgten seine Untertanen.
Seitdem
fügten sie sich in den Willen des Papstes, des „Statthalters Christi auf
Erden“. Freilich stellten einige Engländer beharrlich zwei Altäre in
den Kirchen auf: einen für Tengri und einen für Christus. Aber das
änderte nichts mehr: Die Seele des Volkes war schon verkauft.
Der Streit darum,
wessen Altar besser sei, war kurz und wurde 663 beigelegt. Die Römer
überlisteten die vertrauensseligen Engländer, indem sie ihnen die
Schlüssel zum Himmel versprachen, falls nur ein Altar in ihren Kirchen
bleibe. Es blieb also nur einer da. England wurde christlich.
Aber der
Doppelglauben hat sich bewahrt, er ist eine Norm, die die anglikanische Kirche
bis heute auszeichnet: Der Katholizismus ist ein dunkler Schatten ihrer Vergangenheit.
Er hat die Kirche
unauslöschbar geprägt.
Der Islam
Die höchste
Auszeichnung der Katholiken ist der Georgs-Orden. Er ist eine Kopie der Orden
aus dem Alten Altai: dasselbe Tengri-Zeichen. Ist das nicht symbolisch? Ebenso
symbolisch wie die Tatsache, dass sich die griechisch-römische Kirche
Altes, Altaisches bewahrte, jede Erinnerung an die Herkunft jedoch wegwischte,
und das nicht nur in England, sondern überall.
Weil der alte
Glaube die Herrschaft über die Völker behinderte.
Sowohl der Papst
von Rom als auch der Patriarch von Byzanz unterließen nichts, um ihre
Ziele zu erreichen. Sie zogen Turkisches, Geistiges durch den Schmutz und
erfanden Eigenes, Heidnisches. Aus unauffindbaren Quellen tauchten in den
Kirchen Sachen, die angeblich Christus gehört hatten, und Gebeine seiner
Nachfolger auf. Die Menschen beteten nun zu diesen Gegenständen. Eine
solche „Religion“ unterschied sich in nichts vom Heidentum.
Beinahe jede
Kirche erhielt ihre Reliquie.
Bisweilen
steigerte sich das ins Absurde: In den Kirchen zeigte man ein ganzes Dutzend
Köpfe von Johannes dem Täufer. Als ein Winzer sah, dass der Wein in
seinen Kellern versauert war, schüttete er je einen Tropfen von jedem Krug
in einen einzigen und stellte diesen neben den Gebeinen des Hl. Stephan. Am Tag
darauf hatte der Wein wieder seinen guten Geschmack. So entstand die Sage vom
„Wunder“ des Hl. Stephan.
Die Heiden im
Gewand der Seelsorger hatten überall ihre Hand im Spiel.
Der Glaube, der
im 4. Jahrhundert im Kaukasus entstanden war, verblasste und trat, wie alles
Turkische, in den Hintergrund. Er wurde umgewandelt. Auf Geheiß der
Kirche nannten sich die Europäer nun Christen, aber sie hatten wenig
miteinander gemein. Die Differenzen blieben. Es gärte im mittelalterlichen
Europa, man lebte wie auf dem Vulkan. Turkisches, Römisches, Griechisches,
Keltisches – alles vermischte sich und verschmolz miteinander, um
schließlich wie erloschene Lava glashart zu erstarren.
Für
Jahrhunderte zu erstarren!
Anders war es im
Nahen Osten. Dort war die Kirche ebenfalls auf der Suche nach Wegen, die ihr zu
ihrem eigenen Gesicht und zur Macht verhelfen konnten. Allerdings wurde nicht
im Heidentum, sondern in der Philosophie gesucht, um den Sinn des Lebens zu
ergründen. Tengris Gestalt strahlte am Firmament, sie wurde nicht durch
Idole verdeckt.
Jede Suche
zeitigt bekanntlich früher oder später ihre Resultate. Eine Frucht
des freien Denkens im Orient war ein Phänomen, das in die
Menschheitsgeschichte unter der kurzen, aber aussagekräftigen Bezeichnung Islam – vom Allerhöchsten gegebene
Lehre – eingegangen ist.
Man erfuhr vom
Islam in Arabien. Das geschah zu der Zeit, als der Papst Gregor der Große
einen erbitterten Kampf gegen die Langobarden aufnahm. Im Jahre 609 wurden dem
Araber Mohammed göttliche Offenbarungen zuteil. Später wurden sie als
neue Lehre anerkannt, und er selbst galt nunmehr als ihr Prophet.
Leider ist
über den Propheten sehr wenig bekannt. Es hat sich so gut wie nichts
Authentisches erhalten. Sein Leben ist eine Legende, zusammengesetzt aus Worten
und Bildern. Die Wissenschaft ist außer Stande, sie zu bestätigen
oder zu widerlegen. Folglich kann es genau auf diese Weise geschehen sein.
Mohammed war
Analphabet, in seiner Jugend zog er mit Karawanen durch die Wüste, dann
verwaltete er den Handel einer Witwe, die er später ehelichte. Einmal
hörte er ferne Stimmen. Sie erstaunten ihn.
Drei Jahre lang
wurden ihm Offenbarungen geschenkt, und er berichtete über sie. Aber in
der Stadt Mekka wollte man ihm nicht zuhören, die Menschen sahen keinen
Sinn in der neuen Religion. Deren Gebetshandlungen schienen ihnen
unerträglich, und das Verschenken eines Zehntels der Einnahmen wurde von
ihnen als schreiende Ungerechtigkeit empfunden. Die Städter waren mit
ihrem Heidentum ganz zufrieden.
Leider entsteht
eine Religion nicht nach einer göttlichen Offenbarung. Es ist die
Gesellschaft, die darüber entscheidet, ob ein Glaube bestehen soll oder
nicht. Und darüber, wie er beschaffen sein muss.
Nur Menschen, die
Mohammed ganz nahe standen, erkannten ihn an, sie bildeten denn auch eine
Gemeinde. Diese nahm nur langsam zu, auch noch nach zehn Jahren zählte sie
wohl kaum 100 Moslems.
Heute bekennen
sich hunderte Millionen Menschen, ganze Länder zum Islam. Das Interesse
für diese Religion ist gewaltig. Alle verweisen auf das Geheimnis ihrer
Entstehung und betonen, dass die in der Welt der Philosophie allein dastehende
Lehre von unwissenden Kameltreibern erfunden worden sei.
Hier gibt es
offensichtlich ein Geheimnis, und nur der Koran kann es entschleiern helfen.
Der Koran ist ein
Schatz des Islams, das Buch der Predigten und Belehrungen des Propheten, das
Hauptgesetz der Moslems. Sein abgeschlossener Text erschien an der Wende vom 7.
zum 8. Jahrhundert, fast fünfzig Jahre nach Mohammeds Tod. Ebenso wie der
Islam, brauchte er Zeit zum Heranreifen. Eine Lehre bildet sich ja nicht
über Nacht heraus. So ist nun einmal jene Welt beschaffen, in der Geist
und Zeit herrschen.
Über die
Geschichte des Islams sind hunderte Bücher geschrieben, aber Klarheit
besteht nicht. Die Theologen verschiedener Länder nehmen den frühen
Islam unterschiedlich auf. Sie streiten über die Wahrheit, die Lehre und
führen Argumente an, die einander widersprechen. Dabei kann eine Religion
nicht zwei Geschichten gleichzeitig haben.
Es gibt nur eine
einzige Geschichte, wie es nur eine einzige Wahrheit gibt.
„Bismi-llajhi-r-rachmani-r-rahim“
(„im Namen Allahs des Erbarmers, des Barmherzigen“). Es ist der Weltenherr, der
dem Menschen Gedanken gibt, so war es, so bleibt es in alle Ewigkeit.
Hier, in diesem
Buch äußert niemand Zweifel, aber ein Moslem ist verpflichtet, dem
Koran zu glauben und nicht den Menschen, welche Kleidung sie auch immer tragen
mögen. Die heute bekannte „arabische“ Version des Islams (ebenso wie die
Version vom „griechischen“ Christentum) ist einem Mythos sehr ähnlich.
Einem großen Mythos, der sich gegen das 19. Jahrhundert herausgebildet
hat. Davon zeugt die Geschichte. Die Geschichte aber lässt sich nicht
umschreiben.
Die Moslems haben
wohl schon vergessen, dass der Islam im mittelalterlichen Europa
„ägyptische Häresie“ genannt wurde. Und das war kein Zufall. Er
unterschied sich beinahe nicht von der Lehre der ägyptischen und der
abessinischen Kirche. Ägypten, damals eine byzantinische Kolonie, sah im
Islam einen Weg zur Freiheit, denn: „Wes Gott, des Macht.“
Die geistlichen
Traditionen Ägyptens und Äthiopiens bildeten die Grundlage des
Islams, nicht die Arabiens.
Den neuen Glauben
übernahmen zuerst Christen, d. h. Menschen, die den Gott des Himmels schon
kannten. Der Nahe Osten wollte nicht mehr ein Sklave von Byzanz sein und
brauchte den Islam. Er veränderte das Christentum – die Religion der
Väter! – nicht, befreite jedoch den Glauben von der Macht der Griechen. Er
bewahrte die Gestalt des Gottes des Himmels in Reinheit und gewann dadurch Menschen in den Kolonien von Byzanz.
Die Gestalt des
Gottes des Himmels im „ägyptischen“ Christentum und die im Islam waren
sich völlig gleich. Das ist einfach erstaunlich. Anders konnte es nicht
sein. Die Religion ist Bestandteil der Kultur eines Volkes, seine Moral, sie
entsteht nicht in einer Wüste und schließt die Menschen nicht nur
durch Worte zusammen, so richtig diese auch sein mögen. Es genügt
nicht, göttliche Offenbarungen zu hören, man muss sie verstehen und
an andere Menschen heranbringen.
Der Islam ist
eine große Hervorbringung des Orients, und an seinem Anfang war Tengri,
weil die Menschen vor zweieinhalbtausend Jahren erstmalig ihre Blicke zum
Himmel erhoben.
Zum Ewigen Blauen
Himmel!
Der Islam half
Ägypten und dem ganzen Nahen Osten die Freiheit erlangen. Der Einfluss des
Turkvolkes ist dort enorm. Der Umstand, dass man das seit dem 19. Jahrhundert
nicht mehr erwähnte, bedeutet noch nicht, dass seine Angehörigen
nicht dabei waren. Sie waren sehr wohl dabei!
Erinnern wir uns
an einen der Namen Tengris: Alla (von „al“, Hand), der Gebende und Nehmende.
Nur die Angehörigen des Turkvolkes hielten die Handflächen vor sich
hin und sprachen, die Augen gen altaischen Himmel gerichtet, das Wort „Alla“
tausend Jahre vor dem Islam aus. Das entlehnte der Islam.
Der Altai kannte 99
Anrufungen für Tengri. Auch der Islam zählt 99 Namen des Allah. Sie
sind sich in beiden Fällen gleich.
„Alla-il-Alla“, sagten die Moslems vor einem Gebet. „Gott
(Alla)! Steige zu uns herab, Herr (al-Illah)!“ Ein durch und durch turkischer
Satz – und üblich für einen turkischen Moslem auch heute. Er sagt
selten das Wort mit einem langen „a“ am Ende (Allah), wie das die Araber tun,
er sagt vielmehr Alla und noch öfter Tengri, wenn er sich an den
Allerhöchsten wendet. Die alten Leute erinnern sich noch an die Worte
ihrer Urgroßväter.
Der Islam lehrt:
Allah ist allmächtig. Wie Tengri.
Allah schuf die
Pflanzen, die Tiere, den Menschen. Wie Tengri.
Beim Beten zu
Allah fällt man auf die Erde. Wie beim Beten zu Tengri. Was ist der
Unterschied zwischen beiden? Monotheismus ist die Hauptidee des Islams. Doch
gerade den Monotheismus brachte das Turkvolk der westlichen Welt: Gott ist der
Geist, der Erzeuger dieser Welt. Niemand ist neben ihm.
Der Islam hat die
zwischen Gott und den Menschen lebenden Engel und Dämonen bewahrt. Das
Volk vom Altai hatte sie schon immer gekannt. Es blieb im Islam sogar der
gefallene Engel, der Anführer der bösen Geister Iblis.
Nichts war in
Vergessenheit geraten, nichts aus dem alten Glauben des Turkvolkes verloren
gegangen.
„Es gibt keinen
Gott außer Allah“, sagen die Moslems. Das Gleiche sagte das Volk aus dem
Altai: „Es gibt keinen Gott außer Gott.“ Also: Was unterschied den
frühen Islam vom turkischen Glauben?
Beinahe nichts.
Nur ein Ritus, den die Moslems im 8. Jahrhundert noch nicht hatten und nach dem
sie erst suchen mussten. Das Werden des Ritus nahm Jahrhunderte in Anspruch.
Der Koran
Der Koran ist
selbstverständlich das höchste Gut des Islams, sein heiliges Buch. Es
enthält die Antworten auf alle Fragen des Seins, selbst auf die schwierigsten.
Wie ist das Buch entstanden?
Das ist eine sehr
wichtige Frage. Denn auf der arabischen Halbinsel gab es überhaupt keine
Bücher: Ihre Völker hatten keine Schriftzeichen. Das alte Turkvolk
aber hatte sehr wohl heilige Bücher, nach ihnen lernten die Völker
des Ostens schon im 1. Jahrhundert, zu den Zeiten von Khan Erke, und
später tat das Europa. Dann aber verschwanden sämtliche Bücher.
Wohin? Und sind sie wirklich verschwunden?
Die Antwort liegt
auf der Hand, sie ist in der 108. Sure des Korans enthalten: „Gesser haben Wir
dir gegeben, so richte deine Gebete an Gott.“ So beginnt diese Sure. Ihr Sinn
ist tief, es fällt nicht leicht, ihn zu erschließen.
Die Araber wussten nicht, wer „Gesser“ war, sie
wussten es nicht damals, sie wissen es auch heute nicht. Das ist am
erstaunlichsten. Das „unbegreifliche Wort“ löste bei
Koran-Übersetzern stets Meinungsverschiedenheiten und Streit aus. Selbst
seine Aussprache ist bei ihnen unterschiedlich: Kewser, Kaussar, und ebenso
unterschiedlich seine Auslegung: als „Überfluss“, „Wohlstand“.
Den Namen des
Propheten des Turkvolkes nicht kennen und ihn in den Text des Korans aufnehmen?
Ihm eine ganze Sure widmen? So etwas ist undenkbar, unmöglich. Etwas
stimmt hier nicht. Man schreibt kein Buch, wenn man die Buchstaben nicht kennt.
Man löst eine arithmetische Aufgabe nicht, wenn man die Ziffern nicht
kennt. Folglich ist das Wort „Gesser“ im Koran mit einem sehr wichtigen
Ereignis verbunden, das heute „vergessen“ ist oder außer Acht gelassen
wird.
Im Text des
Korans gibt es auch andere „weiße Flecken“. Aber auch sie werden ihren
wahren Sinn offenbaren, sobald die Geschichte des Turkvolkes den ihr
zukommenden Platz in der Menschheitsgeschichte einnimmt. Es geht doch nicht,
immer wieder ein Volk zu „vergessen“, das der Welt den Glauben an Gott im
Himmel brachte.
Die Wahrheit wird
früher oder später dennoch triumphieren!
Die
Wissenschaftler verweisen seit langem nicht nur auf „unverständliche“
Wörter im Koran, sondern auch darauf, dass sein ganzer Text auf eine
besondere Art und Weise geschrieben ist. Die Araber schrieben anders, hatten
einen anderen Satzbau. Der Koran weist eine offensichtlich „nichtarabische
Sprache“ auf. Zu diesem Schluss ist die Wissenschaft gekommen.
Nun, eine alte
Weisheit besagt im Grunde das Gleiche: „Ein Kamel ist nicht in einer Schafherde
zu verbergen.“ Und das stimmt.
Im Koran gibt es
z. B. Zeilen, die mit Texten des Talmuds und der Bibel zusammenfallen. Das
sollte nicht wundernehmen. Der Koran ist ein Sammelbuch der göttlichen
Offenbarungen. Ein Werk, zu dem die Worte des Propheten Mohammed die Menschen
bewogen.
Jahrzehntelang
wurde am Koran geschrieben und an seinen Zeilen geschliffen. Damals wurden
Dutzende Bücher – turkische, ägyptische, syrische, iranische,
hebräische usw. – ins Arabische übersetzt. Man suchte darin nach
Körnern der Wahrheit.
Jene
Übersetzungen wurden „arabische Literatur“ genannt. Es handelt sich
wohlgemerkt um Übersetzungen.
Sie ergötzten das Ohr der Moslems, waren Teil der neuen Kultur des neuen
Orients, der frei von der byzantinischen Despotie war.
Eine der
Übersetzungen hieß „Gesser-efsane“ („Häzar afsaneh“) und
enthielt turkische Märchen und Lehrdichtungen. Ende des 8. Jahrhunderts
bekam sie einen neuen Titel: „Tausendundeine Nacht“. Ist es so, dass die
Scheherazade ihre Märchen in der Turksprache erzählte?
Demnach sprach
auch Sindbad der Seefahrer in dieser Sprache, denn er kannte keine andere. Ja,
die Geschichte ist eine erstaunliche Wissenschaft. Sie lüftet nicht nur
große Geheimnisse, sondern beweist auch, dass der Koran, „ein Sammelbuch
der Weisheit, das in der Sprache der Offenbarungen geschrieben ist“,
außerdem noch „verloren gegangene“ Schätze bewahrt.
Ist das Buch
wirklich von Menschenhand geschrieben?
Seine Parabeln
und kernigen Sprüche sind hohe Literatur, ihre Frucht, die im Laufe von
Jahrhunderten ausreifte. Sie gleichen dem Schmuck aus einem Hügelgrab in
der Steppe, der weder nachzuahmen noch zu übertreffen ist. Im ganzen Nahen
Osten gab es solchen Schmuck früher nicht. Nur das Turkvolk besaß
ihn.
Der Koran setzt
sich aus Ajats zusammen wie aus schillernden Edelsteinen, sie verleihen seinen
Kapiteln – den Suren – Licht und Weisheit. „Ajat“ ist ein Wort der Turksprache
und setzt sich aus „aj“ (erkläre) und „at“ (Bezeichnung) zusammen. Dieser
Satz (oder Teil eines Satzes) wird im Singsang gelesen.
Bekanntlich lasen
die Angehörigen des Turkvolkes ihre Gebete nur im Singsang. Das ist eine
Tradition des Alten Altai.
Der Text des
Korans wurde seit dem Jahr 633 aufgeschrieben, und das nahm Jahrzehnte in
Anspruch. Hunderte heilige Seiten kamen heraus, und seitdem wurde kein Wort,
kein Komma daran geändert. Aber wer diktierte den Koran? Das weiß
man nicht. Bekannt ist dagegen, dass Arabien nach Mohammed zum Heidentum
zurückkehrte. Als Erste vergaßen die Inselbewohner ihren Propheten.
Sie kannten ihn
auch zu seinen Lebzeiten schlecht. So bat Kalif Omar im Jahre 637, nach seinem
Sieg über die Perser, seine besten Krieger, wenigstens einen Spruch
Mohammeds zu zitieren. Keiner konnte es. Nur einer sagte leise: „Basmala.“
Das war alles,
was die Menschen vom Islam wussten, die zu seiner Ausbreitung beitrugen.
Es besteht die
Meinung, dass der Araber Sejd ibn Tabit (Sajd ibn Sabit) die ersten Zeilen des
Korans nach den Worten von alten Leuten aufschrieb, die nach der Schlacht bei
Jemama am Leben geblieben waren. Vielleicht. Er war erst zweiundzwanzig Jahre
alt. Im Jahre 651, bereits als reifer Mann, schloss er sein Werk ab. Aber nicht
den Koran.
Außerdem
heißt es, dass sich in der Nähe des Propheten Mohammed seine
Sekretäre befanden, die schreibkundig waren. Das ist wenig wahrscheinlich:
Wieso sollte es Sekretäre in einem Land der Analphabeten geben? Selbst
wenn das der Fall gewesen wäre: Was tat dann Sejd ibn Tabit binnen zwanzig
Jahren, wenn alles schon vor ihm aufgeschrieben worden war? Folglich war dem
nicht so.
Der Text des
Korans nahm gegen das 8. Jahrhundert festere Formen an. Das ist ein historisch
authentischer Fakt. Alles Übrige sind Erfindungen, die im Laufe von
Jahrhunderten zu einer unwiderlegbaren Wahrheit hochstilisiert wurden.
Vieles ist hier
unbegreiflich. In welcher Schrift konnte der Koran geschrieben werden? Auch das
ist eine sehr wichtige Frage. Ohne eine Antwort darauf bleiben gewisse Dinge
immer noch unerklärt und also erfunden.
Die so genannte
arabische Ligatur war im frühen Mittelalter die „göttliche
Geheimschrift“ – die Schrift des
Turkvolkes. Dieses bezeichnete sie mit einem Wort, das ähnlich wie das
Wort „Chiffre“ klang. Von der Geheimschrift wusste man auch unter den Christen,
aber das Wissen war nur Auserwählten, darunter Kopten, zugänglich.
Jedenfalls nicht den Bewohnern der arabischen Halbinsel. Ebendeshalb ist die
Rolle gerade eines „koptischen Schreibers“ in den Aussprüchen von
berühmten Moslems – Khadis – widergespiegelt. Das ist bei weitem kein
Zufall.
Konnte Sejd ibn
Tabit, ein einfacher Mann aus Medina, von der turkischen Geheimschrift wissen?
Niemals. Und die Sekretäre des Propheten? Doch, aber unter einer
Bedingung: wenn sie Bischöfe der nahöstlichen Kirche waren.
Und das war der
Fall!
Bekanntlich entsandte
Mohammed seine Boten im Jahre 615 zur abessinischen Kirche. Der Prophet lud
Christen, die er Glaubensgenossen nannte,
zu sich ein. Er bat die Kopten, „den Rechtgläubigen zur Frömmigkeit
zu verhelfen“ und sonstige Sorgen der Moslems auf sich zu nehmen. Diese Sorgen
waren mit dem Schriftsystem verbunden.
Zu solchen
Behauptungen berechtigen nicht nur die Kadis, sondern auch die Schriftzeichen
selbst.
Wie
Wissenschaftler festgestellt haben, nahm die arabische Ligatur ihr heutiges
Aussehen erst im 8. – 9. Jahrhundert an, als der Koran schon geschrieben war.
Damals schuf man denn auch die „göttliche Schrift“ ab, um sie zu
vergessen. Man machte die neue arabische Schrift einfachen Menschen
zugänglich, sie verlor ihren Charakter einer Chiffre.
Es erhebt sich jedoch
eine weitere Frage: Waren die Seiten des allerersten Korans nicht in der
Turksprache geschrieben? Jene Seiten, von denen Sejd ibn Tabit abschrieb? Und
die später auf eine geheimnisvolle Weise verschwanden?
Wurden nicht sie
verboten und verbrannt, als Kalif Othman befahl, nur den arabisch geschriebenen
Koran zu belassen?
Deshalb gibt es
keine Aufzeichnungen der Reden des Propheten Mohammed, die noch zu seinen
Lebzeiten gemacht worden wären. Ebenso wie der Text des allerersten Korans
können sie nur in der „göttlichen“ Sprache, nämlich der
Turksprache, geschrieben worden sein. Anders als turkisch konnten sie einfach
nicht sein.
Diese verbotenen
Texte lebten noch einige Jahrhunderte lang ihr eigenes Leben, die turkischen
Moslems übergaben sie von Hand zu Hand wie ein Heiligtum.
Möglicherweise leben sie bis jetzt fort.
Die Araber haben
eine weitere heilige Überlieferung, die Sunna. Sie ergänzt den Koran
und enthält die Aufzählung der Taten und die Aussprüche des
Propheten. Dieses Buch war um das 9. Jahrhundert vollendet. Mit ihm endete die
Epoche des „ägyptischen Christentums“ im Islam und begann dessen
selbständige Existenz.
Mohammeds Lehre
wurde eine vollwertige Religion.
Nicht alle
Moslems waren mit dem Text der Sunna einverstanden. Menschen, die sie voll und
ganz anerkannten, wurden Sunniten genannt. Sie machen die Mehrheit aus. Das hat
jedoch nichts zu sagen, denn die Schiiten sind in der islamischen Welt nicht
minder geachtet und angesehen.
Die Autoren der
Sunna waren zwei große Angehörige des Turkvolkes: al-Buchari und
Muslim. Sie lebten keineswegs in Arabien! Das Werk von al-Buchari wurde wegen
seiner Gedankentiefe „sachich“ (wahr) genannt. Das ist das zweitwichtigste Buch
neben dem Koran. Diese Meinung vertreten bekannte Wissenschaftler des Orients.
Übrigens
stammten beinahe alle bedeutendsten moslemischen Wissenschaftler aus der
turkischen Welt. Besser als sie kannte niemand Mohammeds Lehre. Das ist eine
anerkannte Tatsache.
Mit ihren
Büchern setzten diese Menschen sich und ihrem Volk ewige Denkmäler.
Unter den
Inselbewohnern gab es nie Menschen von einem so reichen Wissen. Für die
Anhänger der neuen Religion fand sich nicht einmal eine würdige
Kleidung. Ihre Überwürfe taugten nur fürs Kamelreiten. So kam
auch die Kleidung der Moslems vom
Turkvolk.
Der Turban
(suwluk), Schapkas und Fes, Schalwaren und Hemden mit freier Brust, kurze
schwarze Jacken (kapas), Kaftane – all das kam zustatten. Das Klima im Nahen
Osten ist natürlich anders als im Altai, deshalb wurden die
Kleidungsstücke leichter gestaltet, doch der Schnitt blieb
unverändert.
An der neuen
Kleidung erkannten alle einen Moslem. Beamte trugen ein an der Brust
ausgeschnittenes langes Hemd und Theologen einen Überwurf, Tailassan
(„talu san“, was in der Turksprache so viel wie „besondere Ehre“ bedeutet).
Alle Moslems, Männer wie Frauen, trugen Schalwaren, die ganz besonders
geschätzt wurden.
Seitdem
führte sich die turkische Kleidung auch im Nahen Osten ein. So legte Kalif
al Muktadir, als er in den Tod ging, einen Kaftan an. Weit entfernt sind von uns
jene Kapitel der moslemischen Geschichte, aber vergessen sind sie nicht.
Man kennt sie
heute nicht, weil sich die Welt gegen das 19. Jahrhundert nicht zugunsten des
Turkvolkes veränderte. Nun waren seine Angehörigen allen verhasst,
selbst sich selbst: Das Osmanische Reich, das letzte Bollwerk der turkischen
Welt, war untergegangen.
Aber früher,
im 9. Jahrhundert, wussten die Moslems gut den Ausspruch des Allerhöchsten
und wiederholten ihn auswendig: „Ich habe ein Heer, das Ich Turkvolk nannte und
im Osten ansiedelte; wenn ich über ein Volk zornig werde, gebe ich meinem
Heer die Macht über dieses Volk.“ Beeindruckende Worte.
Der große
Wissenschaftler des moslemischen Welt Mahmud Kasgari zitierte sie in seinen
Büchern. In ihnen liegt die gesamte Geschichte der Großen
Völkerwanderung beschlossen. Auch die Apokalypse, die mit dem
Zusammenbruch des Römischen Imperiums begann. Auch Attila, der Gottes
Geißel genannt wurde. Auch der Islam, der für die Päpste in Rom
„Gottes Strafe“ war.
Wer weiß,
vielleicht ist in diesen mahnenden Worten nicht nur die Vergangenheit, sondern
auch die Zukunft der turkischen Welt enthalten?
Zeichen des Islams
Früher
bestanden sieben Lesungsarten des Korans, und jede war richtig. Folglich
schufen sieben Völker, genauer: sieben Kulturen den Islam und seine
Traditionen.
Einige trugen in
die neue Religion den Beschneidungsritus ein, von anderen stammt das Verbot des
Genusses von Schweinefleisch, und wieder andere gaben ihr Bücher, die
Moral, die Architektur, die Kleidung, die Riten. Der Beitrag verschiedener
Völker war unterschiedlich. Aber die Bewohner Arabiens hatten damit nichts
zu tun.
Was konnten
Heiden schon beitragen, die selbst die Waschung mit Sand vornahmen?
Einmal im Jahr,
im Frühjahr, kamen ihre Stämme nach Mekka, zum Schwarzen Stein. Die
Häuptlinge stellten dort Götzen auf und beteten zu ihnen. Mit diesem
Gebet brach ein neues Jahr an. Selbstverständlich wussten die Araber vom
Glauben der Hebräer, hatten auch von den iranischen Feueranbetern sowie
von Christen gehört. Doch sie hatten ihren Glauben nicht übernommen:
Fremdes Feuer erwärmte ihr Herz nicht.
Ein Volk
übernimmt einen fremden Glauben, wenn er ihm stark genug ist. So war das
immer. Die Armenier, die Griechen und die Römer bekannten sich zum Gott
des Himmels, erst als sie seine Stärke sahen.
Dennoch spielte
die Arabische Wüste ihre Rolle. Die nahöstlichen Philosophen fanden
dort eine Nische, die den Griechen unzugänglich war. Dort pflanzten sie
einen Trieb des neuen Glaubens. Man nannte die Anhänger des Islams
„Moslems“ (Muslims), d. h. „jene, die sich Gott unterwerfen“. Menschen aus
mehreren byzantinischen Kolonien wurden durch den Geist der Freiheit
zusammengeschlossen, doch hatten sie weder eine gemeinsame Sprache noch eine
gemeinsame Kultur.
Deshalb spielte
die Kleidung für die Moslems, besonders in der ersten Zeit, eine wichtige
Rolle: Nur dank ihr waren sie zu erkennen. Die Menschen übernahmen die
turkische Kleidung und glichen nun jenen, die ihnen halfen, zum Gott des
Himmels zu finden und damit die heiß ersehnte Freiheit zu erlangen.
So geschah das.
Mit dem Islam
erschien um das 7. Jahrhundert ein Land freier Moslems, ein Kalifat, das den
Griechen nicht untergeordnet war.
Auch dieses Land war ein Zeichen der Freiheit. Bald schoben sich seine Grenzen
unermesslich weit auseinander, sie verliefen weit von Mekka entfernt: jenseits
der Länder Mittelasiens, des Siebenstromgebietes, Mesopotamiens, des Nahen
Ostens und Nordafrikas.
Die Ideen des
Islams eroberten einen Teil Italiens, Spanien und Südfrankreich, wo die
Kiptschak lebten. Die Menschen sahen in ihnen die Hoffnung, sich von der
zunehmenden Macht der Kirche zu entfernen, und nahmen die Veränderungen,
die in ihren Häusern und Städten eintraten, gern an.
Abgesandte des
Propheten Mohammed besuchten die Kaganate von Descht-i-Kiptschak, Chasarien,
Wolga-Bulgarien.
Überall
wurde der neue Glaube friedlich übernommen, denn er vereinigte die
Menschen in ihrem Widerstand gegen die verhassten Byzantiner. Die Einwohner der
Städte von Ägypten und Syrien z. B. empfingen die Abgesandten des
Propheten begeistert, mit Musik und Gesang, wie man sonst Sieger empfängt.
Selbst die
römischen Päpste mussten einen heimlichen Briefwechsel mit Moslems
einleiten, in der Hoffnung, von ihnen Hilfe und Unterstützung zu bekommen.
Und die Moslems unterstützten sie wirklich und waren bis zum 11.
Jahrhundert ihre guten Verbündeten. Einmal retteten sie einen Papst sogar
vor sicherem Tod.
Vom Kalifat wurde
viel geschrieben. Aber – Politik stand der Wahrheit stets im Wege und
ließ bisweilen das Wichtigste auslassen. Beispielsweise: Wer waren sie,
diese furchtlosen Eiferer des Islams? Warum kämpften sie zu Pferd?
Außerdem gebrauchten sie Säbel und Piken.
Und wieso tauchte
im Nahen Osten, einer byzantinischen Kolonie, plötzlich eine Reiterei auf,
wie kam es zu so bedeutenden Siegen?
Die Antwort liegt
im Wort „Araber“. So nannte man im Mittelalter die Moslems. Alle Moslems
auf einmal, gleich, ob es sich um die Völker Arabiens, Ägyptens oder
Syriens handelte.
Moslem war gleich
Araber. Dutzende Völker wurden plötzlich Araber. Darunter auch die
nahöstlichen Angehörigen des Turkvolkes, die Krieger des Islams. Sie
erhoben die blaue Fahne des neuen Glaubens, blau wie der Ewige Blaue Himmel,
und schmückten damit die Kuppeln der Moscheen, d. h. der moslemischen
Tempel.
Der neue Glaube
des Orients stand auf altturkischen Pfeilern. Sein Symbol war natürlich
das Tengri-Zeichen Kreuz (Adshi).
Allerdings
vertauschten die Araber (Angehörige des Turkvolkes aus der
Mamelucken-Dynastie!) die blaue Fahne mit einer grünen. Aber das Symbol
des Glaubens bewahrten sie, indem sie es durch einen achteckigen Stern
kaschierten. Unter diesem Stern zogen die Krieger des Kalifats in die Schlacht,
unter ihm errangen sie ihre Siege.
Aber nur
Eingeweihte wussten um dieses Geheimnis.
Zum gleichseitigen
turkischen Kreuz stand man im Kalifat zu verschiedener Zeit unterschiedlich. Im
7. Jahrhundert z. B. beschloss der Herrscher Muawia, besondere, „moslemische“
Münzen aus Silber und Gold zu prägen, aber die Menschen akzeptierten
sie nicht. „Auf den Münzen ist kein Kreuz“, sagten sie.
Das Kreuz aber
war damals im Kalifat überall. Dieses Symbol des Himmels zeichnete die
Fahnen der Moslems aus. Bis 1024 erlaubte es der Islam, den Tag des Heiligen Kreuzes zu feiern. Das Fest
wurde vom Kalifen selbst eröffnet. Das war ein großes Volksfest.
Zwischen Moslems
und Christen war im Mittelalter ein unbarmherziger Kampf um das Zeichen des
Himmels im Gange. Die Moslems drangen in die Kirchen ein, brachen die Kreuze
aus den Wänden heraus und beschmierten ihre Spur. Die Christen gingen
nicht behutsamer vor. Alle wollten dem Gott des Himmels am nächsten sein.
Im 8. Jahrhundert
gaben die Europäer allmählich nach. Sie beschlossen sogar, auf das
Tengri-Zeichen zu verzichten, und erfanden ein griechisches und ein
lateinisches Kreuz. Das geschah unter dem Druck der Umstände. Nur die
Armenier haben es sich unter einer leichten Änderung bewahrt.
Ost und West
lagen im erbitterten Streit um den Besitz des Kreuzes. Ihr Kampf war deshalb so
hart, weil auf beiden Seiten die Kiptschak standen, wenn das auch nicht mehr
ihr Heiligtum war. Und sie strebten danach, es wieder zu besitzen. Daher
rührten die „Kreuzzüge“.
Später
allerdings erinnerte man sich an diese Züge und ihre Geschichte
erstaunlich wenig. Die Meinung galt, dass das Wissen darum in Vergessenheit
geraten sei.
Neu war auch die
Architektur des Islams. Sie ist eine im Stein „schlafende“ Zeit, die
Jahrhunderte haben keine Macht über sie.
Spuren der ersten
Moscheen haben sich nicht erhalten, denn es gab keine Moscheen. Vielmehr beteten
die Moslems zu Lebzeiten des Propheten auf einem kleinen Platz mit Lehmboden,
der von einem Schilfrohrzaun umgeben war. Dann kamen Gebäude von
ägyptischer Bauweise auf, allerdings waren sie viel zu einfach und wenig
ausdrucksvoll – „etwas wie ein Getreidespeicher oder ein Zelt“, sagten
Zeitgenossen.
Also wandten sich
die Moslems der turkischen Tradition zu.
Im Jahre 691
bauten die Kiptschak in Jerusalem ihre erste Moschee, Qubbet es-Sakhra, die
heute als Felsendom bekannt ist. Sie ist herrlich. Ihre riesige Kuppel, einer
gigantischen Jurta nicht unähnlich, und ihr achteckiges Ziegelfundament
begeisterten die Menschen.
Als eine
ebensolche Moschee in Medina aufgeführt wurde, riefen die Städter wie
aus einem Munde aus: „Das ist ja Kilissa!“ Sie meinten einen turkischen Tempel.
Das waren die
Anfänge der moslemischen Architektur.
Eigentlich hatte sie viel früher, noch im Altai, begonnen, um dann
zusammen mit den Kiptschak durch die Große Steppe und durch Europa zu
ziehen.
In der Siedlung
Lekit in Aserbaidschan besteht ein einzigartiger turkischer Tempel des 5.
Jahrhunderts. Das ist ein wahres architektonisches Mekka. Beinahe 100 Jahre
nach seiner Fertigstellung, im Jahre 527, wiederholten die Kiptschak ihn genau
in der Sergius-Bacchos-Kirche zu Konstantinopel. Nach demselben Muster wurde
547 die San-Vitale-Basilika in Ravenna, der Hauptstadt der italienischen
Kiptschak, gebaut.
Die Moschee
Qubbet es-Sakhra unterschied sich von diesen Tempeln höchstens durch ihre
Größe und ihren besonderen Geist. Ihre Zeltkuppel, die an eine Jurta
anklang, und das Postament, das an ein Zeltlager im Gebirge erinnerte, waren
für einen Kiptschak Zeichen des Altai, des Zuhause. Darin konzentrierte
sich die ganze Wärme der Heimat und die Höhe des Himmels.
In der
Frühzeit des Islams erfuhr man im Nahen Osten auch von Masaras (Mausoleen), in denen namhafte Menschen
begraben wurden. Es hieß, dass ein hier gelesenes Gebet Allah schneller
erreiche. Ganze Mengen versammelten sich vor den neuen Heiligtümern.
Ein Mausoleum war
im Grunde ein Steppenkurgan, nur eben aus Stein.
Damals setzte
sich im Orient eine weitere altturkische Sitte durch. Man stellte auf den
Gräbern adliger Moslems Denkmäler (Türben) auf – wie die
„Steinweiber“ aus dem Altai, nur in vereinfachter Form.
Die Toten wurden
nach turkischer Sitte beweint, wie das der Ritus vorschrieb.
Die
mittelalterliche Welt veränderte sich, unmerklich, doch so, dass die
Veränderungen schließlich sichtbar wurden. Die turkische Kultur
wuchs in sie hinein, sie durchsetzte den Boden wie die Wurzeln von jungem Gras
im Frühling. Manchmal tauchte sie unerwartet, plötzlich auf, dort, wo
niemand darauf gefasst war.
Beispielsweise zu
der Zeit, da die Araber von Ziffern
erfuhren und sie übernahmen. In diesem Fall handelt es sich um die
Ziffern, die heute arabisch genannt werden. Dabei waren sie turkisch, von Kalif
Walid eingeführt.
Er wusste seine
Untertanen davon zu überzeugen, dass die Fähigkeit, Briefe und
Botschaften zu schreiben sowie Einkünfte und Ausgaben zu zählen, eine
dem Lande dienliche Kunst war. Diese neue Kunst verhalf den Moslems zu
großen Entdeckungen in Mathematik und Physik.
Die arabischen
Ziffern sind eigentlich Runen, sie waren auch vor98 unserer Zeitrechnung bekannt. Damals kamen
Chinesen in den Altai und waren über die Einfachheit der turkischen
Ziffern verwundert. Diese Verwunderung fand ihren Niederschlag in einem Buch
über die Verwaltung des Landes, das sich erhalten hat.
Es unterliegt
keinem Zweifel: Das Arabische Kalifat wurde von den Kiptschak, von ihrer Kultur
ins Leben gerufen. Die Kiptschak entschieden denn auch über sein
Schicksal.
Sultan Mahmud
Bis zum Jahr 750
war Damaskus die Hauptstadt des Kalifats, regiert durch die Dynastie der
Omaijaden. Dann wurden diese gestürzt. Nicht mehr die turkischen
Kiptschak, sondern die turkischen Oghusen kamen an die Macht und brachten die
Dynastie der Abbasiden auf den Thron.
Die neuen
Herrscher hießen „Iraner“, aber das Wort war nicht ganz genau. Sie
konnten keine Iraner sein.
Der Iran
übte keinen Einfluss auf das Kalifat aus: Seine originären Einwohner
waren nicht Moslems, sondern nach wie vor Feueranbeter. Auf dem Territorium von
Altpersien lebten damals verschiedene Völker, die verschiedene Arten von
Glauben hatten. Aber die Herrschaft gehörte den Moslems, genauer, der
turkischen Oghusen-Dynastie. Ihre Vertreter bestiegen denn auch den Thron des
Kalifats.
Die neuen
Herrscher bekannten sich zu allem Neuen. Im Jahre 762 verlegten sie die
Hauptstadt nach Bagdad, und das war bei weitem nicht die einzige ihrer
Neueinführungen. Die Stadt wurde in einer flachen Ebene angelegt und neu
gebaut. Das ist nicht weniger symbolisch als ihr Name, das sich von „Bogdo“,
einem beim Turkvolk üblichen altertümlichen Namen für Tengri,
ableitet.
Die Abbasiden
wünschten alles neu anzufangen und taten das.
So war früher
jeder Moslem berechtigt, seine Muttersprache zu sprechen, seine Ahnen zu ehren
und die Feste seines Volkes zu feiern. Nun wurde das aufgegeben, und zwar
für immer. Die rechtgläubigen Anhänger des wahren Glaubens waren
verpflichtet, nur Arabisch – die Sprache des Propheten – zu sprechen.
Ein Mensch, der
sich Araber nannte, vergaß alles, was er früher das Seine nannte. Er
tat das selbstverständlich zu Ehren des Islams.
Nur ein
Angehöriger des Turkvolkes war zu so etwas fähig und imstande. Seine
Lebensregel lautete ja: „Du sollst unter Fröschen ein Frosch sein.“ Und so
befahl er, dass alle so lebten. Er tat das, ohne an den Untergang des Ostens
und seiner Völker zu denken.
Die
eingewanderten Oghusen gewannen in den Provinzen des Kalifats rasch die
Oberhand und verwandelten sie in ihnen untergeordnete „Frösche“.
Bald
verdrängte die arabische Sprache alle übrigen. Sie war eine Sprachmischung und von der Sprache des
Korans recht weit entfernt. In Ägypten klang sie anders als in Syrien oder
Saudi-Arabien. Manchmal verstanden die Menschen, die arabisch sprachen,
einander schlecht.
Damit hatte es
noch nicht sein Bewenden. Die Menschen mussten sich einen arabischen Stammbaum
erfinden. Die Herrscher verabschiedeten Gesetze, die die Völker
ihre Vergangenheit für immer vergessen und sie in Unwissenheit –
Dschahilija – versinken ließen. Im Orient spielte sich eine wahre
Tragödie der Moslems ab, sie wurden gezwungen, gleichsam „neu zur Welt zu
kommen“. Das neue Volk wurde unter Schmerzen geboren.
Alles geschah
genau wie in Europa. Es brodelte im gleichen Vulkan, in dem die Kulturen der
Völker miteinander verschmolzen. Hier wie dort stand das Turkvolk an der
Quelle der Not. Das war wohl der Wille des Himmels, der ihm die Rolle des
Erbauers zukommen ließ.
Die Herrscher des
Kalifats warfen in den Krater dieses Vulkans vor allem das Eigene, Turkische.
Sie waren sich darüber im Klaren, dass sie ein Land nicht für das
Turkvolk, sondern für alle Völker des Orients schufen. Darin sahen
sie die eigene Weisheit.
Sie
überwanden das eigene Ich, um den Sieg über Byzanz näher zu
bringen. Dazu brauchten sie einen starken Staat. Dieser bestand noch nicht,
weil es keine Einheit der Völker gab. Deshalb waren der Macht alle Mittel
recht.
Die alte,
gestürzte Dynastie hatte sich zu diesem großen Opfer nicht
entschlossen – und konnte den Thron nicht halten. Unter ihrer Herrschaft
schwanden die Kräfte der Moslems dahin wie Wasser in heißem Sand.
Sie wurden im wechselseitigen Kampf um die Führung in der moslemischen
Welt, in Aufständen, Kriegen, Sekten und Streitigkeiten verausgabt. Die
Menschen sahen, dass sie das Land nicht stärkten, sondern vielmehr
zerstörten.
Die Oghusen
suchten, gleich alle miteinander auszusöhnen, aber die neuen Herrscher
hatten die alte Weisheit des Altai vergessen, die da lautet: „Man bekommt
keinen Sohn, wenn man einen Fremden großzieht.“ Trotz ihrer gewaltigen
Opfer schufen sie ein neues Volk doch nicht. Die arabische Welt blieb für
immer eine Welt von Meinungsunterschieden und Machtkämpfen. Selbst ein Jahrtausend
später wurden die Moslems nicht einheitlich.
Das Kalifat
bestand aus lauter Widersprüchen.
Bald zerfiel es,
um sich nie mehr zusammenzuschließen. Seine Tragödie teilte die
Menschen nur noch mehr. Als die Ägypter z. B. zur arabischen Sprache
übergingen, vergaßen sie ihre Muttersprache und wurden deshalb den
Kopten fremd, denn diese blieben, obwohl Ägypter, dem Christentum treu.
Der Islam und das
Christentum spalteten das ägyptische Volk. Der fremde Sohn wurde nicht zum
eigenen. In der Geschichte des Kalifats gab es folgende Episode.
Alles kam daher,
weil die Herrscher zwar von Einheit redeten, sie in Wirklichkeit aber nicht
wünschten. Im Jahre 833 ließ ein neuer Kalif seine Weisen
zusammenkommen und fragte sie: „Wieviel Jahre werde ich herrschen?“ Die
Antworten fielen verschieden aus. Nur einer, mit schlohweißem Haupt,
sagte leise: „Solange es die Turkischen wollen.“ Alle lachten, als sie diese
bittere Wahrheit hörten: Die Garde von Bagdad setzte sich eben aus
Angehörigen des Turkvolkes zusammen. Es geschah nach dem Wort des Weisen,
und dies nicht nur damals, sondern auch in anderen Fällen.
Bemerkenswert ist
der Lebensweg des Sultans Mahmud von Ghasni, den die Inder einen „eisernen
Angehörigen des Turkvolkes“ und einen „Tataren“ nannten. Sie fanden sich
nämlich in den „Geheimnissen“ des Arabischen Kalifats zurecht und wussten
vom Turkvolk nicht bloß vom Hörensagen. Immerhin sprach der Adel
Nordindiens damals noch die Turksprache – die Muttersprache! – und brauchte
keine Dolmetscher.
Sultan Mahmud ist
eine berühmte Persönlichkeit des Orients. Kaum jemand konnte es mit
ihm aufnehmen. Im 11. Jahrhundert stärkte er die moslemischen Länder
in Nordindien. Unter seiner Herrschaft erlangte das Kalifat seine
größte Macht. Weder Berge noch Wüsten, Ströme oder die
dräuenden Kampfelefanten der Inder konnten ihn aufhalten. Er ging immer
vorwärts, gen Osten, und siegte immer.
Der Sultan war zu
Lande und zu Wasser gleich stark. Mühelos zerschlug er das Heer und dann
auch die Flotte Indiens am Indus. Die Siege des Sultans wirkten sich stark auf
die mittelalterliche Welt aus: Christen, Buddhisten, Feueranbeter und selbst
Heiden beeilten sich, zum Islam zu konvertieren. Die Menschen wussten: Recht
hat, wer siegt.
Es siegten die
Araber. Also wurde ihre Religion als die wahre aufgenommen.
Sultan Mahmud
verhalf der islamischen Welt zu einem ungewöhnlich hohen Ansehen.
Er erreichte das nicht durch Kriege, sondern dank seinen
Wissenschaftlern, Dichtern, Übersetzern, Denkern und Philosophen. Er
versammelte sie bei seinem Hof. Dann eröffnete er Bibliotheken für
das Volk, und die Zahl gebildeter Menschen nahm von Jahr zu Jahr zu und mehrte
den Ruhm des moslemischen Orients. Den Sultan umgab stets ein Gefolge, in dem
ein Sprachgewirr herrschte und das sich aus Turksprachigen, Persern, Indern, Arabern
und Chinesen zusammensetzte.
Er war eine
Persönlichkeit! Ein Edelstein in der Krone des Kalifats, der
mächtigste Angehörige des Turkvolkes in seiner Geschichte. Sein Vater
Sabuktegin „war Sklave jenes Sklaven, der unter dem Herrscher der
Rechtgläubigen selbst Sklave war“. Das sagte der Monarch über sich
selbst.
Allerdings waren
das herrliche „Sklaven“! Einer war der Besitzer der Provinzen von Transoxanien
und Chorassan, ein anderer Staatsminister und Feldherr, noch einer Herrscher
über die Stadt und Provinz Ghasni. Daher rührt der Name der
Ghasnawiden-Dynastie. Auf dem Thron des Kalifats saß ein Aristokrat
reinsten Wassers. Er war kühn, stark und intelligent – das Ideal eines
Herrschers.
Einmal, in
Indien, erhob er seinen Herrscherstab gegen einen Götzen. Höchst
erschrocken, versprachen ihm die Inder einen Berg von Schätzen, er
möge nur ihren Götzen nicht berühren. Der Sultan antwortete
ruhig: „Eure Argumente sind überzeugend. Aber Mahmud handelt nicht mit
Idolen.“ Und er fügte hinzu: „Was würden die Nachkommen über
mich sagen?“ Und führte mit verdoppelter Kraft einen furchtbaren Schlag.
Unter Sultan
Mahmud strahlte die Sonne anders vom Himmel.
Damals
übersetzte der große Ibn Sina (Avicenna) die Bücher von
Aristoteles, wodurch er ihnen ein langes Leben sicherte. Eigens dazu hatte er
Griechisch gelernt. Er behandelte viele Kranke, seine medizinischen Bücher
waren im ganzen mittelalterlichen Europa bekannt, nach ihnen lehrten
Generationen von Ärzten. Außerdem war er als großer
Kunstkenner bekannt.
In jener Zeit offenbarte
auch das vergessene Genie des Orients al-Biruni seine Talente. Er wusste
bereits, dass die Erde rund ist und sich auf einer Kreisbahn um die Sonne
bewegt. Er hat das 500 Jahre vor Kopernikus mathematisch bewiesen und damit
eine Umwälzung in der Astronomie vollbracht.
Ihm an die Seite
war Ibn al-Haissam zu stellen, den sein Buch „Schatz der Optik“ berühmt
machte. Er schenkte der Welt die Idee von Teleskop und Brille. Seine Arbeiten
wurden im 12. Jahrhundert ins Lateinische übersetzt, wodurch sie zu einem
Gut von ganz Europa wurden.
Unter Mahmud
erinnerte man sich wieder an al-Farabi, der damals in Europa verbotene Arbeiten
alter Philosophen des Westens übersetzte. Das war ein Mensch von
umfassendem Wissen und seltener Intelligenz. Man nannte ihn den Zweiten Lehrer
(der Erste war Aristoteles).
Zur Zeit von
Mahmuds Herrschaft kehrten Talente ins Land zurück. Man erfand damals
jenes Schreibpapier, auf dem bis heute geschrieben wird. Denn in jener Zeit
blühten Chemie, Physik und Literatur auf. Die Luft wurde heller und reiner
über der Welt. Genaues Wort und intelligenter Gedanke erlangten ihren
wahren Preis wieder.
Das Epos
„Schahname“ und andere poetische Perlen bekamen ein neues Leben. Die
Blütezeit von Wissenschaft, Literatur und Schöpfertum – das goldene
Zeitalter der moslemischen Kultur – brach an. Die Menschen lernten,
Schönes zu genießen.
Das war eine
turkische Renaissance!
Sie dauerte mehr
als nur ein Jahrzehnt und bescherte der Welt viele Dichter. Beispielsweise
Nisami Gandshewi. Damals strahlten am Firmament des Orients Sterne erster
Größe. Gleich einem Jüngling, empfand auch der Sultan einen
schöpferischen Trieb und diktierte eine neue Geschichte des Kalifats.
Darin erklärte Mahmud alle Angehörigen des Turkvolkes zu Moslems und
Arabern, um „den Markt der Redekunst zu unterstützen“, wie er
eigenhändig auf seiner Arbeit schrieb.
Somit wurde die
turkische Kultur zur arabischen, so dass niemand mehr zwischen ihnen
unterschied. Aber das Gedächtnis des Volkes bewahrte das, was nahe daran
war, in der Tiefe der Zeiten zu verschwinden.
Die Moslems
teilten Wissenschaften und Kenntnisse immer in ihre eigenen und fremde auf. Die
eigenen waren arabisch-moslemisch, die fremden waren „fremdländische
Wissenschaften“ bzw. „Wissenschaften der Alten“. Das heißt, der Angehörigen
des Turkvolkes, sagten sie. Philosophie, Mathematik, Geografie, Astronomie,
Mineralogie, Chemie und Physik hatten ihren Ursprung im Altai.
Tengri sei Dank,
der die Wahrheit über jene entfernten Tage erhalten hat.
Das turkische Kalifat
Im Kalifat waren
die Oghusen „zum Triumph prädestiniert“. Ihr Nährboden war der Alte
Altai, die geistige Quelle des Turkvolkes. Dazu Mittelasien, ein Land von
Schöpfern, Dichtern und Wissenschaftlern, an welches das Erbe des
Kuschanreiches übergegangen war.
Als im 7.
Jahrhundert die moslemische Reiterei in Mittelasien einfiel, verstanden die
Oghusen, sobald sie vom Islam hörten: Ihre Stunde war gekommen. Das Signal
war nicht laut, aber unüberhörbar. Nicht von ungefähr bedeutete
„oghus“ in der Turksprache so viel wie „weise“. Darin liegt ein tiefer Sinn.
Ja, in einem
offenen Kampf konnten sie sich nicht verteidigen. Das stimmte. Viele mussten
ihr Leben lassen oder gerieten in Sklaverei. Auch das ist nicht zu bestreiten.
Aber wie ein Säugling die Muttermilch benötigt, benötigte der
Islam Redekunst, Weisheit und Wissen. Immerhin war der moslemische Glaube in
jenen Jahren nur eine Sekte des Christentums. Wie eine unabhängige
Religion zu schaffen war, wusste man im Kalifat noch nicht.
Die Herrscher
betonten zuerst äußere Unterschiede, befahlen den Christen z. B.,
Kleidung mit gelben Zeichen zu tragen. Oder über die Straßen des
Kalifats nur auf Maultieren zu reiten. Wenn schon auf einem Pferd, dann
seitlich, wie Frauen ritten. Ihnen fiel nichts Besseres ein, sie hatten weder
frische Ideen noch neue Kenntnisse.
All das
besaßen dafür die Oghusen.
Die Oghusen
wussten kaum etwas vom Christentum, einer westlichen Religion. Da sie keine
Vergleichsmöglichkeiten hatten, half ihnen ihr Unwissen, ihren eigenen
einzigartigen Glauben ins Leben zu rufen. Bei ihrem Schaffen stützten sie
sich nur auf ihre eigenen Kenntnisse und Traditionen und ließen sich nur
vom Altai, von seinem Ewigen Blauen Himmel inspirieren.
Erst die Oghusen
machten den Islam zum Islam, zu einer unabhängigen Religion. Die Moslems
erhielten einen Ritus, ihr Glauben bekam ein Antlitz, das dem des Christentums
nicht glich. Das Kalifat seinerseits erhielt einen neuen Herrscher, einen
Sultan, und auch er glich anderen Herrschern wenig.
Der Sultan und
der Kalif besaßen die ganze Macht im Lande, sowohl die weltliche als auch
die geistliche. Das war für den Orient absolut neu, aber für die
turkische Welt üblich. Alles glich nun der Ordnung im turkischen Staat im
Alten Altai.
„Sultan“ bedeutet
„Macht“, er war der weltliche Herrscher der moslemischen Welt. Diesen Titel
führte Mahmud von Ghasni ein.
Im 12.
Jahrhundert wollte man den Titel in „Schah-in-schah“ umändern, aber der
Mensch, der „dieses Wort“ sprach, wurde getötet. „Dieses Wort“ bedeutete
„König der Könige“ und bezog sich auf den Allerhöchsten allein.
Die Moslems wollten ihren Herrscher nicht so nennen, weil sie keinen Papst,
keinen „Statthalter Gottes auf Erden“, über sich haben wollten. Sie waren
gegen das Heidentum.
So entwickelte
sich der Islam: mit seiner eigenen Kultur und seinem eigenen Ehrenkodex. Sultan
Mahmud bewies die Überlegenheit der einen wie des anderen durch Taten.
Einmal beschwerte
sich bei ihm ein armer Mann, dem ein adliger Krieger das Haus und die Frau
weggenommen hatte. „Ich will selbst über ihn richten!“ sagte der Sultan.
Im Dunkel der Nacht drang er ins Haus ein und vollstreckte sein Urteil. Danach
zündete er eine Fackel an. Etwa eine Minute lang stand er stumm da, kniete
nieder und begann zu beten. Dann hieß er den armen Mann sich den Tisch
decken. Mit der Gier eines Bettlers machte sich der Sultan über hartes
Brot her. Er schwieg lange, aß viel, bis der Hausherr nicht mehr aushielt
und fragte: „Was hast du?“ Da antwortete Sultan Mahmud, der allmächtige
Herrscher des Orients: „Ich habe drei Tage lang nichts gegessen und nichts
getrunken, weil ich dachte, dass der Verbrecher mein Sohn sei. Deshalb habe ich
beschlossen, das Urteil selbst zu vollziehen. Damit das Gericht aber
unerbittlich sei, habe ich die Fackel nicht angezündet. Nun sehe ich, Allah
sei’s gedankt, dass es nicht mein Sohn war.“
Auf diese Weise
regierten damals Angehörige des Turkvolkes, Ehre schätzten sie
über alles.
Gewiss starben
einige turkische Traditionen im Kalifat ab, während sich andere im
Gegenteil einbürgerten. Je reicher das alte Leben, desto besser ist das
neue.
Jede Generation
festigte die Pfeiler des Glaubens. Buchara, Gandsh, Nachitschewan, Turkestan,
Samarkand waren Quellen des Flusses der Kenntnisse. Das Wort „Tengri“ wurde von
den Menschen hier noch lange im Munde geführt.
Für die
ersten Moslems gehörten die Worte „Tengri“, „Chodai“ und „Alla“ zusammen.
Sie bedeuteten dasselbe, nur mit unterschiedlichen Nuancen. Im Alten Altai
bedeutete das Wort „alla“ z. B. so viel wie „Schutzgeist“, und „Alla-Tschaian“
war gleich „Weltschöpfer“, „Gott“, ebenso wie das Wort „Chodai“ (Gott,
Herr). Das wird dort bis heute genauso ausgesprochen.
Dann blieb im
Islam nur noch „Allah“.
Der Name Tengri
klang immer seltener – nicht weil man ihn hätte vergessen wollen. Vielmehr
lag es an den Christen. Auch sie sagten „Tengri“, „Dangri“ oder „Dangyr“, wenn
sie Gott anriefen. Der Orient wollte auch hier anders sein.
Das musste sein.
Und nur noch die turkischen Moslems sagten trotz aller Verbote „Tengri“ und
„Chodai“. Sie hüteten diese Namen wie einen von den Ahnen und Urahnen
geerbten Brillanten.
Die Oghusen
erwiesen sich als echte Heiler – und gewandte Fänger – der Menschenseelen.
Sie trieben eine feingesponnene Politik und veränderten das Leben
geschickt. So benannten sie den Altai anders. Für die Moslems wurde daraus
der heilige Berg Kaf: ein Berg, auf
einem Smaragd stehend, dessen Abglanz den Himmel azurblau färbt.
So zog die
grüne Farbe – die Farbe des Smaragdes! – in den Islam ein.
Kaf lebe nach dem
Willen des Himmels, lehrten sie, von hier gehe alles aus: Erdbeben, Orkane und
andere Heimsuchungen des Schicksals. Das sei der heilige Ort unseres Planeten.
Ebenso wie die
Christen, beteten die Moslems damals mit dem Gesicht zum Osten, denn dort lag
der Altai, richtiger: der Berg Kaf. Erst viel später veränderten die
Araber diese Tradition und hießen die Gläubigen mit dem Gesicht zu
Mekka hin beten.
Gleich Chirurgen,
schnitten die Oghusen in das lebendige Fleisch der turkischen Kultur und
behaupteten die islamischen Riten. Das war ein unerträglicher Schmerz,
aber das Begonnene wurde fortgeführt. Sie antworteten auf jeden Schlag der
Christen, auf jeden ihrer Ausfälle.
Es entfaltete
sich ein Kampf um den Glauben, um den Gott des Himmels, die Heiligenbilder und
das Kreuz.
In Byzanz ging
man im 8. Jahrhundert daran, Heiligenbilder zu zerstören. Das wurde
absichtlich und geschickt eingefädelt, weil das Konzil Trullanum im Jahre
691 befahl, auf den Ikonen Christus abzubilden (bis dahin wurde er als Lamm
Gottes dargestellt). Man verlieh Christus das Antlitz des Gottes des Himmels,
Tengris. Das war eine offene Herausforderung und ungerecht, eine
Rücksichtslosigkeit dem Islam und anderen Religionen gegenüber.
Denn sowohl die
Moslems und Christen als auch die turkischen Tengri-Anhänger und die an
Tengri glaubenden Buddhisten stellten den Allerhöchsten auf ihren Ikonen
dar. Den Handlungen der Griechen lagen bewusster Betrug und feines Kalkül
zugrunde: Ihrer Meinung nach wurde Christus gleichsam der Eine Gott für
alle.
Kalif Abd
al-Malik reagierte darauf mit dem Verbot der moslemischen Ikonen, und seitdem
hörte man auf, Allah und alles Lebendige, was er erschaffen hatte,
darzustellen. Um das 9. Jahrhundert wurde das Verbot eine Regel der
moslemischen Malerei. Doch wurde sie niemals genau befolgt, und zwar unter Berufung
auf den Koran. Talentierte Künstler malten und zeichneten weiter.
Allerdings gehören die Ikonen nicht mehr zum Islam, das ist bis heute so
geblieben.
Im steten Kampf
gegen Byzanz suchte und fand der Islam den Weg zu sich.
Das ist eine
schwierige Angelegenheit – auf dem unsicheren Boden eines religiösen
Disputs zu sich zu finden.
So wurde der Held
des Turkvolkes Dshargan in die moslemische Kultur eingeführt, doch war das
bereits eine andere Gestalt. Die Oghusen suchten ihren Meister darin, den Trank
des Vergessens zu brauen. Sie gaben Dshargan einen anderen Namen, und seine
alte Geschichte wurde von Menschen, die vom „Trank des Vergessens“ kosteten,
einfach vergessen.
In den
moslemischen Sagen hieß der Held Dshor, Dshirdshis, Chysyr, Chysyr-Iljas,
Chysyr-Galja issalam, Keder, Kederles. Immer mehr entfernte sich die Gestalt
von der Wahrheit. Er blieb ein Jüngling, hatte jedoch einen langen
weißen Bart, wurde unsterblich und lebte nicht in Derbent, sondern an
einer Meeresküste. In der Dichtung ist die Wahrheit stets ein wenig
unwahrscheinlich, und das macht die Dichtung so wertvoll.
In seiner
„unwahrscheinlichen“ Gestalt ging Dshargan in die moslemische Welt ein.
Bis heute
erscheint er den Menschen in der Ayasofya-Moschee in Istanbul (Konstantinopel).
Der Krieger führt dort in so mancher Nacht einen den Menschen unsichtbaren
Kampf gegen die dunklen Kräfte. Am Morgen treten an der Wand der Moschee
Blutflecken – Spuren jenes Kampfes – hervor. Man wischt das Blut weg, aber die
Flecken erscheinen wieder.
Wunder geschehen
auch in Derbent an Dshargans Grab. Die hiesigen Einwohner sehen ihn manchmal –
lebendig, obwohl Jahrhunderte vergangen sind. Er sei unsterblich, sagen sie. Er
gehe in der Nacht umher, spreche mit Menschen, trete an die Quelle heran, die
hier nach seiner irdischen Hinrichtung hervorgesprudelt sei. Er strafe die
Sünder und helfe den Leidenden. Sein Grab ist ein Pilgerort.
Nach einem
Schluck vom „Trank des Vergessens“ erinnern sich die Menschen nicht mehr daran,
dass die Christen Dshargan den Hl. Georg nannten, aber bei den Christen hat er
seine eigene Legende.
Wozu sollten sich
die einfachen Menschen auch daran erinnern? Es kommt darauf an, dass der Islam
einen weiteren Helden bekam.
Die Modifizierung
von Heldengestalten ist in der Geschichte keine Seltenheit. Bei den Moslems
wurde Christus zu Issa, Moses zu Mussa, und auch ihre Lebenswege werden etwas
anders dargestellt als im Christentum. Das macht nichts. Sie gemahnen an den
frühen Islam. Die Moslems ehren und schätzen sie als Propheten.
Leider schlich sich
Politik auch in diesen Bereich der Geschichte wiederholt ein. Sie entstellte,
brachte durcheinander, erfand allerlei Schreckgespenster. Einst wird das
Geheimnis des Klosters al-Kussair entschleiert werden. Hier, im Nahen Osten,
lebt der Name des turkischen Propheten Gesser fort, wird jedoch eifrig
übersehen. Dabei war dort ein moslemisches Kloster, wo Hassan von Basra,
Begründer des islamischen Mönchstums, seinen Weg begann. Er starb im
Jahre 728.
Viele Rätsel
und Geheimnisse hat das Mittelalter hinterlassen.
Damals
kämpften Ost und West um die Macht über die Welt. Das war ein
erbitterter Kampf, denn hie und dort lebten Angehörige des Turkvolkes. Sie
selbst veränderten Namen, Bezeichnungen und Daten, sie taten das bewusst.
Dahinter steckte Politik: Es wurde die turkische Hinterlassenschaft aufgeteilt.
Im Grunde ging es um die Teilung der turkischen Kultur.
Sowohl der Westen
als auch der Osten wollte sie sich aneignen.
Am Vorabend großer Veränderungen
Um zu siegen,
brauchte der Orient Freiheit. Freiheit in allem: in Glauben, Handel, Politik.
Nur der Islam konnte sie sichern, denn: „Wes Gott, des Macht.“
Der Westen sah
das Unterpfand seiner Siege ebenfalls in der Stärke des Geistes, d. h. im
Glauben. Den europäischen Ländern ging es um das Wohl der Kirche. An
der Macht waren dort ebenfalls Angehörige des Turkvolkes, wenn sie auch
nicht auf dem Thron waren, sondern in seiner Nähe: im Gefolge der
Herrscher, als ihre Berater. Entscheidend in der Politik waren nicht sie, sie
nahmen nur daran teil. Die Kiptschak waren Europäer geworden! Das
erklärte alles. Nunmehr verteidigten sie die Interessen der eigenen
Länder und nicht der turkischen Welt. Sie vertraten fremde Interessen, die
sie als ihre eigenen empfanden.
Der moslemische
Orient hatte es viel schwerer. Er hatte lange unter dem Joch des Imperiums
gelebt, nun schuf er sich selbst, und das im Schoße von Byzanz, aus dem
Zustand der Sklaverei von gestern heraus. Die Byzantiner, die damaligen Herren
der Welt, hatten eine große Angst vor dem Islam: Lügner haben immer
Angst vor der Wahrheit.
Als Byzanz im 4.
– 5. Jahrhundert turkische Söldner kaufte, näherte es sich der
turkischen Welt nicht an. Im Gegenteil, es hasste sie noch mehr. Der Wohlstand
des Landes hing von der „Seidenstraße“ ab, die über die Länder
der Kiptschak führte. Es waren die Kiptschak, die die Reichtümer des
Orients nach Konstantinopel beförderten, dennoch galten sie dort als
gefährliche Feinde. Das war unerklärlich.
Aber im Grunde
auch nicht erstaunlich. Byzanz gehörte ja nie einem einzigen Volk: Die
Griechen, das Turkvolk, die Armenier, die Kurden kämpften dort heimlich
und offen um die Macht. Der Sieger bestimmte die Politik. Intrigen,
Verschwörungen und Morde gehörten dort zum Alltag, machten einen Teil
des Lebens aus.
Das Land musste
untergehen: an den eigenen Komplotten und ständigen Lügen. Sein
Schicksal war besiegelt und eine Sache der nahen Zukunft.
Die Griechen, die
sich lange an der Macht in Byzanz gehalten hatten, verloren sie schon um das 8.
Jahrhundert endgültig. Der griechische Kaiser regierte, „solange es ihm
die Kiptschak erlaubten“. Der weitere Verlauf glich dem in Rom oder im Kalifat:
Im Jahre 717 brachten die Kiptschak ihre Isaurische Dynastie an die Macht.
Die Macht der
Griechen war zu Ende. Nicht so die Politik von Byzanz.
Der Kaiser Leo
III. von Isaurien stammte aus der Stadt Hermanikia in Syrien. In seinen Adern
floss das edle turkische Blut, er beherrschte die Waffen ausgezeichnet und war
ein leidenschaftlicher Reiter. Bekanntlich lebten die Kiptschak seit dem 4.
Jahrhundert im Nahen Osten und gehörten schon seit langem zur
eingesessenen Bevölkerung.
Der Herrscher aus
der Isaurischen Dynastie regierte, als er den byzantinischen Thron bestieg,
sehr klug und verstand sich darauf, jede Angelegenheit zu Nutzen seines Landes
zu schlichten. Leo III., ein glänzender Feldherr und Politiker, zeichnete
sich durch Intelligenz, feinen Spürsinn, Furchtlosigkeit und eine
erstaunliche Beharrlichkeit aus.
Einmal passierte
der künftige Kaiser mit einem kleinen Aufklärungstrupp die Berge des
Kaukasus auf geflochteten Skiern, wie sie im Altai üblich gewesen waren.
Er setzte sein Leben aufs Spiel, um etwas zu vollbringen, was unmöglich
schien: Er ging über den gefährlichen Schnee und siegte.
Furchtlosigkeit und Temperament, diese Züge des turkischen Charakters,
zeugten untrüglich von der Herkunft des neuen Kaisers.
Unter seiner
Regierung atmete Byzanz gleichsam auf und belebte sich. Binnen kurzer Zeit
wurde es aggressiv und erklärte die Moslems für seine Hauptfeinde.
Man kann es dem Herrscher nachfühlen. In seiner Jugend wurde er als Christ
von den Arabern schikaniert worden, und noch auf dem Thron konnte er die
Erniedrigungen aus der Zeit nicht vergessen, da man die Christen des Kalifats
zwang, wie Frauen seitlich zu reiten.
Kaum hatte der
Kaiser den Thron bestiegen, als ein Krieg mit den Moslems begann. Sie
rückten dicht an Konstantinopel heran und belagerten es. Eine Flotte von
1800 Schiffen bedrohte die Stadt und besetzte die ganze Bucht Goldenes Horn, so
dass man vor lauter Schiffen und Booten kein freies Wasser sah. Das war der
Untergang selbst.
Die Kräfte
waren offensichtlich ungleich, die Niederlage schien unvermeidlich. So dachten
alle. Aber nicht Leo von Isaurien. Er hatte keine Angst. Ruhig sicherte er die
Verteidigung, führte Gefechtsaufklärung durch, vor allem aber
verwendete er rechtzeitig das „griechische Feuer“, seine Geheimwaffe. Einfacher
gesagt, brannte er die Schiffe des Feindes im Meer genau so ab, wie die
Steppenbewohner trockenes Gras vor dem Feind abgebrannt hatten.
Die Welt hatte eine
so furchtbare Schlacht noch nie erlebt. Das Meer brannte! Die Moslems sahen
darin ein Wunder, ja eine Strafe Gottes und räumten in ihrer Angst das
Feld.
Wenn das ein
Wunder war, dann eines von den kaukasischen Kiptschak gewirktes. Wiederum die
Kiptschak! Sie waren mit Leo von Isaurien befreundet, und als ausgezeichnete
Chemiker verstanden sie sich darauf, aus Erdöl eine Waffe herzustellen,
von der damals niemand wusste. Da waren sie, die unschätzbaren „Kenntnisse
der Alten“! Das Turkvolk verehrte schon immer Chemiker und Alchemiker.
So half Derbent
den Byzantinern. Die Rede ist vom Erdöl von Baku, daraus wurde das
„griechische Feuer“ hergestellt. Früher hatte man es in der Steppe bei
Erdkämpfen angewandt, für die Kiptschak war das nichts Besonderes.
Die Araber zogen
sich zurück und konnten sich lange nicht von der schrecklichen Niederlage
erholen. Sie waren offensichtlich erschrocken, ihre späteren Kriege gegen
Byzanz hatten keine Bedeutung mehr, sie waren reine Verzweiflungstaten: Eine Armee, die ihre Moral verloren hat,
kann nicht mehr siegen, selbst wenn es sich um einen notorisch schwachen
Gegner handelt.
Diese
„Verzweiflungskriege“ führten letztendlich zum Sturz der Omeijadendynastie
im Kalifat. Sie waren der Hauptgrund seines Untergangs.
Nicht weniger
begabt belebte Leo von Isaurien den Handel und brachte Byzanz das „goldene
Zeitalter“ zurück. Er ernannte neue Gerichte und führte neue Gesetze
ein, die denen von Descht-i-Kiptschak sehr ähnlich waren. Von den gleichen
„Gesetzessammlungen“ ließ sich nunmehr auch Byzanz leiten.
„Wir haben die
irdische Gerechtigkeit als Vermittlerin zwischen uns und dem Gott des Himmels
in den Vordergrund gestellt, im Kampf gegen die Feinde ist sie schärfer
als jedes Schwert“: Mit solchen Worten begann in Byzanz jeder Prozess im neuen
Gericht. Damit hatte ein Prozess beim Turkvolk immer begonnen, das an die
Gerechtigkeit des Himmlischen Gerichts vorbehaltlos glaubte.
Bemerkenswert
ist, dass die Griechen den Vertretern der Isaurischen Dynastie wegen ihrer
Vorliebe für Reitpferde den Spitznamen „Cavallini“ („Pferdemenschen“)
gaben.
Die neue
byzantinische Dynastie zeigte ein besonderes Interesse für die Kaganate
von Descht-i-Kiptschak: Chasarien und Groß-Bulgarien (Bulgarien). Das war
früher nicht üblich. Die Byzantiner führten dort eine kluge
Politik durch, die sie ohne Druck verwirklichten.
Mit den
byzantinischen Kiptschak wollten sich jetzt die Khane der Kiptschak befreunden
und sogar verwandschaftliche Bande knüpfen. Es bildete sich ein
erstaunliches Bündnis zwischen Byzanz und Descht-i-Kiptschak heraus. Leo
von Isaurien ließ seinen Sohn Konstantin V. die Tochter des chasarischen
Khans Tschitschak („Blume“) heiraten. Nachdem sie die griechische Taufe
empfangen hatte, nahm sie den Namen Irina an und ging unter ihm in die Geschichte
von Byzanz ein.
In der
Regierungszeit der Isaurischen Dynastie veränderte sich alles stark, alles
wurde neu eingerichtet. Das Land war wie neu geboren.
Die Kaganate
Chasarien und Groß-Bulgarien waren neuerdings nicht nur befreundet mit
Byzanz, sondern auch seine Stütze im Kampf gegen die Katholiken und
Moslems. Später, 864, gingen die Bulgaren überhaupt zum griechischen
Christentum über. Der Schritt war offensichtlich politisch bestimmt, und
diese Politik sollte sich in Jahrhunderten auswirken.
Leo von Isaurien
führte tatsächlich viel „Kiptschakisches“ in die byzantinische
Gesellschaft ein. Zugleich kämpfte er sein Leben lang gegen die turkische
Welt. Auf seinen Befehl wurden die Ikonen mit Tengris Antlitz zerstört,
weil sie angeblich von „barbarischer“ Herkunft waren.
Aus demselben
Grund führte er einen Schlag gegen die Klöster von Byzanz. Zugleich
damit übernahm dieser Todfeind alles Turkischen und Moslemischen das Beste
davon, was es im Islam gab. Deswegen warfen ihm Zeitgenossen sogar „Sympathien
mit den Moslems“ vor.
Aber vielleicht
war das politisch bedingt? Byzanz trieb schon immer ein Doppelspiel. Unter den
Herrschern, die von den Kiptschak stammten, lebte das Land gleichsam auf und
begann, zu einem Krieg zu rüsten: einem Krieg um das Recht, in einer neuen
Welt zu leben.
Es kam aber
anders, als die Byzantiner planten. Im 9. Jahrhundert wurde ihren Plänen
ein niederschmetternder Schlag versetzt. Er war zwar überraschend, aber
unvermeidlich, denn gründlich vorbereitet. Damals lehnte der römische
Papst Nikolaus I. die Macht des byzantinischen Patriarchen ab und gab der Welt
seine Unabhängigkeit bekannt.
Das war ein
Stoß direkt ins Herz, eine unverhohlene Aufforderung zur Neuaufteilung
Europas und der Macht in der Kirche. Es war klar: Die besten Zeiten der
griechischen Kirche, die Kaiser Konstantin im 4. Jahrhundert mit Gewalt und
Betrug herbeigeführt hatte, waren vorbei. Gefährliche
Veränderungen drohten ihr aus Ost und West.
Die ganze Welt
war bereit, sich gegen Byzanz, ein Land, das sich im frühen Mittelalter
märchenhaft bereichert hatte, zu erheben.
Die Griechen
profitierten nämlich jahrhundertelang am Christentum. Sie richteten,
straften und begnadigten eigenmächtig, diktierten anderen Völkern die
eigenen Lebensregeln. Sie schalteten und walteten in fremden Häusern und
fremden Taschen. Reichtümer aus der ganzen Welt flossen in Konstantinopel
zusammen.
Eben das erregte
bei Vielen Unmut.
Die erste
Schlacht um die Neuaufteilung der Welt hatten die Byzantiner doch gewonnen, sie
waren von einem Kiptschak namens Leo von Isaurien zusammengeschlossen, und er
schlug den Angriff aus dem Osten zurück. Doch die nächste Schlacht
sollte nicht mehr auf dem Schlachtfeld stattfinden, vielmehr in der Kirche, und
in den geistlichen Disputen waren die Byzantiner schon immer schwach.
In jenen
Machtkämpfen um Europa hatte Descht-i-Kiptschak starke Positionen: Hinter
ihm stand die halbe Welt, in seinen Händen hatte es die Haupthebel der
Politik: Gold und Schwert. Dem Turkvolk mangelte es jedoch am Wichtigsten:
Seine Angehörigen verstanden einander nicht mehr, wenn sie auch dieselbe
Sprache sprachen. Die einen von ihnen blieben Tengri treu, die anderen schworen
auf den Koran oder auf die Bibel.
Das Volk hatte
die Fahne verloren und damit auch
die Kampfmoral. Es hatte die Lehren des Alten Altai vergessen: Nicht Schwert
und Geld regieren die Welt, das tut vielmehr, wer die Herzen der Menschen
für sich zu gewinnen vermag.
Die Italiener
dagegen, ebenfalls Feinde von Byzanz, zeichneten sich durch eine einheitliche
Moral aus. Sie wurden von turkischen Katholiken zusammengeschlossen, die im
Jahre 756 auf dem Boden von Ravenna einen Staat – eine päpstliche Gemeinde
– gründeten. Sein Erbe wurde der Vatikan. Die päpstlichen
Mönchsorden stellten dort die entscheidende Kraft dar. Für sie gab es
keine Grenzen, ganze Länder wurden von ihnen gelenkt.
Heute ist der
Vatikan der Inbegriff der päpstlichen Macht. Das ist das kleinste Land der
Welt, ein Zwergstaat, aber von gewaltiger Stärke, wie das bei Zwergen zu
sein pflegt, die sich Riesen untergeordnet haben.
Die
päpstlichen Diener waren stets Riesen, Nachkommen des großen Attila.
Im Vatikan war Lateinisches längst mit Turkischem zusammengewachsen.
Niemand wusste mehr, wo das eine in das andere überging. Freilich wurden
die Lehren des Alten Altai dort immer heilig gehalten und befolgt: Nahm man
einen Glauben an, so zweifelte man an ihm nicht mehr. Dem Papst fügte man
sich vorbehaltlos.
Alle wussten: Die
Grundlage seiner Macht ist Gott. Richtiger: das Wort, das die Menschenseelen
beherrschte. Auf das Wort wurde gehört.
Der Papst Gregor
VII., der 1075 eine neue kirchliche Politik einleitete, stammte von Toscana, wo
italienische Kiptschak lebten. Ein Gesicht mit breiten Backenknochen, Augen wie
die eines Habichts hätten ihm, wenn er in der Steppe gelebt hätte,
sicherlich den Beinamen Togryl (Habicht) eingebracht. Er hasste alles
Turkische, wie Überläufer stets das eigene Verlassene hassen, d. h.
viel zu stark.
Dieser Papst
erließ einen Dictatus Papae, worin er sein „Recht, Kaiser zu ernennen und
zu krönen“, festschrieb. Das bedeutete, dass die katholische Kirche unter
ihm die Macht über alle Monarchen Europas verkündete und den Anspruch
auf die Rolle eines „Schah-in-schahs“ erhob. Das rief den Zorn des in
Süddeutschland herrschenden Kaisers Heinrich IV. hervor.
Ein Krieg brach
aus. Die germanischen Kiptschak nahmen Rom im Sturm. Sie konnten den Papst
jedoch nicht töten. Es mischten sich Moslems ein, die sich mit ihren
Schwertern den Weg zu der Burg freilegten, in der sich der Papst aufhielt, und
ihn retteten.
Die Moslems waren
treue Verbündete des Vatikans!
Papst Gregor
wusste sehr wohl von Tengri, kannte die islamischen Riten und erklärte
offen, dass er zum selben Gott wie die Moslems bete und dass sein und der
Kiptschak Glaube gleich, weil von derselben Quelle ausgehend, sei. Ein sehr
kühner Gedanke, selbst für einen römischen Papst.
Kühn scheint
er jedoch erst heute, da vieles vergessen ist. Zu jener Zeit waren solche Worte
keine Seltenheit. Die Katholiken und die Moslems standen als Soldaten ein und
derselben Armee jahrhundertelang nebeneinander und kämpften
jahrhundertelang gemeinsam gegen Byzanz. Der Papst Sylvester II., seiner
Abstammung nach übrigens ebenfalls ein Kiptschak, lebte vor seiner Wahl
mehrere Jahre unter den turkischen Moslems, bei denen er Mathematik, Chemie und
technische Wissenschaften studierte. Sein Wissen war in Europa von Legenden
umwoben. Die Sage vom berühmten Doktor Faustus beschrieb sein Leben.
Heute hat man die
Freundschaft zwischen turkischen Moslems und turkischen Katholiken vergessen.
Damals verwunderte sie niemanden.
Das Turkvolk ist
das größte Geheimnis der „finsteren Jahrhunderte“ des Mittelalters.
Die Historiker verdichteten diese „Finsternis“ absichtlich und deuteten die
einen Ereignisse in eine Farce und andere in ein Missverständnis um. Sie
taten, als hätten sie das Turkvolk und seinen Beitrag zur Schatzkammer der
Menschheit vergessen.
Doch niemand ist
im Stande, die Wahrheit der Zeit wegzuleugnen. Nicht einmal die Kirche.
Unstimmigkeiten
Die Päpste
waren natürlich unterschiedlich: Die einen widmeten sich dem Gottesdienst,
andere gaben sich Vergnügungen hin. Am Wesen des Menschen kann nicht
einmal die päpstliche Tiara etwas ändern.
Es gab Jahre, da
die Vatikanpaläste ein Ort von lockeren Sitten, blutigen Verbrechen und allgemeiner
Ignoranz waren. Die Geistlichkeit wetteiferte gleichsam mit den Laien in
Sünden: Trunksucht, Faulheit und sonstigen Lastern.
Mit dem Einzug
eines neuen Papstes veränderte sich alles. Wieder Gebete, Politik und
Intrigen. Die Zeit verging, und die Kirche erlebte einen neuen Niedergang.
Warum? Die Antwort fehlt. Wohl deshalb, weil niemand nach ihr suchte.
Sind nicht
Angehörige des Turkvolkes der Grund dafür? Die katholische Kirche
wurde ja gemäß ihren Traditionen aufgebaut, und sie regierten darin.
Das ist im Großen wie im Kleinen zu sehen. Immerhin sind die
„Apostolischen Regeln“ der Kirche von einem Kiptschak, Vater Dionysios
Exegetus, geschrieben! Und das hatte zweifellos seine Folgen.
So trugen alle
römischen Päpste, angefangen mit dem 4. Jahrhundert, einen Siegelring
mit der Darstellung eines Fisches am Finger. Er wurde vererbt als Symbol der
Macht über den Vatikan. Der Ring stammt aus dem Altai. Über wen und
auf welchem Wege er nach Rom kam, ist ungewiss, doch wurden in altaischen Kurganen
wiederholt Gegenstände mit der Darstellung eines genau solchen Fisches
gefunden.
Ein Zufall?
Mitnichten. Es handelt sich um ein Symbol. Nur Tengritschi, die höchsten turkischen Geistlichen, trugen
solche Ringe. Das war ihr Dienstabzeichen, das ihnen das Recht auf Macht
verlieh. Dieser Fisch ist dreitausend Jahre alt. Beim alten Turkvolk war er der
Symbol des himmlischen Ozeans, d. h. des Himmels.
Keineswegs
zufällig war auch die Sitte der „Ausraubung“, die in der Kirche ebenfalls
sehr lange aufrechterhalten wurde. Nach der Wahl des Papstes plünderten
die Wachen die päpstlichen Paläste und ließen alles mitgehen,
was sich nur wegtragen ließ. Eine solche Sitte war im Großen
Römischen Imperium unbekannt. Das ist ein durch und durch turkischer
Brauch, er hieß „khan talau“ (Ausraubung des Khans). Er wurde erst im 16.
Jahrhundert abgeschafft, was unter den Wachen Unzufriedenheit auslöste.
Eine solche
„Ausraubung“ gab es auch bei den Moslems. Sie kam ebenfalls vom Turkvolk. Auch
dort geschah nach dem Tod eines Kalifen ein „khan talau“. Besonders
fleißig waren die Wachen im Jahre 991, da wurde der Palast zu einer
Ruine.
Das ist keine
Barbarei, vielmehr ein Fest des Herrschers – zugegeben, ein etwas wildes Fest.
Auf diese Weise brachte das Volk zum Ausdruck, dass es die neue Macht
anerkannte und sie zu unterhalten sich verpflichtete. Alles „Geraubte“ wurde
zurückgegeben.
Solche Beispiele
sind in der Geschichte des Mittelalters keine Seltenheit.
Der Kampf
zwischen Turkischem und Nichtturkischem prägte lange die Welt, Italien und
besonders den Vatikan. Die Spuren sind in Chroniken zu finden. Hier eine
Parabel aus jener Zeit. Sie enthält die Philosophie des Turkvolkes, gibt
Aufschluss über seine Seele und erklärt vieles.
Ein Lehrer
hieß seine Zöglinge eine Taube töten, aber so, dass niemand das
sah. Der Lateiner erstach sie in einem Schuppen, der Grieche in einem dunklen
Keller und der Kelte im dichten Wald. Nur der Angehörige des Turkvolkes
gab dem Lehrer eine lebendige Taube und sagte dabei, die Aufgabe sei
unerfüllbar. „Wieso?“ fragte man ihn. „Weil Gott alles sieht. Ihm kann
nichts verborgen bleiben“, antwortete der Junge.
Das Turkvolk
hatte früher seine eigene, besondere Vorstellung von Gott und der Welt.
Seine Angehörigen wurden damit geboren. Die Kultur der Ahnen sogen sie mit
der Muttermilch ein, und Wiegenlieder und Märchen, die ihnen fürs
Leben unvergesslich blieben, trugen ebenfalls dazu bei.
Katholisch oder
moslemisch geworden, blieb ein Kiptschak trotzdem ein Abgesandter des Altai.
Freiheit lebte in seiner Seele nach wie vor. Ebenso angeboren wie die Liebe zur
Heimat, ist sie nicht auszumerzen. Dieses Gefühl der Freiheit hat sich bis
heute nicht verloren.
Ein Lateiner, der
den päpstlichen Thron bestieg, konnte sehr wohl sündigen. Ihm, einem
Heiden von gestern, war der Glaube an Gott im Himmel fremd, er hoffte immer
noch, sich vor dem allsehenden Auge verbergen zu können und Gottes Strafe
zu entrinnen. Er verstand nicht, dass dies unmöglich ist.
Daher
rührten die Schwankungen im Vatikan. Zwei Völker, zwei Arten
Charakter existierten in Italien nebeneinander, und in der Kirche prallten sie
aufeinander.
Beide Völker
wurden „Italiener“ genannt, doch waren es zwei offensichtlich unterschiedliche
Arten von Italienern.
Die Päpste
blieben Menschen jener Kultur, oder, richtiger: jener Regeln und Traditionen,
nach denen ihre Ahnen gelebt hatten. Das verrät schon die Geschichte der
römischen Päpste.
Für die
Italiener bedeutete die Führung im Vatikan Macht. Bisweilen kauften sie
sich den päpstlichen Thron und mit ihm auch das Recht zu sündigen.
Als Johannes XII. die Tiara aufsetzte, war er zwanzig Jahre alt, und für
lange Zeit verwandelte er die Kirche ins Haus der Sünde.
Die
Angehörigen des Turkvolkes dienten der Kirche anders. Selbst Christen
geworden, blieben sie, ohne sich dessen bewusst zu sein, ihrer Kultur und ihren
Ahnen treu. Gewiss, auch sie waren an Grausamkeiten und Gewalttaten schuldig,
doch geschah das nicht um der eigenen Laune, sondern um des neuen Glaubens
willen.
Das war die
Politik der Europäer, die altaische Wurzeln hatten.
Die neuen Europäer
In Europa stand
man unterschiedlich zu den Sünden des Vatikans: Die einen ließen sie
gleichgültig, andere nicht. Die Unruhen und Aufstände der
katholischen Gläubigen waren wie Pestseuchen, aber man wunderte sich nicht
darüber: Sie gehörten zum neuen Leben.
Als Erste
sprachen die Bogomilen von den Sünden des Vatikans. So wurden Katholiken
genannt, die zu Tengri zurückzukehren wünschten. Später traten
die ebenfalls unzufriedenen Katharer (später Albigenser) an ihre Stelle.
Sie alle kämpften um die Reinheit des Gottes des Himmels und missbilligten
die Haltlosigkeit und Despotie des Papstes.
Die Bogomilen,
Katharer und andere waren nicht etwa mythische Völker, wie das einige
Historiker darstellen, sie sind vielmehr die Ahnen der heutigen Franzosen,
Italiener, Spanier, Deutschen und Schweizer. Wegen ihres unruhigen Charakters
und der turkischen Abstammung wurden sie auch als Chasaren oder Bulgaren
bezeichnet. Der Geist des Altai hatte sich im mittelalterlichen Europa nicht
gleich verflüchtigt.
Er starb lange
dahin, mit Qualen und Leiden. Das Volk hatte die Attila-Fahne und den einstigen
Stolz nicht vergessen. Der turkische Geist unternahm verzweifelte Versuche, in
den Menschen wiederaufzuleben, denen der Verlust der Freiheit keine Ruhe ließ.
Sie gaben sich zu erkennen, indem sie den Glauben der Ahnen wiederbelebten.
Vergebens.
Im Grunde ist die
gesamte Geschichte des mittelalterlichen Europa die Geschichte des Kampfes der
einen Angehörigen des Turkvolkes gegen die anderen Angehörigen des
Turkvolkes.
Einige Ulus
gingen in jenem Kampf anders vor. Sie gaben den Kampf gegen die Kirche auf und
zogen weg. Beispielswese nach Skandinavien, um dem Papst und seinen Intrigen
möglich fern zu sein. Dort, im Norden Europas, lebten ebenfalls Kiptschak,
die Goten hießen. Ihr Schutzgeist war die Eidechse bzw. ein kleiner
Drache, der in der Turksprache „got“ heißt.
Vom Turkvolk
sprechen sowohl die Runendenkmäler Skandinaviens aus jener Zeit als auch
die Ergebnisse von Attilas Feldzug gegen Nordeuropa im Jahre 435, wo er ein
neues Khanat gründete.
Denkmäler
aus jener Zeit haben sich ausgezeichnet erhalten. Sie sind recht zahlreich. In
der Ostsee z. B. gibt es die Insel Gotland (Land der Goten). Es war auch kein
Zufall, dass die Eidechse oder der kleine Drache das Symbol von Skandinavien
war. Er ist überall auf altskandinavischen Denkmälern zu sehen. Auch
heute ist die Gestalt des Drachens nicht vergessen worden.
Offenbar waren
dort einst Menschen aus dem Geschlecht der Balten an der Macht. Daher
rührt auch der Name Baltikum, den sie jener Gegend gaben.
Die Kiptschak
Italiens zogen ungern in den ungemütlichen Norden, aber dort, unter ihren
Brüdern, hofften sie, sich selbst, ihren Glauben und ihre Kultur zu
erhalten. Sie verstanden sich darauf, Vieh zu züchten und den Boden zu
ackern, was die eingesessenen Völker nicht kannten. Wie sie übrigens
auch kein Metall- oder Schmiedehandwerk kannten. All das brachten ihnen die
Kiptschak bei.
Dank den reichen
Eisenerzvorkommen im Skandinavischen Gebirge bekam Skandinavien in der
mittelalterlichen Welt ein neues Gesicht. Früher ein Hinterhof Europas,
verwandelte es sich in einen starken Staat. Bei Rom erweckten die Normannen,
mutige Krieger und geschickte Metallwerker, große Befürchtungen. Zum
erstenmal wurden sie in den Chroniken im Jahre 839 erwähnt, als eine
Botschaft der Bewohner des Nordens nach Konstantinopel kam. Sie bemühte
sich um einen Bund, weil die Normannen in ihrem Kampf gegen die Katholiken
Byzanz auf eigener Seite zu haben hofften.
Die Normannen
waren für ihre Furchtlosigkeit, ihr kunstvolles Metallgießen und
ihre aus dem gewonnenen Metall hergestellten ausgezeichneten Waffen bekannt.
Mühelos eroberten sie ganz Nordeuropa. Ein Bund mit Byzanz war für
sie sehr wichtig. Die altskandinavischen Sagas erzählen viel über
jene Zeit. Sie sind eine wahre poetische Chronik Europas.
So erfährt
man daraus, dass die Anführer der Normannen Reiter waren und selbst auf
ihre Kriegsschiffe Pferde mitnahmen. Dass ihre Lieblingsspeise gekochtes
Pferdefleisch und ihr Lieblingstrunk Kumys (Stutenmilch) war.
Aus unbekannten
Gründen gerieten Pferde der Normannen auf unbesiedelte Inseln und
verwilderten dort. Ein Teil davon ging ein, andere überlebten. Bei
Biologen rufen sie bis heute Befremden hervor: Wie kamen die Steppentiere auf
die fernen nördlichen Inseln?
Die
skandinavischen Sagas sind ungemein aufschlussreich.
Sie müssen
erst richtig gelesen werden, besonders die Saga über den wunderbaren
Schmied Wieland. Sie enthält verblüffende Details aus dem Leben der
Normannen. Selbst die Tatsache, dass Wieland aus dem Schädel des Feindes
einen Weinbecher machte. Eine rein turkische Sitte! Die Normannen brachen nicht
mit ihr.
Auch die
berühmte Sigurd-Saga enthält viele Zeichen der altaischen Symbolik:
Darin ist die Rede von den legendären Nibelungen.
Wer waren sie? Unbekannt, oder, richtiger: vergessen. Im Altertum hatte aber
das Turkvolk so seine Recken („niw“) genannt, die dem Drachen („lung“) dienten
und den Drachen im Wappen führten.
Nicht von
ungefähr wurde der Drache zum Symbol der Normannen. Folglich hat das
Nibelungenlied seine historischen Wurzeln und seinen Haupthelden, hat seine
Vergangenheit.
Mehr noch, im
europäischen Norden wurden herrliche Elen-Steine
gefunden, die solchen im Alten Altai absolut identisch sind. Die
Archäologen können nicht erklären, wieso Felsbilder, die am
altaischen Fluss Abakan und in Skandinavien gefunden wurden, nicht voneinander
zu unterscheiden sind.
Auch das ist noch
nicht alles. Genau solche Bilder wiesen die Schiffe der Normannen auf: das
gleiche Ornament. Woher? Warum schmückten die „altaischen“ Drachen das
Schiff der Skandinavier? Das ist ein Kapitel für sich, das bedarf seiner
eigenen Erklärung und Erzählung.
Altertümliche
turkische Symbole sind in Skandinavien überall anzutreffen.
Ist es z. B. ein
Zufall, dass die Skandinavier sich zum Gott des Himmels bekannten? Ihre Worte
wie Thor, Donar oder Dangyr sind
Namen zum Anrufen von Tengri. Sie stehen aber in ihren Sagas. Allerdings hatten
sie einen anderen Ritus als im Altai, darin machten sich die örtlichen
Glaubensnuancen bemerkbar. Umso interessanter ist er.
Wir haben es hier
mit einer Verschmelzung von Kulturen zu tun: Gottesglauben und Heidentum
nebeneinander. Diese Vermischung war für die Skandinavier notwendig. Die
originären Einwohner und die eingewanderten Kiptschak suchten nach einem
Bündnis. Und sie fanden es, um stärker zu sein.
Jenes
Bündnis, das sich im Mittelater abzeichnete, ist nicht verschwunden, lebt
in Skandinavien bis heute fort. Die Ahnen der Schweden standen den Kiptschak
und ihrer Kultur wohl näher, auch heute sind sie gute Metall- und
Handwerker. Die Norweger dagegen sind anders. Ihre Traditionen gleichen eher
den finnischen. Sie sind ausgezeichnete Jäger, Fischer und Seefahrer, das
Handwerkliche liegt ihnen jedoch nicht. Sie haben eben ein anderes Naturell.
Die Skandinavier
sind als ein Volk bekannt, als Normannen. Dennoch sind sie unterschiedlich.
Eine deutliche Parallele zu den Italienern, denn auch sie empfinden innere
Gegensätze, können sie jedoch nicht verstehen.
Etwas ist in ihrem
Gedächtnis geblieben, aber was konkret, daran erinnern sie sich nicht
mehr.
Die Völker
bringen die Begriffe „eigen“ und „fremd“ nie durcheinander. Das bleibt
fürs Leben, davon spricht die innere Stimme. Aber wie gelingt es den
Menschen, sie zu vernehmen? Die Wissenschaft weiß keine Antwort darauf.
Die Belgier
verstehen sich ebenfalls nicht ganz. In diesem Land leben zwei unterschiedliche
Völker: die Flamen und die Wallonen. Die Zeit vermochte sie nicht einander
näher zu bringen, obwohl sie seit bereits fünfzehn Jahrhunderten
nebeneinander leben.
Die Völker
vermischen sich nicht. Sie vergessen nur ihre Vergangenheit.
Die Ahnen der
Flamen sind Kiptschak, die Attila hergeführt hatte. Das ist ein
historischer Fakt. Die Kleidung, die Sitten und Gebräuche, die Feste der
Flamen scheinen aus dem Altai auf Europa übertragen und ihm angepasst
worden zu sein. Das Schmiedehandwerk, die alten Handwerke und
Hausratgegenstände, die alte turkische Kleidung, die Nationalküche,
in der Knoblauch nicht die letzte Rolle spielt, selbst Badeanstalten: Alles ist
dort unverwechselbar „altaisch“.
Ganz besonders
sind es die altertümlichen Muster und Ornamente. Das Altai-Tamga!
Hochinteressant ist die Provinz Limburg: Dort gibt es alte Kirchen und
Klöster, die zu Ehren Tengris gebaut wurden, es gibt sogar die Stadt
Tongeren, von den Franzosen Tongres genannt. Im Jahre 451 sah sie Attilas
Reiter in ihren Straßen. Damals müssen sich die ersten
Angehörigen des Turkvolkes hier niedergelassen haben.
Die
Beharrlichkeit der Kirche war der Grund dafür, dass die Flamen gegen das
15. Jahrhundert ihre Muttersprache vergaßen. Jetzt hat sie sich gleichsam
in den örtlichen Dialekten aufgelöst, allerdings eine Spur in
Wörtern hinterlassen, die allen Belgiern gemein sind.
Die Wallonen
dagegen sind Nachkommen der Kelten und ganz anders. In ihren Adern fließt
kein Tropfen turkisches Blut, das sind Menschen einer anderen Kultur, anderer
Regeln. Ein Pferd weckt in ihnen keine Erinnerung und keine Freude.
Die Normannen
begründeten in Nordeuropa mehrere Länder.
In Dänemark
und Holland gibt es ebenfalls einzigartige mittelalterliche Denkmäler. Die
frühe Geschichte dieser Länder wurde, wie sich erweist, in turkischen
Runen und nach den altaischen Regeln geschrieben. In Dänemark ist der Einfluss
der Kiptschak noch deutlicher, weil hier schon vor der Einwanderung der
Normannen turkische Siedlungen bestanden. Sie wurden im 5. Jahrhundert von
Attila gegründet.
Die
Holländer und die Flamen wissen von ihrer Verwandtschaft, können sie
jedoch nicht erklären, haben die Wurzeln vergessen.
Ist es etwa ein
Zufall, dass die Tulpe Hollands Emblem ist? Die Kiptschak nannten sie
„Khan-Blume“, im Frühjahr blüht sie in der Steppe, ihrer Heimat, am
frühesten. Vielleicht wird sie die Holländer einmal an die
Große Steppe, den Altai, ihre vergessene Vergangenheit erinnern.
Ohne eine
Vergangenheit gibt es kein Volk, ohne die Vergangenheit gleicht es einem
Waisen-, einem Findelkind. Die Symbole der Heimat werden nicht erfunden, mit
ihnen wird man geboren. Sie sind das Gedächtnis, eine göttliche
Nachricht, die nur den Fremden unhörbar bleibt.
Denkt man an die
Kiptschak, so klären sich viele Geheimnisse in der Geschichte Europas auf
und wird vieles verständlich.
Der Streit um die
mythischen „Reußen“ z. B. verliert jeden Sinn, wenn man die mittelalterlichen
Kiptschak in Betracht zieht. Die Normannen nannten sich nämlich mitunter
„Reußen“. Dieser Name galt besonders jenen Normannen, die an der
baltischen Küste lebten.
Daher ihre
berühmte „Rus“, anders gesagt: ein Fürstentum, ein Khanat von Seefahrern.
Daher die Weiße, die Schwarze und die Kiewer Rus.
Das Wort „Rus“
kommt sogar in dem Buch „Diwan Lugat at-Türk“ (Sammlung von Dialekten der
Turksprache) des mittelalterlichen Gelehrten Mahmud Kazgari vor. Er war ein
großer Kenner des altertümlichen Turksprache. Er lebte in
Mittelasien, in weiter Entfernung von Europa und den Skandinaviern, von denen
er wohl nicht einmal gehört hatte.
Mit „Rus“ oder
„rs“ bezeichnete man im Alten Altai die Ruderer, Menschen, die von Generation
zu Generation „von ihrem Ruder lebten“ und sich so den Unterhalt sicherten.
Eben deshalb nannten die Normannen sich oder doch die Normannen an der
Küste, die „von ihrem Ruder lebten“, Rus.
Das Wort sei
ethnisch, fügte Mahmud Kazgari erläuternd hinzu.
Nichts gehe
über die Jugend, lehrte der Altai. Die Jugend von Nordeuropa fiel ins 9.
Jahrhundert mit seinen geheimnisvollen Normannen, die wie ein Orkan über
einen Ort hereinbrachen und sich ebenso schnell in nichts auflösten.
Im Jahre 865
entstand die „Englische Rus“. Damals landete ein großes Normannenheer in
England, von zwei Brüdern, zwei Söhnen des ruhmreichen Ragnar,
genannt Lederhose, geführt. Wer war er? Nehmen wir an, das sei unbekannt.
Aber das Erste, was seine Söhne in England taten, war der Erwerb von
Pferden. Sie wussten: „Man legt keine Straße zurück, ohne ein Pferd
zu verlieren.“ Von ihnen handelt die alte „Saga von Ragnar, der Lederhose“.
Durch ihren
Einfall festigten die Normannen die turkische Kultur in England, ohne es zu
bemerken. Die Zeugnisse sind zahlreich: Hügelgräber, ein wichtiges
Merkmal der Steppe, herrlich gemachte Bücher, wunderbare Stickereien,
Schmucksachen, Intharsien und Treibarbeiten. Alles trägt den Stempel des
Altai. Deshalb stießen sie bei den englischen Kiptschak auf keinen
nennbaren Widerstand.
Englische
Archäologen streiten seit langem über die Herkunft dieser Funde. Der
Streit ist eigentlich grundlos: Der Tierstil
der Funde, den die
Engländer so bewundern, ist ein Zeichen des Alten Altai, sein „Tamga“.
Nirgends in der
Welt kommt etwas Ähnliches vor.
Interessant sind
die turkischen Spuren in Island und Grönland: der gleiche Tierstil,
wiederum runische Denkmäler. Auch hier wurden sie von der Wissenschaft
„übersehen“.
Niemand hat die
Denkmäler richtig erforscht. Sie wurden als eine bizarre Laune des Mittelalters
aufgenommen, eine Zufälligkeit von ungewisser Herkunft. Man
übersetzte mit Kennermiene altertümliche Texte – und wusste nicht
einmal, aus welcher Sprache man übersetzte. Ein Beispiel sind die
„Nibelungen“. Was herauskam, war nicht eine Übertragung, sondern ein
Abrakadabra, ein sinnloses Nebeneinander von Wörtern.
Dabei ist selbst
der Name Island turkischer Abstammung. Das verrät das Wort „isi“
(„heiß werden“). Es handelt sich also um ein „heißes Land“.
Daran ist nichts
Verwunderliches. Bis zum 11. Jahrhundert aßen die Isländer nicht
Heringe, sondern Pferdefleisch und sprachen die Turksprache. Die heute bekannte
Version „Eisland“ passt auf Island nicht. Im Ozean gibt es viele eisbedeckte
Inseln, heiß dagegen ist nur diese einzige, die die Normannen im 9.
Jahrhundert fanden und die sie durch ihre Wärme in Erstaunen setzte.
Vulkane und
Geysire ziehen bis heute Touristen her. Kaum jemand weiß jedoch, dass die
Staatsflagge Islands einst „tug“ hieß und ein Kreuz und zwei Baschlyks
auf blauem Feld zeigte.
Eine
ausgesprochen turkische Fahne. Unter ihr führte Attila seine Kriege.
Solche Fahnen waren im Alten Altai üblich.
Auch die
normannischen Fahnen zeigten dieselben Symbole. Sie blieben auf den alten
Fahnen von Schweden, Belgien und England.
Freilich
erzählt eine Legende, dass der schwedische König Erik IX. im 12.
Jahrhundert am Himmel ein goldenes Kreuz gesehen und es zum Symbol des Landes
gemacht habe. Möglich, aber doch nicht ganz. Das war die Zeit, da sich
hier der Katholizismus durchsetzte, und der Vatikan „korrigierte“ etwas die
Geschichte von Skandinavien.
Das tat er immer,
wenn er seine Macht behauptete.
Selbst im
amerikanischen Bundesstaat Minnesota wurden turkische Runensteine gefunden. Man
erklärte sie zu einer Fälschung, so unerwartet waren sie für
diese Gegend. Doch gibt es auch andere Fakten, und früher oder später
müssen sie erforscht werden. Das ist nicht zu vermeiden, will man z.B.
etwas vom Lande Vinland (Winlandia) erfahren, das, wie eine isländische
Saga berichtet, im Jahre 1000 von Leif Eriksson entdeckt wurde.
Leif ist ein Sohn
des berühmten Normannen Erik des Roten. Ihm half bei der Seefahrt ein
gewisser Tjurok, der ein sommersprossiges Gesicht, eine runde Stirn und kurze
Beine hatte. Er sprach die Sprache der Germanen – also die Turksprache –
fließend, war ein geschickter Handwerker und hatte ein recht
umfangreiches Wissen.
Tjurok war es,
der dank einem glücklichen Zufall Amerika entdeckte und dort sogar wilden
Wein fand, von dem die Normannen nie gehört hatten. Folglich waren
Kiptschak auch in Amerika!
Vinland lag
westlich von Grönland, die Normannen trugen es in eine alte Landkarte ein.
Der Ozean, der Europa und Vinland bespült, wurde Tengyr genannt. Dieses
altturkische Wort zieht sich über die ganze normannische Landkarte von
oben nach unten. Am Rand ist in altaischen Runen ein kurzer Text über die
Seefahrt geschrieben.
Die Karte wurde
bis zu einer gewissen Zeit in einem Museum in Ungarn aufbewahrt. Sie war auf
einem Papier gezeichnet, dessen Herstellung nur in Samarkand bekannt war, und
das ist schon beredt genug.
Das Schicksal
zerstreute die Kiptschak über die ganze Welt.
Sie besiedelten
Inseln, gründeten neue Länder und entdeckten Amerika 500 Jahre vor
Kolumbus. Nur um dem römischen Papst zu entrinnen.
Die Kreuzzüge
Man nennt das Mittelalter
eine dunkle Zeit, und das war es
tatsächlich. Die ganze Wahrheit darüber werden die Menschen nie
erfahren. Die Katholiken haben Chroniken und Bücher jener Jahre
vernichtet, so dass beinahe nichts übrig geblieben ist. Sie erfanden
tausende Tricks, um die Wahrheit abzutöten. Ihnen gelang das
Unglaublichste. Hier eine ihrer Methoden.
Die Kirche
führte eine Regel für den Adel – einen Zweikampf gegen den Drachen –
ein. Ohne den Drachen besiegt zu haben, konnte ein Mensch nicht mehr Anspruch
darauf erheben, zur Aristokratie zu gehören. Ihm war der Weg in die
Gesellschaft abgeschnitten, die Nachbarn schlossen ihre Türen vor ihm.
Aber welchen
Drachen hatte man zu besiegen? Und von welchem Zweikampf ist die Rede? In
Europa gibt es ja keine lebendigen Drachen. Dafür war die Gestalt des
Drachens, ein Zeichen der turkischen Kultur, überall anzutreffen. Die
Kirche erwartete, dass sich der Mensch von seinen Ahnen lossagte.
Er hatte zu
schwören, nie das erfahren zu wollen, was mit dem „Drachen“ zusammenhing.
Das sah aus wie ein ritueller Zweikampf, dazu blutlos, dahinter steckte jedoch
ein richtiger Mord. Der Mord am
Gedächtnis.
Ein weiteres,
ebenfalls beredtes Beispiel. Ein Angehöriger des Turkvolkes erstach einen
Gegner nie mit dem Säbel oder Dolch, weil das als schandvoller Meuchelmord
galt. Die Kiptschak erkannten nur einen offenen Säbelhieb an. Nach ihrem
Ehrenkodex musste der Gegner den Hieb sehen.
Das zog die
Kirche sehr wohl in Betracht. Seitdem trugen die Katholiken Degen, Stilette und
sonstige Stichwaffen. Bei Zweikämpfen in den engen, verworrenen Gassen der
Städte hatten sie viele Vorteile. Die Kirche legte damals auf die Regeln
eines ehrlichen Kampfes wenig Wert.
So löste der
Dolch den Säbel und Niedertracht den Edelmut ab. Aber die Katholiken
verbanden den Sieg ihrer Waffen damit, dass der Degen einem lateinischen Kreuz
ähnlich sei und den Sieg Christi bedeute.
Alles andere
übergingen sie mit Schweigen.
Als Papst Gregor
VII. Europa zu den Kreuzzügen aufforderte, behauptete er, das sei
ebenfalls für den „Sieg Christi“ unumgänglich. In Wirklichkeit aber
plante er diese Kriege, die blutigsten und sinnlosesten des Mittelalters, nicht
um der Rettung des „Grabes Christi“ willen (das Wort „Grab“ setzt voraus, dass
auch ein Sarg da war).
Eine schreckliche
Zeit brach an.
Zum 11.
Jahrhundert hatte Westeuropa genügend Kräfte gesammelt, um Byzanz und
den islamischen Orient anzugreifen. Nun ging es dem Papst darum, die Menschen
zu einem Krieg für die Macht über die Welt zu motivieren. Darin
bestand das Wesen der Politik, die „Kreuzzüge“ hieß. Diese dauerten
beinahe zwei Jahrhunderte.
Der Wahrheit
zuliebe sei jedoch gesagt, dass es in Palästina, gegen welches der Papst
den Krieg richten wollte, keine Särge gab: Die Hebräer bestatteten
ihre Toten nicht in Särgen. Zu einem solchen Krieg bestand also kein
Grund.
Aber ein Krieg
tat not. Ein Krieg vom Atlantik bis zum Euphrat, damit die ganze Welt in Brand
geriet. So erfand die Kirche den Mythos vom „Hl. Grab Christi“, das die
Ungläubigen angeblich an sich gerissen hatten.
Agenten des
Papstes veranstalteten einen Pogrom in Jerusalem und schrieben ihn den Moslems
zu. Das war der Auslöser. Dazu trug auch Peter der Einsiedler bei, den von
Geburt an Wahnvorstellungen und Albdrücke quälten. Um des Geldes
willen heiratete der kranke junge Mann eine alte Frau von schlechtem Ruf, doch
die Ehe brachte ihm kein Glück. So vertauschte Peter das reiche Haus
seiner Ehefrau mit einer Mönchszelle. Im Jahre 1094 pilgerte er auf
Veranlassung des Papstes nach Jerusalem. Dort sei ihm angeblich Christus
entgegengetreten und habe ihm gesagt: „Peter, erzähle von der Not der
heiligen Orte, bewege die Gläubigen dazu, Jerusalem zu reinigen und die
Heiligtümer zu retten, die in den Händen der Heiden sind.“
Mit diesen Worten
begannen die Kreuzzüge. Die
Katholiken begannen einen Krieg gegen ihre einstigen Verbündeten, die
Moslems.
Zu jener Zeit
kamen die ersten Lügenmärchen vom Islam als von dem Feind der
Christen und der ganzen Menschheit auf. Er wurde an jeder Straßenecke, in
jedem Haus verleumdet. Päpstliche Agenten arbeiteten wie ein gut
geölter Mechanismus, störungsfrei und präzise. Sie verbreiteten
ihre Lügereien auf den Wegen von Kloster zu Kloster, von Stadt zu Stadt.
Solche Erfindungen schlichen sich in die Seelen der Menschen ein und riefen bei
ihnen den Hass auf die Moslems hervor.
Die Katholiken
strebten danach, die Griechen aus dem mediterranen Gebiet zu verdrängen,
wozu sie eine neue Politik brauchten. Papst Gregor VII. War einer der
weitsichtigsten Kirchenväter.
Doch weiß
man seit langem, dass ein einziger Mensch nicht viel ausrichten kann, so genial
er auch sein mag, denn es gibt keine vollkommenen Menschen. Dafür gibt es
grandiose Pläne, die die Völker in ihren Bann schlagen und selbst
Weise zu vertrauensseligen Toren machen.
Von dieser Art
war das Aufgebot von Papst Gregor VII. Zum „Gotteskrieg“.
Er rüstete
nicht nur zur Eroberung des Mittelmeergebiets, er wollte außerdem Europa
erschöpfen und um starke und aufgeklärte Menschen bringen. Das war
die geheime Feder und die Hauptsache bei den Plänen der Kreuzzüge.
Die Kirche hegte seit langem den Traum, „weltlicher und geistlicher Imperator“
zugleich zu sein. Deshalb war der Papst darauf aus, ihm gefährliche
Gläubige zu vernichten, in erster Linie den Adel und die Jugend, die keine
Beschäftigung fand, anders gesagt: junge Leute, die das „Alter des
Militärdienstes“ erreicht hatten.
Der Westen lebte
damals der Idee eines „Gottesfriedens“, die Kriege und jede Feindschaft
zwischen den Katholiken verbot. Die Idee entstand in Südfrankreich und
bemächtigte sich des Bewusstseins der Herrscher. Das Volk
unterstützte die Idee, sie hatte so viel Anziehendes an sich, und für
das turkische Ohr klang sie eingängig: Treuga Dei (Gottesfrieden). Das war
wie ein Echo, eine Mahnung an den vergessenen Tengri. Im Blut der lateinischen
Kiptschak lebte die Erinnerung an die großartige Vergangenheit wieder
auf.
Im ganzen Jahr
1096 strömten Menschenmengen in den großen Städten Europas
zusammen. Die Straßen und Plätze waren überfüllt. Die
Menschen nähten sich auf die rechte Schulter der Kleidung ein Kreuz aus
rotem Stoff – Zeichen des päpstlichen Heeres – auf und wurden zu
Kreuzträgern.
„Gott will es“,
wiederholte der damalige Papst Urban II. Unermüdlich. Er nahm die
Kreuzfahrer unter seine Schirmherrschaft, erließ ihnen die Sünden
und verzieh ihnen ihre Schulden. Er stellte ihnen alles zur Verfügung.
Sehr viele
Menschen nähten sich das Kreuz auf. Sie waren zweifellos gläubig,
aber vom Papst betrogen. Man führte sie ins Verderben wie Tiere zum
Schlachthof. Sie aber begriffen das nicht.
Zum Marsch auf
Jerusalem – für die Befreiung des Heiligen Landes – rüsteten Adlige
und deren Kinder, Bauern und Handwerker. Es sammelten sich ganze Familien aus
Toulouse, Burgund und Flandern, kurz, aus allen turkischen Ländern von
Westeuropa. Sie bereiteten sich darauf vor, ein Wunder zu vollziehen: etwas zu
erobern, was es nicht gab.
Kaum jemand von
den Kreuzfahrern wusste, wo sich das Heilige Land befand, wer und wozu es
brauchte. Ihre Anführer hatten keinen Handlungsplan. Übrigens war er
auch nicht nötig. Der Papst führte die Menschen von Europa weg, um
sie ins Verderben zu stürzen. Er wollte eine Auseinandersetzung zwischen
den westlichen und den östlichen Kiptschak herbeiführen, damit
möglichst viele Menschen umkamen. Die Kirche gewann bei jedem Ausgang des
Krieges.
Aber wenn der
Papst vom „böswilligen Islam“ redete, log er unverhohlen. Im Koran findet
sich kein Wort von der Unterordnung anderer Völker, nicht einmal eine
Andeutung darauf. Dafür heißt es im Koran, dass es dem Glauben
Schaden bringe, wenn er durch Gewalt und Betrug aufgezwungen werde. Einen
solchen Glauben anzunehmen sei eine Sünde für einen Moslem. Der Islam
dürfe nur durch das Wort und das persönliche Beispiel verbreitet
werden.
Der Papst aber
erfand allerlei Schreckgespenster, ihm ging es nicht um die Wahrheit.
Und so begannen
die Kreuzfahrer den Krieg, ohne etwas vom Islam zu wissen. Ihnen wiederum ging
es am wenigsten um Wissen und Bücher, vielmehr dürsteten sie nach
Blut und den märchenhaften Schätzen des Orients. Das zog viele an.
Zu
Plünderungen kam es gleich von Anfang an. Auf ihrem Weg nach Jerusalem
raubten die päpstlichen Krieger Siedlungen und einzelne Menschen, alle,
die ihnen unter die Augen kamen, aus. Das war ihr Unterhalt, denn die
Mönche speisten sie nur mit Gerüchten. Neben dem Heer zogen Frauen
und Kinder dahin. Das glich gewissermaßen der Großen
Völkerwanderung, nur dass man nicht die Besiedlung neuer Ländereien
im Auge hatte, sondern in den Tod getrieben wurde.
Die Kreuzfahrer
sahen beinahe in jeder großen Stadt auf ihrem Weg Jerusalem und
bereiteten sich auf einen Sturm vor. Eine blinde Menge ergoss sich in den
Orient. Sie nahm immer neue Anhänger auf: Die Predigten der Kreuzfahrer
zogen Menschen an und rissen sie fort.
Ein großes
Durcheinander herrschte. Neben Adligen marschierte da der Abschaum der
Gesellschaft. So standen an der Spitze der englischen Kreuzfahrer richtige
Diebe. Dazu verhalf ihnen ein Räuber, der sich ein Kreuz in den
Körper brannte und das für ein „Werk der Gotteshand“ ausgab.
Im Übrigen
hieß es ja, auch ein Räuber, der Dutzende Menschen ermordet hat,
habe eine Chance, Gutes zu tun. Damals wurde alles verziehen, alles
gefördert, nur damit die Zahl der Kreuzfahrer zunahm.
Die Einwohner des
heutigen Deutschland, des damaligen Römischen Reiches, sahen in den
Kreuzfahrern zuerst eine unförmige Menge. Lachend nannten die Bayern und
Sachsen sie Opfer „trügerischer und dummer Hoffnungen“. Die „Deutschen“
waren taub gegen die Worte der päpstlichen Prediger; sie liebten den Papst
nicht, ihr Kaiser Heinrich IV. Hatte sogar einen Krieg gegen ihn geführt.
Aber das Beispiel der Franzosen und Engländer war ansteckend. Auch die
deutschen Kiptschak verlangte es mit einem Mal unüberwindlich nach Fahrten
und Märschen in fremde Länder.
Auch im
Römischen Reich erwachte also das turkische Blut.
Die Zahl der
Kreuzfahrer aus den deutschen Landen nahm rasch zu, selbst trotz des Protestes
des Kaisers. An der Spitze der Truppe vom Rheinufer standen eine Ziege und eine
Gans; die Tiere wurden zu den „Anführern der Expedition“ erklärt.
Das war nicht
weiter verwunderlich, denn der Hammel und der Schwan waren altertümliche
turkische Symbole und Schutzgeister. Sie waren nicht vergessen, nur hatten sie
sich im Bewusstsein der Menschen etwas verändert.
Vermischung der
Kulturen – sie geschieht dort, wo sie nicht erwartet wird. Eben das macht die Ethnografie dermaßen interessant.
Über das
päpstliche Heer ist wenig bekannt, es liegen beinahe keine
glaubwürdigen Nachrichten vor. Niemand weiß, aus wem, aus welchen
Völkern es sich zusammensetzte. Allerdings steht ein Detail fest: Die
Kreuzfahrer sangen religiöse Lieder im Chor. Ist Gesang denn so wichtig?
Ja, weil er uns viele wichtige Dinge vermittelt.
Die Kirche nannte
sie „Wallfahrtsgesänge“ und dichtete ihnen natürlich einen
religiösen Sinn an, weil sie angeblich die mehrsprachigen Völker
Europas zusammenschlossen. War das wirklich der Fall?
Wie sich
herausstellt, klangen diese Lieder in der Sprache der Italiener und der
Franzosen, der Engländer und der Deutschen gleich. Das waren alte Marschlieder
der Kiptschak, die in der „multilingualen“ Menge der Kreuzfahrer
mitmarschierten. Sie sangen ihre Lieder in ihrer Muttersprache. Man darf nicht
vergessen, dass jeder zweite Europäer turkisches Blut in seinen Adern hat,
das war ein Ergebnis der Großen Völkerwanderung.
Das
Gedächtnis schloss damals die Menschen zusammen! Die Tradition eines
Marschliedes kam nach Europa bekanntlich aus dem Altai, früher hatte sie
nicht bestanden. Deshalb sprachen damals die Engländer mit den Franzosen
und Deutschen ohne Dolmetscher. Alle verstanden einander: Die Turksprache war
damals die Sprache, in der die europäischen Völker miteinander
verkehrten.
Erst gegen das
15. Jahrhundert wurde sie für immer vergessen.
Wer wirklich
Angst vor den Kreuzfahrern bekam, waren die Byzantiner. Sie sahen in ihnen
ihren Tod, spürten dessen Odem. Die Katholiken „gehen nur zum Schein nach
Jerusalem“, hieß es damals in einer byzantinischen Chronik, „in
Wirklichkeit werden sie Konstantinopel besetzen“.
Tatsächlich
begannen die Kreuzfahrer die Plünderungen sofort auch hier, in der
Hauptstadt des Christentums. Sie drangen in Kirchen ein, stahlen
Kirchengerät und alles Wertvolle, was ihnen unter die Augen kam, und
verkauften es dann – an Griechen.
Die
Plünderung dauerte nicht lange, man geleitete die Gäste über den
Bosporus, die Meerenge, die Europa von Asien und die christliche Welt von der
moslemischen trennt, und ließ sie allein. Die Byzantiner schlossen sich
dem Kreuzzug um die „Befreiung des Hl. Grabes“ nicht an.
Dann begann das
Schwerste: Eine unvorbereitete Armee kann sich in einem fremden Land nicht
lange halten. Natürlich besiegten die Kreuzfahrer die Moslems nicht. Die
Chroniken schrieben über jenen Kreuzzug: „Die Knochen der Christen
bildeten Berge.“
Das war Ergebnis
der päpstlichen Politik.
Übrigens
brauchte die Kirche keine militärischen Erfolge. Selbst über die
Besetzung Jerusalems durch die Kreuzfahrer im Jahre 1099, die Pogrome in den
Häusern von Hebräern und Moslems, die die Christen im Heiligen Land
veranstalteten, freute sich der Papst nicht. Für ihn war das wie
Zahnschmerzen, die man eben erdulden muss. Was konnten schon richtige
Feldherren ausrichten, solche wie Graf Raymond von Toulouse, der die Truppen
aus Südfrankreich befehligte, Hugo Vermandois, der Herzog Robert aus der Normandie,
Gottfried von Bouillon und andere? Sie hatten im päpstlichen Heer
keinerlei Rechte und mussten auf eigene Faust handeln. Zuerst brachte das
einige Erfolge. Aber nur zuerst.
Letzten Endes
schlugen die Moslems die Katholiken aufs Haupt und füllten die
Sklavenmärkte im Orient auf. Gerade das wollte der Papst insgeheim.
Die
Kreuzzüge wiederholten sich 1148 und 1191, endeten aber auf die gleiche
Weise. Sie wurden auch noch später fortgesetzt. Im Jahre 1212 fand sogar
ein Kinderkreuzzug statt. Zehntausende Kinder begaben sich ins Heilige Land, wo
der Tod auf sie wartete: Die päpstlichen Diener beförderten sie nicht
nach Jerusalem, sondern direkt auf die ägyptischen Sklavenmärkte.
Damals verlor
Europa Millionen Menschen. Dafür bekam die Kirche viel Gold für ihre
lebendige Ware.
Der Triumph der
römisch-katholischen Kirche basierte auf dem Unglück des Volkes. Sie
siegte in den Kreuzzügen. Die Macht der Aristokratie, des
größten Feindes des Papstes, war gebrochen. Trostlosigkeit herrschte
in den Städten.
Da trat ein neues
päpstliches Heer in den Vordergrund: die Ritterorden der Templer und der Johanniter. Sie erhöhten die
Zahl der Mönchsorden, die den Päpsten seit Jahrhunderten dienten.
Die Templer
trieben Handel und wucherten mit Geld, die Johanniter pflegten Verwundete und
Kranke. Sie waren nur den Bischöfen untergeordnet, die weltlichen
Herrscher hatten ihnen nicht zu befehlen. Die neuen Mönche schienen
harmlos zu sein. Aber unter ihren weißen Kutten trugen die Templer
insgeheim Waffen und Panzer. Vorläufig insgeheim.
Auf diese Weise
wurden die Diener der Kirche nun Militärs. Ihre Macht kannte keine
Grenzen. Der Papst aber flößte den Gläubigen bei jeder Predigt
ein, der Misserfolg der Kreuzzüge sei ihre Schuld, weil sie zu viel
gesündigt hätten.
Die Gläubigen
litten an ihrer Unvollkommenheit: Gott hatte sie ja verlassen.
Kam vielleicht in
jener Zeit das Wort „Feudalherr“ auf? Denn jeder große und kleine
Aristokrat meinte, man habe ihm seine Rechte und seine Macht entwunden. Die
Menschen schämten sich und zogen sich zurück, schlossen sich in ihren
Burgen ein und wiesen jeden Besuch ab.
Es begann eine
Zeit der Einsamkeit und des Nachdenkens.
Einige Adlige
verließen ihre angestammten Güter und Ländereien und
ließen sich einkleiden. Mönche flüchteten sich in die Wälder
und Einsiedeleien. Alle ehrlichen Menschen in Westeuropa beteten um die
Vergebung ihrer – nichtexistenten! – Sünde.
Sie beteten,
fasteten, litten, geißelten sich. Das Land, die Schlösser und
Paläste sanken unglaublich im Preis. Die Bauern verkauften ihr Vieh und
ihre Ernten um einen Pappenstiel.
Jemand aber
kaufte den vom Volk aufgegebenen Reichtum auf. Das waren die stillen Diener des
Papstes, die Templer. Damals bereicherte sich die Kirche märchenhaft. Auch
das war ein Ergebnis der Kreuzzüge.
Die Gentry und die Ritterschaft
Wahnsinn
umnachtete Europas Geist.
Er prägte
eine ganze Epoche: die der Kreuzzüge. Kunst, Wissenschaft, Moral
verfielen, das Volk lebte in einem unvorstellbaren Elend. Der Druck der Kirche
auf die Gesellschaft wurde immer stärker, niemand wagte, sich gegen sie
aufzulehnen. Alles blieb stumm.
Die Menschen
lebten dahin – von Gebet zu Gebet, von Fasten zu Fasten; selbst ihre Gedanken
gehörten ihnen nicht mehr. Die Völker waren Schachfiguren in den
Händen des Papstes. Dieser glaubte, immer noch zu wenig erreicht zu haben.
Er befürchtete, dass der „Wahnsinn“ verfliegen würde, den Menschen
die Augen aufgehen würden. Deshalb befasste er sich damit, eine Armee zu
formieren. Eine eigene, ganz besondere Armee. Nicht etwa einen Mönchs-,
sondern einen Kriegerorden. Seine Gründung war ein seit langem
konzipierter Plan.
Schon der erste
Schritt war in seiner Einfachheit genial: Tausende friedliche Pilger wurden
nach Palästina geschickt. Auf den ersten Blick harmlos. Es fanden sich
viele, die das Land zu sehen wünschten, das „von Gott betreten worden
war“. Der religiöse Taumel griff in der Epoche der Kreuzzüge um sich
und hüllte die Städte und Dörfer wie ein dichter Rauchschwaden
ein.
In Jerusalem
wurden sie von Leuten des Papstes erwartet. „In den heiligen Orten herrschen
die Feinde“, trichterten sie den Pilgern ein, um sie in Wut zu versetzen.
Zornentbrannt sprachen diese dann selbst von neuen Kreuzzügen, von der
Verteidigung der Kirche und von einer päpstlichen Armee.
Sie schlugen dem
Papst von selbst neue Kreuzzüge vor!
Die Kirche
spielte auf Menschenseelen Klavier. Und sie taten gehorsam, was der Papst
wünschte, als wären sie Puppen gewesen, die ein geschickter
Puppenspieler tanzen ließ. Von ihm stammten selbst ihre Gedanken. So
sagte der Papst, die Kreuzritter hätten 1099 in Palästina den Hl.
Georg auf seinem Pferd und mit abgehacktem Kopf, den er unter dem Arm trug,
gesehen. Das wurde zu einem Wunder und der Heilige zu einem Kreuzfahrer, Ritter
und Diener des Papstes erklärt.
Ein von A bis Z
offensichtlich erfundenes Ereignis, dennoch ist es in die Geschichte der Kirche
eingegangen. Es entstand eine abermalige Georgs-Sage: Man setzte ihn aufs Pferd
und ließ ihn den Drachen töten.
Wiederum der
Kampf gegen den Drachen! Wiederum ein Schlag gegen die turkische Geschichte!
Und wiederum im Verborgenen eingefädelt.
Nach dem Willen
der Kirche wurde aus Dshargan, dem Heiligen von Descht-i-Kiptschak, ein Reiter
und Mörder gemacht. Der Papst brauchte ihn eben in dieser Gestalt:
grausam, blutrünstig, tötend. Weil das turkische Europa ihn anders –
edelmütig – im Gedächtnis bewahrte. Es hat sich z. B. Eine alte
angelsächsische Legende erhalten: Sie ist ein dokumentarisches Zeugnis,
denn sie berichtet über Georgs Hinrichtung in Derbent. In England und
anderen Ländern schwor man auf Georgs Namen. Den Kiptschak blieb ihr
Schutzheiliger lange unvergessen.
Aber auch der
Papst musste an ihn und seinen Einfluss denken. Daher sein Wunsch, den
turkischen Helden in seinen Diener – einen Kreuzfahrer und Mörder –
umzuwandeln.
Früher, seit
498, war Georg den Katholiken fremd, nunmehr hat man ihn in seinen Kreis
aufgenommen und Ritterscharen aufgestellt. Für ihn, nicht für den
Papst! Das war eine abermalige List der Kirche, und wieder fielen die Menschen
auf diese List herein.
Eben damals
entstand ein neuer Stand in Westeuropa, die Ritter; ihr Schutzheiliger wurde Georg der Reiter.
Gesagt sei, dass
Europa die Ritter auch früher kannte. Sie waren gepanzerte Reiter, Diener
der Aristokratie. Im Kampf deckten sie das Hinterland ihres Herrn. Die Ritter
lebten auf Märschen, ihr Beruf war Krieg. Das hatte sich seit dem 4.
Jahrhundert, seit der Einwanderung der Kiptschak, eingeführt.
Die Herren der
Ritter hießen Gentry (daher das heutige „Gentleman“). Im Jahre 312
hörte Rom dieses turkische Wort. Es bezeichnete Menschen von adliger
Herkunft.
Die Gentry hatte,
wie Historiker jener Jahre schrieben, einst in Roms Armee gedient, dann
eroberte sie das gesamte Imperium. Sie war auf die Zugehörigkeit zum
fremdländischen Adel stolz und pflegte ihn.
Wer waren diese
Menschen?
Über sie
wurde nicht wenig geschrieben, aber das Wesentliche außer Acht gelassen:
Sie lebten gemäß den turkischen Gesetzen, denen des Jurt oder des
Khanats. Anders gesagt, sie hatten ihre eigene Macht. Ebendas machte ihren „fremdländischen
Adelsstand“ im Imperium aus. Bei ihnen herrschte ein Khan, und wenn er auch
König, Herzog oder Graf hieß; die Ländereien des Jurt verteilte
er unter den Baronen.
Die Sitten der
Gentry unterschieden sich in nichts von den Sitten der Großen Steppe. Die
Menschen glaubten an Tengri, deshalb nannten die Katholiken sie Heiden. Sie
sprachen die Turksprache, kämpften zu Pferd, ein Leben zu Fuß war
für sie undenkbar. Das waren Kiptschak, alles in ihrem Leben zeugte davon!
Wie nannten sie
sich: einen Ulus? Einen Jurt? Eine Horde? Jetzt ist das unbekannt. Im 12.
Jahrhundert hatten sie schon lateinische Namen, aber turkische Spitznamen
blieben. Der Rufname des berühmten Ritters Lancelot war Telegi. Der
legendäre französische Ritter Karl der Kühne hieß in Wirklichkeit
Temir – heute nennen ihn die Franzosen „le Téméraire“. Er war
Herzog von Burgund. Will man den Dokumenten aus jenen Jahren glauben, so hatte
auch König Charlemagne (Karl der Große), der Begründer
Frankreichs, zu seinen Lebzeiten einen anderen Namen: Er hieß
Tscharla-mag, was in der Turksprache so viel wie „Rufe den Ruhm“ bedeutete
(vgl. Die englische Aussprache des Namens Charlemagne). Später
latinisierten lateinische Geschichtsschreiber viele historische Namen – und die
Geschichte verlor ihr einstiges Kolorit.
Die Gentry blieb,
selbst nachdem aus ihr Herzöge und Könige hervorgegangen waren, ihrer
Gewohnheit treu, auf dem Boden im Schneidersitz zu hocken. In den Chroniken
jener Zeit wird erwähnt, dass der französische König Ludwig der
Heilige seine Gäste gern in dieser Sitzhaltung empfing.
Der Boden seiner
Burg war mit Teppichen ausgelegt, in den Ecken stapelten sich zahlreiche
Kissen. Im Schlafraum des Königs wurden abends Zelte (Espervières)
aufgeschlagen und darin die Betten aufgestellt. Der König selbst trug zu
Hause keine Schuhe, dafür aber einen reich bestickten Kaftan (Sapan). In
seinem Palast gab es sowohl Räume für Kunaks (Freunde) als auch
Frauengemächer. Neben dem Herd stand eine Figurine des Schutzgeistes des
Hauses.
Genau solche,
ebenfalls aus Filz hergestellten Figurinen waren im Altai üblich gewesen.
Die Festmahle der
Gentry unterschieden sich nicht von jenen, die Attila veranstaltet hatte: das
gleiche Pferdefleisch, die gleiche Stuten- und Ziegenmilch, der gleiche Thron,
die gleichen Hofnarren und orientalischen Speisen, die gleichen Lieder und
Darbietungen. Allerdings gab es in den Sälen des Palastets nun eine
Reiterei, das war ein Novum. Die Speisen wurden direkt an den Tisch geritten,
was die Begeisterung der Gäste auslöste. Die Volkstraditionen
ändern sich nicht!
Auch bei der
Gentry wurde, gleich wie bei den Kiptschak, einem Toten sein Pferd mitgegeben.
Ihre Leichen wurden nach altaischen Regeln einbalsamiert. Auf diese Weise
wurden der englische König Eduard III. (1376), Graf Gaston de Foix (1391)
und andere wichtige Seigneurs begraben. Sie gingen wie echte Kiptschak in die
andere Welt ein!
Später
verbot die Kirche das Begräbnis unter Mitgabe des Pferdes. Nie mehr wurden
danach Hügelgräber in Westeuropa aufgeschüttet. Sie verschwanden.
Bis zum 15.
Jahrhundert hielten die europäischen Kiptschak an ihrem
altertümlichen Ritus. Selbst noch in Kleinigkeiten. Nach dem
Begräbnis wurde eine Totenfeier begangen, in ihrem Kummer schnitten sich
die Menschen Narben ins Gesicht und rissen sich die Haare aus. Alles war wie
seinerzeit unter Attila – und alles wurde nun verboten.
Bei der Gentry
galt es als schändlich, das Wort zu brechen oder eine Dame zu verleumden.
Für so etwas schlug man auf den Schuldigen mit den Fäusten ein, bis
ihm der Helm vom Kopf fiel. Sie hatten das Faustrecht,
welches ihnen bei der Lösung vieler Streitfälle half.
Aber einander
halfen sie vorbehaltlos. Nie verkauften sie etwas, nie borgten sie etwas. Wer
sich dessen schuldig machte, wurde nicht einmal geschlagen. Vielmehr wurde ihm
der Helm heruntergerissen und zu Boden geworfen. Das war Ehrabschneidung.
Dieser Mensch gehörte nicht mehr zur Gentry, man nahm ihm sein Pferd weg.
Danach hatte er keine andere Wahl als Selbstmord zu begehen oder sich als
Landarbeiter zu verdingen.
Als ebenso
unduldbar galt eine ungleiche Ehe.
Ehen wurden
zwischen den Familien ebensolcher Krieger geschlossen. Für einen Fremden
gab es da keinen Platz: Man musste auf vier Generationen aus der Gentry
zurückblicken können, um sich ihrer Gesellschaft anschließen zu
dürfen und zu ihr zu gehören.
Freilich konnten
Nichtadlige und Fremdlinge eine Bewährungsprobe bestehen. Man gab ihnen
eine Chance. Eine Kriegstat machte den Mutigen zum Vater einer neuen Familie.
Der Khan (König) zeichnete ihn mit einem Orden aus, adligte ihn und nahm
ihn in die Gentry auf.
Der Vater
vererbte diesen Titel nur seinem ältesten Sohn. Erst nach seiner weiteren
persönlichen Kriegstat, die wiederum durch einen Orden ausgezeichnet
werden musste, durfte er den ersehnten Titel all seinen Kindern vererben. So
entstand eine neue adelige Familie.
Doch das
genügte noch nicht, um Aristokrat zu werden. Die Familie erhielt alle
Rechte der Aristokraten erst nach einem treuen Dienst in weiteren zwei
Generationen. Je höher die Orden waren, umso mehr Rechte bekam sie. Es war
nicht leicht, ein turkischer Aristokrat zu sein. Man musste nach dem Ehrenkodex
leben, der keinen einzigen Fehltritt verzieh. So galt es als die
größte Schande, eine Fahne fallen zu lassen oder auch nur zu senken.
Das bedeutete den Freitod.
Das Leben eines
Vertreters der Gentry war billig, denn nicht das Leben und nicht der Reichtum
waren ihre Werte. Vielmehr schworen diese Menschen auf Ehre und Mut. Die Jugend
wurde von klein auf zu Kriegstaten erzogen.
Ein Junge musste,
und sei er noch so adlig, beim Hof eines anderen Gentry-Angehörigen als
Page dienen. Die Aufgaben eines Pagen bestanden gewöhnlich darin, das
Pferd des Herrn zu pflegen, dessen Waffen zu reinigen, sich in der Kriegskunst
zu üben, im Reiten Weiden mit dem Säbel zu kappen. Wegen jedes
Versäumnisses wurde der Page schonungslos geprügelt.
In der
Großen Steppe hatte das „Atalyk-Dienst“ geheißen. Den hatten auch
Attila, Aktasch und jeder andere turkische Junge, der später ein
berühmter Feldherr wurde, durchgemacht. Selbst Aëtius.
Ohne diesen
schweren Dienst und diese schwere Arbeit ging es nicht. Ein richtiger Mann
musste beides ertragen können.
Und so arbeitete
der Junge und wuchs heran in Erwartung einer Gelegenheit, sich zu
bewähren: bei einem Turnier unter seinen Altersgenossen zu siegen, bei der
Hochzeit eines Khans ein Pferderennen zu gewinnen, am besten aber sich in einem
richtigen Krieg hervorzutun. Davon träumte jeder Page in Westeuropa – wie
einst jeder Lanzenreiter (Ulan) in der Großen Steppe.
Es war, als
hätte die Kirche heimlich die Träume des jungen Pagen ausspioniert,
als sie die Ritterorden stiftete. Sie nannte die Gentry-Angehörigen ihre
„Ritter“, ihre Beschützer. Das war eigentlich auch alles, was nach den
Kreuzzügen geschah. Man hatte nur den Sinn eines Wortes leicht
umgewandelt, indes veränderte sich alles: Die Herren wurden zu Dienern der
Kirche.
Das Tamga
hieß nunmehr Wappen, es wurden dafür auch neue Zeichen erfunden, die
den Stammbaum der Ritter verewigten. Kennzeichnend ist, dass viele Wappen das
Tengri-Zeichen – das gleichseitige Kreuz – aufweisen. Nicht ein lateinisches,
sondern ein turkisches Symbol.
Drei Farben –
Blau, Weiß, Rot – färbten die Ritterfahnen. Auch das waren die
altertümlichen Symbole des Altai, die drei Farben des Ewigen Blauen Himmels.
Mit Schleifen in diesen Farben danken die Angehörigen der Turkvölker
dem Himmel auch heute.
Man modelte
damals beinahe alles um. Es gelang jedoch nicht, etwas von Grund auf zu
verändern.
Die Kultur der
Gentry blieb. Neues erwies sich wieder einmal als Altes. Aber die Turniere
wurden wirklich anders.
Früher kamen
ganze von „Barbaren“ besiedelte Provinzen zusammen, um den Wettkämpfen der
Gentry zuzusehen. Die Kämpfer bereiteten sich im Voraus vor. Was wandten
sie nicht alles an! Das war eine Parade der Rüstung, eine Schau der
Kampfkunst. Die Zuschauer bei diesem Fest der Stärke stritten über
die Vorzüge der einzelnen Kämpfer, setzten auf sie und
verkündeten Preise. Der Turnierpreis waren Jagdfalken, häufiger
jedoch war es der Kuss einer adligen Dame. Um dieses Kusses willen war ein
Gentleman zu jeder Prüfung bereit.
Mitunter wuchsen
sich die Turniere zu wahren Schlachten aus. 1274 z. B. Schlug sich König
Eduard samt seinen Rittern mit dem Grafen von Chalon und dessen Burgundern.
Niemand wollte nachgeben. Die päpstlichen Ritter fielen in jenem Kampf,
sie waren schwächer. Das benutzte der Papst, um alle Turniere zu
verbieten. Wer gegen das Verbot verstieß, wurde aus der Kirche
ausgestoßen, durfte nicht in geweihter Erde begraben, musste auf jede
Weise bedrängt und verfolgt werden.
Dennoch gingen
die Turniere weiter. Sie konnten gar nicht aufhören, waren sie doch eine
Schule des Mutes nicht nur für junge Leute. Also befahl der Papst, dass
sich die Ritter in einem leichten Panzer und mit stumpfen Waffen schlugen. Auf
einmal wurde daraus ein buntes Spiel, eine bunte Schau.
Für die
Krieger war das verhängnisvoll, der Verzicht auf einen richtigen Kampf
führte ins Unglück. Da sich die Ritter an die „Als-ob-Turniere“
gewöhnt hatten, verloren sie in wirklichen Kämpfen. Bekanntlich
schleicht sich ein Unglück immer unmerklich heran.
Die Nachkommen
der Khane bemerkten gar nicht, wie sie es gelernt hatten, dem Papst den
Steigbügel zu halten. Sie, diese Aristokraten des Turkvolkes, sanken zu
Dienern eines Menschen herab und gingen daran zugrunde.
Nicht die Ritter
gingen damals zugrunde, sondern die Kiptschak von Westeuropa, ihr Adel. Denn
die Aristokraten ließen ihre Fahne sinken. Und das war der Tod.
Ein Volk darf
seine Fahne nur vor Gott senken. Nur ihm allein darf es „den Steigbügel
halten“. Im 13. – 14. Jahrhundert verstummte in den Ritterburgen die
Turksprache. Für immer.
Die Seldschuken
In der Epoche der
Kreuzzüge war nicht mehr Byzanz, sondern der Orient das „Reich des
Bösen“. Es fanden sich viele Gründe, die Moslems zu hassen. Wie sich
erwies, verehrten auch sie das Kreuz, Jesus (Issa), Moses (Mussa) und den Hl.
Georg (Dshirdshi). Der Westen fühlte sich beleidigt und wollte sich mit
dieser „Ungerechtigkeit“ nicht abfinden.
Gesagt sei, dass
sich Ost und West damals nicht sehr stark voneinander unterschieden. Sie
schienen nur unterschiedlich, aber hüben wie drüben wurden nach wie
vor die Tengri-Traditionen gepflegt. Hüben wie drüben lebte der
turkische Dienst an Gott fort!
Nicht die
Religion also führte die Menschen asueinander, das tat vielmehr die
Politik.
Der Papst war das
Oberhaupt der Christen und wollte nun das Oberhaupt des Alls sein. Man nannte
ihn nicht anders als den Vermittler zwischen Gott und den Menschen, als den
Statthalter Christi. Doch das Kalifat hatte seine eigene Zukunftssicht und
wollte nicht wieder Kolonie sein. So hielt sich der Orient, der die Sitten der
römisch-katholischen Kirche sehr wohl kannte, so fern wie möglich von
ihr.
Früher, als
die Katholiken und die Moslems einen gemeinsamen Feind – Byzanz – hatten,
suchten sie nicht nach Unterschieden zwischen ihnen. Der Sultan Seldschuk, der
Begründer einer neuen Dynastie des Kalifats, eroberte Ostbyzanz und
rückte dicht an Konstantinopel heran, besetzte die Stadt jedoch nicht.
Im 11.
Jahrhundert, unter Sultan Alp-Arslan, gehörten die besten Gebiete
Kleinasiens faktisch dem Kalifat, und wiederum ließen die Araber Byzanz
in Ruhe. Warum ließen sie sich ihr Glück selbst entgleiten? Das
Land, das an einem dünnen seidenen Faden hing, hätte eine leichte
Kriegsbeute sein können. Doch die Moslems nahmen es nicht, weil sie den
Byzantinern das Recht gaben, selbstständig den Glauben – und folglich auch
ihr Schicksal – zu wählen.
Nachdem die
Christen der östlichen Provinzen von Byzanz den Islam kennen gelernt
hatten, nahmen sie ihn fast sämtlich an, und das freiwillig. Das hatte
natürlich seine Konsequenzen: Die Macht des Kaisers war im Lande danach
nur Schall und Rauch. Hofintrigen und Palastrevolutionen setzten ein. Byzanz
wurde zusehends schwächer.
Das Kalifat mischte
sich immer noch nicht ein, wartete vielmehr ab.
Die Katholiken
benutzten die Stille, um einen neuen, vierten Kreuzzug zu beginnen. An das
Heilige Land dachte keiner mehr. 1203 gingen ihre Schiffe bei Konstantinopel
vor Anker. Beinahe 20 000 Kreuzritter landeten an der Küste und schlugen
ein Lager auf. Vor der Stadt lag nun das Heer des Papstes, und diese Ritter
glaubten, mit einem einzigen Schlag über das Schicksal des byzantnischen
Throns entscheiden zu können.
Das gelang ihnen
jedoch nicht. Bei den Verhandlungen wurden sie von den Griechen betrogen.
Darauf rüsteten die betrogenen Kreuzritter zum Sturm.
Ein solcher Sturm
schien völlig absurd zu sein. Die Riesenstadt hatte ein gigantisches Heer
von 100 000 Soldaten (Normannensöldner und Kiptschak aus Osteuropa).
Diesen wurde ihr Sold jedoch nicht ausgezahlt, und sie wollten keinen Krieg
führen. Somit war das Heer da – und gleichsam gar nicht da.
Die Zeit war
aufseiten der Ritter, ihre Kühnheit lähmte den Gegner. Aber das war
nicht der einzige Grund. Der Papst wusste: Das Reich der Griechen lag in den
letzten Zügen, es war verfallen: Die Menschen schwankten zwischen zwei
Religionen, waren zerstritten. Und wenn keine Einheit bestand, konnten sie mit
geringen Kräften erobert werden. Auch diesmal hatte der Papst scharf
kalkuliert.
Endlich wurde der
Befehl erteilt. Zum betäubenden Trommelwirbel gingen die Ritter am 9.
April 1204 an Land. Ihre Fahnen bauschten im Wind. Der Sturm begann. Im Grunde
war das der Kampf zwischen David und Goliath. Die kleine Flotte stürzte
sich auf den Riesen. Der Angriff wurde zurückgeschlagen. Aber drei Tage
später erfolgte ein neuer Sturm, und der Riese fiel.
Die Sieger
feierten lange und ausgiebig: Zwei Wochen lang mordeten die einen Christen die
anderen. Frauen und Kinder wurden gefoltert. Berge von Leichen lagen in den
Straßen, man hatte keine Zeit, sie zu begraben. Konstantinopel, das nie
von einem Fremden betreten worden war, ergab sich dem Schwert des Papstes auf
Gnade und Ungnade.
Die Beute reichte
für alle. Kostbarkeiten wurden sackweise verladen. Ein Augenzeuge schrieb
darüber: „Seit die Welt steht, wurde in keiner anderen Stadt so viel
erbeutet … Wer bis dahin arm war, wurde reich und vermögend.“
Als Papst
Innozenz III. Von der Einnahme der griechischen Hauptstadt erfuhr, war das
für ihn die Stunde seines Triumphes. Dennoch sandte er ein zorniges
Schreiben an die Kreuzritter. Das war eine List. Mit seinem Tadel lobte er sie
– und auch sich selbst.
Die Kreuzritter
gaben Byzanz einen neuen Namen: Lateinisches Kaisertum. Das geschah zu Ehren
des Papstes. Am 9. Mai 1204 wurde Balduin von Flandern zum Kaiser gewählt.
Doch ein neues Land kam nicht zustande. Es ging bald an seiner eigenen
Schwäche zugrunde, zerfiel in einzelne Lande und Fürstentümer.
Seine Häfen fielen den Templern, den neuen Herren über das
Mittelmeer, zu.
Das Gold aus dem
Handel mit dem Orient strömte seitdem in die päpstlichen
Schatzkammern.
Gewiss
hätten die Moslems sich in jene Ereignisse einmischen können. Die
Armee des Kalifats stand in der Nähe, der Rittertrupp war kein Hindernis
für sie. Doch sie hatte keinen Schritt getan. Die Schätze von Byzanz
lockten die Araber nicht. Dem Orient blieben sie fremd und ließen ihn
kalt.
Der Stern der Aufklärung leuchtete nach wie vor
über dem mittelalterlichen Orient. Gold war noch nicht sein Hauptziel. Die
Herrscher der Moslems widmeten sich der Architektur, der Kunst, den
Wissenschaften. Ob das gut oder schlecht war, können wir nicht beurteilen.
Auf jeden Fall herrschte dort nicht Gold.
Zu Nachfolgern
von Byzanz riefen sich das Kaiserreich Trapezunt und das Kaiserreich Nizäa
aus. Allerdings mag „Kaiserreich“ ein für sie zu großes Wort sein.
Es handelte sich um zwei kleine Länder. Im ersten waren Verwandte der
georgischen Herrscher, im zweiteren die Griechen an der Macht.
Trapezunt wurde
von der Reiterei der Zarin Tamara unterstützt, und gerade sie half ihren
entfernten Verwandten, den Brüdern Alexios und David, auf den Thron. Sie
nannten sich die „großen Komnenen“. Es ging das Gerücht um, dass sie
im Steppenland Kumanien (Lebadia), in einer Gegend zwischen Don und Dnepr,
mitten in Descht-i-Kiptschak, geboren wurden. Dort hießen alle Menschen
„Kumanen“ bzw. „Komanen“. Ihr Schutzgeist war der Schwan.
Ein Verwandter
der Brüder Komnenen war dafür bekannt, das Kloster Batschkowski gegründet
zu haben. Es lag also wiederum in der Großen Steppe, und dorthin
schickten adelige georgische Häuser ihre Knaben zur Erziehung. Die
herrschenden Brüder selbst hatten blaue Augen, helles Haar und waren wie
alle Kiptschak sehr schön.
Die Komnenen kamen
in Transkaukasien keineswegs zufällig auf.
Im 11.
Jahrhundert forderte Zar David der Erbauer 40 000 Familien aus
Descht-i-Kiptschak zur Besiedlung Transkaukasiens auf. Diese bildeten das
Rückgrat seiner Armee und vereinigten kleine Fürstentümer zum
einheitlichen Staat Georgien, oder, richtiger: Gjurdshi: So nannten sie ihn und
die blauäugigen Georgier, die die Wärme und Stärke der
Großen Steppe ausstrahlten. Das war das goldene Zeitalter
Transkaukasiens, damals erfuhren auch die Nachbarländer vom neuen Staat.
Jedes zweite seiner Fürstengeschlechter stammte vom Turkvolk ab.
David selbst
heiratete 1118 in zweiter Ehe die Schwester des berühmten Kiptschak Khan
Kontschak (später sollte dieser den russischen Fürsten Igor gefangen
nehmen). Der Ehemann der georgischen Zarin Tamara war Utamysch, ebenfalls ein
turkischer Khan.
Mit der
Einwanderung der Kiptschak kam in Georgien die Schrift „Mchedruli“
(„Schriftzeichen der Krieger“) auf. Ebenso wie das turkische Alphabet,
zählte es achtunddreißig Buchstaben. Äußerlich erinnerten
diese an die Schriftzeichen der
altertümlichen Angehörigen des Turkvolkes. Es ist nicht
ausgeschlossen, dass die Herrscher des Kaiserreichs Trapezunt in dieser Schrift
ihre Befehle und Verfügungen schrieben.
Die beiden
herrschenden Brüder erwiesen sich als viel zu ungeduldige Politiker. Sie
waren zwar kühn, aber ungeschickt, hätten siegen können, siegten
jedoch nicht. Denn im Leben geht es nicht ohne den Glauben und ohne
Verbündete. Kurzum, im Jahre 1215 mussten sie dem Kalifat wieder Tribut zahlen,
wurden wie Vögel in einen Käfig gesperrt.
Alexios zahlte
dem Sultan 12 000 Goldmünzen, 500 Pferde, 2 000 Kühe, 10 000 Hammel
und 50 Ballen verschiedene Waren im Jahr. Vor allem war er verpflichtet, dem
Sultan den Steigbügel zu halten, wenn dieser einen Spazierritt unternahm.
Ruhmlos
verließ Trapezunt die Bahnen der Weltpolitik: Gleich einem Kometen
glänzte es am Firmament auf und erlosch.
Die Seldschuken
hätten über das Schicksal aller Nachfolger von Byzanz schon damals
entscheiden können. Aber … In der Welt kam eine neue Kraft auf, sie wuchs
bedrohlich an, wie eine Gewitterwolke am Horizont.
Ihr Name war
Dschingis Khan.
Dschingis Khan
Nach Attila
verfiel die turkische Welt langsam. Sie wurde von Bruderkriegen erschöpft.
Vom Baikalsee bis zum Atlantik, von Moskworetschje bis zum Indischen Ozean
legten sie sich nicht. Die Kiptschak schlugen sich grausam und jahrhundertelang
unter sich selbst.
Beinahe alle
mittelalterlichen Kriege waren ihre Kriege, wobei die Kiptschak in den sich
bekriegenden Armeen kämpften: die einen für die Italiener, andere
für die Byzantiner, wieder andere für die Araber, und noch andere
für sich selbst oder für sonst jemanden.
Krieg war seit
langem die Lebensweise des Volkes.
Im 5. Jahrhundert
spalteten die Zusammenstöße Attilas Land und brachten es um seine
Zukunft. Ähnliche Bruderkriege entkräfteten auch das Kalifat.
Einst hatten die
Moslems eine starke Armee. In Politik, Wissenschaft und Kunst hatten sie keine
Rivalen. Doch wie es kam, so kam es. Im Übrigen waren es nicht die Streitereien
zwischen den Herrschern ihr Verhängnis, denn solche Streitereien waren
immer da und werden immer bleiben. Über das Schicksal des Kalifats
entschied ein Schlag aus dem Osten, und die Araber hatten ihn selbst
provoziert.
Es war der Altai,
der die tödliche Wunde schlug.
Nach der
Großen Völkerwanderung war der Altai wie eine kleine, verlassene
Insel im Ozean. Die Menschheit hatte ihn anscheinend vergessen. Sie kannte das
Römische Imperium, Byzanz und das Kalifat, den Altai aber nicht mehr.
Und da brachte er
sich in Erinnerung.
Das geschah mit
der Geburt des größten Angehörigen des Turkvolkes, eines Genies
aller Jahrhunderte und aller Völker. Die Eltern gaben ihm den Namen Temutschin. Der Junge kam in
Deligun-Buldak zur Welt, einem heiligen Ort am Ufer des Onon. Zuerst sah ihn
die Kerulen-Wiese. Der Vater, Jessugej-bagatur, herrschte im Altai-Vorgebirge.
Doch er hatte zu viele Neider und Feinde, und sie vergifteten ihn.
Sie wollten auch
die Familie des Herrschers töten, doch trat ihnen der Sohn mit der Waffe
in der Hand entgegen. Der Mutige war dreizehn Jahre alt. In seinen Augen
glühte eine alles zerstörende Flamme, sein Gesicht strahlte vor
Siegesgewissheit. Als die Feinde ihn erblickten, wussten sie vor
Überraschung nicht, was sie tun sollten. Das rettete den Jungen, man
ließ ihn von dannen gehen, ohne ihm etwas angetan zu haben.
Er zog in weite
Ferne, lebte in Wäldern, sorgte selbst um seine Nahrung, wurde
stärker und formierte einen Trupp. Jahre vergingen, und der Name
Temutschin wurde bereits mit Zittern in der Stimme ausgesprochen: Der scharfe
Geist und die Furchtlosigkeit des jungen Mannes rangen selbst reifen Kriegern
Respekt ab.
Das Leben schien
die Sage von At-sys zu wiederholen: Ein um alles beraubte Jüngling zog in
die Fremde aus, um Ruhm zu erwerben. Genau das geschah auch diesmal.
Der junge Mann
eroberte den Ruhm seines Vaters zurück. Aus dem Schädel des
Vergifters machte er sich einen Weinbecher. Seitdem hieß es beim
Turkvolk: „Die Seele einer großen Tat ist zu sehen, sobald sie vollbracht
ist.“
Erst dann
übernahm Temutschin die Macht über den Altai. Man nannte ihn nun Dschingis Khan, d. H. Den „großen
Khan“, den „unbeugsamen Khan“. Der Name passte ihm. Der neue Herrscher
beabsichtigte, den alten Staat, den Großen Altai, wieder aufzubauen.
In erster Linie
setzte er den inneren Fehden, die das Volk zerfleischten, ein Ende. Dann
stellte er eine Gesetzessammlung (er nannte sie „jassa“, „tura“, „adat“) auf
und gab sie bekannt. „Dschingis Khans Jassa“ strafte wegen Betrugs, Verrats, wegen unterlassener Hilfeleistung
gegenüber einem Krieger auf dem Schlachtfeld, wegen Diebstahls.
Auf einen
Verstoß gegen die Adat stand der Tod. So war man im Alten Altai gegen
Verbrecher verfahren. So wollte auch Dschingis Khan verfahren. Das Turkvolk
besann sich auf seine Ahnen!
Mit einem Mal zog
Gerechtigkeit in die Beziehungen zwischen den Menschen ein: Wer taube Ohren
gehabt hatte, hörte nun, wer früher nichts hatte sehen wollen, wurde
sehend, und wer stumm gewesen war, begann zu sprechen. Der Herrscher wie der
Sklave befolgten die Adat. Von Bruderkriegen war keine Rede mehr. „Das Wort
meiner Lippen wird mein Schwert sein“, erklärte Dschingis Khan. Und er
wurde richtig verstanden.
„Dschingis Khans
Jassa“ ist eine Verfassung, so würde man heute dazu sagen. Niemand in der
Welt befolgte das Gesetz so genau wie der Herrscher. Selbst die Feinde
verstummten, als sie die Gerechtigkeit seiner Macht sahen. Jeder wusste: Die
Strafe ist unabwendbar, es gab für Schuldige keine Nachsicht, das bezog
sich auf ausnahmslos alle.
Doch das
größte Werk von Dschingis Khan war nicht die Adat. „Die Menschen
unterschiedlichen Glaubens müssen in Frieden miteinander leben“,
verkündete er. „Wir wollen wieder Brüder sein.“ Kein einziger
Herrscher in der Welt war auf diesen segensreichen Gedanken gekommen:
Überall – in Ost und West – spaltete der Glaube die Menschen und
verfeindete sie miteinander. Hier aber spielte er im Gegenteil eine einigende
Rolle.
Das ist
erstaunlich. Die Christen und die Moslems stritten sich darüber, wessen
Glaube besser sei, das altaische Turkvolk aber gemahnte sie an Einen Gott, der
die Welt erschaffen hatte, an den Glauben. „Was ist besser?“ fragten sie sich
und die anderen. Er ist im Himmel. Er sieht alles. Er richtet über alles.
Die Welt ist vollkommen, weil sie vom Allerhöchsten regiert wird.
Der
Tengri-Glauben, der den Altai erhöht hatte und verschiedene Völker
unter Dschingis Khans Banner versammelte, verlieh seinem Staat Stärke. Die
Menschen verschiedener Religionen empfanden, dass sie nur den einen Vater
haten: den Allerhöchsten. Nachrichten liegen vor, dass selbst
Engländer bei Dschingis Khan in den Dienst eintraten. Möglicherweise
rechneten sie sich nicht mehr zum Turkvolk, doch kamen sie, um für den
Glauben – den reinen Glauben! – zu kämpfen. Das ist eine höchst kennzeichnende
Tatsache, denn Dschingis Khan erlaubte es seinen Untertanen, sich nach freier
Wahl zum Christentum, zum Islam oder zum Buddhismus zu bekennen. Allerdings nur
nach einem Gebet zu Tengri. „Man muss mit ganzem Herzen an Gott glauben, und
der Sieg kommt.“
Der Herrscher
erkannte diese Wahrheit, als er noch nicht ganz 28 Jahre alt war. Zu jener Zeit
söhnte er die sich bekriegenden Angehörigen des Turkvolkes aus. Man
nannte ihn Sutu-Bogdo, was „Sohn des Himmels“ bedeutete.
Die
Angehörigen des Turkvolkes wurden wieder zu einem einheitlichen Volk.
Dschingis Khan
und seine Leute werden gewöhnlich Mongolen genannt. Aber der Herrscher
hatte blaue Augen und einen roten Bart, das wurde von Augenzeugen
bestätigt. Sein Vater hatte grüne Augen, daher rührte sein
Spitzname Bordshigin (Grünauge). Der Vater und sein Sohn hatten ein
deutlich ausgeprägtes Kiptschak-Äußere.
Wer waren sie in Wirklichkeit? Auf jeden Fall keine Mongolen.
Das Wort
„Mongole“ kam, wie die Mongolen selbst herausgefunden haben, im 11. Jahrhundert
auf. Es bezog sich nicht auf ein Volk, sondern auf einige Geschlechter der
Tielie (Angehörige des Turkvolkes im Osten). Warum? Leider sind hier viele
Einzelheiten unklar. Vielleicht nannten sich diese Geschlechter „Mongolen“, um
sich von den westlichen Angehörigen des Turkvolkes des Altai abzusondern,
mit denen sie verfeindet waren. Möglich ist aber auch eine andere Ursache.
Aber wie dem auch
sei, 1206 sagte Dschingis Khan: „Das Volk, das sich mit mir gegen alle
verbündet hat; das Volk, das meinen machtvollen Gedanken mit seiner
großen Kraft gewappnet hat… Dieses Volk, rein wie ein Bergkristall – ich
wünsche, dass es sich keke-mongol
(himmlisches Glück) nenne.“
Daher rührt
also das Wort „Mongole“. Im Munde Dschingis Khans bedeutete es nicht Volk,
sondern das „Glück, das der Himmel selbst beschert hat“. In diesem Wort
lag auch eine große Berechnung. Sie bestand in Folgendem:
Dschingis Khan,
ein turkischer Dingling, kam zu seinen Brüdern, den turkischen Tielie, und
wurde ihr Herrscher. „Er hat das Schwert verkauft, um den Namen zu erwerben“,
pflegte man in solchen Fällen im Altai zu sagen.
Genau so
handelten vor tausend Jahren Dschingis Khans Ahnen, als sie in die Fremde
auszogen, um den parthischen, persischen, indischen oder ägyptischen
Herrschern zu dienen. Diese namenlosen Söhne des Altai begründeten
dort mehr als nur eine herrschernde Dynastie. Von ihnen stammte so mancher
Würdenträger von Asien und Europa ab. „Ich bin ein wandernder
Kaiserkrieger“, sagte der künftige Großmogul Baber von sich, als er
sich auf die lange Suche nach Name und Macht begab.
Es sei bemerkt,
dass die Wörter „Mongole“, „Mongal“ und „Mogul“ im Mittelalter absolut
bedeutungsgleich waren, nur dass sie von verschiedenen Völkern
unterschiedlich ausgesprochen wurden.
Als Erste mussten
die Chinesen die Stärke Dschingis Khans erfahren, ihnen hatten die
Angehörigen des Turkvolkes aus dem Altai jahrhundertelang Tribut gezahlt.
Der Kaiser wunderte sich über die Abgesandten von Dschingis Khan, die
eines Tages zu ihm kamen und von ihm – das war noch erstaunlicher – etwas
forderten. Dabei war die Forderung völlig klar. Der Altai erlegte dem
Kaiser, diesem „nichtigsten aller Menschen“, einen Tribut auf.
Die Chinesen
waren sprachlos, als sie dies hörten.
Aber die
Angehörigen des Turkvolkes verhalfen ihnen zum Sprechen. Sie
überwanden die Große Chinesische Mauer, fielen ins Mittelreich ein,
kreisten 90 Städte ein und besetzten sie. Die Riesenarmee der Chinesen
stöhnte vor Ohnmacht. Die Reiter pflegten ihnen rasch einen Schlag zu
versetzen und ebenso rasch zu verschwinden. Das war ihre Taktik.
In kleinen Trupps
bewegten sich die Ankömmlinge durch das unbekannte Land, als wäre es
ihr eigenes. Wie gelang ihnen das? Gewöhnlich wird die Erfindung des
Kompasses den Chinesen zugeschrieben, das stimmt jedoch nicht, sie kannten den
Kompass nicht. Dafür hatten die turkischen Truppen ihn, so dass sie sich
mühelos in einem fremden Land orientieren konnten.
Auch hierin
zeigte sich Dschingis Khans Weisheit. Der weitsichtige Feldherr kannte die
Städte und Straßen Chinas ausgezeichnet, als hätte er sie schon
gesehen. Was ihm dabei half, waren Landkarten, die auf seinen Befehl hin
gezeichnet wurden. In seinem Hauptquartier, in der Horde, wusste er, was
hunderte Kilometer weiter lag.
Seine Armee
bewegte sich mit großer Sicherheit vorwärts, die Aufklärung,
ebenfalls eine Errungenschaft von Dschingis Khan, handelte tadellos. Deshalb
gab es eigentlich keinen wirklichen Krieg. Den Chinesen wurde ein Schlag nach
dem anderen versetzt, immer überraschend und immer an der wundesten
Stelle. Dazu bedurfte es nicht einmal einer großen Armee.
Die Beamten des
Kaisers sahen sich gezwungen, die Abgesandten von Dschingis Khan selber
einzuladen und der Verpflichtung zum Tribut zuzustimmen. Der Herrscher des
Altai erhielt eine chinesische Prinzessin, 3 000 Pferde, 500 Jungen und
ebensoviele junge Mädchen. Die Chinesen geizten auch nicht mit Gold und
Seiden.
Dschingis Khan
ernannte im eroberten Teil Chinas seinen Statthalter und gab ihm den Auftrag,
die Unterwerfung des Landes zu Ende zu führen.
Man sollte
meinen: Was sieht man in einem besiegten Land? Not, Brände, Leiden? Nein.
Die eigene Größe und die Stärke der eigenen Armee? Wiederum
nicht. Dschingis Khan wäre nicht der Weiseste der Weisesten gewesen,
hätte er nicht auch in einem fremden Land sein Auserwähltsein
bewiesen. Gott offenbarte ihm, was die anderen Menschen nicht sahen, obwohl
alles offen lag.
Beispielsweise
veranstalteten die Chinesen ein Salut ihm zu Ehren: Feuerwerke,
Knallfrösche. Millionen Menschen hatten sie in vielen Jahrhunderten
gesehen und wunderten sich nicht über so etwas. Dschingis Khan aber war
erstaunt – weil er nicht einen Knallfrosch sah, sondern eine Flinte. Eine
Feuerwaffe, die niemand kannte, von der niemand etwas auch nur ahnte. Die
Chinesen besaßen Pulver – einen Schlüssel der mittelalterlichen Welt
–, kamen jedoch nicht auf diesen Gedanken.
In China lernte
Dschingis Khan viel dazu, denn er sah dort viel Neues, Erstaunliches:
Erfahrungen von Ingenieuren, das Können einfacher Handwerker. Weitsichtig,
wie er war, gab der turkische Herrscher dort Maschinen zur Einnahme von
Festungen in Auftrag, und auch die wurden sonst von niemandem in der Welt
hergestellt. Die Römer hatten ebenfalls Belagerungmaschinen, doch waren
sie ein Kinderspielzeug im Vergleich damit, was sich Dschingis Khan vornahm.
„Wissen ist zu
ehren“, lehrten die
Ahnen. Der große Herrscher hatte diese Worte beherzigt und lernte sein
Leben lang, ohne sich dessen zu schämen.
Über seine
Armee wird gewöhnlich als über „wilde Horden“ geschrieben, über
ihre technischen Neuheiten dagegen absichtlich geschwiegen. Beispielsweise
über die Brandgeschosse, die Urform der Artillerie. Man müsste ein
ganzes Buch schreiben, um über den Feldherrn Dschingis Khan zu
erzählen. Er war ein Künstler des Schlachtfeldes, er erfand stets
etwas Neues, was nur er hatte. So gab er jedem Reiter zwei Pferde bei, damit
dieser sie während eines Feldzugs wechseln konnte. Dadurch wurde die Armee
doppelt so schnell und widerstandsfähig und handelte doppelt so
überraschend.
Im
gewöhnlichen Stachelgras der Steppe erblickte er eine neue
Verteidigungswaffe: Eisendorne. Mit diesen vereitelten die Kiptschak Angriffe
des Gegners und jede Verfolgung.
Alles in seiner
Armee war besonders und einzigartig, wie im Atelier eines großen
Künstlers.
Der nach China
nächste Staat, der auf Dschingis Khans Wege lag, war das Kalifat. Der
Sultan Muhammad, der dort regierte, benahm sich viel zu unwürdig. Er
begriff nicht, mit wem er zu tun hatte.
Dieser Sultan
wirkte wie ein Sklave, der die Gewänder seiner Herren gestohlen hatte.
Einst waren seine Ahnen Sklaven der Seldschuken und verrieten sie. Er benahm
sich denn auch wie ein Sklave. Von seinem Verhalten gekränkt, baten die
Moslems selbst Dschingis Khan um Hilfe. Sie wandten sich an ihn als einen „großen
Beschützer aller Angehörigen des Turkvolkes“, wie sie in ihrer
Botschaft schrieben. Einen Sultan mit der Seele eines Sklaven konnten sie nicht
mehr ertragen.
Dschingis Khan
wollte jedoch keinen Krieg mit den Moslems, er schlug ihnen einen gemeinsamen
Handel über die „Seidenstraße“ vor. Im Jahre 1218 ließ er eine
Karawane mit teuren Waren über das Territorium des Sultans ziehen.
Doch ein Sklave
bleibt ein Sklave, selbst wenn er die Kleider eines Sultans trägt: Ihn
dünkt, er werde betrogen, weil er selbst immer wieder die anderen
betrügt. Muhammad befahl, die friedliche Karawane zu überfallen. Die
Kaufleute wurden ermordet, die Waren geraubt. Dschingis Khan forderte über
seine Botschafter eine Befriedigung. Der Sultan ließ auch die Botschafter
ermorden, weil er eine Gefahr witterte.
Misstrauen ist
viel zu leichtsinnig, wenn man es mit einem edelmütigen Angehörigen
des Turkvolkes zu tun hat. Die Antwort folgte unverzüglich.
Zuvor aber stieg
Dschingis Khan nach alter Tradition seines Volkes auf einen Berggipfel
und betete zu Tengri. Drei Tage und drei Nächte wartete er auf dessen
Antwort. Drei Tage und drei Nächte aß und trank er nichts, nur der
Wind brachte ihm Kühlung und linderte seinen Durst.
Als er vom Berg
hinabstieg, wusste die Armee, was zu tun war. Beim Anblick des Feldherrn riefen
die Krieger wie aus einem Munde: „Tengri! Tengri!“ und beteten. Der Glaube
reinigt das Bewusstsein. So geschah es auch dieses Mal.
Unter den Fahnen
des Feldherrn und seiner Söhne versammelten sich 700 000 Reiter, das war
faktisch der ganze Altai. Zwei große Kräfte wollten sich auf dem
Schlachtfeld in Mittelasien miteinander messen. Solche Schlachten hatte die
Welt nicht einmal zu Attilas Lebzeiten erlebt. Der Altai gegen den gesamten
moslemischen Osten.
Ein Zweikampf
ohnegleichen.
Die Schlacht am
Syr-Darja begann am frühen Morgen und endete in der Nacht. Der
selbstzufriedene Sultan verlor in jenem Kampf die Hälfte seines Heeres.
Erst dann begriff der verachtenswerte Sklave, gegen wen er die Hand erhoben
hatte: gegen eine Armee, über die ein Schutzengel seine Schwingen
ausgebreitet hatte.
„Der Tag von
Gottes Zorn ist gekommen“, sagten darauf die Moslems.
Fergana, Otrar,
Chodshent, Buchara, Samarkand – beinahe alle Städte Mittelasiens wurden
von Dschingis Khan genommen: Seine Belagerungsmaschinen funktionierten
fleißig, die Stadttore zersplitterten. „O Volk, die Maßlosigkeit
deiner Sünden ist offensichtlich, ich bin gekommen, ich, Zorn des
Allerhöchsten, Abgesandter des allmächtigen Gottes, ich,
fürchterliche Strafe“, sagte der Sohn des Himmels in Buchara, in seiner
Hauptmoschee. Und alles verneigte sich vor ihm, weil seine Worte wahr waren.
Von Kriegsbeute
schwer, kehrte die Armee in die Heimat zurück, damit der turkische
Herrscher sein Leben und seine alten Tage genießen konnte. 1227 begab sich
der Feldherr auf seinen letzten Marsch. Den weitesten, den, von dem man nicht
mehr zurückkommt.
Tengri nahm seine
edle Seele auf.
Die
Sulde-Fahne des „himmlischen Glückes“
Seine Fahne wurde Sulde genannt. Sie war der
Schutzgeist des Turkvolkes, dessen „Lebenskraft“, dessen „Seele“ (so wird das
Wort übersetzt). Unter dieser Fahne zogen die Krieger des Großen
Altai in die Schlacht, mit ihr siegten sie.
Sulde und Jassa
von Dschingis Khan halfen dem Turkvolk in den schwersten Zeiten, waren die
Stimme des Volkes und gaben ihm Sicherheit und Kraft. Ihre Anwesenheit wurde
sofort und von allen empfunden. Als ein Aufklärungstrupp von Dschingis
Khan 1222 z. B. Derbent, Tiflis und andere kaukasische Städte einnahm,
brachte Khan Dshebe die Nachricht über Dschingis Khans Sulde und Jassa
dorthin. Und kampflos fügten sich ihm, einem Abgesandten des Herrschers,
die dortigen Angehörigen des Turkvolkes.
Die Menschen
begriffen: Es handelte sich um die Zeichen eines heiligen Krieges, den
der Altai begonnen hatte. Eines Krieges um die Wiedergeburt des Turkvolkes!
Die Truppe von
Khan Dshebe war nicht groß, sie zählte nur 25 000 Reiter, legte
jedoch den Weg von Samarkand bis zum Dnepr zurück. Das ist höchstens
mit dem Feldzug Alexanders von Mazedonien zu vergleichen. Die Truppe
vollbrachte aber mehr als Alexanders gesamte Armee.
Woran lag das?
Die Zeitgenossen verstanden es nicht, und die Geschichtsschreiber haben es
nicht erklärt. Verwegenheit? Ein Streich? Eine kluge Absurdität?
Möglicherweise alles zusammen, vielleicht auch noch etwas anderes. Auf
jeden Fall war der Feldzug mit mathematischer Genauigkeit berechnet. Es war
erstaunlich, mit welcher Sicherheit die Truppe im unbekannten Land
vorwärts kam.
Sie hatte
nämlich einen Kompass und Landkarten.
Die Truppe glich
einem Gespenst, wirkte wie ein Abgesandter des Himmels. Sobald
die Kiptschak ihr
begegneten und von ihren Zielen erfuhren, wagten sie nicht, ihren Blick gegen
die Fahne von Dschingis Khan zu heben, neigten ihr Haupt und knieten nieder.
Mit Jassa-Gegnern
verfuhr man einfach, nämlich nach dem Gesetz. Nicht anders verfuhr man im
Nordkaukasus auch mit Kiptschak, die ihre Säbel gegen die heilige
Sulde-Fahne gezückt hatten. Sie mussten das schwer büßen.
Leider ist jener
Feldzug von Khan Dshebe beinahe nicht erforscht. Viel zu unterschiedlich
äußerten sich Zeitgenossen über ihn. Die einen mit Freude,
andere ganz anders. Besonders wütend waren die Feinde der Großen
Steppe. Sprachen sie von Dshebe und Dschingis Khan, so speiten sie Gift und
Galle.
Hier jedoch ein
Fakt, der nicht zu übersehen ist: Der Aufklärungstrupp betrat den
Boden des Khanats Groß-Bulgarien, mühelos, ohne auf einen nennbaren
Widerstand gestoßen zu sein. Das konnte er tun, weil er Dschingis Khans
Jassa folgte und das auch bekannt gab. Der Einzug war keine feindliche
Invasion. Die Reiter zogen nicht in ein fremdes Land ein. Sie kamen, um
turkische Lande, die durch Bruderkriege erschöpft und durch Raubzüge
der Byzantiner verwüstet waren, zu befreien.
Groß-Bulgarien
lag darnieder, und das seit dem 9. Jahrhundert, nach dem Kaiser Leo von
Isaurien, der das Land zu seinem Unglück Byzanz angenähert hatte. Die
Griechen diktierten den bulgarischen Angehörigen des Turkvolkes das
Christentum auf. Dann ordneten sie sie vollends der griechischen Kirche unter.
Und dann schalteten und walteten sie in Groß-Bulgarien nach dem Beispiel
der Katholiken, die die Macht über ganz Westeuropa an sich gerissen
hatten.
Nicht von
ungefähr wurde ein byzantinischer Kaiser Bulgarentöter genannt. Er
bekam diesen Beinamen für seine Siege in Groß-Bulgarien. Die
furchtbarsten Folterungen verblassen neben dem, was die Griechen dort nach
ihrem Sieg verübten. Sie stachen 15 000 Kiptschak die Augen aus, damit sie
nicht den Himmel sehen und nicht zu Tengri beten konnten.
Gerade die
Griechen lösten Streite unter den bulgarischen Khanen aus. Gerade den
Griechen passte der Hader im Turkvolk; mit solchen Methoden begannen sie, ihre
Macht in der Großen Steppe durchzusetzen. Osteuropa stand in Flammen,
durch ein neues „griechisches Feuer“ in Brand gesteckt.
Ein tragisches
Unverständnis lastete auf der Großen Steppe.
In der Hitze des
allgemeinen Brandes war Khan Bohur der Erste, der das Turkvolk verriet. Im
Jahre 852 erhob er, der heute als Zar Boris oder Bohoris bekannt ist, einen
Aufstand in Bulgarien und übte einen Verrat. Die Aufständischen
köpften 52 namhafte turkische Familien. Bohur wurde Zar und nannte seine
Untertanen nicht mehr Kiptschak, sondern Slawen.
Um seine Macht zu
behaupten, zwang dieser Verräter 864 – 865 seinem Volk das griechische
Christentum auf. Sich nannte er Michail zu Ehren seines Taufpaten, des
byzantinischen Kaisers Michael III.
Die Griechen
halfen ihm, und er half den Griechen.
Der römische
Papst tat seinerseits nicht wenig, um die Steppe krank zu machen. Das ist aber
eine ganz andere Geschichte, weder blutig noch grausam. Sie erzählt davon,
wie einschmeichelnd die Stimme des Satans ist, die so manche
osteuropäische Kiptschak die Macht des Papstes anerkennen ließ. Nach
der Taufe wurden sie Moravanen, Tschechen, Polen, Österreicher, Kroaten,
Ungarn usw. Eine tragische und nebelhafte Geschichte.
Im Jahre 882
eroberten die Normannen, Verbündete der Byzantiner, den Norden des
Kaganats Ukraine. Es entstand die Kiewer Rus und mit ihr eine neue „Krankheit“
der Steppe. Auch hier wurden Attilas Nachkommen zu „Slawen“ und „Christen“,
ohne recht verstanden zu haben, wie das eigentlich geschehen war.
Es war also kein
Zufall, dass Dschingis Khan seine Aufklärung in den Westen geschickt
hatte, vielmehr war das eine Fügung der Geschichte. Der große Herrscher
wusste ausgezeichnet, wie es in Europa aussah. „Das Turkvolk muss seinen
verlorenen Namen wieder erlangen“, entschied er.
Khan Dshebe und
sein Gehilfe Subutai (Sudebej) brachten aus dem Altai die heilige Sulde-Fahne
nach Osteuropa. Sie war das Heilmittel gegen alle Krankheiten des Turkvolkes.
Der Herrscher hatte den Aufklärern befohlen, „in den Westen zu ziehen,
solange sie auch nur einen einzigen Angehörigen des Turkvolkes antreffen“.
So ging Khan Dshebe nur vorwärts, um den Namen und die Ehre seines
Volkes wiederherzustellen. Fremde Länder brauchte er nicht.
Dschingis Khans
Aufklärertruppen eroberten niemanden. Sie legten nur ruhig Orte für
die Armee fest, die bald kommen sollte. Unter den ansässigen Kiptschak
wählten sie Vollstrecker aus, die die Steuern für die Armee einziehen
und die Macht ausüben sollten. Sie zogen alles in Rechnung, ihnen stand
alles zur Verfügung. Gleich Ärzten taten sie ihr unauffälliges,
doch nützliches Werk: Sie pflegten die kranken Lande gesund.
An jene Tage
erinnern die Wörter, die damals aufkamen. „Jesaul“ wurde der Vollstrecker
genannt, „Jamschtschik“ jener, der in der Poststation (Jama) Passvermerke
machen sollte. „Daroga“ hieß jener, der für die Verkehrsordnung und
Verkehrswege verantwortlich war (vgl. Das russ. Doroga, Straße,
Weg). Der Aufmerksamkeit von Dshebe und Subutai entging nichts. Ordnung zog in
den Staat wieder ein!
Im Jahre 1223
erreichte der Trupp die Grenze der westlichen Welt. Diese Grenze wurde vom
Papst, richtiger: von der Macht der ihm voll und ganz untergeordneten Kirche,
festgelegt.
Die Kiewer Rus
war das östliche Bollwerk des unsichtbaren Imperiums des Papstes.
Vielleicht wusste sie gar nicht, dass sie mit der Annahme des Christentums eine
Kolonie des Papstes geworden war. Doch gerade hier, in den Steppen der Ukraine,
grenzten Ost und West aneinander. Deshalb mussten sie sich hier miteinander
messen. Wie zu Attilas Zeiten.
Ihr Kampf war
unvermeidlich. Selbstverständlich war sein Grund nicht nur der Meuchelmord
an Dschingis Khans Abgesandten in Kiew. Alles war viel komplizierter: Zwei
Weltanschauungen prallten aufeinander, zwei Kulturen, zwei Wahrheiten. Jede
davon wollte sich und das eigene Fortbestehen behaupten.
Am 30. Mai begann
die berühmte Schlacht gegen die russischen Fürsten; ihre Armee war zahlenmäßig
viermal so stark wie der Trupp von Khan Dshebe und Subutai, ihnen half ganz
Europa. Alles war auf ihrer Seite. Nur Gott nicht.
Die Schlacht
begann ungewöhnlich. Zuerst demonstrierte der Trupp von Khan Dshebe
kunstvoll seine Kampfunfähigkeit, tat erschrocken und imitierte einen
eiligen Rückzug. Das war eine Vorstellung, von einer solchen
Kriegskunst machte Dschingis Khan Gebrauch, wenn die gegnerischen Kräfte
ihm überlegen waren. Aber die russischen Fürsten wussten nichts
davon, sie verfolgten den sich zurückziehenden Gegner und zogen ihre Armee
viele Kilometer weit auseinander. Ihre große Überlegenheit schmolz
dahin wie Schnee im Frühjahr.
Erst am Fluss
Kalka begriff der Kiewer Fürst Mstislaw, was passiert war, es war aber zu
spät. Erst an der Kalka begann die richtige Schlacht.
Kaum jemand
überlebte sie. Sechs Fürsten, siebzig Bojaren, zehntausende einfache
Krieger blieben auf dem Schlachtfeld. Der Aufklärungstrupp schlug die
Riesenarmee mühelos aufs Haupt; dabei hatte auf diese Armee der Papst gesetzt,
als er von einem „zweiten Rom“ im Osten von Europa sprach.
Die Kiptschak,
die den Altai vergessen hatten, erhielten eine eindringliche Lehre.
Allerdings
rächten sie die Niederlage an der Kalka, aber diesmal ohne die Russen. Im
Herbst desselben Jahres überfielen sie dreist den Trupp von Dshebe und
Subutai, als jene die Itil (Wolga) überquerten.
Nun, das war eine
des Turkvolkes würdige Antwort.
Ein Joch, das
es nicht gab
Dennoch
hinterlässt jener große Feldzug ein Gefühl des Befremdens: Die
Niederlage an der Kalka ist für die Rus der Beginn des tataromongolischen
Jochs. Den Sieg der Großen Steppe trug sie in ihre Geschichte nicht
als einen Sieg und nicht als eine Niederlage ein, sondern als das Verschwinden
des Landes der Kiptschak vom Erdboden.
Einfach
unglaublich.
Wie behauptet
wird, hätten die Kiptschak nach diesem ihrem herrlichen Sieg den
geschlagenen Russen die eigenen Städte, Stanizas, Ackerböden und
Weideflächen geschenkt und sich in unbekannte Richtung verzogen.
Unvorstellbar: Ein Volk von mehreren Millionen verschwunden! Von allein und
freiwillig, über Nacht, ohne Spuren zu hinterlassen. Gerade das behauptet
die offizielle Geschichte.
Konnte es so
etwas überhaupt geben?
Der gesunde
Menschenverstand lehrt, dass es viel zu wenige Russen in der ganzen Welt gab,
um jenes „Geschenk des Khans“ anzunehmen und die Städte auch nur am Don zu
besiedeln. Dabei ist der Don noch nicht die ganze Große Steppe, vielmehr
ein kleiner Teil davon.
Die Rus machte
ein Hundertstel der Steppe aus.
Ist folglich
alles, was mit dem Begriff „Joch“ zusammenhängt, einfach frei erfunden?
Jawohl, frei
erfunden. Es ist sogar bekannt, wann das geschah: im Jahre 1823. Bekannt ist
auch, wo das geschah: in Petersburg. Der Gedanke stammt von einem
Gymnasiallehrer.
Leider gibt es
viele Entstellungen in der Geschichte der Völker, Entstellungen jeder Art.
Mit ihnen wuchsen Generationen auf, denen man die Wahrheit von ihren Ahnen und
ihnen selbst vorenthielt. Das war in Westeuropa üblich, und seit dem 18.
Jahrhundert auch in Russland.
Der gesamte
geschichtliche Verlauf war natürlich anders gewesen.
Der Feldzug von
Khan Dshebe und Subutai wirkte auf Dschingis Khan wie eine kalte Dusche. Er
verstand, dass er den Westen nicht besiegen konnte, weil ihm jene Kiptschak im
Wege standen, die weder Sulde noch Jassa anerkannten. Schon um 1223 verlor der
Feldherr das Interesse am Westen.
Wie es im Leben
oft vorkommt, spielte ein Zufall die entscheidende Rolle.
Einmal war
Mangusch, Sohn von Khan Kotjan, auf der Falkenjagd in der Steppe. Er begegnete
Khan Akkubul, einem alten Rivalen des eigenen Geschlechts. Wären sie
auseinandergeritten, hätte sich womöglich die gesamte Weltgeschichte
anders gestaltet. Doch sie ritten nicht auseinander, vielmehr schlugen sie
sich, und im Zweikampf tötete Akkubul den jungen Mann.
Kaum war die
traurige Nachricht bis zum Dnepr, zu den Besitzungen von Khan Kotjan,
vorgedrungen, als er seine Truppen sammelte und sie in die Schlacht mit Khan
Akkubul, zum Don führte.
Die Kiptschak vom
Dnepr kämpften am Don wie die Löwen. Akkubul wurde verwundet und
konnte sich nur mit Mühe retten. Da er keine Kräfte zu einem
Gegenschlag aufbringen konnte, sandte er seinen Bruder Ansar zum Altai, damit
er Hilfe brachte. Jener führte denn auch die „Mongolen“ zum Don.
Das geschah
fünf Jahre nach der Schlacht an der Kalka. Dschingis Khan war nicht mehr
am Leben. So und nicht anders begann das „tataromongolische Joch“. Dabei war an
ihm nichts Erniedrigendes. „Ige“ (vgl. Das russ. Igo, Joch) bedeutet in
der alten Turksprache „Herr“. Die Große Steppe bekam einen Herrn: Jassa.
Und dazu die Sulde-Fahne.
Es gab weder das
Verschwinden eines Volkes noch einen Einfall von „Nomadenhorden“. Es kam ein
Gericht, das zwang, auf das Gesetz zu hören. Besonders schwer strafte das
Jassa-Gesetz wegen Streitereien und Hader unter den eigenen Leuten. Die
Steppenbewohner söhnten sich aus, Friede kehrte in ihre Häuser ein.
Der Westen hatte
sie gegeneinander aufgehetzt, Dschingis Khan söhnte sie miteinander aus.
Das war in Wirklichkeit geschehen.
Das Leben schien
in die gewohnten Bahnen zurückgekehrt zu sein, veränderte sich aber
doch.
Die Steppe
erkannte Jassa an und blieb turkisch. Denn am Don, am Dnepr, an der Wolga
lebten Kiptschak. Hier hatten sich seit Khan Aktasch vierzig Generationen
abgelöst. Die Kiptschak waren schon seit langem in der Steppe
ansässig.
Nachdem sie das
„Ige“ angenommen hatten, veränderten sie sich natürlich nicht
äußerlich, nannten jedoch ihr Land auf neue Weise: Goldene Horde
bzw. Blaue Horde. Ein neues Leben zog ein und hinterließ seine Spur.
Die neuen
Benennungen in der Steppe zeichneten sich dadurch aus, dass sie sich nach der
Farbe der Fahne richteten. Was das Wort „Horde“ betrifft, so bedeutete es so
viel wie „ein Land, das das Jassa-Gesetz anerkannt hat“.
Die Söhne
von Dschingis Khan teilten die riesige Großmacht Altai unter sich auf. In
jeder einzelnen Horde regierte ein Khan. Der älteste Sohn,
Dschütschi, erhielt die westlichen Lande, d. H. Die Goldene Horde, doch
regiert wurde diese von seinem Sohn Batu.
Zur Hauptstadt
der Goldenen Horde bestimmte er Sarai, die reichste Stadt Osteuropas. Ihre
Paläste und Fontänen riefen selbst bei Venezianern, die manchmal
herreisten, Bewunderung hervor. Sarai wurde rasch zu einer Kreuzung von
Handelsstraßen, über die Waren aus Ost und West befördert
wurden. Beliebige Luxusgegenstände waren auf seinen Basaren zu haben. In
der Stadt blühte das Handwerk, sein professioneller Stand setzte die
Byzantiner in Erstaunen. So fanden Archäologen dort z. B. Einen
Kaffeeservice von feinster Arbeit, ausgesuchten Goldschmuck und Münzen
(heute werden sie in der Ermitage aufbewahrt).
Die Stadt war
wegen ihrer herrlichen Bibliothek und ihrer Wissenschaftler berühmt.
Wohlgemerkt: Die Rede ist von der Hauptstadt des „blutrünstigen“ Batu,
eines „Wilden“, wie gewisse Historiker ihn nennen. Fakten überzeugen
jedoch vom Gegenteil.
Bekannt ist, dass
Batu von seinen Angehörigen Sainkhan, d. H. Gutmütiger, genannt
wurde. Das war sein Hausname. Er war dick, untersetzt, faul, hatte eine
Schwäche für Luxus, Muße und lange Tischgespräche. Auf Kriege
und Feldzüge legte er keinen Wert.
Selbstverständlich
führte Batu Kriege, und zwar erfolgreich. Aber sein Wille war das nicht.
Unter seiner Fahne standen 300 000 Reiter – Kiptschak von Dnepr, Don und Itil –
kampfbereit. Unter ihnen waren auch „Mongolen“, d. H. Ankömmlinge aus dem
Altai, ihre Zahl betrug 4 000. Sie wurden von Batus Onkel, Khan Oktaj, zu ihm
geschickt. Er war es auch, der Subutai zum Oberbefehlshaber der Goldenen Horde
ernannte. Dieser Liebling von Dschingis Khan machte die Horde berühmt. Als
entschlossener Mensch zwang Batu zu Handlungen, die er selbst für
nötig hielt. Auch machte Subutai vor nichts Halt.
Auf sein Beharren
führte die Goldene Horde 1237 Dschingis Khans Jassa bei den Kiptschak von
Rjasan und anderen Landen ein. 1240 musste Kiew, das die Jassa-Gesetze nicht
anerkannte, erfahren, wie hoch die Strafe dafür ist. Dann waren Buda und
Pest, Prag, Kraków, Porzega und andere turkische Städte an der
Reihe.
Dank Subutai
erinnerten sich die Angehörigen des Turkvolkes, die in Zentraleuropa
lebten, an ihre Ahnen. Nicht Batu, sondern Subutai schlug die polnischen,
bohemischen, deutschen und ungarischen Ritter im Kampf. Er war ein großer
Krieger. Europa kannte keine Feldherren von seinem Format. Erstaunlich an
seinen grandiosen Siegen waren Eleganz und Leichtigkeit.
Subutai
führte Krieg genau nach den Geboten von Dschingis Khan. Das Gebot aber
lautete: vorwärts gehen und erst dort stehen bleiben, wo die turkische
Welt endete; nichts Fremdes an sich nehmen; nur Eigenes zurückerobern.
Deshalb kehrte Batus Armee 1238 von ihrem Marsch auf Nowgorod zurück;
selbstverständlich nicht, weil sie vor jemandem Angst bekam.
Subutai sah eben:
Dort gab es keine Angehörigen des Turkvolkes, also war das ein fremdes
Land. Man erlegte ihm einen Tribut auf und ging von dannen.
Im 13.
Jahrhundert endete die turkische Welt an der Moskwa. Weiter nördlich lagen
die Lande der finnisch-ugrischen Völker, fremde Lande.
Damals bedeutete
die Auferlegung eines Tributs nicht Unterwerfung, sondern das Schließen
eines Bündnisses. Der Tribut war sowohl eine Steuer als auch ein Vertrag,
keineswegs ein blutiges oder furchterregendes Wort. Dschingis Khan hieß
schwache Verbündete schützen. Batu hielt sich an dieses Geheiß
– vielleicht sogar viel zu genau.
Dschingis Khans
Jassa verpflichtete ihn dazu, jede Stadt und jedes Land zu schützen, wenn
sie zum Gott des Himmels beteten und den Khan anerkannten. Sonst wurde vom
Tributpflichtigen nichts verlangt. Nur eben sein reines Gebet.
Das war der ganze
Tribut, den die Rus unter Batu der Goldenen Horde zahlte.
Dafür
beschützte die turkische Armee den Tributpflichtigen vor
äußeren Feinden. Das Fürstentum Nowgorod z. B. Wurde von Khan
Aliskander beschützt. Als Sohn eines Fürsten von Wladimir und einer
Kiptschak-Prinzessin, war er in Batus Palast aufgewachsen. Batus Sohn Sartak
war sein Milchbruder. Beide Jungen wuchsen zu den Klängen der
Steppenlieder auf.
Zu seiner
berühmten Schlacht auf dem Eise des Peipussees 1242 führte Aliskander
die Reiter der Goldenen Horde, und sie erteilten den Teutonen eine grausame
Lehre. Die Reiter waren es, nicht die Russen. Diese hatten damals
überhaupt keine Armee und schickten ihre jungen Männer in die Horde
zum Armeedienst, wie das im Vertrag vorgesehen war.
Khan Aliskander
und Alexander Newski sind also zwei völlig verschiedene Menschen in ein
und derselben Gestalt. Im 18. Jahrhundert, als Russlands Geschichte
„korrigiert“ wurde, verwandelte man den Khan in Alexander Newski und machte
einen russischen Heiligen aus ihm. Dabei konnte er nicht „Newski“ sein, weil er
sich an der Schlacht an der Newa nicht beteiligte. Dort kämpften die
Schweden gegen die Finnen, und zwar nicht auf dem Territorium der Rus.
Auch Batu ist
eine Figur mit „doppelter Geschichte“. Dabei half er der Kirche. Von seinem
„tataromongolischen Joch“ profitieren in erster Linie die russischen
Klöster: Ihre Zahl in der Rus vervielfachte sich. „Wer zum Himmel betet,
möge beten“, sagte der Khan.
Er erließ
den Geistlichen die Steuern und baute eifrig neue Kirchen. Sein Sohn Sartak
wurde zu einem Diakon. Batu selbst allerdings ließ sich nicht taufen, als
er erfuhr, dass Tote in die Kirchen getragen werden, und vor Toten hatte er
große Angst. Seine Frau aber konvertierte zum Christentum.
Offenbar war es
kein Zufall, dass Venezianer, päpstliche Agenten, sich in Sarai bei Batu lange
aufhielten. Sie wollten ihn zum Christentum überreden: Er war der
Erste, der Zweifel an dem Glauben seines Vaters und Großvaters bekam. Das
Verhalten des Khans war einem Verrat nah.
Zweimal verriet
Batu die Goldene Horde und die turkische Welt.
Dieser beleibte
schwerfällige Mensch zerstritt sich mit den Aristokraten. Sie verachteten
ihn wegen seines Verrats am Glauben und wegen seiner Faulheit und machten kein
Hehl daraus. Zuerst duldete Batu das schweigend, dann beschwerte er sich bei
seinem Onkel, fand bei ihm keine Unterstützung und machte sich mit der
Grausamkeit eines Schwächlings daran, die ihm verhassten Menschen zu
vernichten. Das war ein großes Unglück für die Goldene Horde.
Viele Köpfe rollten.
Die Aristokraten
verließen eilig die Heimat. So zogen sie z. B. In den Kaukasus, um sich
dort vor dem wahnsinnig gewordenen Nachkommen Dschingis Khans zu verbergen. Sie
konnten Batu nicht töten, wollten ihn aber auch nicht sehen. Ein anderer
Teil des Adels rettete sich nach Westeuropa, und wieder ein anderer Teil ging
nordwärts, in die Lande der finnisch-ugrischen Fürstentümer,
über die Batu keine Macht hatte. Auch Twer, Kostroma, Moskow und andere
Waldstädte boten den Flüchtligen aus der Steppe Zuflucht.
Mit diesen
ausgewanderten turkischen Aristokraten begann der russische Adel: Die Kiptschak
nahmen russische Namen an und dienten bei russischen Fürsten. Die Rus
bereicherte sich märchenhaft: Die Aksakow, Araktschejew, Bulgakow,
Godunow, Golizyn, Kutusow, Kurakin, Nachimow, Ogarjow, Puschkin, Suworow,
Turgenjew, Tolstoi, Tschirikow, Jussupow – über dreihundert turkische
Familien ließen sich in der Rus nieder.
Dreihundert
Geschlechter, die Blüte des künftigen Adels. Die besten, die
würdigsten Menschen. Sie verließen die Große Steppe, ihre
turkische Welt für immer. Russlands Anfänge sind bei ihnen und nicht
bei der Kiewer Rus zu suchen.
Nach dem Gebot
ihrer Ahnen hatten diese turkischen Aristokraten „ihr Schwert verkauft, um den
Namen zu erwerben“, und wurden zu Würdenträgern eines anderen Landes.
Selbst die russischen Zaren Romanow sind turkischer Abstammung: Sie gingen aus
dem Geschlecht Kopyl hervor, davon zeugt ihr Stammbaum.
Somit schuf
der starrsinnige Batu Russland – aus einer Laune heraus!
Unter ihm
verwandelte sich das unbedeutende Städtchen Moskow in die
Fürstenstadt Moskau. Berühmt wurde es jedoch nicht durch Handel oder
Handwerk, sondern durch die Steuer, die seine neuen Einwohner in der ganzen Rus
eintrieben.
Das war eine
Gendarmenstadt, die der Goldenen Horde diente.
Die Inquisition
Batus Feldzug von
1241 versetzte Europa in große Angst.
Damals
rückte die turkische Armee an die Grenze Italiens, an das Adriatische Meer
heran. Sie zerschlug die Elitetruppen des Papstes und blieb dort
überwintern, um sich auf den Feldzug gegen Rom vorzubereiten. Der Ausgang
der Angelegenheit war nur eine Frage der Zeit.
Batu dachte
natürlich nicht an die Eroberung Roms. Die turkischen Katholiken, die sich
dort angesiedelt hatten, mussten auf die Herrscher des eigenen Volkes und nicht
auf die des Papstes hören. Von diesem Gedanken ließ man sich im
Altai leiten, als man die Armee in das ferne Europa ausschickte.
Es ist
unvorstellbar, was sich in jenem Winter abspielte. Ein richtiges Ende der Welt.
Überall Panik und Chaos. Attilas Nachkommen erwarteten das vom Osten
kommende Gericht und sprachen nur noch davon. Niemand wusste jedoch im Grunde,
was es mit diesem Gericht auf sich hatte. Die Katholiken fürchteten nicht
die „Mongolen“, sondern die Ordnung, die diese mit sich brachten.
Denn unter der
neuen Ordnung wurde der Papst überflüssig auf dieser Erde.
Die Einwohner
Gotlands (Schwedens) z. B. Waren dermaßen erschrocken, dass ihre Schiffe
nicht mehr zum Heringsfang ausliefen und auch sonst nicht in den See stachen,
um nicht zufällig Batus Armee herzuführen. Die Märkte waren
geschlossen, eine große Gleichgültigkeit befiel alle und ergriff die
Herrschaft über alles.
In den
Straßen der europäischen Städte trieben sich von Angst
verblendete Menschen umher, die nicht wussten, vor wem und wohin sie fliehen
sollten. Es war, als fühlten sie eine große Schuld, die auf ihnen
lastete. Aber was für eine Schuld? Jeden Tag erwartete man Batu. „Gott,
errette uns vor der Wut der Tataren“, flehten die Europäer, die Augen zum
Himmel erhoben. In England kam sogar der Ausdruck „to catch a tartar“ auf, der
so viel bedeutete wie „auf einen notorisch stärkeren Gegner zu
stoßen“.
Doch ein
Überfall blieb aus.
Anfang März
1242, unmittelbar vor dem Angriff, traf im Hauptquartier die Nachricht ein,
dass Batus geliebter Onkel, Khan Oktaj, im Altai gestorben war. Batu
fühlte sich verloren, weinte fortwährend und fand keine Ruhe. Von
einem Feldzug wollte er nichts mehr hören.
Der
Oberbefehlshaber sah sich in einer sehr schwierigen Lage: Ohne den Khan konnte
er weder einen Rückzug noch eine Attacke unternehmen. Die Armee, die zu
einem entscheidenden Sieg motiviert war, war am Scheideweg. In Tränen
aufgelöst und kniefällig flehte Batu Subutai an, ihn gehen zu lassen.
Nichts lockte den trauernden Khan mehr an, nicht einmal ein naher Sieg.
Letzten Endes
reiste er ab und überließ die Armee ihrem Schicksal.
Der
Oberbefehlshaber Subutai aber ließ, um den Gegner irrezuleiten, einen
Aufklärungstrupp vorrücken, damit sich die Europäer von seinen
ernsten Absichten überzeugten. Der Trupp ruinierte die Städte auf
seinem Weg und zeigte auf jede Weise seine Entschlossenheit und
Unversöhnlichkeit.
Unterdessen zog
sich die Armee langsam, um nicht den Verdacht einer Flucht zu erwecken,
zurück. Subutai ging schlau vor. Er erklärte z. B., der Altai
verzeihe den europäischen Kiptschak ihren Verrat am Glauben an den Gott
des Himmels.
Erst dann seufzte
Europa erleichtert auf.
Nun trat aber
Papst Innozenz IV. In den Vordergrund. Er hatte einen dreisten Plan, der darin
bestand, aus seinen Feinden Verbündete zu machen.
Dieser Papst war
als hervorragender Jurist und durchtriebener Politiker bekannt. Seine Ahnen
waren Langobarden, also Kiptschak, und bei ihnen und nicht bei den Römern
fand er Unterstützung: Der Papst stammte von fremdländischen Rittern
ab. 1245 entsandte er seinen Botschafter, den Mönch Giovanni del Plano
Carpini, in den Altai, in die Hauptstadt des „mongolischen“ Reiches, Karakorum.
Das Ziel der Reise schien friedlich zu sein: Der Papst erkannte Tengri an und
bot den Kiptschak ein Bündnis zur Bekämpfung der Moslems an.
Ein raffinierter
politischer Schachzug. Noch dazu völlig überraschend. Er suchte nicht
einen Krieg, sondern ein Bündnis: Der Altai und der Westen sollten gegen
den moslemischen Osten gemeinsam kämpften und Europa so vor einer neuen Invasion
der Kiptschak retten. Ausgezeichnet konzipiert.
Den Botschafter
begleitete ein anderer Mönch, der Dolmetscher turkischer Abstammung
Benedikt Polak. Sie durchzogen die Große Steppe und sahen sie mit eigenen
Augen, den Augen von Spionen! Diese Aufklärung brachte glänzende
Resultate. Sie schrieben einen Bericht für den Papst und dann noch ein
Buch. Beide waren die ersten Katholiken, die den Altai – das Paradies –
besuchten.
Später,
1253, hielt sich hier unter dem gleichen Vorwand ein weiterer päpstlicher
Spion, Guillaume de Roubrouc, auf.
Im 13.
Jahrhundert war der Plan der Kirche reif, den ihr Dschingis Khans Jassa
vorgesagt hatte. Ein genialer Plan, der den Namen Inquisition bekam. Das
Wesen war einfach und verständlich: Um neue Angriffe der Goldenen Horde zu
vermeiden, müsse man jede Spur der Anwesenheit der Kiptschak in Europa
tilgen. Es galt, zu erreichen, dass nichts mehr an sie erinnerte. Aber wie?
Durch Vertuschen!
Dschingis Khans Jassa verpflichtete ja dazu, den Krieg nicht gegen die
Europäer, sondern nur gegen die dort lebenden Angehörigen des
Turkvolkes zu führen. „Vorwärts kommen, bis man den letzten Kiptschak
trifft“: So lautete ein Jassa-Gebot. Dann erst solle man umkehren.
Deshalb unternahm
Batu keinen Feldzug gegen Byzanz! Dort war die Turksprache verstummt, in
Westeuropa aber noch nicht.
Die
päpstlichen Helfershelfer waren wieder auf der Höhe.
Von der
Inquisition sprachen sie zuerst beim Kirchenkonzil von 1229 in Toulouse, nach
der Niederlage der Russen an der Kalka, dann wieder 1245 in Lyon, schon nach
Batus europäischem Feldzug.
Die Idee stammte
vom Mönch Dominikus. Er schlug vor, einen weiteren Orden, den
gefährlichsten und mächtigsten, zu gründen. Der Orden sollte
alles Turkische ausmerzen, sich alle Gerichte unterstellen, die Schuldigen
aufspüren und die Untersuchung selbstständig durchführen.
Kurzum, Richter und Henker zugleich sein.
So entstand der
Dominikanerorden. Auf seinem Wappen waren wütende Hunde dargestellt, als
Symbol der Gefahr für die Ketzerei. Alles Turkische galt als Ketzerei.
Diese
Entscheidung gefiel natürlich nicht allen. Einige Katholiken wollten die
Turksprache nicht vergessen und die eigenen Sitten „vertuschen“. Zu
Häretikern verschrien, wurden diese Menschen die ersten Opfer der
Inquisition.
Übrigens ist
das Wort „Häretiker“ turkischer Abstammung. Jawohl, selbst dieses Wort! Da
hatten die turkischen Katholiken nichts Neues erfunden. Mit ihm wurden Menschen
bezeichnet, die die Ansichten der Kirche ablehnten. In der Turksprache bedeutet
„Häresie“ „das Abzulehnende“. Mit Hilfe der Inquisition „maskierten“ die
Katholiken Europa.
Rein menschlich
kann man es ihnen nachfühlen. Die Menschen empfanden sich nicht als
Angehörige des Turkvolkes, sondern als Europäer. Die Mongolen, ihre
Brüder, erkannten das vielleicht mit einem zehnten Gefühl. Doch in
erster Linie sahen sie in ihnen Vertreter einer anderen – nicht
europäischen, folglich fremden und feindlichen – Kultur. Fremde
Brüder... Sie unterschieden sich voneinander wie ein Prinz von einem
Bettler.
Aber jeder
glaubte, der Prinz sei er.
Um ein
einheitliches Volk zu sein, genügt es also noch nicht, die gleiche Sprache
zu sprechen und gemeinsame Wurzeln zu haben. Es bedarf einer gemeinsamen
Kultur, und sie war nicht mehr da: Die Große Steppe hatte sich im Laufe
von Jahrhunderten im Westen aufgelöst und sich in einen Bestandteil
Europas verwandelt. Nur die Häretiker, diese kleinen Inseln im Ozean des
Vergessens, gemahnten an die turkische Vergangenheit.
Was aber lehnten
die Häretiker ab? Wonach suchten sie, woran hielten sie sich?
Die Zahl ihrer
Gemeinden im mittelalterlichen Europa ging in die Dutzende: Bogomilen,
Katharer, Albigenser, Oliviten, Euchiten, Johanniten u.a. Die einen waren
bekannt und zahlenmäßig stark, andere nicht. Eines war ihnen aber
gemein: Sie traten gegen die Kirche auf. Genauer, gegen den Obskurantismus, der
sich gleich einer finsteren Wolke über Europa verdichtete.
Sie
erklärten die Entstehung der Welt auf ihre Weise, glaubten an die
Seelenwanderung und bestanden darauf, dass Christus nicht gleich Gott sei. Sie
vertraten die Ansicht, dass es Einen Gott gebe und dass Er im Himmel sei.
Nein, sie verneinten die Religion Europas nicht. Sie verwiesen lediglich auf
die Laster, die die Kirchenfürsten verbreiteten.
Es empörte
sie, dass sich Geistliche, die sich „Gottesdiener“ nannten, im Luxus schwelgten
und prassten, während das Volk, das auf ihre Predigten hörte, im
Elend dahinvegetierte.
Offenbar waren
die Häretiker nicht die dümmsten Menschen. Sie beichteten nur bei
Gott und ließen die päpstlichen Diener nicht an die Geheimnisse
ihrer Seele heran. Auch das ärgerte die Kirche.
In
Südfrankreich und Norditalien, wo es, wie die Mönche sagten, „vor
Häretikern wimmelte“, waren die Katharer bekannt. Sie wurden auch als
Bulgaren, Chasaren und selbst Langobarden bezeichnet. Diese Nachkommen der
fremdländischen Gentry bewahrten sich den Glauben an Tengri und hatten
ihre eigene Kirche.
Sie fanden
Unterstützung in Flandern und anderen Ländern, in denen ebenfalls
Kiptschak lebten, die Tengri nicht vergessen hatten.
Nach Meinung der
Katharer waren z. B. Die katholischen Riten viel zu reich und prunkvoll. „Gott
liebt Bescheidenheit“, sagten sie. Auch diese Worte ärgerten die Kirche,
die, reich geworden, ihre Schwäche für Reichtum, Sattheit und
Unterhaltungen entdeckte.
Bemerkenswerterweise
stimmte die Gotteslehre, die die Katharer in den Burgen der französischen
Gentry predigten, erstaunlich mit der überein, die im Altai oder bei den
nördlichen Buddhisten bestand. Das war die Philosophie des Ostens!
Aber bei der
Kirche waren die Häretiker aus unerfindlichen Gründen als
Dummköpfe verschrien.
Nicht von
ungefähr wurden die Katharer die ersten Opfer der Inquisition. Im Jahre
1229 erlebten sie einen Überfall der Kreuzritter, die ihnen einen
empfindlichen Schlag versetzten.
Viel Blut wurde
damals in den Besitzungen des Herzogs Raymond von Toulouse vergossen. Die
Nachkommen der Kiptschak kämpften bis zum letzten Mann, aber die
Kräfte waren viel zu ungleich. „Treibt ihn und seine Anhänger von
seinem Schloss fort“, schrie der Papst, „nehmt ihm alle Lande weg, die
Besitzungen der Häretiker sollen rechtgläubigen Katholiken
gehören!“
Diese Worte
enthüllen einige Geheimnisse der Inquisition.
„Die Besitzungen
der Häretiker einnehmen ...“ Das vergaß die Kirche nie, wenn sie
eine neue Politik einleitete; darunter auch die der Inquisition.
Wie wurden in der
Hitze des Gefechts Häretiker von richtigen Katholiken unterschieden? Ganz
einfach. Der päpstliche Legat Arnold Amalric etwa gab folgenden Rat:
„Tötet alle miteinander. Gott wird selbst zwischen den Seinen und den
Fremden unterscheiden.“
Eine wahre Räuberei
herrschte im 13. Jahrhundert.
Es ist, als
hätten manche Europäer den Einbruch der turkischen Armee
herbeigesehnt. Sie wussten um Dschingis Khans Jassa, und mit ihrer
„Häresie“ gaben sie sich ihren Landsleuten vom Altai zu erkennen. Diese
Behauptung mag strittig sein, ist jedoch nicht auszuschließen. Das
Turkvolk konnte nicht so einfach wegsterben, ohne Widerstand zu leisten, es
suchte seine Kräfte in jeder neuen Generation. Dennoch gab es den Widerstand
allmählich auf. Die Inquisitoren taten das Ihre: Sie „beförderten die
Menschen vom Leben zum Tod“.
Natürlich
lehnten sich die Menschen auf, sie vergalten Böses mit Bösem. Ein
Kampf war im Gange, ein grausamer und langwieriger Kampf auf Leben und Tod. Er
tobte überall: in Frankreich, der Schweiz, der Tschechei, in Ungarn,
Polen, England, Deutschland, Bulgarien. Überall weist die Geschichte seine
Spuren auf.
Der Wille der
Inquisition wurde vom Gericht verkündet. Ein Beschuldigter wusste mitunter
gar nicht, weshalb er vor Gericht kam und wer Zeuge seines angeblichen
Verbrechens war. Er wurde grausam gefoltert, darauf wurde auf dem Marktplatz zu
Trompetenklängen und zum Gebrüll der Menge das Urteil verlesen. Das
war weder Gericht noch Untersuchung. Den Menschen wurde einfach Angst
eingejagt, damit sie sich nie gegen die Kirche und ihre Entscheidungen
auflehnten. Damit sie beim bloßen Klang eines Wortes der Turksprache
zusammenzuckten wie unter einem Schlag.
Es gab drei Arten
Strafe: „Aussöhnung“, „Beschlagnahme des Vermögens“ und
„Gefängnis“. Wer sich auf seine Häresie versteifte, wurde bei
lebendigem Leibe verbrannt.
Es brannten
Menschen und Bücher. Ganze turksprachige Bibliotheken gingen in den
Flammen der Inquisition für immer auf. Für die Franzosen,
Engländer, Deutschen, Schweizer und andere Völker war das ihre
eigene, ihre „Haussprache“, waren das ihre Hausbibliotheken. Und diese wurden
in erster Linie verbrannt.
Gewisse kostbare
Bücher wurden jedoch in den Bibliotheken der Kirche versteckt,
damit niemand in Zukunft etwas von ihnen wusste. Dem Himmel sei Dank, etwas hat
sich auf diese Weise doch erhalten. Außerdem blieben einige turksprachige
Bücher in den weltlichen Archiven erhalten, weil die Inquisitoren sie
einfach außer Acht ließen.
Nach Papieren zu
urteilen, die dem Feuer völlig zufällig entgangen sind, schrieben und
sprachen die Grafen Fugger von Augsburg (in der Nähe von München)
noch 1553 – 1555 die Turksprache. Davon zeugt auch eine 1598 herausgegebene
Schrift des ungarischen Historikers Thelegy über die Kiptschak Europas und
ihre Sprache.
Das war nicht
einmal ein Buch, vielmehr das Aufstöhnen eines Menschen, dem die Heimat
gestorben war.
Dschingis
Khans Nachkommen
Historikern ist
es seit langem aufgefallen, dass alte Handschriften in Europa nur fragmentarisch
vorliegen – als hätte jemand absichtlich einige Kapitel der Geschichte
gelöscht. Oder die entsprechenden Seiten mit Farbe übergossen, damit
sie unleserlich wurden. Die antike Epoche hat weit mehr Dokumente hinterlassen
als das Mittelalter. Eben deshalb nennt man das Mittelalter finster.
Erst im 15. – 16.
Jahrhundert tauchten die Dokumente in ihrem vollen Umfang auf. Kam das etwa
daher, dass die Menschen es neu lernten, zu lesen und zu schreiben? Welche
Papiere waren verschwunden?
Solche, die in
der Turksprache geschrieben waren!
Sie wurden
verbrannt, weil sie aufbewahrten, was die Kirche zu verbergen suchte. Das
Verschwinden historischer Dokumente oder ihre Fälschung sind ebenfalls
eine Spur und ein trauriges Ereignis der Inquisition.
Die
Häretiker wurden von den Dominikanern, die Dokumente aber von den
Jesuiten, Mitgliedern der „Gesellschaft Jesu“, vernichtet. Das ist die
fürchterlichste katholische Organisation, selbst die Päpste hatten
Angst vor ihr. Sie unterstand niemandem. Ihr Grundsatz lautete: Das Ziel
heiligt die Mittel.
Den Jesuitenorden
gründete 1534 der Kiptschak Ignatius Loyola, um den päpstlichen
Dienern die beste Bildung zu geben. Der Orden wurde auch der der Gelehrten
genannt. Zu ihm gehörten nur gebildete Menschen, mittels der Wissenschaft
übten sie ihre Justiz aus und verfolgten sie ihre Politik.
Bald schufen sie
in Westeuropa ihr geheimes Imperium und nahmen die Wissenschaft und Bildung
aller katholischen Länder in ihre Hand. Die Jesuiten eröffneten
Schulen, Seminare und Akademien, in denen sie Jugendliche zu ihren
Anhängern ausbildeten. Geduldig, von Jahrhundert zu Jahrhundert bauten sie
eine neue Weltordnung auf: eine Welt, in deren Mittelpunkt der Westen und der
Katholizismus standen.
Braucht man sich
da noch zu wundern, dass das turkische Europa jetzt vergessen ist?
Dieser
„Gelehrtenorden“ wühlte in Archiven, säuberte sie, raubte und
verheimlichte Zeugnisse der Vergangenheit. Bis heute besteht im Vatikan eine Jesuitenbibliothek
(amtlicher Name!), allerdings nur für Ordensmitglieder. Darin werden
jene unschätzbaren Papiere und Bücher aufbewahrt, die nicht auf die
Scheiterhaufen der Inquisition kamen. Sie wurden nicht verbrannt, vielmehr
erhalten, damit die Eingeweihten allein die Wahrheit über das Mittelalter
wussten und sie umso besser verheimlichen konnten.
Immerhin ein
Gelehrtenorden.
Einen Teil der
altturkischen Bücher übersetzten die Jesuiten ins Lateinische. Nun
sind sie als Bücher mittelalterlicher lateinischer Autoren bekannt. Die
Jesuiten haben die Weltgeschichte umgeschrieben, alles durcheinandergebracht
und auf den Kopf gestellt. Die Hand des Kopisten machte nicht einmal vor den
Lebensbeschreibungen von Heiligen Halt.
Der Orden
funktioniert seit bald fünfhundert Jahren und frisst an der Wahrheit wie
ein Wurm an einem Baum. Vom Maßstab seiner Tätigkeit mögen
folgende Ziffern zeugen. Die Gesellschaft zählt 35 000 Mitglieder, gibt
rd. 1 000 Zeitungen und Zeitschriften mit einer Gesamtauflage von 150 Mio.
Exemplaren in 50 Sprachen heraus und hat 33 Universitäten und über
200 eigene Schulen. Das gigantische Imperium des Ordens regiert das Gewissen
des Westens.
Die Jesuiten sind
überall wie die Luft. Und ebenso unsichtbar.
Nach Moskau
gelangten Abgesandte des Papstes dank Iwan Grosny, der ihnen Tür und Tor
öffnete. Mit ihrer Hilfe bereitete der Moskauer Fürst Kriege gegen
die Große Steppe vor. Dschingis Khans große Hervorbringung war dem
Untergang geweiht. Dem Andrang des unsichtbaren päpstlichen Heeres konnte
noch niemand in der ganzen Weltgeschichte standhalten.
„Wenn ein Mutiger
Schwache anführt, wird jedermann mutig.“ Dschingis Khan war mutig. Er
hatte „Schwache“ um sich geschart und der Welt das Altaische Imperium geschenkt.
Aber der Feldherr hatte keinen würdigen Erben, und das nutzten die
päpstlichen Agenten aus.
Auf seinem
Todeslager gedachte der große Dschingis Khan nicht seiner Söhne,
vielmehr sagte er: „Hört auf den kleinen Chubilai, seine Rede ist voller
Weisheit.“ Das waren seine letzten Worte.
Dschingis Khans
Enkel Chubilai vollendete den Triumph seines Großvaters in China; er
entdeckte die Inseln Indonesiens und war in der Nähe von Australien; er
wurde zum Herrscher über den Fernen Osten. Dem chinesischen Kaiser blieb
nichts anderes übrig als sich den Dolch ins Herz zu stoßen und
auszurufen: „Unsere Götter sind ohnmächtig!“ Die Siege des jungen
Chubilai waren bewunderungswürdig.
Man kann sie
natürlich auf verschiedene Weise werten, aber nur nicht als „Eroberung
Chinas“! Denn es hatte kein China gegeben. Vielmehr gab es Provinzen, die
erbittert gegeneinander kämpften. Erst die Kiptschak vereinigten sie zu
einem einheitlichen Land. Der Sage nach gaben keine anderen als sie diesem Land
den Namen China, d. H. Abgesondert („hinter der Großen Mauer liegend“).
Dschingis Khan
und seine Nachkommen beabsichtigten, die mittelalterliche Welt auf ihre eigene
Weise aufzubauen. Wohlgemerkt: aufzubauen. Was Attila angefangen hatte, setzte
Dschingis Khan fort.
Ein weiterer
Enkel von Dschingis Khan, Chulagu, vollendete das Werk seines Großvaters
im Nahen Osten. Auch er war weit davon entfernt, Städte zu erobern,
vielmehr rottete er Sektierer, die den Islam zerrütteten, aus. Er zog
über die Lande des Kalifats als Enkel von Dschingis Khan, einem
großen Eiferer des Glaubens und Verteidiger des Turkvolkes.
1258 nahm Chulagu
Bagdad, Damaskus und andere Städte ein. Dagegen machte er einen Bogen um
Mekka und Medina: Für ihn waren das heilige Städte!
Ging alles zum
Besten in der turkischen Welt? Nein. Ein Hoffnungsstrahl leuchtete auf und
erlosch wieder. Mit Batu begann der Abstieg. Es heißt nicht von ungefähr,
dass auf einen Aufstieg ein Niedergang und auf eine Höhe eine Tiefe folge.
Das ist nun einmal der Lauf des Lebens. Dschingis Khan war ein Genie. Seine
Nachkommen waren es nicht. Sie verrieten den Glauben der Väter – und
verloren alles.
Batu träumte
davon, zum orthodoxen Christentum überzutreten, sein Bruder Berke wurde
Moslem, Chubilai konvertierte zum Buddhismus und Mamai gar zum Katholizismus.
Ihre Seelen waren von den Feinden zersetzt. So kam es, dass die großen
Siege von Dschingis Khan durchstrichen wurden. Mehr noch, das Turkvolk selbst
vergaß sie.
Man darf an Gott
nicht zweifeln, denn das bedeutet die Verderbnis.
Kaum dass der
Glauben in der Goldenen Horde ins Schwanken geriet, da war es mit der Einheit
vorbei. In jenem Moment ging das Land zugrunde. Von allein. Niemand hatte es
besiegt, niemand zum Abgrund gedrängt. Genauso ging die Horde in China
unter.
Auf seine alten
Tage wurde Chubilai Buddhist, nannte sich auf chinesische Weise Schutsu und
seine Dynastie Yuan. Jede Erinnerung an das Turkvolk in China merzte er aus und
deutete Dschingis Khan in einen chinesischen Nationalhelden um.
Bis heute wird
Chubilai in China geliebt und verehrt. Man erinnert sich daran, wie er den
kleinen Hinterhof des Palastes mit Steppenwermut besäte. Seinen Kindern sagte
er auf Chinesisch, auf die winzige Wiese inmitten der Steinmauern weisend:
„Dies ist das Gras der Demut. Bei seinem Anblick denkt an eure Ahnen
zurück.“
Mit Demut endete
das Mittelalter in der turkischen Welt.
* * *
Wenn der Schlüssel zu einer Chiffre nicht
bekannt ist, wandelt sich der Text in eine Geheimschrift um. In ebendieser
Weise schrieben die Jesuiten die Geschichte Europas und Asiens: nach den
Gesetzen der Geheimschrift. Deshalb nennt man jetzt das Mittelalter
„düster“. Die Große Völkerwanderung ist aus der Erinnerung
dahingeschwunden, die turkische Kultur, die hier mit Attila einzog und die
römische Kultur ablöste, ist vergessen. Dennoch sind ihre Spuren nach
wie vor überdeutlich. Das zeigt unser Buch. Sein Gestalter hat den
Illustrationen keinen einzigen Strich hinzugefügt, er verwandte nur
allgemein Bekanntes, dokumentarisch Belegtes. Wie sonst könnte man die
Geheimnisse ausleuchten, die im Dunkel der „finsteren Jahrhunderte“ verborgen
liegen?
Deshalb
heißt unser Motto: Das Licht der Wahrheit ist der beste Schlüssel
zur Chiffre!
Verzeichnis
der Illustrationen und Kommentar
Zu S. 8 und 11
Michel Colombe.
Der Hl. Georg kämpft gegen den Drachen. Marmor. 1508. Paris, Louvre. Das
Thema des Kampfes Georgs mit dem Drachen drang in die europäische Kunst
erst im 13. Jh. ein, nachdem die Kirche den Heiligen in einen Beschützer
des Rittertums umgedeutet hatte. Bis dahin wurde er nicht als tötender
Reiter dargestellt.
Zu S. 9
Reiter, mit dem
Bogen schießend. Sattelverzierung. Bronze. 7. – 8. Jh. Chakassien.
Zu S. 10
Reiter. Detail
eines Altars. Bronze. 4. – 2. Jh. v. u. Z. Kasachstan.
Zu S. 12 – 13
Bildnis eines
Mannes. Gefäß aus Kafyr-Kala. Keramik. 6. Jh. Usbekistan.
Phidias und seine
Schüler. Parthenon-Plastik. Marmor. 5. Jh. v. u. Z. London, British Museum.
Zu S. 14 – 15
Angreifende
Römer (Nachzeichnung). Markussäule. Rom. Man beachte die Kleidung,
die Waffen und die Helme der Römer sowie ihre Militärtaktik. So etwas
hatten nur sie.
Schlacht zwischen
Steppenbewohnern und Römern. Fragment eines Reliefs auf der
Trajanssäule. Rom. Wiederum unterscheidet die militärische
Einkleidung beide Armeen voneinander, und das zeigte der Maler.
Zu S. 16 – 17
Besiegte Briten.
Relief des Antoniuswalls in Schottland. 2. Jh. Hier gibt die Kleidung der
Besiegten ebenfalls über vieles Aufschluss.
Julius
Cäsar. Grünes Schiefer. Berlin, Antikensammlung.
Hadrianswall, der
nördlichste Vorposten des Großen Römischen Imperiums. 2. Jh.
Großbritannien.
Zu S. 18 – 19
Skulptur aus der
katholischen Nikolauskirche in Prag. Der christliche Erzbischof Kyrill
tötet Hypatia, eine gelehrte Frau, wegen ihrer Neigung zur antiken
Wissenschaft und zum Heidentum.
Zu S. 20 – 21
Zirkusszenen.
Fragment eines Diptychons. 5. Jh. Sankt Petersburg, Ermitage.
Marcellustheater
in Rom (1. Jh. v. u. Z.). Zeichnung.
15. Jh.
Zu S. 22 – 23
Türgriff aus
Italien. 15. Jh. Sankt Petersburg, Ermitage. Beinahe jedes turkische Haus
hatte schon im Alten Altai solche Türklopfer. In dieser Form haben sie
sich bis heute erhalten.
Statue eines
Kaisers aus Barletta. Fragment. Bronze. 4. Jh.
Zu S. 24 – 25
Adlerfibel. 5.
Jh. Nürnberg, Germanisches National-Museum. Muster der Juwelierkunst
der Großen Steppe. Solche Gegenstände werden oft in den
Hügelgräbern am Don und Dnepr gefunden. Dort verstand man sich auf
die Juwelierkunst. Die Funde werden gegenwärtig in einem Sonderdepot der
Ermitage aufbewahrt. Die hier abgebildete Fibel stammt aus Italien.
Schlangen-Armspange.
Bronze. 4. Jh. Berlin, Museum für Vor- und Frühgeschichte.
Büste von
Kaiser Justinian. Chalzedon. 4. Jh. Sankt Petersburg, Ermitage.
Zu S. 26 – 27
Mausoleum der
Galla Placidia in Ravenna, Innenansicht. 5. Jh.
Fragment eines
Fundes aus den römischen Katakomben. Berlin,
frühchristlich-byzantinische Sammlung. Diese jüdischen
Kultgegenstände sind die einzigen aus der Zeit des frühen
Christentums. In den Katakomben von Rom gab es weder Kreuze noch Ikonen, noch
sonstige Funde. Wissenschaftler haben bewiesen, dass die Zeichnungen an den
Katakombenwänden von mittelalterlichen Mönchen stammen. An den
Anfängen des „Katakomben-Christentums“ stand im 4. Jh. der römische
Papst Damasus.
Johannes der
Täufer aus Basel. Silber, zum Teil vergoldet. 15. Jh. Sankt Petersburg,
Ermitage.
Zu S. 28 – 29
Hafen in Ravenna.
Mosaik der Kirche S. Apollinare in Classe, Ravenna. 6. Jh. Dieser Hafen
wurde von den Kiptschak für die neue Hauptstadt ihres Imperiums gebaut.
Die von Bergen und Morasten umgebene Stadt hatte keinen Zugang zum Festland,
ihre Wege in die äußere Welt begannen erst jenseits des Hafens.
Guter Hirt.
Fragment eines Mosaiks im Mausoleum der Galla Placidia in Ravenna. 5. Jh. Die
Art der Schafe mit langem Schwanz war in der Großen Steppe üblich.
Bisher gilt sie bei den turksprachigen Völkern als elitär und sehr
alt. In Europa wurden vor der Einwanderung der Kiptschak Ziegen gehalten.
Zu S. 30 – 31
Baptisterium in
Ravenna, ein Werk turkischer Meister aus dem 5. Jh. Darin wurden die
örtlichen Einwohner und Kiptschak, die zum Christentum konvertieren
wollten, getauft. Die Taufe erfolgte nach der altaischen Tradition, mit dreimaligem
vollständigem Untertauchen.
Apostel Peter. 4.
Jh. Sankt Petersburg, Ermitage.
Zu S. 32 – 33
Helm mit Visier. London, British Museum. Der Besitzer ist heute unbekannt.
Darüber bestehen unterschiedliche Meinungen, ein Kiptschak wird allerdings
nicht in Betracht gezogen. Offenbar handelt es sich um den Helm eines Ritters,
der einem Khan diente (der Gentry
angehörte), oder, was wahrscheinlicher ist, den eines Khans selbst.
Stadtmauern und
-türme von Carcasson. 12. – 14. Jh. Frankreich.
Zu S. 34 – 35
Piero della
Francesca. Fragment einer
Freske in der S.-Francesco-Kirche in Arezzo. 15. Jh.
Zu S. 36 – 37
Baltea, Aosta.
Detail. 2. Jh.
Rosskopf. Aus
einem in Bayern gefundenen Schatz. 3. – 4. Jh. Auffallend sind die
Schlangentalismane sowie der Krieger im römischen Panzer. Offenbar
gehörte der Rosskopf zum Schlachtross eines Kiptschak, der in Roms
Diensten stand. Die Vermischung von Steppen- und römischen Elementen ist
für jene Zeit charakteristisch. So wurde der erste König der Franken,
Hilderik (gest. 482), in einem Kurgan wie ein Steppenbewohner begraben, unter
Mitgabe von Waffen und eines reich geschmückten Schlachtrosses.
Zu S. 38 – 39
Panorama des
Hradschin in Prag – ein typisches Beispiel der mitelalterlichen Gotik.
Zu S. 40 – 41
Fragment eines Diptychons
von Areobindus. Elfenbein. 506. Nach den Symbolen zu urteilen, sind hier
Nachkommen der ersten Generationen der lateinischen Kiptschak dargestellt. So
sahen sie aus: noch nicht Europäer, doch auch nicht mehr Steppenbewohner.
Zu S. 43
Detail einer
mittelalterlichen Kirche im gotischen Stil. Die turkische Sakralarchitektur
bildet die Grundlage der christlichen Baukunst, diesen Stil weisen viele
architektonische Meisterwerke Europas auf. Dazu gehören der Kölner
Dom in Deutschland, die Kathedrale Notre-Dame de Paris in Frankreich, das
Rathaus in Brüssel und die Westminsterabtei in Großbritannien.
Fassade der
Kirche Notre-Dame-la-Grande in Poitiers.
Zu S. 44 – 45
Basrelief. 5. Jh.
Ägypten. Zwei schützende Genies mit einem Kranz und dem
Tengri-Kreuz, das zu dieser Zeit schon Zeichen der nahöstlichen Kultur
war.
Sitzender. 2.
Jahrtausend v. u. Z. London, British Museum. Der Text ist in Hieroglyphen
eingemeißelt, so schrieb man am Nilufer. Keine noch so geringe
Ähnlichkeit mit der heutigen arabischen Schrift.
Steinernes
Kapitell aus einer altertümlichen Siedlung von Sudagylan. 5. – 6. Jh.
Aserbaidschan. Diese Runen-Inschrift wird albanisch genannt, dabei hat sie
niemand auf Albanisch lesen können. Offenbar handelt es sich in diesem
Fall um einen unerforschten Dialekt der Turksprache.
Muster eines
koptischen Dokumentenschreibens. Papyrus. 8. Jh.
Zu S. 47
Die älteste
Ikone der Welt. 4. Jh. Ägypten. Wie angenommen wird, stellt sie Jesus
Christus und den Hl. Mena dar, auf den sich das altturkische Wort „apa“ (heiliger
Vater) bezieht. Aber Darstellungen Christi kamen erst im 7. Jh., nach einem
Konzil (Trullanische Synoden), auf. Folglich empfing Bischof Mena den Glauben
nicht von Christus, sondern aus den Händen Tengris, dessen Darstellung auf
allen Ikonen des frühen Mittelalters der Welt zu sehen war.
Muster der
koptischen Schrift. Fragment einer Handschrift aus Nag Hammadi. Papyrus. 4. Jh.
Die „Buchstaben“ sind von einer wenig geübten Hand geschrieben, einige
erinnern an Runen. Offenbar begannen die Ägypter erst damals, sich die
neuen Schriftzeichen und die Sprache des neuen Glaubens anzueignen.
Zu S. 48 – 49
Disput zwischen
Erzbischof Kyrill und einem Heiden. Bruchstück eines Kalksteines. 7. Jh.
Berlin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung. Ein weiteres, nicht
weniger ausdrucksvolles Muster der koptischen Schrift.
Löwe, einen
Menschen zerfleischend. Fensterschmuck im Dom von Worms. 12. Jh.
Drache. Leuchte
aus Byzanz. Bronze. 4. Jh.
Zu S. 50 – 51
Koptische Ikone
„Die Heiligen Antonius und Paul“. Fragment. 17. Jh. Die Traditionen der
koptischen Ikonenmalerei änderten sich im Laufe der Jahrhunderte nicht.
Bezeichnenderweise zeigt die Ikone dasselbe Sujet wie während der
Christianisierung Ägyptens. Nichst veränderte sich im Laufe von
tausend Jahren.
Korb mit Hammelköpfen
und Pfauen. Säulenkapitell. Fund aus Ägypten. 8. Jh. Symbole, die
Bände sprechen! Der frühe Islam war ja „ägyptisches
Christentum“. Die Oghusen waren die Ersten, die die Christen von den Moslems
trennten. Sie erfanden ihr Opferfest Kurban-bairam, bei dem Allah ein Lamm
dargebracht wird. Obwohl auf den ersten Blick unwesentlich, bedeutete das den
Bruch mit dem Christentum, weil das Lamm diesmal das Agnus Dei, d. h. Christus,
verkörperte. Erst nach der Opferung durfte sich ein Mensch einen reinen
Moslem nennen, seine christliche Vergangenheit schwand zusammen mit dem Opfer,
dem Lamm, dahin. Kurban-bairam ist seit jener Zeit das islamische Hauptfest.
Zu S. 52 –
53
Maria mit
Kind. Fragment einer Skulptur
aus einer Kirche in Österreich. 16. Jh.
Thronende Madonna
mit dem Kind. Pisaner Maler. 13. Jh. Moskau, Museum für bildende
Künste „A.S. Puschkin“. Der italienische Meister folgte offensichtlich
den Regeln der turkischen Ikonenmalerei: das Gesichtsoval, eine auf eine
besondere Art verfeinerte Nase, orientalische Augenform. Das ist zweifellos
Umai. Indes deutete die Inquisition im Westen alles um: Umai wurde Madonna
genannt, man erfand ihr ein neues Gesicht und einen neuen symbolischen Gehalt
der ganzen Gestalt. Dem ging ein langer religiöser Disput voraus.
Zu S. 54 –
55
Perugino.
Madonna mit Kind. Moskau,
Museum für bildende Künste „A.S. Puschkin“. 16. Jh. Hier ein
Beispiel einer schon „neuen“ Ikonenmalerei: Das Kind hat keinen Nimbus und kein
Tengri-Zeichen darauf, die Madonna selbst hat andere Gesichtszüge.
Früher zeigte das Tengri-Zeichen über dem Kind, dass dieses eine
„Gabe Gottes“ sei. Alles, was der Allerhöchste gab, galt für die
Angehörigen des Turkvolkes als „Gottes Gabe“. Das Kind auf Umais Arm war
eben das Symbol einer Gabe. Weiß man von all diesen Änderungen, so
versteht man den Sinn der auf den ersten Blick sinnlosen Dispute auf dem Konzil
von Ephesos und auf anderen Kirchenkonzilen: Es ging um Umai, die Christen
stritten darum, wie sie zu nennen und in welche Beziehung zu Christus sie zu
setzen sei.
Koptisches
Gewebe. Fragment. 4. – 5. Jh.
Miniatur aus der
„Alexandrinischen Weltchronik“. Papyrus. 7. Jh.
Zu S. 56
Knieschemel mit
christlichen Symbolen. Holz. 587. Saint-Benoîs, Abtei Sainte-Croix bei
Poitiers.
Zu S. 58 – 59
Hl. Benedikt von
Nursia. Miniatur aus dem Martyrologium der Abtei Saint-Sépulcre in
Cambrai. Die Backenknochen, die Augenform, das Gesichtsoval, die
Körperproportionen können viel über einen Menschen aussagen. Die
Zugehörigkeit des Benedikt von Nursia zum Turkvolk springt ins Auge. Das
Gesicht und das Werk des Heiligen verraten diese Zugehörigkeit.
Eine Schöne
aus Sachsen. Detail des Doms von Meißen. Stein. 1357. Die Schöne
hat ebenfalls turkische Gesichtszüge, solche Gesichter sah man beinahe in
jeder Straße.
Der Satan versucht
den Hl. Benedikt. Stein. 12. Jh. Abteikirche St.-Madeleine in Vézelay,
Burgund.
Zu S. 60
Pilger. Zeichung
aus der Lebensbeschreibung der Hl. Hedwig. Lithografie, 19. Jh.
Zu S. 62
Schloss
Azay-le Rideau. Frankreich. Die
Schwäne sind Schutzgeister des Schlosses. Jedes Haus, jedes Geschlecht
hatte seinen Beschützer. Daher ein weiterer Name der Kiptschak: Man nannte
sie in Europa „Kuman“, d. h.
Schwanenmenschen.
Mönch beim
Kopieren. Miniatur. 15. Jh.
Zu S. 64 – 65
Schreibender
Engel. 1210. In Altgriechenland und im Alten Rom kannten die Dichter keine
Reime. Die Tradition der Reime kam aus dem Altai nach Europa. Die
Angehörigen des Turkvolkes beherrschten die Wortkunst seit alters virtuos,
sie verstanden sich darauf, die Zeilen am Anfang, in der Mitte oder am Ende zu
reimen. Ihre Gedichte hatten einen schönen Klang. Als der erste
europäische Dichter gilt Ambrosius von Mailand (gest. 397), ein Kiptschak,
der zum Christentum übertrat. Er schrieb hymnische Gedichte im Auftrag der
Kirche.
Die eiserne Krone
der Langobarden. Monza, Schatzkammer. Diese turkische Krone ist die
älteste in Europa, sie weist das Tengri-Kreuz auf und stammt von den
Don-Ufern, aus dem Land der Kumanen (Schwanenland). Die Krone wurde von der
Römerin Theodolina, der Witwe des Königs der Langobarden Autharis, in
Auftrag gegeben. Im Jahre 774 wurde mit dieser Krone Karl der Große, der
Gründer Frankreichs, gekrönt, damals entstand in den
europäischen Ländern das Wort „König“ (ebenfalls ein
turksprachiger Wortstamm). 1805 wurde die Krone Napoleon überreicht. Heute
wird sie in Italien aufbewahrt.
Schachfiguren.
Walrosszahn. 12. Jh.
London, British Museum. Vom
Schachspiel wissen wohl alle, dass es aus Indien käme. Die Inder sind
indes anderer Meinung. Schach spielt man ja nur in Nordindien, in jenem Teil,
in dem die aus dem Altai eingewanderten Kiptschak lebten. Die Einwohner des
mittelalterlichen Medina dagegen sagten: „Das Schachspiel ist eine Erfindung
der Barbaren“, d. h. der Kiptschak.
Zu S. 66 – 67
Lanzen. 16. – 18.
Jh. Deutschland.
Doppeltreppe im
gotischen Stil. 1499. Österreich.
Mönch beim
Kopieren. Miniatur. 16. Jh..
Zu S. 68 – 69
Festmahl bei
einem Herzog aus der Karolingerzeit (8. – 10. Jh.). Rekonstruktion aus dem 19.
Jh.
Schloß der
Grafen von Flandern in Gent. 12. – 13. Jh.
Männerporträt.
Wassergefäß aus Ungarn. Bronze. 12. Jh. Sankt Petersburg, Ermitage.
Zu S. 71
Grabstein. Dom in
Frankfurt-am-Main. Stein. 14. Jh. Eine offensichtliche Mischehe: Der Eheman
ist ein Kiptschak in europäischer Kleidung, ihn verrät sein auf
östliche Art geteilter Bart. Die Ehefrau trägt ein Schmuckstück
an der Brust aus dem Familienbesitz des Mannes.
Schmuck aus der
Nekropole von Prochorowka. 5. Jh. v. u. Z. Kasachstan. Genau das gleiche
Schmuckstück mit genau dem gleichen Ornament wie oben. Das Ornament war
früher das Zeichen eines Geschlechts, sein Tamga.
Zu S. 72 – 73
Reiter und
Bogenschützen auf einem Schiff. Fragment der Stickerei auf dem
Bayeux-Teppich. 11. Jh. Bayeux, Kathedrale. Der berühmte Teppich ist
farbig bestickt und zeigt 72 Szenen der Eroberung Englands durch die Normannen
im Jahre 1066. Den Teppich gab Königin Mathilde, Ehefrau Wilhelms des
Eroberers, zum Andenken an jenen Feldzug in Auftrag. Unter Napoleon, 1803,
wurde der Teppich in Paris als Kunstwerk und als Historikum zugleich ausgestellt.
Heute in Bayeux aufbewahrt.
Drachenkopf.
Holzschnitzerei. 9. Jh. Skandinavien.
Zu S. 74 – 75
Liebespaar. Aus
einer mittelalterlichen Miniatur. 13. Jh. Paris.
Beizjagd in
Europa. Kennzeichnend ist, dass Europa die Beizjagd von den Kiptschak
lernte. Das war eine Lieblingsunterhaltung der Khane, die von den
ansässigen Europäern eine „wilde Unterhaltung der Barbaren“ genannt
wurde. „Falke“ bedeutet in der Turksprache „die Hand richten“ und „Greif“ so
viel wie „Beute bringen“. Selbst turkische Geistliche gingen gern auf Beizjagd.
Zu S. 76 – 77
Einschiffung.
Fragment der Stickerei des Bayeux-Teppichs. 11. Jh. Bayeux, Kathedrale.
Drachenkopf.
Schmuck eines Wikingerschiffes. Eichenholz, Schnitzerei. 800. London, British
Museum. Der Drache war der Schutzgeist der Normannen, deshalb schmückte
ein solcher Kopf oft die Schiffe dieser Bewohner des Nordens. Daher der
bekannte Name der Skandinavier „Goten“, was in der Turksprache so viel wie
„Drache“, „Eidechse“ bedeutet. Das waren Symbole des Altai und ganz Zentralasiens.
Zu S. 78 – 79
Irbis. Miniatur
aus dem Bestiarium. Pergament. 12. Jh. Oxford. Wie konnte man in England von
einem Irbis wissen? Wie konnten die Menschen ihn dort zu ihrem Schutzgeist
machen? Ein Rätsel der Geschichte? Wirklich ein Rätsel?
Der König bei
einer Sitzung des englischen Parlaments. Miniatur aus einem mittelalterlichen
Manuskript. Hier fallen zwei überraschende Details auf: die
Wollsäcke, auf denen die Parlamentarier sitzen, und die Königskrone.
Die Säcke und die Krone waren im mittelalterlichen England und in der
Großen Steppe Machtattribute, vor der Einwanderung der Kiptschak hatte es
sie in Europa nicht gegeben. Das Wort „Krone“ leitet sich vom Wort der
Turksprache „qorï“ („behüte!“ ) ab, der Gegenstand selbst ist eines der
ältesten Machtsymbole des Orients. Ein von Gott gesegnetes Zeichen. Die
Krone wurde dem Khan vom obersten Geistlichen auf den Kopf gesetzt, und seit
dieser Minute hieß der Khan Zar. In Europa bürgerte sich ein anderes
Wort, „König“, ein. Es leitet sich vom turkischen Namen (dem Hausnamen)
Karls des Großen ab.
Münze von
Heinrich I., König von England ab 1100. In der berühmten
Britannica Encyclopaedia lesen wir: „Das englische Münzsystem begann mit
dem Silberpenny von Offa.“ Wer war Offa? Ein fremdländischer Herrscher,
ein Anglosachse, d.h. Angehöriger des Turkvolkes. Dieser Offa (757 – 796)
habe befohlen, gleiche Münzen wie der arabische Kalif Mansur zu
prägen, heißt es des Weiteren in der Britannica. Höchst
interessant. Erst recht deshalb, weil bekannt ist, dass Kalif Mansur das
Geldsystem des Turkvolkes übernommen hatte. Ein neues hatte er, wie er
auch selbst zugab, nicht erfunden. Die gleichen Münzen wie bei Offa waren
im ganzen „turkischen“ Europa in Umlauf und hießen „markus“ wie bei den
Arabern oder „mark“. Die Burgunder nannten ihre Münzen, nachdem sie (1799)
Franken „geworden“ waren, eben so. Daher rühren die Mark und der Frank.
Zu S. 80 – 81
Greifjagd in
Kirgisien.
Märchentier.
Kopfbedeckungsschmuck aus dem Kurgan Issyk. Gold. 5. – 4. Jh. v. u. Z.
Kasachstan.
Ein Derwisch
übergibt dem Prinzen einen Poloball. Altertümliche Miniatur aus dem
Manuskript „Ball und Treibstock“ von Arifi. 16. Jh. Sankt Petersburg,
Staatliche öffentliche Bibliothek „M. Je. Saltykow-Schtschedrin“. Polo war im Alten Altai bekannt und wurde Tschawgan
genannt. Wie ein altes turkisches Sprichwort besagt, müsse ein Mann mit
einem Treibstock spielen und treffsicher mit dem Bogen schießen
können. Ein anderes Sprichwort lehrt: „Spielst du Tschawgan, setze deine
Hose nicht aufs Spiel.“ Polo galt als die edelste Sportart.
Zu S. 82 – 83
Lüsterkacheln
aus Kaschan. Einige datieren von 1267. Paris, Louvre.
Hl.-Georgs-Orden.
Solche Orden existierten in der Großen Steppe schon vor Attila.
Archäologen haben sie wiederholt in Hügelgräbern gefunden. Es
handelt sich um das Tengri-Zeichen. In der Turksprache bedeutet das Wort
„orden“ so viel wie „von oben gegeben“. Die Frage ist wohl nicht
müßig, ob die turkische Kultur so wenig bemerkbar ist, wenn selbst
der höchste Orden des römischen Papstes vom Turkvolk stammt.
Frau am Baum.
Kachel. 12. – 13. Jh. Kairo, Museum für Islamische Kunst.
Zu S. 84 – 85
Mausoleen auf dem
Mamelucken-Friedhof bei Kairo. 15. – 16. Jh. Auch im Orient bekam die
turkische Architektur ein neues Gepräge: die üblichen Kuppeln, die
üblichen Oktogone, aber schon anders ausgestaltet als in Europa und der
Großen Steppe. Auch der Sinn der Symbolik ist anders.
Minarett der
Kaljan-Moschee in Buchara. 1127.
Zu S. 87
Mohammeds
Himmelfahrt. Miniatur aus dem Manuskript „Joseph und Suleïcha“ von
Dschami. 16. Jh. Taschkent, Institut für Orientalistik der Akademie der
Wissenschaften von Usbekistan.
Königsmoschee
in Isfahan, Innenansicht. 17. Jh.
Zu S. 88 – 89
Landkarte des
Gebiets Mawerannachr („dessen, was hinter dem Fluss liegt“, gemeint ist der
Amu-Darja). Gezeichnet im 10. Jh. vom Geografen Ibn Chaukal. Schon im Altai
existierten beim Turkvolk die Anfänge der Geografie: Dort gibt es
Felszeichnungen, die geografische Informationen vermitteln. Bekannt sind ferner
„Karten“ des Sternhimmels der alten Altaier. Leider sind sie beinahe nicht
erforscht, niemand hat sich mit ihnen befasst.
Mausoleum des
Sultans Tekesch, des Begründers der Dynastie der Choresm-Schahs, in
Kunja-Urentsch. 13. Jh.
In einem Boot
über den Persischen Golf. Miniatur aus dem Manuskript „Indiens Wunder“ von
Buzurg ibn Schahrijar. 10. Jh.
Zu S. 90 und 93
Gebetsaal der
Moschee Sidi-Okba in Kairuan. 9. Jh.
Tabelle der
Veränderungen in der Grafik der arabischen Schrift. Als die
älteste der bekannten arabischen Inschriften gilt die aus dem Jahr 328.
Sie wurde in der Nähe von Damaskus gefunden, gleicht der arabischen
Schrift, ist eine solche jedoch nicht. Vielmehr handelt es sich offensichtlich
um turkische Schnellschrift. Eine andere altertümliche Inschrift stammt
aus dem Jahr 512, und auch sie ist noch keine arabische Schrift. Das arabische
Schriftsystem, das heute Millionen bekannt ist, formte sich erst im 8. Jh.
Seitdem wird arabisch geschrieben.
Schreiber.
Fragment einer Miniatur aus dem Manuskript „Botschaften der Brüder der
Reinheit“. 1287.
Istanbul, Suleymanye-Bibliothek.
Zu S. 94 – 95
Niederkniender
Prophet. Holz. 1520. Berlin, Skulpturen-Sammlung. Heute erinnert man sich
nicht daran, dass sich im Mittelalter die Bevölkerung Spaniens,
Südfrankreichs, eines Teils von Italien zum Islam bekannte, dass sich
diese Menschen Verbündete und „Glaubensgenossen“ der Katholiken nannten.
In dieser Gestalt – in turkischer Kleidung! – sahen die europäischen
Moslems den Propheten Mohammed.
Statue des
Herrschers Gagik Bagratuni aus Ani. 11. Jh. Armenien. Im Mittelalter war die
turkische Kleidung nicht nur in den europäischen Ländern, sondern
auch im Nahen Osten in Mode. Selbst in Armenien trugen die Zaren Turban und
Kaftan, gleich Angehörigen des Turkvolkes.
Mittelalterlicher
Turm in Baku.
Bildnis einer jungen
Frau. 1420. Washington,
National Gallery. Auch
hier ein Turban!
Zu S. 96 – 97
Kirche zu
Johannes dem Täufer im Dorf Djakowo bei Moskau. 16. Jh. Ein Oktogon!
Eine Tradition der turkischen Architektur. Braucht man noch Beweise? Hier ist
sie, die wahre, unverfälschte Geschichte.
Zusammenklappbarer
Untersatz für den Koran. Schnitzerei. Nussbaum. 13. Jh. Berlin, Museum
für Islamische Kunst. Auch hier braucht es keine Worte. Im Ornament
versteckt sich die Geheimschrift des Alten Altai. Ein Ornament ist Bestandteil
der Kultur eines Volkes, gleichsam der Rahmen für das Bild. Hier gibt es
keinen Platz für Zufälligkeiten.
Zu S. 98 – 99
Festumzug.
Miniatur aus dem Manuskript „Makamen“ von al-Hariri. 1237. Paris, Bibliothèque Nationale.
Tatarische
Kirchenfahne mit Kreuz und Halbmond (Kriegstrophäe). 17. Jh. Stockholm,
Militärmuseum. Das ist vielleicht die seltenste Trophäe der Welt.
Ein Heiligtum. Unter dieser Fahne führte die Große Steppe ihre
Kriege. Attila brachte eine genau solche Fahne nach Europa. Darauf ist das
altertümliche turkische Symbol zu sehen. Dann wurde es halbiert, wie das
Turkvolk selbst: Die Christen übernahmen die eine, die Moslems die andere
Hälfte. Kreuz und Halbmond wurden Zeichen unterschiedlicher Religionen.
Zu S. 100 – 101
Fassadenfries des
Schlosses Mschatta. Fragment. Steinschnitzerei. 743. Berlin, Museum für
Islamische Kunst.
Hofszene der
Seldschukiden-Zeiten. Fragment. Geschnitzter Stuck. 12. Jh. Philadelphia,
Kunstmuseum. Das Turkvolk schätzte die Wissenschaft, Literatur und
Kunst. Die Khane hielten z. B. immer Goldmünzen bereit, um eine Hand voll
davon einem Dichter vor die Füße zu werfen. Der Sultan Melik-Schah
aus der Seldschuken-Dynastie war für etwas anderes bekannt. Er versammelte
berühmte Astronomen um sich, unter denen auch der Dichter Omar Hajjam war,
und legte fest, dass am 15. März 1079 eine neue Ära beginne. Er
führte einen Kalender ein, der sowohl bestehende als auch künftige
Fehler bei der Zeitrechnung korrigierte. Das war der genaueste Kalender der Welt.
In Europa kam ein solcher erst 500 Jahre später auf.
Malviyya-Minarett
der Mutawakkil-Moschee in Samarra. 9. Jh. Das Wort „Samarra“ klingt bekannt
fürs russische Ohr – man denkt an dieWolgastadt Samara. Hier handelt es
sich um eine Stadt bei Bagdad, sie wurde im 9. Jh. zu Ehren des heiligen Berges
Utsch-Sumer im Altai aufgeführt, war also eine heilige Stadt. Die Moschee
des Kalifs Mutawakkil wurde dort zu einem Denkmal, mit ihr begann ein neuer
Stil beim Bau von Moscheen. Neu insofern, als er gleichzeitig turkische und
örtliche, d. h. altmesopotamische Traditionen aufweist.
Zu S. 102 – 103
Zeichnungsrekonstruktion
der Kirche im Dorf Lekit. 5. – 6. Jh. Aserbaidschan.
Felsendom (Qubbat
es-Sakhra) in Jerusalem. 7. Jh. Restauration und partielle Änderungen im
12. und 17. Jh.
Moschee des
Sultans Hassan in Kairo. Hof. 1363.
Zu S. 104 – 105
Mittelalterlicher
Turm in Baku.
Sultan Mohammed.
Gelage. Zeichnung aus dem Manuskript „Diwan“ von Hafez. 16. Jh. Paris, Sammlung
von Cartier. Wie auch alle Menschen auf der Welt lieben die Moslems Feste.
Im Mittelalter begingen sie beinahe alle christlichen Feste, weil das
gemeinsame Feste der Tengri-Verehrer waren. Zum Fest des turkischen Ostern
(Navruz-bairam) gingen die Moslems und die Christen von Bagdad zusammen ins
Samaluk-Kloster und feierten dort das Fest. Wie ein Teilnehmer jener
Ereignisse, Schabuschti, schrieb, taten sie das, „bis die Wände um uns zu
tanzen begannen“. Der Wein des heiligen Abendmahls, „Scharab al-kurban“, floss
in Strömen.
Zu S. 106 – 107
Qutubiyya-Moschee
in Marrakesch. Wurde im 12. Jh. gebaut.
Sultan Mahmud
Ghasnawi setzt über den Ganges über. Fragment einer Zeichnung. 16.
Jh. Sultan Mahmud galt als ein überaus kluger Mensch. So befahl er, am
Ufer des Amu-Darja Schiffe quer über den Fluss zu stellen und miteinander
zu verketten. Es entstand eine Art Pontonbrücke, über die der Sultan
mit seinem Heer den Strom passierte, und sein überraschender Angriff
entschied über den Ausgang des Krieges. „Solche Brücken hat man hier
nicht gesehen“, stellten Chronisten fest.
Gefäß
aus Bergkristall. 10. –
11. Jh. London, Victoria-and-Albert-Museum. Die Zeiten änderten sich, aber nicht die
altaischen Sujets. Selbst als sich die ehrgeizigen Kiptschak ein anderes Volk
nannten, bewahrten sie ihre Vergangenheit und die Erinnerung daran in ihren
Werken. Ornamente, Schmuck, ja selbst Gebäude waren ein Seufzer ihrer
schlafenden Erinnerung.
Kessel. In
Aserbaidschan gefunden. 12. – 13. Jh. Sankt Petersburg, Ermitage.
Zu S. 109
Mondphasen.
Zeichnung aus al Birunis astronomischem Traktat. Al-Biruni war nicht nur ein
großer Astronom, sondern auch ein Völkerkundler. In seiner Schrift
„Über die Mondstationen“ schrieb er: „Die Araber sind ein Volk von
Analphabeten, sie können weder schreiben noch rechnen. Sie akzeptieren nur
das, was sie mit den Augen sehen, denn sie kennen keine andere Methode der
Erkenntnis.“ Die mathematischen Berechnungen des großen Angehörigen
des Turkvolkes waren ihnen unbegreiflich. Diese Betrachtung des
Wissenschaftlers bezog sich auf die Einwohner Arabiens, die auch noch fünf
Jahre nach der Übernahme des Islams nach wie vor ungebildet waren.
Lautenist. Relief
aus Kleinasien. Marmor. Um 1230. Berlin, Museum für Islamische Kunst. Die
Meinung besteht, dass man in Westeuropa die Laute von den Arabern
übernahm, weshalb man ihren Namen vom arabischen Wort „al-ud“ (Holz)
ableitet. Das stimmt jedoch nicht. In Osteuropa war die Laute schon immer
bekannt und hieß Kobsa, demgemäß hießen Menschen, die
sie spielten, Kobsaren. Das ist ein altturkisches Musikinstrument, und das Wort
bedeutet so viel wie „den Komus Spielende“. Das so genannte arabische Wort ist
in Wirklichkeit der Ausdruck der Turksprache „al öt“ („nimm und lass
erklingen“).
Zu S. 110 – 111
Darstellung des
Sternbildes Schlangenträger. Zeichnung aus dem Sternenkatalog von Abd ar-Rahman
es-Sufi. 10. Jh.
Sokrates mit
Schülern. Fragment einer Miniatur aus dem Manuskript al-Mubaschschirs
„Ausgewählte weise Aussprüche und Schönheiten des Sprechenden“.
13. Jh. Istanbul, Museum des Topkapi-Saray. Eine sehr beredte Miniatur. Im
mittelalterlichen Europa waren die großen Wissenschaftler der antiken
Welt wie Sokrates, Aristoteles, Herodot und andere von der Kirche verboten.
Ihre Werke blieben unbekannt. Nur die Kiptschak bewahrten die Aufzeichnungen
dieser Klassiker des menschlichen Denkens und bewunderten sie.
Miniatur aus dem
arabischen Manuskript „Alexipharmaka“ von Dioskorides. 1224. Kiew, Museum der
westeuropäischen und orientalischen Kunst. Die Beschäftigung mit
Chemie war für das Turkvolk kein Zeitvertreib. Sie suchten nach dem
Elixier der Unsterblichkeit, in dem sie die Rettung vor Krankheiten und
Altersschwäche sahen. Natürlich fanden sie das Elixier nicht,
erkannten jedoch Eigenschaften chemischer Elemente. Solche Kenntnisse wurden
denn auch „Chemie“ genannt (vom altturkischen Wort „kimja“, d. h. Elixier).
Zu S. 112
Fragment einer
zerstörten koptischen Kirche. Ägypten.
Zu S. 114 – 115
Wassergefäß
in Form eines Zebus, das so genannte „Wassergefäß von Schirwan“.
Bronze. 1206. Sankt Petersburg, Ermitage.
Fragment des
Mosaiks aus der Kirche S. Michele in Affricisco bei Ravenna. Glas, Smalta,
Kieselstein. 544. Berlin, frühchristlich-byzantinische Sammlung. Wie es sich auch gehört, krönt das
Panorama des himmlischen Lebens das Gewölbe der Kirche. Auf dem Thron
segnet der Allerhöchste Tengri einen katholischen Prediger.
Möglicherweise liegt in diesem Segen die Quelle der katholischen Idee, d
.h. der Idee eines Bundes von Ost und West. Möglich ist auch eine andere
Deutung. Der Künstler nannte dieses Werk „Tengri“ oder „Hodai“, andere
Benennungen konnte es nicht geben. Stammt nicht davon – leicht abgewandelt –
das allbekannte Wort „Gott“ bzw. „God“?
Detail des Tores
des Kunja-Ark-Palastes in Chiwa. 17. Jh.
Zu S. 116
Iskandar bei
einem Eremiten. Fragment einer Miniatur aus dem Manuskript der „Chamse“ von
Nisami. 1543. Sankt Petersburg, Handschriftensammlung des Instituts für
Orientalistik der Akademie der Wissenschaften Russlands.
Hl. Georg.
Fragment der Bemalung in der Kirche Kinzwissi. 13. Jh. Georgien. Niemand
wird genau bestimmen können, wer hier dargestellt ist. In jenen Zeiten
nannten Angehörige des Turkvolkes ihn Dshor oder Dshargan. Daher
rührt Georgien, d. h. „Land des Hl. Georg“ bzw. Grusinien. Heute nennen
die Christen ihn den Hl. Georg und die Moslems Chysr. Dieses letztere Wort
leitet sich von „Chasar“ ab, d. h. vom Namen des Kaspisees, an dessen
Küste (in Derbent) der Held seine Großtat vollbrachte und
Unsterblichkeit erlangte.
Zu S. 118 – 119
Turkisches Schiff
„karaka“. Altertümliche Zeichnung.
Schiffsentladung.
Fragment einer Miniatur aus dem Manuskript „Kalila und Dimna“. Um 1350. Als
die Oghusen im Kalifat an die Macht kamen, erhöhten sie die moslemische
Welt sehr, denn sie übersetzten unschätzbare Werke der turkischen
Wissenschaft und Literatur ins Arabische. Zu solchen hunderten Büchern
gehörte die Parabel „Kalila und Dimna“.
Fragment der
Schale „Silen und Mänade“. Silber, Vergoldung. 7. Jh. Sankt Petersburg,
Ermitage.
Zu S. 120 – 121
Griechisches
Feuer. Fragment einer Miniatur. 14. Jh.
Ikonenstürmer.
Fragment einer Miniatur aus dem Chludow-Psalter. 9. Jh. Moskau, Historisches
Museum. Die Ikonenstürmerei ist ein wahres Verbrechen, ein Akt des
Wandalismus. Ihn verübte die griechische Kirche, sie begann als Erste im
Mittelalter damit, die Gestalt des Gottes des Himmels zu vernichten. Seitdem
vergaßen die Menschen nach und nach Tengris Namen und Bild. Das war
Politik.
Zu S. 122 – 123
Belvedere,
Vatikan, Gesamtansicht. Baubeginn 1505.
Arnolfo di
Cambir. Fragment des Grabmals
des Kardinals de Braye in der Kirche S. Domenico in Orvieto. 1282.
Zu S. 124 – 125
Ordensbrüder.
Französische Buchminiatur. 14. Jh. Paris, Bibliothèque Nationale. An der Brust jedes Mönchs ist das
Ordenszeichen zu sehen: eine turkische Auszeichnung, die Bestandteil der
europäischen Kultur wurde.
Saint-Etien als
Diakon. Silber. 12. Jh. Sankt Petersburg, Ermitage.
Zu S. 126 – 127
Grabmal des
Erzbischofs Friedrich von Wettin. Dom in Magdeburg. Bronze. 1160.
Wappen der
römischen Päpste Pius II., Innozenz III., Urban IV., Klemens IV.,
Nikolaus III., Gregor XIII., Honorius III., Nikolaus IV., Johannes XXII.,
Johannes XXI. Das Wappen Pius’ II. zeigt ein gleichseitiges Kreuz mit
fünf Halbmonden. Das von Nikolaus IV. weist drei Lilien („altaische
Lotosblüte“) und zwei sechszackige Sterne auf. Das Wappen Gregors XIII.
trägt die Darstellung eines Drachens – ein Zeichen, das keiner
Erklärung bedarf. Jeder Papst hat sein eigenes Zeichen des Orients.
Bogomilen-Sarkophag
aus Radminija. 10. Jh. Balkan.
Zu S. 128 – 129
Ausraubung.
Miniatur aus den „Chroniques de France“. 15. Jh. Paris, Bilbiothèque
Nationale.
Raffael. Messe in
Bolsena. Fragment der Fresken in der Stanza d’Eliodoro. 1511. Rom,
Vatikan-Palast.
Zu S. 130 – 131
Kreuz aus
Middleton. Steinschnitzerei. 10. Jh. Yorkshire, Großbritannien.
Elen. Scheitel
eines Zepters aus einem Kurgan von Sutton-Woo. 7. Jh. Großbritannien.
Schloss auf dem
Pik von Monségur in den Pyrenäen, die letzte Zuflucht der Katharer
im Jahre 1244.
Wikingerschiff
aus Useberg. Um 800.
Zu S. 132 – 133
Szenen aus
Sigurds Leben. Holzschnitzerei. 12. Jh.
Szenen aus
Sigurds Leben. Runenstein. 11. Jh.
Baustelle.
Miniatur aus Barberinis Psalmenbuch. 11. Jh. Rom, Vatikan.
Zu S. 134 – 135
Fischbeinplatte,
mit zwei Pferdeköpfen abgeschlossen. Gefunden in Norwegen. 9. Jh. London, British Museum.
Schloss von
Caernavron. Die Bauarbeiten wurden 1283 von Eduard I. begonnen, der Wales
England angliederte.
Zu S. 136
Landkarte mit der
Route nach Amerika (Vinland) und runischen Aufschriften. Um das 16. Jh. Das
ist nicht die Originalkarte, sondern eine Kopie, die zufällig auf dem
Landsgut des Bischofs in Esztergom an der Donau gefunden wurde. Dann wanderte
sie in die Privatsammlung von Guzsa Sepesi, des Direktors eines Museums. Das
Original ist auf eine rätselhafte Weise in den Vatikan-Archiven
verschwunden.
Reiter. Fragment eines
Reliefs aus Hornhausen. Stein. Um 700. Halle, Museum.
Zu S. 138 – 139
Eine R-Initiale
aus einem mittelalterlichen Manuskript. 12. Jh. Einander auffressende Tiere,
ein beliebtes altaisches Sujet, war lange Zeit ein Streitgegenstand
europäischer Archäologen. Interessant ist, dass besagtes Sujet nur
dort vorkommt, wo Kiptschak-Nachkommen lebten.
Erhart Reyvich.
Ansicht von Venedig. Illustrationen zu „Breidenbachs Reise“. 1486.
Relief mit einer
Heraldik-Komposition aus Venedig. Marmor. 11. – 12. Jh. Berlin, Staatliche
Museen. Immer die gleichen Symbole des fernen Altai.
S. 140
Pilger. Detail
des Portals der Kathedrale in Autin, Burgund. Stein. 12. Jh. Im Mittelalter
verstanden sich Pilger aus verschiedenen Ländern ausgezeichnet: Im Grunde
sprachen sie die gleiche Sprache. Manchmal wurde sie „barbarisch“ oder
„Vulgata“, häufiger aber „göttliche Sprache“ genannt. Das war die
Turksprache. In die europäische Kultur führte sie Ende des 4. Jh.
Hieronymus, ein Kiptschak, ein, der sich als einer der Ersten im Westlichen
Römischen Reich niederließ. Er erfand auch die Schriftzeichen, die
an die Stelle der Runen kamen. Heute ist dieses Schriftsystem als glagolitisch
bekannt. Hieronymus übersetzte das heilige Buch der Christen, die Bibel,
in die „Volkssprache“.
Trauernde
Bäuerin. Detail des Kölner Doms. Stein. Um 1322.
Zu S. 142 – 143
Einschiffung von
Kreuzrittern. Miniatur aus dem Manuskript „Satzung des Ordens des Hl. Geistes
in Neapel“. 14. Jh.
Friedrich
Barbarossa als Kreuzritter. Miniatur aus dem Manuskript „Geschichte
Jerusalems“. 13. Jh. Eine Gestalt des Mittelalters, um die sich wohl die
meisten Legenden ranken. Selbstverständlich nicht deshalb, weil er, gleich
Dschingis Khan, Rotbart hieß. Dieser Mann war beinahe der Einzige, der
sich weigerte, dem Papst den Steigbügel zu halten, als jener vom Pferde
stieg. Dreist sagte er dem Papst, nicht dieser habe ihm die Macht über das
Volk gegeben, sondern Tengri.
Zu S. 144 – 145
Einnahme von
Antiochia, Erster Kreuzzug. Miniatur aus einem mittelalterlichen Manuskript.
Heimkehr eines
Kreuzritters. Fragment eines Grabmals in Nancy. Das ist ein Monument des
Grafen Hugo de Vaudémont, eines Teilnehmers des zweiten Kreuzzuges,
daneben ist seine Ehefrau, Tochter des Herzogs von Lothringen, begraben. Beider
Gesichter sind sowohl ausdrucksvoll als auch wiedererkennbar: echte Kiptschak.
Offenbar hatten nicht alle Nachkommen der Kiptschak die alte Regel der Ahnen
vergessen, nur Frauen vom eigenen Stamm zu ehelichen. Wohl deshalb wurde eine
der Frauen, die am Kreuzzug teilnahmen, zur Ehefrau des Sultans und zur Mutter
des berühmten Kalifen Imad al-Din-Zangi, der im 12. Jh. die Kreuzfahrer
mehr als nur einmal aufs Haupt schlug.
Ritter. Detail
des Kölner Doms. Stein. Um 1322.
Zu S. 146 – 147
Ritterschlag.
Miniatur aus dem „Oxforder Kodex“.
Kampf eines
Ritters mit dem Drachen. Wassergefäß. Bronze. 13. Jh. Sankt
Petersburg, Ermitage.
Zu S. 148 – 149
Schlacht von
Kreuzfahrern gegen Moslems. Glasmalerei in der Abteikirche von Saint-Denis. 12.
Jh.
Ritter. Grabmal
in der Kathedrale von Glocester. 12. Jh.
Zu S. 150 – 151
Karl der
Große. Von einem Mosaikbildnis. 9. Jh.
Bildnis eines
Burgunders. Eisenhelm. 16. Jh. London, British Museum.
Ritter.
Lithografie des 19. Jh.
Zu S. 152 – 153
Georgs Wunder mit
dem Drachen. Fragment einer Freske in der Kirche von Staraja Ladoga. Ein
sehr seltenes Denkmal des Mittelalters: Es zeigt die Veränderung von
Georgs Lebenslauf. Auf der Ikone scheinen sich zwei Sujets miteinander zu
vermischen: das neue und das frühere. Der Prediger ist Krieger und Reiter
geworden, tötet den Drachen jedoch nach wie vor nicht. Neues
verdrängte Altes schon immer nur langsam aus dem Gedächtnis der
Menschen.
Ritterwaffen. Vom
Bayeux-Teppich. 11. Jh. Bayeux, Kathedrale.
Ritter. Vom
Bayeux-Teppich. 11. Jh. Bayeux, Kathedrale.
Zu S. 154 – 155
Die Dombra,
Königin der Musikinstrumente, in einer kasachischen Jurte.
Turnier. Miniatur
aus der Chronik von Froissart. 15. Jh. Frankreich.
Zu S. 156 – 157
Ritterturnier.
Aus dem „Turnierbuch“ von Herzog Wilhelm IV. 16. Jh. München,
Staatsbibliothek.
Desiderio da
Settignano. Porträt einer Prinzessin von Urbino. Kalkstein. 15. Jh.
Berlin, Skulpturen-Sammlung.
Zu S. 158 – 159
Wahl des Kaisers.
Zeichnung aus dem Manuskript „Kodex des Balduin von Trier“. Koblenz,
Provinzial-Archiv. Die Krönung ist ein verbreitetes Sujet, nur dass die
Herrscher in Europa vor der Einwanderung der Kiptschak keine Kronen trugen. Die
Köpfe der römischen Kaiser wurden von einem Diadem gekrönt (s.
S. 25, Julian-Büste), und das ist immerhin etwas anderes.
Sturm der
Liebesburg. Elfenbein. Schnitzerei. 1400. Berlin, Staatliche Museen.
Benedetto
Antelami. Musikerplastik aus dem Baptisterium in Parma (Lombardei). Fragment.
12. Jh.
Zu S. 160
Schlacht zwischen
Kreuzfahrern und ägyptischen Truppen. Glasmalerei in der Abteikirche von
Saint Denis. 12. Jh.
Mihrab von
Iskodar, die Gebetsnische in der Moscheemauer. Holzschnitzerei. 10. – 11. Jh.
Usbekistan. Ein unwiderlegbarer Beweis! Das Ornament wiederholt voll und
ganz die altaischen Ornamente, die heute sowohl in Europa als auch im Orient
üblich sind (s. S. 71).
Zu S. 162 – 163
Einnahme von
Antiochia durch Kreuzfahrer. Glasmalerei in der Abteikirche von Saint-Denis.
12. Jh.
Bogendetail.
Kirche in Zunda. Stein. 12. – 13. Jh. Georgien.
Zarin Tamara.
Fragment der Bemalung im Felsenkloster Wardsija. 1184 – 1186.
Zu S. 164 – 165
Festung in
Tschartwissi. 10. – 14. Jh. Georgien.
Grigori Gagarin.
Bad des 17. Jh. in Schemacha. Zeichnung.
Geharnischte
Pferde. Detail der Verzierung. Gold. 4. Jh. v. u. Z. Tbilissi, Museum von
Georgien „S. Dshanschia“.
Zu S. 166 – 167
Ein Herrscher auf
der Jagd. Fragment eines gravierten Bechers aus Mosul. Bronze. Um 1300. Berlin,
Museum für Islamische Kunst.
Dschingis Khan.
Zeichnung aus dem chinesischen Manuskript „Geschichte der ersten vier Khane aus
dem Dschingis-Geschlecht“. Die Zeichnung ist natürlich nicht ernst zu
nehmen, sie ist Frucht der Fantasie des chinesischen Malers, und die Chinesen
zeichnen alle Menschen bekanntlich so, als wären diese ebenfalls Chinesen.
Anders können sie eben nicht. Das ist ein schöner Zug jeder
nationalen Kunst. Ohne lange nachzudenken, zeichnet jedes Volk die Welt, wie es
sie sieht.
Zu S. 168 – 169
Wanderer im
Gebirge. Landschaft im Stil von Li Zhaodao. Fragment einer Rolle. Malerei auf
Papier. 7. – 8. Jh. Aus der Sammlung des Gugong-Museums. Peking.
Mongolischer
berittener Bogenschütze der Ming-Dynastie. Farbige Tusche. London,
Victoria-and-Albert-Museum.
Zu S. 170
Frauenplastik.
Figurine aus einem Begräbnis in China. Terrakotta. 7. – 10. Jh. London, British Museum.
Zu S. 173
Muster der
uigurischen Schrift. Fragment des Manuskripts „Leben von Xuan-Zang“. 11. Jh.
Sankt Petersburg, Handschriftensammlung des Instituts für Orientalistik
der Akademie der Wissenschaften Russlands.
Bildnis eines
Beamten. 10. – 13. Jh. Sankt Petersburg, Ermitage.
S. 174 – 175
Belagerung einer
chinesischen Festung durch Dschingis Khans Truppen. Fragment einer Miniatur.
Einnahme von
Samarkand durch Dschingis Khans Truppen. Miniatur aus dem Manuskript von
Tschagatai. 16. Jh.
Zu S. 176 – 177
Pisanello (?). Bildnis
Sigmunds von Luxemburg. Pergament auf Holz, Tempera. 1430. Wien,
Kunsthistorisches Museum. Die Kunst des Mittelalters bleibt bis heute ein
Rätsel, denn sie zeichnet sich durch eine ausdruckskräftige
künstlerische Sprache aus. Die Wissenschaftler wissen nicht, was das
für ein Stil ist, der fast in ganz Europa aufkam. Woher rührt er? Man
nannte ihn internationale Gotik: Er habe keine Heimat, kein Volk habe
sie geschaffen. Stimmt das aber? Und ist es ein Zufall, dass gerade in den
turkischen Gebieten, die manchmal weit voneinander entfernt lagen, die gleiche
Kunst festzustellen ist: in Flandern, der Lombardei, in Burgund, der Toskana,
in Katalonien, England, an den Rheinufern, auf dem Territorium der heutigen
Länder Österreich, Ungarn, Deutschland, Tschechien? Und das ist bei
weitem nicht das ganze Verbreitungsgebiet dieser Kunst. Wo liegen die Quellen
dieser besonders sanften Malerei und dieser Eleganz? Natürlich im Altai,
beim Turkvolk!
Begräbnis
von Dschingis Khan. Fragment einer Miniatur aus einem mittelalterlichen
indischen Manuskript.
Zu S. 178 – 179
Ruinen der alten
Stadt Bulgar. 10. – 14. Jh. Tatarstan.
Zu S. 180 – 181
Sophienkathedrale
in Kiew. Fragment. 11. Jh. Die Architektur der Kathedrale erinnert nicht
einfach an die Kirchen des alten Bulgar, vielmehr wiederholt sie ihr Aussehen.
Offenbar schufen Meister der gleichen Schule – der Schule der Großen
Steppe – diese Bauten.
Marktplatz in
Nowgorod. Fragment einer Miniatur. Laptew-Band.
Wladimir I.,
Großfürst von Kiew, mit seinem Heer. Fragment.
Zu S. 182 – 183
Schwarzes Gemach
in der alten Stadt Bulgar. 10. – 14. Jh. Tatarstan.
Alter turkischer
Tempel in Bulgar. 10. – 14. Jh. Tatarstan.
Zu S. 184 – 185
Auszug von
Einwohnern des russischen Fürstentums Galizien-Wolynien, die zu den
Mongolen gingen. Miniatur aus einer ungarischen Chronik. 1488. So begann man
zwei Jahrhunderte nach den Ereignissen eine neue „Geschichte“ der Rus
zusammenzustellen: Legenden vom unerträglichen Tribut und dann auch vom
„tataromongolischen Joch“ kamen auf.
Batu. Zeichnung
aus der chinesischen Handschrift „Geschichte der ersten vier Khane aus dem
Dschingis-Geschlecht“.
Der russische
Fürst Fjodor Rostislawowitsch trifft in der Orda ein, um den Jarlyk, ein
Dokument, das ihn zum Eintreiben des Tributs in der Rus berechtigte, zu
bekommen. Randbild einer Ikone. 15. Jh. Jaroslawl, Sammlung des
Museumsreservats.
Zu S. 187
Fragment der
Ikone der Gottesmutter von Wladimir. Moskau, Tretjakow-Galerie.
Zu S. 188 – 189
Fragment des
plastischen Dekors der Dimitri-Kathedrale. Wladimir. 1194. Die Kathedrale
ist eine der ältesten in Russland und Gegenstand des Streites von
Architekten. Ihrer Meinung nach kopiere sie die Kirchen des frühen
Mittelalters in der Lombardei, solche, die Angehörige des Turkvolkes
sowohl in Transkaukasien als auch in Europa errichteten. Die Ähnlichkeit
ist unbestreitbar. Aber die turkische Architektur wird in Russland nicht
anerkannt. Und so streiten sie und wissen nicht, dass im 19. Jahrhundert der
Franzose Viollet-le-Duc in seinen Forschungen bis zum Altai „vordrang“ und der
Welt Kunde von der turkischen Sakralarchitektur brachte. Und dass ein weiterer
Wissenschaftler, Jozef Strzygowski, eine einzigartige Arbeit zur Geschichte der
Ikonografie schrieb, die, wie sich erweist, ebenfalls im Altai begonnen hatte.
Zu S. 190 – 191
Die Schlacht auf
dem Peipussee von 1242. Fragment einer Miniatur aus „Lizewoi swod“
(gesamtrussische Chronik). 16. Jh.
Ritter des
Deutschen Ordens verfolgen die Schweden. Mittelalterliche Miniatur.
Zu S. 192
Gotisches
Gewölbe der Innentreppe für Reiter, die in den Vladislav-Saal
führt. Detail. Sobeslav-Palais in Prag.
Schlacht zwischen
polnischen und mongolischen Truppen 1241. Von einer polnischen Wandmalerei. 15.
Jh. Warschau, Nationalmuseum.
Zu S. 194 – 195
Schrecken der
Inquisition. Zeichnung aus Samuel Clarkes Buch „Martyrologium“.
Schloss Langeais.
Frankreich.
Hl. Dominikus.
Aveiro, Museum.
Zu S. 196 – 197
Straße in
Wien.
Scheiterhaufen
der Inquisition. Von einer Miniatur aus einem mittelalterlichen Manuskript.
Zu S. 198 – 199
Verbrennung von
Häretikern in Paris. Miniatur. 13. Jh.
Zu S. 200 – 201
Universität
von Salamanca. Fassade. 1515. Spanien.
Fragment der
Ikone Christus Pantokrator. 1363.
Zu S. 202 – 203
Festungsturm in
Peking. Wurde wiederholt umgebaut. 15. – 17. Jh.
Männerkopf.
Fragment eines Begräbnisgefäßes, das bei Samarkand gefunden
wurde. Um 7. Jh. Usbekistan. In solchen Gefäßen
(Reliquienkästen) wurden die Gebeine namhafter Personen aufbewahrt.
Möglicherweise ruhen in einem solchen Kasten die sterblichen
Überreste eines der Söhne von Dschingis Khan oder von diesem selbst.
Das Letztere ist wenig wahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen, weil sein
Grab nicht gefunden ist. Die Kiptschak wussten ihre Begräbnisstätten
zu verstecken.
Zu S. 204 – 205
Hans Baldung.
Wilde Pferde. 1534.
Zu S. 206
Hans Baldung.
Verzauberter Pferdeknecht. 1544.
Zu S. 215
Habichtsjagd.
Fragment einer Schatulle aus Frankreich. Bein. 14. Jh. New York, Metropolitan
Museum.
Umschlag:
Kreuzritter im
Kettenhemd. Buchminiatur.
13. Jh. London, British Museum.
Der Vogel der
Oberen Welt – das Zeichen der Einheit des Turkvolkes. Filz. 5. Jh. v. u. Z.
Altai.