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Àäæè Ìóðàä. Ïîëûíü Ïîëîâåöêîãî ïîëÿ.

Murad ADZHI. Die Kiptschak. Geschichte des Altertums des Turkvolkes und der GroBen Steppe Ein Buch fur Schulkinder und ihre Eltern.

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Murad ADZHI

 

 

Die Kiptschak,

die Oghusen

 

Das Mittelalter des Turkvolkes und der Großen Steppe

Ein Buch für Schulkinder und ihre Eltern

 

 

Moskau

 

 

Das ist der zweite Band des Buches über das Turkvolk: über seinen Werdegang im Altai und die Ausbreitung über den euroasischen Kontinent. Bildhafte Schilderungen und Sagen künden von wenig bekannten Ereignissen in der Weltgeschichte der Menschheit, vom Leben und Wirken des Turkvolkes im Mittelalter, über seine Niederlagen, Errungenschaften und Siege.

Solche Bücher hat es bisher nicht gegeben.

 

© Murad Adzhi, 2002

© Internationale Wohltätigkeitsstiftung „Heiliger Georg“ („Dshargan“), 2002

© www.adji.ru

Einleitung

Europa und das Turkvolk

Altrömische Sitten

„Kathylik“ bedeutet „Verbündeter“

Die neuen Römer

Europa nach Attila

Der Nahe Osten und das Turkvolk

Das „Räuberkonzil“ und andere Konzile

Papst Gregor der Große

Die turkischen Katholiken

Die angelsächsischen Feldzüge

Die englischen Kiptschak

Der Islam

Der Koran

Zeichen des Islams

Sultan Mahmud

Das turkische Kalifat

Am Vorabend großer Veränderungen

Unstimmigkeiten

Die neuen Europäer

Die Kreuzzüge

Die Gentry und die Ritterschaft

Die Seldschuken

Dschingis Khan

Die Sulde-Fahne des „himmlischen Glückes“

Ein Joch, das es nicht gab

Die Inquisition

Dschingis Khans Nachkommen

Verzeichnis der Illustrationen und Kommentar

 

Ex oriente lux –

Aus dem Osten kommt das Licht …

 

… und wandelt die Welt um

 

 

Einleitung*

Im Leben eines jeden Volkes kommt es, ebenso wie im Leben jedes Menschen, zu Ereignissen. Sie sind zahlreich. Eigentlich ist das Leben eben eine unendliche Kette von Ereignissen. Die einen sind unmerklich, alltäglich, andere dagegen toben wie ein Orkan und fegen alles hinweg. Der Zusammenbruch des Alten bedeutete schon immer das Aufkommen von Neuem. Die Epochen in der Geschichte der Menschheit begannen und endeten immer mit Ereignissen, die die Welt erschütterten.

Ein verheerender Orkan war die Große Völkerwanderung vom 2. – 5. Jahrhundert, die das Leben auf dem eurasischen Kontinent bis zur Unkenntlichkeit veränderte. Nach ihr trat die altertümliche bzw. antike Welt in die Epoche des Mittelalters.

Die Große Völkerwanderung begann im Alten Altai, und das still und alltäglich. Dabei sollte sie sich auf das ganze gigantische Eurasien auswirken. Damals zogen die turkischen Reiter in jede Richtung, von Zentralasien aus erreichten sie die Küste des Pazifischen, des Indischen und des Atlantischen Ozeans. Sie legten tausende Kilometer zurück und besiedelten riesige, früher beinahe menschenleere Räume. Es fand sich in der Welt keine Kraft, die diesem lebendigen Strom, welcher sich aus dem Altai ergoss, hätte standhalten, hätte ihn zum Stehen bringen können. Alle Armeen, denen die Reiter begegneten, unterlagen ihnen.

Ein gewaltiges Ereignis. Die antike Welt wurde von den Hufen der Reitertruppen zertreten.

Diese Reiter zerstörten das Alte, um den Menschen ein neues Leben zu bringen.

Die Große Völkerwanderung ist ein einzigartiges Phänomen. Ihr kann in der Menschheitsgeschichte nichts an die Seite gestellt werden, weder früher noch später. Die Siege Alexanders von Mazedonien, der römischen Kaiser und selbst des berühmten Dschingis Khan verblassen daneben und wirken viel zu gewöhnlich.

Die Große Wanderung entstand natürlich nicht plötzlich, nicht über Nacht. Sieben Jahrhunderte lang sammelte das Turkvolk seine Kräfte und bereitete sich geduldig darauf vor, indem es eine Kultur schuf, die nach der antiken Kultur die Welt vorwärtsbrachte.

Hier gab es nichts Zufälliges, so etwas war ausgeschlossen. Die Völker akzeptierten widerstandslos die neue Kultur, die des Mittelalters. Warum? Was zeichnete diese Kultur aus, warum fühlten sich die Menschen von ihr angezogen?

In erster Linie war das der Glaube an den Gott des Himmels, an Tengri, der das Turkvolk beschützte. Der Glaube an Einen Gott war etwas absolut Neues im Leben der Menschheit. Die Menschen der antiken Welt, wie übrigens auch die der Urgesellschaft, kannten ihn nicht, sie waren Heiden. Jene Epochen standen im Zeichen der Vielgötterei und des Heidentums.

In Altgriechenland z. B. beteten die Menschen zu Zeus und Hera, im Römischen Imperium zu Merkur, Jupiter und anderen Göttern. Vor ihren Darstellungen neigte man das Haupt, ihnen wurde geopfert, bei ihnen Schutz gesucht. Außer dem Turkvolk kannte damals kein anderes Volk den Gott des Himmels, niemand außer ihm betete zu ihm.

Tengri (Ewiger Blauer Himmel) – so nannte der Altai seinen Beschützer. Unter seinem nie müden Auge zogen die Reiter in die Welt hinaus. Sie taten das unerschrocken und sicher, weil sie vor jeder Attacke, vor jedem neuen Gefecht laut im Chor sagten: „Allah billa! Allah billa!“ In der Turksprache bedeutete das: „Mit Gott“ oder „Gott mit uns“. Und sie siegten immer.

Das ließ andere Völker sofort aufmerken.

Damals bestand der Glaube, dass der Sieg in einem Kampf nicht von den Kriegern, sondern vom beschützenden Gott – nur von ihm allein! – abhänge. Wenn die Menschen zu einem neuen Glauben übertraten, baten sie gleichsam einen stärkeren Gott um Schutz. Eben darin besteht der Sinn des Glaubens im Leben der Völker. Eben deshalb beschäftigen sich die Ethnografen so viel mit der Religion.

Ein zweites Charakteristikum der turkischen Kultur war Eisen, das Metall, das der große Tengri den Menschen geschenkt hatte.

Dank Eisen konnten die Altaier zahlreiche nützliche Dinge für den Haushalt, die Arbeit und die Kriege herstellen; niemand in der Welt wusste Eisen so gut zu schmelzen und es so breit anzuwenden. Tausende Schmelzöfen lieferten Tag und Nacht das kostbare Metall, Eisen wurde damals mehr als Gold geschätzt. Auch das zog andere Völker an.

Im Altai bestand ein Fest des Eisens, und zwar bereits fünf Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung, als andere Völker den Eisenguss gerade erst lernten. Der Große Khan persönlich eröffnete das Fest. Er trat an den Amboss heran und schlug mit dem Hammer auf das glühende Metall. Jeder Schlag weckte den Stolz im Volk und erinnerte es an die Größe der Ahnen, die ihren Nachkommen Freiheit und Stärke gegeben hatten. Erst danach begann das eigentliche Fest: Pferderennen, Tänze, Gesang, Gelage und Unterhaltung.

Das war das allgemeine Fest des Turkvolkes.

Es ist folglich so, dass die Große Völkerwanderung nicht einfach die Ausbreitung der Menschen über immer neue Gegenden war. Und erst recht nicht die Unterordnung von Nachbarländern. Es ging um etwas ganz anderes. Um etwas, was die Bronzezeit in der Menschheitsgeschichte unabwendbar zerstörte und der Eisenzeit den Weg eröffnete.

Das Turkvolk zerstörte das Alte, Überlebte bewusst und setzte Neues, Fortschrittliches durch: Darum ging es damals auf dem Kontinent.

Über jene Zeit spricht man heute unterschiedlich und nennt sie bald eine „Invasion der Barbaren“, bald einen „Einfall der Hunnen“. Das stimmt nicht. Denn der Glaube an den Gott des Himmels sowie das Eisen kamen bei vielen Völkern gerade damals, nach der Bekanntschaft mit dem Turkvolk, auf: in der Epoche des Mittelalters.

Die Reiter wurden als Abgesandte des Gottes des Himmels vergöttlicht.

Selbst äußerlich unterschied sich das Turkvolk von den Übrigen, es hatte seinen eigenen, unverwechselbaren Typ, der dem keines anderen Volkes unseres Planeten glich. Eines seiner Merkmale war das Pferd, das sich zu einem Symbol oder Tamga (Sippenzeichen) der Ankömmlinge vom Altai entwickelte. Genauso wie Tengris Kreuzfahnen.

Die antike Welt hatte so etwas nicht gekannt. Selbst eine solche Kleidung hatte sie früher nicht gesehen: Das war die Kleidung von Reitern, Predigern und Kriegern, die sich niemals von ihrem Pferd trennten.

Nein, die Große Wanderung war kein spontaner Exodus aus dem Altai, wie darüber geschrieben wird. Auch keine Invasion. Ausgewandert waren nicht „wilde Nomaden“, vielmehr tat das ein Volk, dem es in den Altaitälern zu eng geworden war. Es brauchte neue Territorien, einen neuen Raum. Damals kam das Wort „Kiptschak“ („jener, dem es zu eng ist“) auf. Mit diesem Wort bezeichnete man die wandernden Reiter.

Was den Altai angeht, so meinte man damit ganz andere Gebiete als heute, nämlich ganz Südsibirien mit dem Baikalsee im Osten und dem Pamir im Westen, d.h. ein riesiges Gebirgsland, das bis Tibet reichte. Das nannte man den Altai.

An jene fernen Tage gemahnen Denkmäler, Zeugen der Vergangenheit. Sie sind zahlreich, bisweilen höchst überraschend. Man sehe sie sich genauer an.

1974 entdeckten Archäologen einen Kurgan im nordwestlichen China, in dem ein Herrscher begraben war. Dort leben bis heute die Uiguren, ein Turkvolk, das allerdings seine Geschichte vergessen hat. Die Funde aus dem altertümlichen Kurgan verblüfften die Wissenschaftler: Dort gab es mehrere Tausend Tonstatuetten, an denen man die Kleidung eines Kriegers und das Geschirr seines Pferdes erkennen konnte. Sie alle lagen mit dem Gesicht nach Norden, zum heiligen Berg des Altai, dem Utsch-Sumer, hin. Die Plastiken waren eindeutig nicht chinesischer Herkunft.

Deshalb nicht, weil die Chinesen im 3. Jahrhundert v. u. Z. dort nicht lebten. Ihr Land lag viel weiter südlich, hinter der Chinesischen Mauer. Die tönernen Krieger sind den heutigen Uiguren, Kirgisen, Kasachen, Chakassen und Nogaiern wie aus dem Gesicht geschnitten. Solche Gesichter sieht man oft auch unter den Kumyken, Tataren und Baschkiren. Aber nicht unter den Chinesen.

Ein weiteres, ebenfalls sehr ausdrucksvolles Beispiel.

In der Nähe der kleinen nepalesischen Stadt Rummindeia gibt es eine Säule mit altertümlichen Inschriften. Der Ort sei heilig, behaupten die Buddhisten, an der Säule sei der Name des Begründers ihrer Glaubenslehre eingemeißelt. Jenes Menschen, der von den Altaibergen hinabgestiegen sei und aus der Sippe Schakja stamme. Die Säule datiert vom 5. Jahrhundert v. u. Z. Die Inder sahen damals erstmalig Angehörige des Turkvolkes und bestaunten sie. Deshalb nannten sie Buddha einen „turkischen Gott“ bzw. „Buddha Schakjamuni“. Seitdem wird er blauäugig dargestellt – gleich den anderen Angehörigen des Turkvolkes.

Heute ist der Buddhismus eine führende Weltreligion. Die Zeit hat ihre geheimnisvolle Spur verborgen, aber sie ist trotzdem zu erkennen. Darüber berichtet die Religionswissenschaft. Sie erforscht die Geheimnisse des Glaubens und lässt vieles aus der Vergangenheit, das auch heute fortlebt, verstehen.

So leben die buddhistischen Mönche in ihren Gemeinden nach einer strengen Satzung, die den Wissenschaftlern bekannt ist. Was könnten diese Angaben schon aussagen, fühlt man sich versucht zu fragen. Nun, vieles. Einem aufgeklärten Menschen sagen sie, dass der Buddhismus tatsächlich vom Turkvolk geschaffen wurde. Der Tengri-Glauben und Buddhas Lehre haben viele Gemeinsamkeiten, weil vor allem dieselbe Quelle: das Wissen der altaischen Weisen. Deshalb wurde der Alte Altai das Paradies auf Erden und der blühende Garten Eden genannt: Hier liegen die Anfänge der Weltreligionen.

Sie stammen vom altaischen „Ewigen Blauen Himmel“ ab!

Vor dreitausend Jahren begann im Altai die geistige Suche. Es formte sich der Glaube an den Gott des Himmels. Die Zeiten waren alles andere als ruhig. Ein Teil des Turkvolkes wanderte, um den alten Glauben zu erhalten, nach Indien, dem Iran und in die europäischen Steppen aus. Man nannte sie „Skythen“, „Saken“ usw. Der religiöse Protest ließ sie die ersten Straßen entdecken, die sie vom Altai wegführten.

Im 2. Jahrhundert nun wanderten schon große Massen der Altaier in die Steppe ab, nur dass der Grund jetzt anders, nämlich wirtschaftlicher Art, war. Es gab inzwischen viel zu viele Altaier, die Gebirgstäler wurden ihnen zu eng. Das Volk brauchte neue Ackerböden, Weideplätze und Nutzflächen.

Seitdem bürgerte sich im Kaukasus, Nahen Osten und in Europa die Turksprache ein. Die Reiter waren gekommen, die Epoche des Mittelalters zu eröffnen.

 

Europa und das Turkvolk

Jedes Ereignis hat bekanntlich sein Resultat.

Das Resultat der Großen Völkerwanderung war der Staat Descht-i-Kiptschak, der größte in der Menschheitsgeschichte. Er wuchs mit großen Schwierigkeiten und lange auf, seine Grenzen schoben sich auseinander, je weiter die Reitertruppen zogen. „Wo unsere Pferde ihre Hufe setzen, da ist unser Land“, hieß es bei den Kiptschak.

Seine Blütezeit erlebte der Staat unter dem unbesiegbaren Feldherrn Attila. Im 5. Jahrhundert, nach Attilas Tod, zerfiel der Steppenstaat. Das ist wohl das Schicksal aller übergroßen Länder, sie sind kurzlebig. Descht-i-Kiptschak ging unter, aber schuld daran waren nicht Feinde, auch nicht Katastrophen oder etwa Überschwemmungen. Die Schuld lag beim Turkvolk selbst. Es zerstörte seinen Staat mit eigenen Händen.

Wie und weshalb geschah das? Kurz lässt sich das nicht beantworten. Das ist eine ganze Geschichte.

Zuerst wurde das Land von Fehden erschüttert und in Dutzende Kleinstaaten aufgespalten. Aber das war nicht der einzige Grund seines Niedergangs. Die ganze alte, antike Welt hasste Descht-i-Kiptschak und ließ nichts unversucht, nur um ihm Schaden zuzufügen und sein Ende herbeizuführen.

Besonders eifrig war hierbei Rom, das Römische Imperium. Dieses war eine Hervorbringung der antiken Welt, ihre Krönung. Einst war Rom ein Stadtstaat, dann eine Republik, in der die ganze Macht dem Senat gehörte. Die Senatoren stammten aus der Patrizierschicht, d. h. aus dem Adel. Julius Cäsar wandelte diese Regel um. An die Macht gekommen, machte er aus der Republik ein Imperium. In seiner Regierungszeit waren die Erfolge der Römer einfach fantastisch: Sie eroberten die Mittelmeerküste. Die antike Welt lag ihnen zu Füßen.

Das Imperium lebte wie im goldenen Zeitalter, ohne Niederlagen zu kennen. Seinen Ruhm gründete sich nicht auf Handwerk, Kunst oder Religion. Berühmt machten das Reich seine Kriege. Das Land arbeitete für das Heer, das Heer diente dem Land.

Die größten Feinde der Römer waren die Griechen. Beide Völker rivalisierten seit langem miteinander um den Handel mit dem Orient, namentlich mit dem Iran. Die Griechen lebten näher an die Iraner und beherrschten lange Zeit die Handelsstraßen nach Europa.

Nachdem die Römer die Republik ausgerufen hatten, versetzten sie Griechenland einen vernichtenden Schlag, so dass die Griechen zu ihren Untertanen herabsanken. Siebenhundert sorglose Jahre dauerte die Macht von Rom: Das Imperium bestimmte seine Grenzen selbst und entschied eigenmächtig über das Schicksal Europas.

Julius Cäsar setzte die Nordgrenze am Rhein fest und legte dort eine Reihe von Befestigungen und Festungen an. Kaiser Augustus seinerseits zog die Grenze im Osten, an der Donau. Das Reich wirkte wie eine uneinnehmbare Zitadelle. Der antike Geschichtsschreiber Plinius d. Ä. schrieb von jener Zeit des Imperiums wie von einer „unwahrscheinlichen Größe Roms“. Und er hatte recht mit seiner Behauptung.

Doch Blitz kommt manchmal auch aus heiterem Himmel.

Roms Ruhe wurde im Jahre 312 gestört, dicht an seinen Mauern. Die bis dahin unbesiegbare Armee, der Stolz der Kaiser, erlitt erstmalig eine furchtbare Niederlage. Die von den Griechen eingeladenen turkischen Reiter schlugen sie mühelos.

Kaiser Maxentius fiel, von einem Säbel niedergestreckt.

Nach jener Schlacht brach das Römische Imperium zusammen, es zerfiel in das Östliche und das Westliche Reich. Im Östlichen Reich herrschte der Grieche Konstantin, im Westlichen waren immer noch die Römer an der Macht. Aber das waren schon nicht die früheren selbstzufriedenen Römer. Ihnen blieben lediglich Erinnerungen an die alte Zeit übrig.

Konstantin offenbarte sich als ein schlauer und tückischer Herrscher. In seinem Land verkündete er die Obermacht des turkischen Glaubens und zollte dem Turkvolk einen Tribut. Dafür bat er Descht-i-Kiptschak um eine Kleinigkeit: um Umsiedler, die in der griechischen Armee dienen, den Griechen den Bau neuer Städte und Tempel, die Bodenbestellung und Viehzucht beibringen sollten.

Scheinbar hatte der Herrscher die friedlichsten Absichten.

Auf diese Weise schläferte er die Wachsamkeit der Khane ein. Er erniedrigte sich, um Zeit zu gewinnen und mit den Händen der Angehörigen des Turkvolkes die Domination auf den Handelsstraßen aus dem Orient zurückzuerlangen. Dann sollten Zeit und Geld für die Griechen arbeiten. Darauf gründete er seine listigen Berechnungen.

Kurzum, Konstantin nahm sich vor, die Große Völkerwanderung in einen neues Bett zu lenken: Die turkische Kultur ergoss sich wie ein umgeleiteter Fluss in die hellenische Welt und bereicherte diese. Es entstand eine neue Kultur, die später byzantinisch genannt werden sollte.

Byzanz wurde in der Tat zu einem Land, in dem die Spuren des Altai buchstäblich in allem zu finden waren. Die Griechen übernahmen den Glauben der Kiptschak: Seit dem Jahr 312 beteten sie zu Tengri. Im Jahre 325 nannten sie den Tengri-Glauben skrupellos „griechisches Christentum“ und erklärten Kaiser Konstantin zu Gottes Statthalter auf Erden. Nach ihrer Vorstellung hatte kein anderer als Konstantin dem Großen Römischen Imperium ein Ende gesetzt.

Die christlichen Griechen schonten den alten, heidnischen Glauben nicht. Sie zerstörten die alten Tempel und Paläste, vertrieben und mordeten die Priester. Blieb in Byzanz nach dem 4. Jahrhundert noch etwas griechisch? Das wird wohl niemand behaupten können.

Um ihr Christentum zu betonen, vernichteten die Griechen die Bücher von Aristoteles, Platon, Herodot und anderen großen Gelehrten. Im Jahre 391 verbrannten sie sogar die berühmte Bibliothek von Alexandria mit ihren überaus seltenen antiken Handschriften. Nichts war ihnen heilig.

Aber die Schätze der alten Welt verschwanden nicht: Die Kiptschak retteten sie. Nur dank ihnen weiß die Welt heute von Aristoteles oder Platon. Niemand denkt heute noch daran, dass gerade Angehörige des Turkvolkes tausend Jahre lang in ihren Bibliotheken Übersetzungen aus Europas antiken Autoren bewahrten.

Zu der Zeit, da die Griechen die altertümlichen Handschriften verbrannten, kannte man im Westlichen Reich nicht den Glauben an den Gott des Himmels. Bis 380 erkannte das offizielle Rom nur Merkur als den größten Gott an und verfolgte Andersgläubige. Dem lag eine Berechnung zugrunde: Kaiser Valentinian träumte von einer Revanche. Er hasste die Kiptschak und machte kein Hehl daraus. Unter ihm erstarkte die römische Armee wie nie zuvor. Immer häufiger erwachte das Land zu den Trompetenklängen, die den Truppen das Signal zum Sammeln gaben.

Gesagt sei, dass jener Kaiser eine rätselhafte Figur ist. Wer war er? Wie kam er auf den Thron? Bekannt ist nur wenig.

Sein Vater war ein Offizier, doch nicht das ist wesentlich. Zeitgenossen wiesen auf das für einen Römer ungewöhnliche Aussehen des Kaisers hin: Er war blauäugig und blond. Ein echter Angehöriger des Turkvolkes. Mehr noch, in seine Armee nahm der Kaiser sehr gern turkische Söldner auf. Mit ihnen verständigte er sich mühelos. Auf welche Weise? Das ist ungewiss.

Seine erste Prüfung musste er im Jahre 374 bestehen. Damals wanderten Aufklärer der Kiptschak ins Weströmische Reich ein. Nach der Überquerung des Ister (Donau) siedelten sie sich auf dem heutigen Territorium von Ungarn und Österreich an. Ihrem Beispiel folgte später eine ganze Horde. Rom konnte sich mit dieser friedlichen Unterwanderung natürlich nicht abfinden.

Doch gleich in der ersten Schlacht wurde seine Armee in die Flucht geschlagen.

Im Jahr darauf verließen die Römer das Schlachtfeld als Sieger. Freilich vergällte ihnen eine ihnen nachgeschickte Botschaft der Kiptschak das Fest. Sie kam ins Hauptquartier, ohne auch die geringsten Zeichen von Respekt zu zeigen, und verspottete die Sieger grob. Kaiser Valentinian konnte die Beleidigung nicht aushalten, er zitterte vor unbeschreiblicher Wut und starb an der Stelle.

Auf den fruchtbaren Feldern an der Donau behaupteten sich turkische Städte und Stanizas, die ersten in Westeuropa. Die Ansiedler wurden „Hunnen“, „Alemannen“, „Ostgoten“ und „Westgoten“ genannt. Auch der Name des Westgoten-Khans hat sich erhalten, wenn auch in entstellter Form. Er hieß Fritigern. Mit diesem für einen Kiptschak sonderbaren Namen ist er für Jahrhunderte in Legenden und Chroniken eingegangen.

Dafür haben uns die Namen der Sippenbegründer in nicht entstellter, d. h. in ihrer turkischen Form erreicht. Die Westgoten gehörten dem Geschlecht der Balten („Streitaxt“ in der Turksprache), die Ostgoten dem Geschlecht der Amaler („still“, „ruhig“, „sanft“ in der Turksprache) an. Das haben die europäischen Chroniken genau festgehalten.

Am 9. August 378 setzten die römischen Truppen am Donauufer die turkische Reiterei erneut einer Prüfung aus und hatten sich wieder verrechnet. Ein Flankenangriff der Reiter war überraschend. Nach dieser Schlacht hatte das Westliche Reich seine Armee endgültig verloren.

Deshalb musste Rom die Kiptschak anerkennen.

 

 

Altrömische Sitten

Nach der Niederlage im offenen Kampf bemühten sich die Römer um erfolgreiche Schritte in der Politik – und fanden sie. Über den byzantinischen Kaiser Theodosius I. erreichten sie, was sie wollten, diese ihre Siege sind unbestreitbar.

Über Theodosius haben sich widersprüchliche Nachrichten erhalten. Er galt als Müßiggänger und faul, war jedoch in Wirklichkeit ein verschlossener Mensch und kluger Politiker: Alles, was er anfing, brachte ihm sichtbare Erfolge. Im Jahre 380 erließ er ein Gesetz, das das Heidentum verurteilte, dann noch eines, über die Glaubenseinheit. Zu der Zeit, da Theodosius zum Herrscher sowohl über Byzanz als auch über Rom wurde, hatte er den Glauben an den Gott des Himmels in der ganzen westlichen Welt durchgesetzt. In Rom war man nicht darauf gefasst, die Nachricht überraschte die Menschen.

Es schien, als hätte der Kaiser mehrere Gesichter auf einmal. Er nannte sich einen Christen, genoss jedoch den Anblick der Folterungen seiner Untertanen. Böse und grausam, handelte er unvorhersagbar und setzte sein Gefolge gern in Erstaunen. Dabei war alles bei ihm Kalkül. Niemand konnte ihn verstehen, als er im Jahre 382 eine turkische Horde (militärischen Stammesverband) ins Weströmische Reich einlud.

Er ließ die Kiptschak kommen, die von Rom verachtet und zugleich enorm gefürchtet wurden!

Theodosius verfügte, ihnen Landgüter zu schenken, allerdings unter der Bedingung, dass die Kinder der neuen Gutsherren in seiner Armee dienten. Solche Landgüter waren eine Art kleine fremde Staaten: Dort sprach man die Turksprache und ordnete sich den turkischen Gesetzen und Herrschern unter. Das Reich hatte keine Macht über sie. Sie waren in allem völlig frei und unabhängig.

Wohl am besten zeugen von jener Zeit turkische Ortsbezeichnungen, die gleichzeitig mit den Kiptschak aufkamen. Sie sind zahlreich und überall dort in Westeuropa festzustellen, wo sich die Kiptschak ansiedelten. So heißt eine Bergspitze in der heutigen Schweiz seitdem Mont Tendre. Offenbar erinnerte sie die Kiptschak an den altaischen Berg Khan-Tengri.

Die freien turkischen Siedlungen lösten in Europa Wut aus, besonders nachdem die römischen Gutsherren verpflichtet wurden, ein Drittel ihrer Ackerböden und die Hälfte der Waldflächen den Kiptschak abzutreten.

Diese Aktion hieß Gastfreundschaft, das Wort stammt aus dem Gesetz des Kaisers. Und das Wort wurde zum Auslöser.

Früher waren Ehen zwischen Römern und Kiptschak strengstens verboten. Nun wurde dieses Gesetz aufgehoben. Im Gegenteil, Mischehen wurden sogar begrüßt. In Rom kam die turkische Kleidung in Mode, zumal sie wärmer und praktischer war. Aristokraten fanden Gefallen an den schönen wollenen Hemden, Hosen und Schalwaren, an den Überwürfen (Epantschen) der Kiptschak.

Alles vermischte sich in Europa, alles veränderte sich zusehends.

Kiptschak, diese „Barbaren“, gehörten neuerdings zum Gefolge des Kaisers und besetzten verantwortliche Posten. Khan Arbogast, dessen Name in der Turksprache „roter Hals“ bedeutete, wurde zum Lehrer der Soldaten, d. h. zum Oberbefehlshaber. Seine Stimme klang wie Donnerrollen.

Dieser Lauthals und Grobian fühlte sich im Gefolge des Kaisers absolut ungezwungen. Als man ihn abzusetzen versuchte, schleuderte er unverfroren dem Kaiser ins Gesicht: „Meine Macht hängt nicht von deinem Lächeln oder deinen düsteren Brauen ab.“ Ein paar Tage darauf wurde der Kaiser erstickt im eigenen Bett gefunden.

Ein Zeitgenosse und Zeuge jener Ereignisse hinterließ folgende Zeilen: „Der Rang eines Senators, in der Antike der Gipfel der Ehren für die Römer, sank wegen dieser blonden Barbaren zu etwas Unwürdigem herab.“

Das stimmte. Denn niemand von den römischen Patriziern konnte es mit den Kiptschak in der Kriegskunst oder Staatspolitik aufnehmen. Niemand von den Plebejern verstand es, so gut den Boden zu bestellen, Vieh zu züchten, Städte und Tempel zu bauen. Die Römer waren zu verzärtelt und schwach. Ihnen blieb nur eins: die „blonden Barbaren“ zu hassen.

Der Lauf der Dinge in Westeuropa wiederholte im Grunde die Geschichte der Entstehung von Byzanz. Auch hier begegneten sich zwei Kulturen, die von Ost und die von West. Auch hier behaupteten die Kiptschak ihre führende Stellung, diesmal in der lateinischen Gesellschaft.

Der Osten siegte offensichtlich, nur die Große Steppe störte ihn. Genauer: ihre Traditionen und Gesetze (die Adat), die wie schwere Klötze an seinen Beinen hingen und sein Handeln behinderten. Es war die Erziehung, die Arbogast hinderte, die Macht im Weströmischen Reich zu nehmen, obwohl sie faktisch in seinen Händen lag: Immerhin war er der Oberbefehlshaber! Nach der Adat durfte er nicht Kaiser sein, weil er nicht in der Familie eines Herrschers geboren wurde, folglich hatte ihm Gott nicht den Segen zum Thron erteilt.

Die Europäer fanden diese Schwachstelle der Kiptschak – ihre Treue zum Wort und Gesetz – schnell heraus. Der Edelmut der Kiptschak brachte diesen seitdem nur Schaden, und die Feinde beeilten sich, sich das zu Nutze zu machen.

Die Herrscher von Rom und Byzanz hatten keine Angst, Kiptschak in ihre Nähe zu bringen, sie vertrauten ihnen die eigene Bewachung und hörten auf ihre Ratschläge. Die Kiptschak kosteten den Staat wenig, die Steppe hatte sie daran gewöhnt, mit wenigem auszukommen.

Doch weder Theodosius noch andere Kaiser erlangten den erwünschten Frieden im Reich, indem sie die Kiptschak in ihren Dienst nahmen. Im Gegenteil, die Unruhe breitete sich aus. Schuld daran waren nicht die Steppenbewohner, vielmehr die Unduldsamkeit und der Hochmut der Römer. Die Jahrhunderte der Herrschaft hatten sie verdorben.

Auch Christen geworden, waren die Römer keineswegs gesinnt, „ihren Nächsten zu lieben“, d. h. jene Bürger, die die Turksprache sprachen. Da waren die kaiserlichen Erlasse ebenso machtlos wie gutes Zureden.

Sinnlose Wut drohte die Römer zu ersticken. Sie wollten nicht in die Armee eintreten und verstümmelten sich absichtlich, nur um dem Dienst auszuweichen. Die Kiptschak aber, ihre Verteidiger, die sich nicht schonten, wurden erniedrigt. Man ging rücksichtslos mit ihnen um und verspottete sie offen, wie man Sklaven verspottet. Dichter erfanden Geschichten über sie, eine absurder als die andere. Selbst wenn der Kaiser vom Volk des Reiches sagte, es sei „ein Volk der Gleichen und durch einen einheitlichen Namen verbunden“, hörten die Spottreden nicht auf.

Man lese nur: „Sie sind unerhört hässlich und ungeschlacht, diese zweibeinigen Bestien, und ähneln Baumstümpfen, die wie Götzen an den Brücken stehen.“ Oder: „Gleich Tieren, die nicht vernunftbegabt sind, kennen sie keinen Unterschied zwischen Wahrem und Falschem.“ Der römische Adel verlangte sogar, man solle die Kiptschak des Reiches verweisen oder gar versklaven.

Diese Drohungen waren natürlich eine Pose des Schwächeren. Schon damals, im 4. Jahrhundert, sahen bereits alle ein, dass das Turkvolk ein fester Bestandteil Europas und dieses die Heimat der jungen turkischen Generation war. Niemandem war es gegeben, etwas an dieser Sachlage zu ändern.

Nach dem Tod von Theodosius versuchten seine Söhne, die „gewohnheitsmäßigen Landzuteilungen an das Heer“ aufzuheben. Doch das misslang. Es wurde bereits die erste Generation der lateinischen Kiptschak geboren, ihre Zahl ging in die Tausende. Selbstverständlich hätten sie sich niemals versklaven lassen. Immerhin waren ihre Väter keine Schwächlinge.

Trotzdem brach ein Aufstand aus. Das Unglück schlich sich unmerklich heran. Das geschah in den letzten Tagen des Jahres 406. Ausgerechnet am 25. Dezember, dem Tengri-Tag, dem größten turkischen Fest, gingen die Römer daran, die Frauen und Kinder jener Kiptschak, die in der Armee des Reiches dienten, hinzurichten. Schon früh am Morgen schwangen die Henker ihre Beile, und das beschleunigte die Ereignisse.

Die Kiptschak, die so viel Schande und Erniedrigung hatten über sich ergehen lassen müssen, hielten es nicht mehr aus und lehnten sich auf. Im Weströmischen Reich kam es zu einem Bürgerkrieg. Der Anführer der Kiptschak war Khan Alarich, ein Mann, der von langen Verhandlungen nicht viel hielt.

Er belagerte die Hauptstadt. Da schien sich Rom endlich zu besinnen und bat um Gnade. Senatoren und Adlige entschuldigten sich vor den Kiptschak und zahlten ihnen viel Gold, damit sie die Belagerung aufhoben. Aber schon ein Jahr später wiederholte sich alles.

Im Jahre 410 belagerten die Kiptschak Rom zum dritten Male. Jetzt glaubten sie den falschen Worten seiner Einwohner nicht mehr und besetzten die Stadt. Zur Strafe plünderten die Krieger die Stadt gründlich aus.

Die Feindschaft drohte die römische Gesellschaft zu überfluten und zu zerstören, doch so weit kam es nicht. Unter den Römern fand sich ein weiser Mann, der drei Jahrzehnte vor dem Ausbruch der Feindschaft begriffen hatte, dass es unmöglich ist, aus zwei Völkern ein einziges zu machen. Wenn man sie jedoch durch einen gemeinsamen Glauben miteinander verband, musste ein neues Volk entstehen.

Diese Idee war ihm von den Kiptschak, ihren Geistlichen und dem Wort der Turksprache „kathylik“ (Verbündeter) eingeflößt. Es entstand die „katholische Doktrin“ bzw. der Katholizismus. Ein dominierendes Ereignis, das die Geschichte des modernen Westeuropa einleitete.

Jener weise Römer hieß Damasus I. Zwischen 366 und 385 war er der Bischof von Rom, faktisch der erste Papst.

 

 

„Kathylik“ bedeutet „Verbündeter“

In Rom mit seinen 300 000 Einwohnern hatte es früher keine Kirche gegeben.

Dort bestand seit dem 1. Jahrhundert eine Sekte: Ein Dutzend Menschen versammelte sich in einer unterirdischen Höhle, und gerade sie wurden später Christen genannt. Sie befolgten die Regeln der jüdischen Religion: beteten in Synagogen, feierten die biblischen Feste und nahmen die Beschneidung vor. Für die meisten Römer waren die Wörter „Jude“ und „Christ“ gleichbedeutend.

Das zeichnete das frühe Christentum aus, das anders als heute war. Die Sektierer nannten sich selbst Atheisten (das war ihr Wort!), erkannten keine Götter an, hatten keine Kirchen, kannten weder Kreuz noch Heiligenbilder.

Die Behörden hatten Angst vor diesen Gottlosen und setzten sie Verfolgungen aus.

Das Wort Christentum kam Ende des 3. Jahrhunderts bei den Griechen auf. Als Religion wurde es Anfang des 4. Jahrhunderts in Derbent, d. h. im Kaukasus, bekannt. Dann erkannte man den Glauben in Europa und in den Nahostländern an. Aber in Rom gilt von alters her Rom allein als die Wiege des Christentums. Das ist dort die herrschende Ansicht, weil das einmal die katholische Doktrin verkündete. Den Bischof von Rom erklärte sie zum ersten Geistlichen der christlichen Welt, zum Papst.

Bemerkenswerterweise erfuhren die Römer das Wort „Papst“ ebenfalls Anfang des 4. Jahrhunderts: Die früheste Inschrift ist an den Wänden der römischen Katakomben des Hl. Calixtus gefunden worden. Aus irgendeinem Grund wird dem Wort griechische Herkunft zugeschrieben, obwohl die Griechen selbst einen solchen Titel nicht kannten.

Kennzeichnend für die Urheber der katholischen Doktrin war eine unerklärbare Logik buchstäblich in allem. Nur selten entsprach sie der Wirklichkeit, ja sie widersprach ihr, aber das störte niemanden. Der Grund bestand darin, dass die Römer damals auf Erfolge der Griechen neidisch waren. Denn unter dem Vorwand des Kampfes um das Christentum begann Byzanz die Eroberung des Nahen Ostens, seiner reichen Städte und Länder. Die Römer wollten dem etwas entgegensetzen, darauf wirksam reagieren, aber ihre Armee war nicht stark genug. Deshalb unterzogen sich Politiker der Aufgabe, wozu sie die Kleidung von Bischöfen anlegten.

Die Berechnung war einfach: das griechische Christentum anzunehmen, zu Verbündeten von Descht-i-Kiptschak zu werden und mit Hilfe der Kiptschak das eigene Ziel zu erreichen.

Deshalb fassten sie das Wort der Turksprache „kathylik“, das sie vom byzantinischen Kaiser Theodosius hörten, ganz anders auf: Das Wort sagte ihnen die Idee eines Bündnisses vor! Beweise sind vorhanden, z. B. wurde im Jahre 382 eine Kiptschak-Horde zur Ansiedlung im Weströmischen Reich eingeladen. Wohlgemerkt: nicht in Byzanz! Alles wurde in Betracht gezogen und einkalkuliert. Alles fügte sich in den Rahmen besagter Politik ein.

Der turkische Patriarch Ulfilas billigte die Idee der Römer, weil er darin einen Weg zur Aussöhnung zwischen Kiptschak und Europäern sah. Das war die Anerkennung des Katholizismus durch die Große Steppe.

Der erste Schritt gelang. Also ging Europa noch weiter und sprach vom „Arianismus“, von einer neuen Lehre, aus der hervorging, dass die turkische Religion angeblich ein „falscher“ Teil des Christentums sei. Äußerlich änderte diese Behauptung natürlich nichts. In Wirklichkeit veränderte sie vieles: Die Worte erlangten die Stärke eines Schwertes, die Politik (das Wort!) verdrängte die Armee und trat in den Vordergrund.

In geheimer Veränderung der Welt liegt das Wesen des Katholizismus.

Etwas verändern, aber mit fremden Händen. Töten, aber mit fremden Händen. Nicht ein Glaube, sondern eine neue Politik entstand, die für Jahrhunderte das Wesen der westlichen Kirche ausmachen sollte. Eine solche Politik ist da – und doch gleichsam nicht da, weil sie geheim ist, den Augen und Ohren der Uneingeweihten verborgen bleibt – eine Politik, die das eine sagt und etwas ganz anderes tut.

Seitdem geschah alles in Europa gleichsam zufällig.

Der Bischof Damasus wurde schon in hohem Alter zum Papst, sein Leben verging in Rom. Seit den ersten Tagen umgaben Kiptschak den Papst, weil er nur ihnen allein wirklich vertraute. Sie brachten ihm die Geheimnisse des Glaubens an den Gott im Himmel bei. Andere Lehrer gab es damals nicht, konnte es nicht geben.

Daher rührt der berühmte Ausspruch der Kirche: Aus dem Osten kommt das Licht. Er gehört als fester Bestandteil zu dieser Kirche.

Im Gefolge des Papstes waren große Dichter und Gelehrte jener Zeit, später nannte man sie Doktoren und Kirchenväter. Der Papst „sprach ihre Worte nach“. Damals wurden die ersten heiligen Bücher geschrieben, von denen sich die Katholiken bis heute leiten lassen.

Die Namen Wassili, Grigori Nasiansin, Hieronymus, Ambrosius sind dem Leser wohl kaum bekannt, ebenso wie der Name des Bischofs Augustin. Von diesen Menschen, hervorragenden Denkern, wurden Legenden erzählt. Doch ihre Schriften existieren nicht mehr, die Katholiken selbst verbrannten sie, als sie die Spuren der Anwesenheit des Turkvolkes in Europa vernichteten.

Man denke jedoch darüber nach, wer diese Menschen sein konnten, die dem Westen die Anfänge der turkischen religiösen Kultur und den Glauben an Gott beibrachten. Sie verbanden den Tengri-Kult mit Christus – und darum eben ging es.

Wenn das nicht Kiptschak waren – wer sonst? Andere Träger des geheimen Wissens gab es in der Welt tatsächlich nicht. Auf jeden Fall gingen sie aus einem Milieu hervor, das mit der griechischen oder hebräischen Kultur am wenigsten bekannt war.

Europa wandte sich dem Osten zu, weil Licht aus dem Osten kommt.

Gewiss, ihre eigenhändigen Manuskripte wurden verbrannt, ihre Biografien umgemodelt. Aber das Geschriebene hat sich erhalten! Man findet es auch in Kirchen, die nicht mit Rom oder Byzanz verbunden sind. Das ist das turkische geistige Erbe, an dem Europa in keiner Weise beteiligt ist, es lernte bloß bei den altaischen Lehrern.

Die alten christlichen Bücher waren meist in der Turksprache geschrieben, denn in dieser Sprache wurde im 4., 5. und 6. Jahrhundert der Gottesdienst in allen Kirchen abgehalten. Das war Gottes eigene Sprache sowohl in Europa als auch im Nahen Osten. Bekannt sind Texte, die über anderthalbtausend Jahre alt sind. Sie werden wie Heiligtümer aufbewahrt, beispielsweise in Armenien.

Nur das Turkvolk besaß damals umfangreiches Wissen vom Gott des Himmels. Und dieses Volk hatte keinen Mangel an Wissenschaftlern, namentlich an Philosophen. Das ist eine Glaubenstradition, die in sehr alte Zeiten, die Epoche des Altai und seiner Klöster, zurückreicht. Schon Herodot betonte die Weisheit und die Erkenntnisse der Skythen (d. h. Angehörigen des Turkvolkes) und staunte über die tiefen Wurzeln ihrer Kultur.

Im 1. Jahrhundert demonstrierte Khan Erke (Kanischka) dem Osten diese Kultur so glänzend, dass die Buddhisten auf dem IV. Konzil die Riten und die Philosophie des Tengri-Glaubens annahmen. So entstand ein neuer, der nördliche Zweig des Buddhismus.

Noch eine bemerkenswerte und ebenfalls sehr beredte Tatsache.

Selbstzufrieden, wie sie waren, lernten die Römer nie Griechisch, weil sie die Griechen verachteten. Die Griechen vergalten es ihnen mit Gleichem. Die Kiptschak dagegen taten sich auch hier hervor: Europa kannte keine besseren Übersetzer als sie.

Niemand hätte es in der Kunst des Übersetzens mit Hieronymus aufnehmen können, dabei stammte er von einem turkischen Geschlecht an der Donau, einem jener Geschlechter, die als Erste den Boden des Römischen Imperiums betraten. Er nahm das Christentum an, wurde zum nächsten Berater des Papstes und widmete sich dem Redigieren und der Übersetzung heiliger Bücher aus der Turksprache ins Latein.

Wohlgemerkt: aus der Turksprache!

Seine lateinische Übersetzung der Bibel („Vulgata“) war jener Keim, dem die gesamte christliche Literatur von Westeuropa entspross. Die Texte der Originale werden bis heute in der Bibliothek des Vatikans aufbewahrt. Sie wurden aus Descht-i-Kiptschak, genauer: vom Don, gebracht.

Die Vulgata (lat.: zugänglich, in der Volkssprache abgefasst) war sogar mehr als Übersetzung. Darin wurde dem einfachen Volk, d. h. den Römern, der Sinn der Hl. Schrift in der ihnen verständlichen Sprache erläutert. Anders gesagt, klärte sie sie auf und machte sie zu kultivierten Menschen.

Oder folgende Tatsache. Als die Stadt der Wissenschaft und Kunst von ganz Westeuropa galt in jenen Jahren Mailand, in dem Bischof Ambrosius lebte. Zu seinen Predigten strömten ganze Menschenmengen herbei. Große Stadtplätze hörten ihm zu. Dank Ambrosius war Mailand eine Stadt, in der die Turksprache und die Ideen des Turkvolkes hoch in Ehren standen. Dort lebten fast ausschließlich Kiptschak und so gut wie keine Römer.

Unter dem Druck dieses „ungestümen Bischofs“ musste der Kaiser im Jahre 381 seine Residenz nach Mailand verlegen und im Weströmischen Reich die heidnische Götzenverehrung verbieten. Anders ausgedrückt: Er trat gegen die Traditionen der römischen Kultur auf!

Die lateinischen Kiptschak dienten der katholischen Idee treu. Sie wünschten einen Bund mit Europa als ihrer neuen Heimat und wurden katholisch, um Tengri zu rühmen.

Anfang des 5. Jahrhunderts kam es im Weströmischen Reich zu einem weiteren Ereignis, das ebenfalls mit den Kiptschak verbunden war. Sie sprachen Rom die Rechte der Hauptstadt ab und erklärten 402 Ravenna zur Reichshauptstadt.

Ravenna unterschied sich insofern günstig von Rom, als es von allen Seiten von Sümpfen umgeben und Feinden unzugänglich war. Der einzige Zugang war die Meeresküste. Die neue Hauptstadt wurde in den Traditionen der turkischen Architektur gebaut, weil in ihr nicht Römer, sondern nur Kiptschak lebten.

Eine Sehenswürdigkeit der Stadt waren Basiliken und mit hellblauen Mosaiken verzierte orientalische Mausoleen, besonders aber das berühmte Baptisterium, in dem Christen getauft wurden. Oktagone und Kuppeln – Zeichen der turkischen Architektur – waren hier überall anzutreffen.

Diese Novitäten waren ebenfalls ein unbestreitbares Ergebnis der Großen Wanderung, mit ihnen begann eine neue Architektur, die Gotik. Nach der Einwanderung der Kiptschak wurden die europäischen Städte ganz anders gebaut und geschmückt.

 

Die neuen Römer

Im Jahre 411 trat Constantius an die Spitze der römischen Armee. Die Ahnen dieses ungewöhnlich begabten Mannes waren Angehörige jenes Teils des Turkvolkes, der sich an der Donau angesiedelt hatte. Er war zwar Militär, aber im Grunde ein geborener Politiker. Ein weiser Politiker, wie ihn Rom noch nicht erlebt hatte.

Die Griechen schrieben über ihn: „Das war ein Mann mit großen Augen, einem langen Hals und einem großen Kopf, den er zum Hals seines dahinstürmenden Pferdes beugte … Bei Festmahlen war er reizend und witzig und hätte es mit den Hofnarren aufnehmen können, die sich um seinen Tisch tummelten.“

Interessante Zeilen. Ein Reiter, der vorgebeugt dahinstürmt. Mit dem Äußeren eines Kiptschak. Mit dem Blut eines Kiptschak. Mit den Gewohnheiten eines Kiptschak. Mit einem Hofnarr bei Festmahlen. Aber – schon ein Römer. Ein neuer Römer.

Das altertümliche Rom verwandelte sich damals in eine zweisprachige Stadt. Seine Sitten veränderten sich zu den Lebzeiten nur einer Generation. Neu wurden der Alltag der Menschen, ihre Denkweise, ihre Wünsche und Verhaltensmuster. Alles veränderte sich in der Ewigen Stadt unter dem Einfluss des Turkvolkes.

Als Feldherr wurde Constantius in Gallien berühmt. Mit einem kleinen Heer zerschlug er die Armee der Gallier. Aber diese Schlacht war nur eine kleine Episode in seinem Leben. Der Oberbefehlshaber dachte nicht so sehr an seine Armee wie vielmehr an Politik, in der er eine Gewähr seiner militärischen Erfolge sah. Das war für das kriegerische Rom ungewöhnlich und deshalb erstaunlich.

Im Jahre 413 warb Constantius mehrere große Sippen der turkischen Horde – Burgunder – für das Reich an und teilte ihnen Ländereien auf dem Territorium des heutigen Frankreich zu. Dort begründeten sie eine Stadt am westlichen Rheinufer. Man nannte sie „Föderaten“, und bald kam in Westeuropa ein neues Land der Kiptschak – Burgund – auf.

Constantius verwirklichte seine Politik durch die Übersiedler, und das erfolgreich. Er sah ein: Das Reich brauchte die Kiptschak nicht als Feinde, sondern als Verbündete. Darin offenbarte sich die Weisheit des Feldherrn: Er forderte nicht zu Kriegen, sondern zu einer Zusammenarbeit zum gemeinsamen Wohl auf.

Einen günstigen Verlauf nahmen auch die Verhandlungen mit dem Khan Ataulf, der damals die unzufriedenen lateinischen Kiptschak anführte. Man brachte ihn dazu, dem Bürgerkrieg ein Ende zu bereiten. Hierbei wurde die Sache so schlau eingefädelt, dass die lateinischen Kiptschak ihren Zorn auf Spanien übertrugen und dort sich und das Reich mit Ruhm bedeckten.

Mit ihnen entstand Katalonien, ein weiteres neues turkisches Land (sein Name leitet sich vom Wort der Turksprache „kathyl“, sich anschließen, ab).

Ruhmbedeckt, kehrten die Eroberer von Spanien heim. Selbst die mürrischen Römer empfingen sie als nationale Helden. Auch sie erhielten den Status der Föderaten. Im Jahre 418 bestimmte das Reich die Stadt Toulouse zu ihrer Hauptstadt. Das war ein richtiges Fest der Anerkennung der lateinischen Kiptschak.

Die Kirche schätzte den diplomatischen Sieg von Constantius sehr hoch ein. Früher als alle anderen verstand sie, dass die Kiptschak für immer nach Europa gekommen waren und nun die größte politische und militärische Kraft darstellten.

Im Februar 421 überreichte das Volk von Rom Constantius die Krone und den Titel des Kaisers des Weströmischen Reiches. Er war nicht der erste und nicht der letzte Angehörige des Turkvolkes, der es zum Kaiser von Rom brachte.

Leider starb er sieben Monate nach der Krönung. Die Ursache des rätselhaften Todes wurde nicht festgestellt. Doch wohl kaum ging es dabei ohne Byzanz ab: Dazu widersetzte es sich der Inthronisierung eines Kiptschak viel zu stark. Byzanz hatte Angst vor dem Erstarken des Westlichen Reiches.

Der Sohn von Constantius, der Thronfolger Valens, war nicht einmal fünf Jahre alt, deshalb ging die Macht an seine Mutter Placidia, eine fromme und eigenwillige Frau, über.

Ihrer Abstammung nach eine Römerin, hatte sie in ihrer Jugend viel Ungerechtigkeit seitens der Kiptschak erleben müssen und hasste alles Turkische.

Mischehen waren schon damals keine Seltenheit, man nannte sie „Früchte des Katholizismus“. Die Früchte erwiesen sich als bitter. Wenn ein Angehöriger des Turkvolkes eine Römerin heiratete, wechselte er die Kleidung und den Namen. Das war die Vorbedingung einer solchen Ehe.

Die Kirche erfand für sie den Kirchenkalender, d. h. Namenslisten. Eine auf den ersten Blick harmlose Angelegenheit. Aber die Namen waren griechisch und hebräisch, manchmal römisch – und nie turkisch. Deshalb sind wirklich turkische Namen in der Geschichte Europas so selten.

Ein Name ist aber Merkmal eines Volkes, sein „Tamga“, das eine klare und verständliche Sprache führt. Namen wie Napoleon oder Homer spiegeln eine ganze Epoche wider. Das war den europäischen Angehörigen des Turkvolkes nicht gegeben. Selbst Attila ist nicht der eigentliche Name des Feldherrn, er hat uns entstellt, in römischer Aussprache erreicht.

Die Kinder der lateinischen Kiptschak wurden als Katholiken und Römer großgezogen. Man verbot es ihnen natürlich nicht, die Turksprache zu sprechen, die turkischen Sitten und Gebräuche einzuhalten und turkische Feste zu feiern. Doch wurde das auch nicht gerade gefördert.

Solche Regeln hatte die Kirche eingeführt: Regeln einer Moral mit doppeltem Boden, die die jungen Menschen zu Heuchlern erzogen.

Aus der Ehe eines Donau-Kiptschak und einer adeligen Römerin ging ein schöner Knabe hervor, den die Geschichte von Europa als Aëtius kennt. Höchst begabt, wuchs dieser spätere römische Held unter Kiptschak auf. Der Sohn des Befehlshabers der Reiterei (Magister equitum) wurde gemäß einer Steppentradition und entgegen den Regeln der Kirche einer turkischen Familie zur Erziehung anvertraut. Dieser altertümliche altaische Brauch heißt Atalyk (Vaterschaft). Der Junge lernte viel von den Steppenbewohnern.

Als erwachsener, kultivierter Mensch kannte Aëtius die Sitten der einen und der anderen Bürger des Reiches. Attila selbst erzog seinen Sohn und nannte Aëtius lange Zeit seinen Bruder. Deshalb lebte er sich ohne weiteres sowohl unter Feinden als auch unter Freunden ein. Um ein Weniges wäre er römischer Kaiser geworden, das ließ jedoch Placidia, eine Tigerin auf dem Thron, nicht zu.

Diese Frau erkannte die Idee des Katholizismus (des Bundes) nicht an, war eine leidenschaftliche Anhängerin von Kriegen, und es dauerte nicht lange, da brachen sie im Reich wieder aus. Das Land setzte wieder auf die Armee – und erlitt mehrere Niederlagen, wobei die von 429 besonders spürbar war. Das löste im Reich einen abermaligen Bürgerkrieg aus.

Alles begann von Neuem. Der Unmut des Volkes brach mit neuer Kraft aus, der ohnehin unsichere Frieden war gestört.

Eben damals stellte sich Aëtius an die Spitze der Kiptschak. Mit Hilfe der Verbündeten aus Descht-i-Kiptschak entschied er über den Ausgang des Bürgerkrieges in einer einzigen Schlacht. Das Ansehen des jungen Feldherrn nahm von Tag zu Tag zu. Bittsteller aus der Provinz kamen zu ihm, Beamte erstatteten ihm Berichte, wohlgemerkt: ihm und nicht dem halbwüchsigen Kaiser und auch nicht der kriegerischen Dame, die auf dem Thron saß.

Das Reich erlebte eine niederdrückende Doppelherrschaft, und diese ist bekanntlich nie von langer Dauer. Ein neuer Bürgerkrieg schien unvermeidlich. Der byzantinische Kaiser wollte den Moment zur Einmischung nutzen, schaffte es jedoch nicht mehr. Alles kam ganz anders.

Eine dritte Kraft trat in Erscheinung: die Kiptschak der jungen turkischen Staaten Gallien und Katalonien. An ihrer Spitze stand Khan Geiserich. Wie ein Chronist schrieb, hatte er „einen scharfen Verstand, verachtete den Luxus und mochte den Wohlstand, war wortkarg und in seinem Zorn unbezähmbar“. Kurzum, ein echter Kiptschak.

Sein Name ließ alle erzittern und an Gesser, den unbesiegbaren Sohn Tengris, denken.

Ganz ruhig, ohne viel Worte, schlug er die vereinigte Armee von Ost- und Westrom aufs Haupt. Dann wandte er sich Afrika zu und eroberte dort die letzten römischen Kolonien, die das Reich mit Getreide belieferten. Die bedeutendste Trophäe war 439 Karthago, Afrikas größte Stadt.

Auf eine solche Wendung war niemand gefasst. Die Welt kippte um. Die neuen Römer erschütterten das Reich in seinen Grundfesten: Die Flotte, die Armee, die Städte lagen nun in ihren Händen.

Aëtius konnte sich, wiederum mit Hilfe von Descht-i-Kiptschak, doch an der Macht halten: Im Namen des Kaisers regierte er beinahe zwanzig Jahre lang, und ebenso lange blieb er Attilas Freund. Aber den Kaiserthron bestieg er nicht, weil das Schicksal des Reiches besiegelt war: Die Hervorbringung der antiken Welt musste untergehen, der Tod blies ihm ins Gesicht.

 

Europa nach Attila

Der Schlag der lateinischen Kiptschak war niederschmetternd.

Doch das letzte Wort gehörte Attila. Ein neues Europa wartete auf ihn: Ost und West mussten sich im offenen Kampf miteinander messen. Damit der Schlusspunkt hinter der Großen Völkerwanderung gesetzt werden konnte. Damit Attila alle besiegte …

Und damit die turkische Steppe zur Großen Steppe wurde.

So kam es auch. Attilas Reiterei durchzog unter der Tengri-Fahne alle Lande des Reiches, selbst der Papst Leo I. kniete vor ihr nieder. „Ich begrüße dich, du Geißel Gottes“, sagte er zu Attila. Der römische Kaiser aber gab ihm die Hälfte des Staatsschatzes ab, als Zusatz zu dem Tribut, den Rom den Kiptschak alljährlich zahlte.

Damals erhielt Europas höchstes Gebirge seinen heutigen Namen: Die Kiptschak benannten es zu Attilas Ehren! Das Wort der Turksprache „alp“ bedeutet so viel wie Held, Sieger. Und so spricht man auch heute von den Etzel-Alpen, d. h. Attilas Alpen.

Der Herrscher von Descht-i-Kiptschak hatte sein Hauptquartier gerade in den Alpen, offenbar irgendwo zwischen den heutigen Städten Davos und Innsbruck, möglicherweise im Tirol, das dem Altai ähnlich ist.

Attilas Zeit war der Kulminationspunkt der Großen Völkerwanderung, ihre Krönung, ihr Triumph. Damals begann eigentlich das Mittelalter. Beinahe jeder zweite Europäer war ein Ankömmling und sprach die Turksprache. Folglich hat auch heute beinahe jeder zweite Europäer turkisches Blut in seinen Adern.

Attila, der große Feldherr, konnte von niemandem besiegt werden.

Aber der Mensch Attila wurde besiegt. Er war selbst daran schuld. Die Zahl seiner Söhne betrug hundertvierundachtzig. Mädchen wurden nicht erst gezählt. Haltlose Liebe aber ist für eine Familie verderblich. Besonders für die Familie eines Herrschers.

Im Jahre 453, nach seinem verhängnisvollen Tod, gingen die Söhne daran, sich in die Macht zu teilen, wussten jedoch nicht recht, wie sie das anfangen sollten. Unter ihnen waren Römer und Byzantiner (von europäischen Müttern), sie erkannten die turkischen Sitten nicht an. So kämpften sie gegeneinander, zogen das Los und begriffen nicht, was sie anstellten, indem sie freie Ulus und Horden der Kiptschak aufs Spiel setzten.

Sie zerteilten ein freies Volk, als hätte es sich um Sklaven gehandelt.

Als Erster lehnte sich Khan Ardarich auf, ein Freund und treuer Berater Attilas, ein hoch geachteter Mann. Er hielt die Beleidigung nicht aus und griff zur Waffe. Zu spät: Der Krieg von Kiptschak gegen Kiptschak hatte schon begonnen.

Sie, die alle Armeen der Welt besiegt hatten, mussten nun sich selbst besiegen. Nur so konnte die Große Wanderung enden. Der Krieg von Kiptschak gegen Kiptschak war unvermeidlich.

Die Ursache liegt natürlich nicht in den Kindern Attilas, nicht im Hader, sondern in der Natur der Menschen. Wenn ein Volk sich nicht als eine große Verwandtschaft empfindet, stirbt es. Das ist ein Gesetz.

Brüder dürfen einander nie vergessen, nicht in den Minuten der Freude und nicht in der Zeit der Leiden, wie schlecht der andere auch sein mag. Sonst ist alles zu Ende und ein langsamer und qualvoller Untergang einer Familie, dann eines Geschlechts und schließlich eines Volkes unausweichlich.

Die blutigen Bruderkriege der Kiptschak dauerten jahrhundertelang, im Laufe des ganzen Mittelalters. Geschlechter und Familien entfremdeten sich. Das Leben teilte die Kiptschak-Ulus in neue Völker, veränderte ihre Namen und ihre Sprache, ließ sie die Gebote der Ahnen, die eigene Geschichte verleugnen. Ein Bruder tötete den anderen, und es war kein Ende abzusehen.

Was ist furchtbarer und qualvoller für ein Volk?

Das war ein Krieg ohne Regeln noch Sieger. So ist das Leben nun einmal. Ein Resultat dieses Krieges ist die heutige Kultur von Europa.

Indem die Kiptschak die antike Welt zerstörten, zerstörten sie auch sich, ihre Einheit, ihre Gesellschaft. Langsam wandelten sie sich um. Ihre Kinder wuchsen mitten in einer anderen Kultur, einem anderen Volk auf, wenn sie auch noch die Turksprache sprachen.

Indem die Menschen ihre Namen und ihre Kleidung veränderten, wurden sie unmerklich für sich selbst ebenfalls anders. Auch ohne es zu wünschen. Sie entfremdeten sich selbst, ihrem eigentlichen Wesen, ihren Ahnen, ihrer Großen Steppe. Selbstverständlich bemerkte das niemand von ihnen, keiner machte sich darüber Gedanken. Das Leben ging weiter, ging seinen gewohnten Gang. Alles geschah aber auf ebendiese Weise: unmerklich.

Am Dnepr, am Don, im Kaukasus oder am Jaik lebten ebenfalls Kiptschak, aber sie lebten nach wie vor und wahrten ihre Steppentraditionen. Deshalb berührten sie die verderblichen Veränderungen noch nicht. Allerdings handelten auch sie oft anders als z. B. die Altaier, Chakassen oder Jakuten.

Und so gingen die Kiptschak unter, indem sie eine neue Kultur schufen. Sie verzehrten sich wie eine brennende Kerze. Sie beleuchteten den Weg in die Zukunft und opferten sich für den Fortschritt auf. Hier liegt die Ursache ihrer Verluste und Gewinne – im Verlust der einstigen Einheit.

Selbstverständlich wandelten sich nicht nur die Kiptschak im mittelalterlichen Europa um, auch die Griechen, Römer und Kelten veränderten sich, bekamen neue Gewohnheiten und entdeckten ein neues Leben. Die Europäer entwickelten sich zu neuen Europäern. Die Welt wurde für sie ein riesiger „Schmelztiegel“ der Kulturen. Das geht nie anders.

Die Geschichte des Kuschanreiches, von Byzanz und Italien veranschaulicht das. Ohne das Turkvolk hätten die Griechen das blühende Byzanz nicht aufgebaut, die Angehörigen des Turkvolkes ihrerseits ohne die Iraner das herrliche Kuschanreich nicht errichtet.

Aber … Eine alte Weisheit lehrt: Sucht man Fremdes, so verliert man Eigenes. Darin liegt ein weiteres Lebensgesetz beschlossen. Man muss Fremdes vorsichtig übernehmen, mit viel Bedacht.

Die Machtkämpfe und Fehden, die nach Attila in Europa ausbrachen, können natürlich Kriege genannt werden, aber im Grunde ging es um einen Dialog der Kulturen. Das war die Politik des Mittelalters, eine Politik, die eine neue Welt schuf.

Die Kiptschak schufen sie mit. Der Anteil des Turkischen am heutigen Europa ist nicht geringer als der des Römischen oder Griechischen. Das Turkvolk war der Sieger über das Große Römische Imperium, es gab den Menschen den Glauben an den Gott des Himmels, schenkte ihnen Wissen, Architektur und Literatur. Das darf nicht übersehen werden.

Es wäre für das Weströmische Reich besser gewesen, wenn es gleich nach Attilas Tod zusammengebrochen wäre. Denn es erlebte danach nur noch Schande. Im Jahre 454 ließ Kaiser Valentinian Aëtius hinrichten. Aber dessen Mitstreiter töteten den undankbaren Kaiser. Als Antwort darauf besetzte Khan Geiserich Rom und ließ es zwei Wochen lang plündern.

Seitdem taten die Kiptschak im Reich, was sie wollten.

Als Khan Ricimer Oberbefehlshaber wurde, ließ er römische Kaiser den Thron besteigen, oder er stürzte sie nach Belieben. Er verachtete sie und machte kein Hehl daraus: Binnen 15 Jahren wechselte er die „Herrscher“ zehnmal. Er selbst konnte wegen seiner Herkunft nicht den Thron besteigen, aber die gesamte Macht lag in seinen Händen.

Nach ihm war Orest der Oberbefehlshaber, der ehemalige Beichtvater von Attila. Orest war ein Mensch von ganz anderer Art. Er verstieß gegen die Adat und ernannte seinen Sohn zum Kaiser, der den Namen Romulus Augustulus bekam.

Dieser Kiptschak war der letzte römische Kaiser.

Die Kiptschak selbst stürzten ihn im Jahre 476, weil sie in der Herrschaft des jungen Mannes einen Verstoß gegen die Gesetze des Himmels sahen. Um der heiligen Altai-Traditionen willen tat das Khan Odoaker, der erklärte: „Das Imperium lehnt den Titel eines Imperators ab.“ Unter Odoaker fand das Wort „Italien“ seinen wahren Sinn wieder: In der Turksprache bedeutet „ytala“ so viel wie „lehne ab“. Nach Byzanz wurde eine Botschaft mit der Krone, die ihre Zeit überlebt hatte, und sonstigen Insignien des Kaisers geschickt. Auf diese Weise endete die Geschichte des Alten Rom.

Es begann die Geschichte Italiens.

 

Der Nahe Osten und das Turkvolk

Seit dem 4. Jahrhundert entschieden die Griechen, ihre Politik und ihre Kirche über das Schicksal von Europa. Die Patriarchen dieser Kirche stellten die Ordnung her. Sie machten vor nichts Halt, nur um das Mittelmeergebiet zu beherrschen und sich zu erhöhen. Aber wie konnte das erreicht werden?

Wie wird ein Theologe bekannt? Wie gelangt eine Kirche zu ihrer führenden Stellung? Durch ihre Taten und ihr Wissen. Gerade daran mangelte es den Griechen: Sie hatten weder Taten noch Wissen aufzuweisen. Die griechische Kirche wurde vom Kaiserhof bevormundet, war ein Teil des Staates, ein Machthebel. Nicht mehr. So war das seit der Zeit von Kaiser Konstantin, so ging das auch weiter.

Im Unterschied zu Rom hatte die griechische Kirche kein Bedürfnis nach einer neuen Idee, sie brauchte sich keine Sorgen um ihren Ruf, die Gesundheit der Gesellschaft, die Zukunft des Landes zu machen. Statt ihrer tat das die weltliche Macht, während die Kirche nur ein Schmuck des Kaisers war.

Die satten griechischen Patriarchen hatten Angst vor Neuem und wollten von einer katholischen Doktrin nichts hören. Sie dachten nur an sich und fürchteten deshalb jede Veränderung. Doch Veränderungen treten im Leben von selbst ein, und zwar immer überraschend.

Natürlich machten sie auch um das mediterrane Gebiet keinen Bogen, die Völkerwanderung musste sich doch auch dort auswirken.

Die ersten Kiptschak waren dort Prediger aus Derbent, diese reitenden Geistlichen. Mit ihrer Hilfe wurde der Kaukasus eine geistige Quelle für Syrien, Palästina, Ägypten und Nordafrika. Die Kunde vom allmächtigen Gott des Himmels erreichte auch diese Länder. Die Menschen hörten einen für sie neuen Namen: Tengri.

Waren diese Prediger Angehörige des Turkvolkes oder nicht? Das ist ungewiss. Aber gerade sie brachten den Glauben an den Gott des Himmels mit. Gerade sie öffneten den Heiden in langen Disputen die Augen und überzeugten sie vom eigenen Glauben. Gerade sie schließlich begruben hier ihre Anführer in Kurganen unter Mitgabe vom Pferd und Waffen. Genauso wie seinerzeit im Altai. Die Herrscherkurgane in Nordafrika sind eine wahre Schatzkammer für Archäologen.

Sind die geografischen Namen etwa zufällig, in die der Name Tengri gleichsam eingemeißelt ist? Dongar oder Dangri wurde er in Abessinien, Ägypten und im Sudan genannt. Daher rührt auch der Blaue (d. h. Himmlische) Nil. Eine erstaunliche Sache, nicht wahr?

Funde aus den Hügelgräbern führen uns vor Augen, dass das Wort „Kiptschak“ einst im Nahen Osten dem Wort „heilig“ gleichgesetzt wurde. Nein, nicht mit Waffen zog hier die neue Kultur der mittelalterlichen Welt ein, sondern mit dem Wort Gottes. Eben das Wort brachten die Prediger aus Derbent mit.

Lange Zeit wussten die Historiker so gut wie nichts über die nahöstlichen Kapitel der Großen Völkerwanderung. Nur Sagen rankten sich um dieses Ereignis. Aber im Dezember 1945 fanden Bauern in den Ruinen einer altertümlichen Siedlung (heute Nag Hammadi) in Ägypten zufällig sehr schlau versteckte Papyrusrollen. Dann kamen Wissenschaftler dorthin und bestätigten eine der großen archäologischen Entdeckungen des 20. Jahrhunderts.

Die älteste der Bibliotheken hat zu ihren Lesern wieder gefunden.

Jede Rolle stellt ein richtiges Buch dar. Gegenwärtig werden sie in einem Museum von Kairo aufbewahrt. Die Handschriften stammen aus dem 4. Jahrhundert. Darin wird der Gott des Himmels erwähnt. Sie sind dem religiösen Leben der mittelalterlichen Welt gewidmet. Der Schleier des Geheimnisses um die Vergangenheit scheint ein wenig gelüftet zu sein.

Auch die Geschichte der koptischen Kirche machte den Wissenschaftlern vieles klar. Sie ist wegen ihres Alters bekannt wie auch dafür, dass sich die Kopten nur zum Gott des Himmels (Tengri) bekennen, obwohl sie sich Christen nennen.

Diese Kirche hält sich nach wie vor an die altertümlichen Traditionen des Gottesdienstes: jene, die die turkischen Geistlichen lehrten. Derbent ist für die Kopten immer noch eine heilige Stadt, dort liegen die Anfänge ihres Glaubens oder, richtiger gesagt, der Schule des Lebens.

Wer sind Kopten? Sie sind Ägypter, die im Jahre 325 das griechische Christentum nicht annahmen, weil sie es für unrichtig hielten. Das Leben selbst fügte es, dass die Kopten seitdem die Bewahrer der turkischen geistlichen Werte sind.

Offenbar erhielten sie damals ihren heutigen Namen „Kopten“, was in der Turksprache so viel bedeutet wie „hat sich erhoben“ bzw. „Erhabener“. Heute zählen die Kopten etwa anderthalb Millionen und halten standhaft an ihrem Glauben fest.

In der Welt bestehen mehrere ähnliche Glaubensgemeinschaften. In einer Wüste verlorenen Oasen gleich, leben sie ihr eigenes Leben. Es gibt keinen Zugang zu ihnen.

Ägypten war seit jeher für seine erstaunliche Kultur berühmt. Nicht wegen der Pharaonen und der Pyramiden, sondern wegen der Schule von Alexandria. Sie war immer sein Hauptreichtum, sie schenkte der antiken Welt hervorragende Wissenschaftler: Philosophen, Mathematiker, Astronomen, Ärzte, Redner. In Alexandria befand sich das Kulturzentrum des ganzen mediterranen Raums.

Gelehrte erlangten ihr höchstes Wissen nicht in Griechenland oder Rom, sondern in Alexandria. Gerade dort wurden sie zu Gelehrten.

Die Ägypter nahmen das Christentum Anfang des 4. Jahrhunderts zusammen mit den Armeniern, Albaniern und Iberern an. Sie waren besser als die anderen darauf vorbereitet, die neue Kultur, die die Große Völkerwanderung der Welt gab, aufzunehmen. Der Gipfel des Wissens wurde für sie die Lehre vom Gott des Himmels.

Damals entstand im Nahen Osten – ebenfalls aus der turkischen Welt entlehnt! – die „arabische“ Schrift. In Wirklichkeit handelte es sich um altturkische Schriftzeichen, die übliche Schnellschrift. Man gebrauchte sie im Alten Altai, wozu man sich der Gänsekiele oder Stäbchen bediente. Die Runen dienten dem Turkvolk als „Druckbuchstaben“. Sie wurden in Felsenwände eingemeißelt, damit man sie von weit her sah, und in der Schnellschrift schrieb man Nachrichten, Briefe oder Gedichte. Gelesen wurde der Text von rechts nach links oder von oben nach unten.

Später bezeichnete man die altturkische Schnellschrift als „uigurische Schrift“. In der turkischen Welt bestand sie beinahe bis zum 18. Jahrhundert.

Die früharabischen und die uigurischen Schriftzeichen sind einander verblüffend ähnlich, beinahe nicht voneinander zu unterscheiden. Das machte die Wissenschaftler oft stutzig, besonders wenn man schriftliche Denkmäler im Ural, im Altai fand, d. h. weit entfernt von Ägypten und dort, wo es nie Araber gab.

Niemand kam darauf, dass es sich um altturkische Denkmäler handelte. Um schriftliche Botschaften der Ahnen. Alle glaubten nämlich, dass das Turkvolk kein Schriftsystem hatte. Dem ist jedoch nicht so.

Die „arabische“ Schrift konnte im 4. Jahrhundert nicht etwas für den Orient Neues und Unerwartetes sein. Im Iran z. B. erfuhr man von ihr im Jahre 248 v. u. Z., nachdem die Dynastie der Arsakiden an die Macht gekommen war. Das waren Angehörige des Turkvolkes vom Altai (Rothaarige Saken). Ihre ersten amtlichen Dokumente weisen gerade diese in der westlichen Welt unbekannte Schrift auf.

Die Ägypter hatten bekanntlich ihre eigene, auf Hieroglyphen beruhende Schrift. Das zeigen auch ihre alten Papyri. Das neue Alphabet war überaus wichtig, es symbolisierte die neue Kultur, wurde zu einer Art Zeichen des Himmels im Nahen Osten. Bekanntlich kommen neue Schriftzeichen bei einem Volk nie aus dem Nichts, zufällig auf. Dem geht etwas sehr Ernstes voraus. Hier liegt der Grund offen: der Übertritt zum Glauben an den Gott des Himmels.

Die altägyptischen Texte von Nag Hammadi haben gerade das bezeugt. Einige von ihnen sind in einer „unbekannten“, den Ägyptern unverständlichen Schrift geschrieben. Die Wissenschaftler haben diese Texte nicht entziffern können.

Sie behaupteten nur, dass einzelne Zeichen dieser unbekannten, koptischen „Schrift“ griechischen Buchstaben ähnlich seien. Im Übrigen wurden viele Vermutungen darüber geäußert. Aber nur eben Vermutungen. Weil niemand auf den Gedanken kam, diese Texte und die entsprechenden Ereignisse mit der Großen Völkerwanderung und der Einwanderung des Turkvolkes in den Nahen Osten in Zusammenhang zu bringen.

Wohl bekannt ist dagegen etwas anderes. Die den heutigen Ägyptern unverständlichen Zeichen und „Buchstaben“ dienten den koptischen Geistlichen als Geheimschrift. Gehörten sie nicht zur Turksprache?

Leider ist eine genaue Antwort nicht bekannt: Kein einziger Turkologe hielt diese altertümlichen Rollen in der Hand, keiner von ihnen hat sie erforscht. Dabei müssen die Papyri eine „turkische Spur“ haben: Im 4. Jahrhundert war die Turksprache nämlich die Sprache des Gottesdienstes.

Später ging man in Ägypten beim Gottesdienst zur örtlichen Sprache, zum Koptisch, über. Ein Gleiches geschah auch in Armenien und anderen Ländern, in denen die alten heiligen Bücher in der Turksprache geschrieben sind und der Gottesdienst ursprünglich ebenfalls zuerst in der Turksprache und erst dann in der Sprache der einheimischen Bevölkerung abgehalten wurde.

Hier sind die unwahrscheinlichsten Entdeckungen möglich. Sie stehen noch bevor.

Das 4. Jahrhundert ist ein Markstein in der Geschichte. Ein neues Schriftsystem kam beinahe in ein und demselben Jahr bei den Ägyptern, Armeniern, Georgiern, Albaniern und anderen Völkern auf, die den Glauben an den Gott des Himmels übernommen hatten. Das ist eine unbestreitbare Tatsache.

Die Verbindung zwischen dem neuen Glauben und dem neuen Schriftsystem liegt auf der Hand, sie lässt sich in den Büchern wie auch in der Geschichte dieser Völker verfolgen. Nur dass einige die turkische Runenschrift als Grundlage nahmen, wie z. B. die Armenier oder Georgier, andere dagegen die altaische Schnellschrift vorzogen. Das ist der ganze Unterschied.

Es gibt viele Zeugnisse vom Einzug des Turkvolkes in den Nahen Osten. Eines davon ist die berühmte Kirche von Alexandria, in der der Gottesdienst einst gemäß der turkischen Tradition zelebriert wurde. Sie ist ein absolut unbestreibarer Beweis. Beim Konzil von 325 wurde sie denn auch die „maßgeblichste Eparchie“ genannt.

In Syrien entstand damals die antiochische Kirche, die tausende Gläubige taufte und vereinigte. In Afrika bestand die äthiopische (abessinische) Kirche, in Armenien die armenische, in Kaukasisch-Albanien die albanische Kirche. Sämtlich befolgten sie die turkische Tradition und wurden deswegen von den Griechen verurteilt.

Diese Kirchen bekannten sich nur zum Gott des Himmels, nicht zu Christus. Sie negierten den Sohn Gottes nicht, verehrten jedoch nur Tengri, nur zu ihm beteten sie. Ebendas unterschied sie vom „griechischen Christentum“.

Die heidnische Welt veränderte sich nach dem Einzug des Turkvolkes auch im Nahen Osten zusehends, es war die neue Kultur, die sie veränderte. Das beunruhigte die Byzantiner sehr, die vom Ruhm des Großen Römischen Reiches träumten.

Im religiösen Streit um die Führung in der christlichen Welt blieben die Griechen hinter den Römern und den Ägyptern hoffnungslos zurück: In Griechenland gab es keine solchen Philosophen und Theologen. In Konstantinopel setzte man nur auf Stärke und Befehl. Das war jedoch viel zu wenig.

Die Befehle des Kaisers machten auf die Geistlichkeit Ägyptens und der anderen östlichen Kirchen keinen Eindruck, denn sie bewiesen nichts und demonstrierten lediglich die Schwäche der Griechen.

Wie konnten die Ägypter gehorsam gemacht werden? Darüber dachte schon Kaiser Konstantin nach – und erfand nichts Besseres als den Krieg. Freilich endete sein Feldzug gegen Ägypten tragisch. Statt der Beute wurde nach Konstantinopel nur die Leiche des Kaisers gebracht. Das geschah im Jahre 337.

Dann kamen neue Kriege. Im Jahre 391 verbrannten die Griechen ein Heiligtum der Ägypter, deren berühmte Bibliothek von Alexandria samt ihren unschätzbaren Manuskripten. So wollten sie das ägyptische Volk um die Quelle seines Wissens bringen. Tausende Texte gingen in Flammen auf. Trotzdem konnten die griechischen Christen ihre Überlegenheit nicht beweisen.

Ihr Schwert war ohnmächtig. Selbst erobert, wollte sich das ägyptische Volk nicht unterordnen. Sein Geist war ungebrochen. Das Volk suchte nach Wegen zur Freiheit. Im Nahen Osten reiften Ereignisse heran, niemand wusste aber, was geschehen sollte.

Ein Krieg entschied nichts mehr. Das sahen alle ein, was sogar aus einem Schreiben des päpstlichen Abgesandten Hieronymus hervorgeht, der 396 den Nahen Osten aufsuchte. Er fand dort Kiptschak vor, die dem sinnlosen Blutvergießen ein Ende setzten. Das Schreiben verrät den Schrecken, den unter den kaiserlichen Soldaten die Reiterei der Kiptschak hervorrief, die es als schändlich empfanden, zu Fuss Krieg zu führen. Wie der Abgesandte des Papstes schrieb, „können sie nicht den Boden betreten, und sobald sie ihn (im Kampf) berühren, halten sie sich für tot“.

Damals also kam die berühmte „arabische“ Reiterei auf. Das Datum steht genau fest. Die Reiter waren aus Derbent, von jenseits des „Eisernen Tors im Kaukasus“ gekommen, das hielt Hieronymus fest. Derbent war eine turkische Stadt, und dort befand sich der Apostolische Stuhl, der der christlichen Welt Frieden bringen wollte.

Der Abgesandte des Papstes kam in den Nahen Osten nicht zufällig. Der Aufstieg von Byzanz und dessen Auseinandersetzung mit Ägypten erfüllten Rom mit Besorgnis. Der Papst konnte nicht offen mit den Griechen kämpfen, und so verließ er sich auf die alte Regel der Politik: Teile und herrsche!

Vorläufig verlegten sich die Römer aufs Teilen. Es entstand ein unentwirrbares Knäuel von politischen Leidenschaften. Große Kräfte wurden gesammelt. Beim Konzil von Ephesos im Jahre 431 prallten sie aufeinander. Nicht mehr Krieger, sondern Politiker im Geistlichengewand kämpften um das Mittelmeer, darum, ob es griechisch oder ägyptisch sein sollte. Die Kirche teilte auf ihre Art die Hinterlassenschaft des Großen Römischen Imperiums auf. Rom aber beobachtete stumm den Streit seiner gestrigen Sklaven.

Wes Gott, des Macht“: Das war die Regel des mittelalterlichen Europa, und sie wurde vorbehaltlos befolgt.

Ein Vorwand für das Konzil fand sich mühelos, es waren Meinungsdifferenzen zwischen den Kirchen. Der Bischof von Konstantinopel Nestorius sagte 428, die Gottesmutter sei Christi Mutter zu nennen, weil Gott keine Mutter haben könne.

Seine Worte enthielten natürlich ein Körnchen Vernunft. Ein zutiefst gläubiger Mensch, suchte Nestorius nach seinem Weg zu Gott, und das war bewunderungswürdig. Sein Unglück war jedoch, dass er sich, ohne genügend Kenntnisse zu haben, auf die Behörden, die weltlichen Politiker verließ. Um z. B. den Kaiser von Byzanz auf seine Seite zu bringen, versprach er ihm die Schlüssel zum Himmel. Wie war aber ein solches Versprechen einzulösen?

Die theologischen Feinheiten interessierten die kaum gebildeten Griechen jedoch herzlich wenig. Ihnen ging es darum, der griechischen Kirche und so auch Byzanz mehr Geltung zu verschaffen.

 

Das „Räuberkonzil“ und andere Konzile

Es war beileibe kein Zufall, dass das Konzil in der Stadt Ephesos zusammentrat. Die Griechen assoziierten sie mit Gottesmutter und ihren letzten Lebensjahren. Sie hatten schon immer viel für „Wunder“ übrig und wollten nun als „Auserwählte Gottes“ gelten, um mit Hilfe der Legende ihre führende Stellung im Christentum zu beweisen.

Sie brauchten ein Konzil gerade in Ephesos!

An der Spitze der Ägypter stand der Bischof von Alexandria Kyrill. „Es gilt, nicht zu philosophieren, sondern einfach zu glauben“, pflegte er zu sagen. Auf Kyrills Seite stand der Papst von Rom, der sich vom Konzil nichts versprach; sein einziger Wunsch war, den Griechen Schaden zuzufügen. Der Papst verstand nämlich: Eine Revision der Kirchenlehre war gleichbedeutend mit einer Revision der Weltpolitik. „Wes Gott, des Macht“: Das hing in der Luft von Ephesos.

Zu einem geistlichen Disput gedieh die Sache allerdings nicht. Alle schätzten sofort Kyrills tiefes Wissen nach Gebühr ein. Seine flammende Rede zeigte die Ignoranz der Griechen auf. Hinter Kyrill standen immerhin die jahrhundertealten Traditionen der wissenschaftlichen Schule von Alexandria. Eine Streitigkeit wurde noch am selben Tage geschlichtet.

Damit endete das Konzil allerdings nicht. Die Griechen gaben keine Ruhe und suchten Streit. Gegenseitige Beleidigungen arteten zu einem richtigen Handgemenge aus. Soldaten mischten sich ein.

Die Ägypter gewannen das religiöse Disput, nicht aber das Mittelmeer, und begannen einen neuen Kampf vorzubereiten. Ihnen ging es darum, den Erfolg auszuweiten, d. h. in Derbent, beim Patriarchen der christlichen Welt, Unterstüzung zu finden.

In Derbent hörten sie von der Dreieinigkeit, von den drei Hypostasen (Seinsweisen) des Gottes im Himmel: „Einer in drei Personen“, sagten die Angehörigen des Turkvolkes von Tengri. Die Ägypter übertrugen die Dreieinigkeit auf das Christentum.

Im Jahre 449 beriefen sie ein weiteres Konzil nach Ephesos ein, es ging in die Geschichte als „Räuberkonzil“ ein, wurde jedoch für die alexandrinischen Theologen zu einer Schlappe: Sie hatten ihr Wissen überschätzt. Aus lauter Ärger schlugen jetzt schon die Diener der alexandrinischen Kirche auf die Griechen ein. Direkt im Sitzungssaal erhielt der griechische Patriarch Flavian mehrere Schläge ins Gesicht.

Dann wurden die „Konzilsväter“ aufgefordert, ein unbeschriebenes Papyrusblatt zu unterzeichnen, auf dem die Entscheidung formuliert werden sollte. Wer sich widersetzte, wurde wiederum geprügelt oder mit Nadeln gestochen.

Alle Bischöfe unterzeichneten das saubere Blatt.

So kam jene Entscheidung des II. Konzils von Ephesos zustande, die die Ägypter brauchten. Allerdings wurde sie bald aufgehoben.

Erst im Jahre 451 kamen die Christen zu ihrer Dreieinigkeit, freilich war sie anders als die turkische. Anstatt der Dreieinigkeit entstand bei ihnen faktisch eine „Zweieinigkeit“. Darauf hatten die Griechen bestanden.

Das geschah auf einem weiteren Konzil, in der Stadt Chalkedon. Sofort brach ein neuer Skandal aus. Im Jahre 452 vertuschte ihn der byzantinische Kaiser, der befahl: „Niemand, gleich, von welchem Rang und Stand, darf öffentliche Glaubensstreite auslösen.“

Darauf verstummten alle geistlichen Dispute. Sie wurden nicht mehr benötigt: Die Aufteilung der Welt hatte sich vollzogen. Die Kirche leitete nun alles – die gesamte Geschichte Europas und des Christentums – von den „griechischen Wurzeln“ ab.

Auf diese Weise siegten die Griechen über die alexandrinische Kirche, erniedrigten die Ägypter, warfen einen Schatten auf den turkischen Glauben, vor allem aber stiegen sie in ihren eigenen Augen. Es störte sie nicht, dass die „falsche griechische Dreieinigkeit“ von den Krichen des Orients abgelehnt wurde, dass in Ägypten sofort ein Aufstand ausbrach. Sie triumphierten.

Was die Gläubigen angeht, so protestierten sie heftig gegen die Glaubensentstellung durch die Griechen. In Palästina gärte es jahrelang. Dort gingen die Menschen um des Glaubens an Einen Gott willen in den Tod. Viel Blut wurde damals vergossen.

Nachdem Byzanz im Streit um die Kirchenlehre besiegt hatte, fühlte es sich stark und weigerte sich sogar, den Kiptschak Tribut zu zahlen. Dort begann man mit der Vorbereitung eines Anschlags auf Attila. Selbstzufrieden erklärte Kaiser Markian: „Mein Gold ist nur für meine Freunde da, für meine Feinde habe ich nur Eisen.“ Er verstand sich darauf, die Lage zuzuspitzen.

Im Jahre 453 brach ein großes Unglück über die Kiptschak herein: Attila wurde vergiftet. Der neue Herrscher über Europa war nun der byzantinische Kaiser.

Nur die Römer erkannten die Macht der griechischen Kirche an, im Orient aber hieß sie „Christentum zweiter Reihe“. Der Nahe Osten konnte sie kraft seiner Traditionen und seiner einstigen hohen Kultur nicht akzeptieren. Dort beabsichtigte man, einen eigenen Glauben – einen „Glauben erster Reihe“ – zu schaffen.

Die Suche nach einer reinen Religion führte die ägyptischen Theologen zur Idee des Islams: des Glaubens an den Gott des Himmels, doch mit anderen, nichtgriechischen Riten.

Ein reges „schöpferisches“ Treiben herrschte in jener Zeit auch in Byzanz, allerdings ging das Denken dort in eine andere Richtung. Das Land produzierte immer neue Erfindungen und Märchen: Man erdachte Heilige und „Wunder“. Die Griechen behaupteten sich, wie sie nur konnten.

Auch das ist ein Beitrag zur Weltgeschichte, ein Beitrag der Heiden.

Den altgriechischen Gott des Weines Dionysos, einen Sohn von Zeus, dachten sie in den christlichen Märtyrer Hl. Dionysius um, Kaiser Demetrios wurde zum Hl. Demetrius, die Göttin der schönen Künste Minerva (Pallas) zur Hl. Palladia, der Sonnengott Helios zum Hl. Elias. Jedem heidnischen Gott wurde ein neues, aber immer mit Byzanz verbundenes Heiligenleben angedichtet.

Das war das griechische „Christentum zweiter Reihe für das einfache Volk“. Aber was hatte es mit dem Gott des Himmels, mit der Religion zu tun?

Die aufgeklärte Welt war entsetzt.

 

Papst Gregor der Große

Die Lehre von der Dreieinigkeit spaltete das Christentum. Das war nicht die erste seiner Spaltungen. Die ägyptische Kirche trat von der Bühne der Weltpolitik für immer ab.

Anders stand es um Rom. Auch dort reifte die Unzufriedenheit mit den Griechen heran, doch wurde ihr nicht offen Ausdruck gegeben. Die Päpste schluckten ihren Ärger in sich hinein und verlangten von den Gläubigen das Gleiche. Insgeheim suchten sie nach einem Ausweg. Er wurde im Jahre 495 gefunden: Man nannte den Papst von Rom erstmalig „Christi Statthalter auf Erden“.

Hinter dieser Formel steckte etwas überaus Wichtiges: eine neue Teilung der Kirche, diesmal in eine rechtgläubige (orthodoxe) und eine katholische.

Seitdem wuchsen die Differenzen von Jahr zu Jahr, wenn auch unmerklich: Rom hegte die Absicht, sich die Griechen unterzuordnen und so seine führende Stellung in der Welt wieder zu erlangen. „Wes Gott, des Macht“: Das vergaß Europa niemals.

Die Ehre, Rom zu neuem Ruhm zu verhelfen, wurde Papst Gregor, genannt der Große, zuteil. Ein überaus weiser Mann jener Epoche, war er ein Genie der Diplomatie.

Er wurde im Jahre 540 als Sohn eines adeligen Senators geboren, unter seinen Ahnen gab es sogar Päpste von Rom. Von ihnen erbte der Jüngling eine Weisheit, die sich schon in jungen Jahren offenbarte. Gregor studierte das Recht und wurde zu einem Präfekten von Rom. Der Tod des Vaters brachte ihm eine riesige Erbschaft. Der Sohn wollte jedoch den Reichtum nicht behalten und stellte ihn dem Kloster von Monte Cassino zur Verfügung.

Damit zog er sich den Ruf eines Verrückten zu.

Es sei gesagt, dass Europa vor der Einwanderung der Kiptschak keine Klöster und kein Mönchstum gekannt hatte. Beide Institutionen kamen in die westliche Welt mit der Großen Völkerwanderung, wurden von den Kiptschak eingeführt, die Klöster und Mönche schon vor unserer Zeitrechnung gehabt hatten.

Das Wort Abt bedeutete bei ihnen „neben dem Vater“ („abata“, wie die Kiptschak sagten). Was Kloster bzw. Münster angeht, so begann ein turkisches Gebet mit den Worten „Manastar chyrsa“ („Vergib mir meine Sünden“). Als einer der Ersten im Westen sprach diese Worte Bischof Ambrosius aus, jener unermüdliche katholische Kiptschak, der in Mailand gedient hatte. Nach dem Jahr 380 gründete er dort ein eigenes Kloster.

Das Mailänder Kloster ist dafür bekannt, dass es nicht christlich war. Dort wurde nur zu Tengri gebetet. Selbst Attila verschonte das Kloster, als er die Stadt zerstörte. Offenbar war das nicht das einzige Kloster im Weströmischen Reich. Auf diese Weise fasste die turkische Kultur Wurzeln und hinterließ für immer ihre Spur.

Zuerst hatten die ansässigen Römer Angst vor den Klöstern, das Klosterleben war ihnen fremd und unbegreiflich. Nicht sofort – erst Mitte des 5. Jahrhunderts – wurden die Klöster in den Schoss der Kirche aufgenommen.

Im Jahre 530 begründete Benedikt von Nursia den Mönchsorden der Benediktiner. Wer war dieser Mensch? Genau weiß man das nicht. Auf jeden Fall hatte er unter den Kiptschak, den neuen Bürgern von Italien, gelebt; nicht auszuschließen ist, dass auch er Kiptschak war. Nur sie allein wussten damals um die Geheimnisse des Mönchstums.

Bekannt ist allerdings, dass in der Benediktiner-Abtei von Nursia nur Kinder von neuen Römern, also von Kiptschak, erzogen wurden. Sie bildeten damals den Adel des Reiches. Bekannt ist ferner, dass das Kloster von herrschenden Kiptschak aufgesucht wurde, die zu Benedikt kamen. Unter ihnen war z. B. Khan Totila.

Die ersten Abteien in Westeuropa können nur von Kiptschak gegründet worden sein. Ihnen lagen die Traditionen des Altai und ganz Zentralasiens zugrunde. Es handelte sich um jene heiligen Orte, zu denen Einsiedler und Prediger kamen; hier wurde gebetet, philosophiert, gelernt. Archäologen haben Ruinen altturkischer Klöster gefunden, und zwar recht viele. Beispielsweise das vergessene Kloster Abat-Baitak in Kasachstan bei der Stadt Aktjube. Solche Denkmäler gibt es in Tschimkent und Semipalatinsk, ja in ausgedehnten Gebieten: in Mittelasien, im Altai, Ural und Wolgagebiet, demnach in ganz Descht-i-Kiptschak. Besonders berühmt waren die Klöster beim heiligen See Issyk-Kul, die selbst von Pilgern aus Katalonien besucht wurden. Auf ihrer Wanderung benutzten die Pilger eine Landkarte, und die ist bekannt.

Gewöhnlich lebten die Mönche in einer Entfernung von Siedlungen, widmeten sich dem Gebet und strebten nach Erkenntnis der Wahrheit. Andere unter ihnen belehrten die Besucher, versahen den Gottesdienst in der Kirche und predigten in fernen Siedlungen.

Gerade diese Formen des turkischen Mönchstums bürgerten sich im Christentum für immer ein. Andere gibt es darin einfach nicht. Als Benedikt von Nursia seinen Mönchsorden stiftete, wiederholte er also schon Bekanntes, Altaisches.

Als Begründer des allerersten Klosters nach turkischer Art gilt der Ägypter Pachomius der Große. Im Jahre 312 diente er in der Armee von Kaiser Konstantin, deren Rückgrat Kiptschak bildeten. Deshalb sprachen ihre Soldaten die Turksprache. Die Bekanntschaft mit den Kiptschak eröffnete Pachomius vieles im Leben.

Nach dem Armeedienst kehrte er nach Ägypten zurück, von seinen turkischen Freunden begleitet, und sie bildeten eine Mönchsgemeinschaft. Sie zählte siebentausend Mönche! Die „Pachomius-Gemeinschaften“ lebten nach den strengen Regeln der altaischen Klöster. Selbst ihre Kleidung erinnerte an den Alten Altai: Kapuzen, Baschlyks, Überwürfe aus Schaffell.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass diese Mönche jene alten Rollen hinterließen, die die Archäologen bei der ägyptischen Stadt Nag Hammadi gefunden haben. Wie sonst ist zu erklären, dass Worte der Turksprache in den Texten und im Munde der ägyptischen Mönche waren? Worte wie Abt, Altar, Amen, Artos, Gott, Bursa und noch viele, viele andere.

Nur Turkologen wissen z. B., wie das rätselhafte Wort „sarabaita“ aus den alten Texten übersetzt werden kann, warum auf koptischen Ikonen jener Zeit neben der Darstellung des heiligen Vaters das Wort „apa“ steht und wie es zu verstehen ist.

Heute wissen nur wenige Angehörige der Turkvölker noch, dass „apa“ im Altertum nicht nur „ältere Schwester“ und „Mutter“ bedeutete, sondern auch „Vater“. Das Wort hatte viele Nuancen, darunter auch die Bedeutung „heiliger Vater“.

Fragen über Fragen. Aber die einzige Antwort lautet: Ägyptens Geistliche waren der „göttlichen“ Sprache mächtig, die dem einfachen Volk unverständlich war.

Die Genealogie mancher koptischer Geschlechter gibt ebenfalls über vieles Aufschluss. Wie sich erweist, nannten die Kopten ihre Ahnen „achmar“, was so viel wie „rothaarig“ bzw. „mit hellen Haaren“ bedeutet. Von den altertümlichen Ankömmlingen mit hellem Haar und blauen Augen künden auch Legenden von Ägypten, Sudan und Äthiopien.

Was waren das für Menschen? Diese altertümlichen Ankömmlinge, die Hügelgräber und Legenden hinterlassen hatten? Die Reiter waren und mit ihrem Pferd starben?

Die Römer, die Griechen, die Perser oder gar die Afrikaner waren kaum als hellhaarig zu nennen. Folglich handelt es sich wiederum um die Kiptschak.

In der arabischen Sprache haben sich sehr viele Wörter der Turksprache aus alten Zeiten erhalten. Woher kommen sie? Als Zufall ist so etwas kaum zu bezeichnen. Die Geschichte des frühen Mittelalters im Nahen Osten ist aufs Engste mit der Großen Völkerwanderung verbunden. Daher auch die so auffällige turkische Spur.

Kennzeichnenderweise kannte Mönch Pachomius kein Griechisch und war kein Christ, und das galt für seine gesamte Gemeinschaft. Sie beteten zu Tengri (Gott des Himmels) und gingen christlichen Bischöfen aus dem Wege. Erst 451 übergaben die Griechen nach der Eroberung Ägyptens seine Klöster an die griechische Kirche.

Für Europa waren Klöster damals östliche Exotik, das Wort „östlich“ sei hier betont. Außer Exotik sahen die Griechen und Römer in ihnen nichts. Christlich geworden, boten die Klöster einen traurigen Anblick. Sie fristeten ihr Dasein, und von geistlichem Suchen konnte keine Rede mehr sein.

Die Mönchsgemeinschaft starb langsam dahin, still wie ein gefangener Vogel.

Das ging so weiter, bis der Verwalter von Rom Gregor in den Klöstern die Zukunft Italiens und des ganzen Römischen Imperiums erblickte. Ihm waren wie Schuppen von den Augen gefallen. Es war Papst Pelagius II., der ihm die Augen öffnete.

Dieser Papst war ein echter Kiptschak. Wie sich herausstellt, nicht der erste und nicht der letzte Kiptschak, der es zum Oberhaupt der katholischen Kirche brachte. Er wurde in einer adligen Familie geboren, verwaltete die Kirche ohne Zustimmung von Konstantinopel, und niemand im ganzen Rom kannte die starken und schwachen Seiten der Kiptschak besser als er.

Papst Pelagius war wohl die kostbarste Perle der Katholiken und das schlimmste Gift für die Kiptschak. Er klärte die Europäer über die wichtigsten Geheimnisse der Großen Steppe auf. Mit ihm begann die Erhöhung der römisch-katholischen Kirche und das Erlöschen von Descht-i-Kiptschak. Freilich bestand sein Ziel in etwas anderem.

Lange Gespräche des Papstes mit Gregor brachten reiche Früchte. Der Präfekt von Rom – die zweitwichtigste Person im Lande! – opferte den Mönchen sein ganzes Vermögen, entsagte darauf dem weltlichen Leben und übernahm ein Diakonat. Der Papst entsandte ihn als seinen Statthalter nach Byzanz. Alles bekam die günstigste Wendung.

Wieder in Rom, trat Gregor in ein Kloster ein, lange Zeit hörte man nichts mehr über ihn. Doch nach dem Tod von Papst Pelagius wählten die Kleriker im Jahre 590 ihn, einen Mönch, zum neuen Papst. Ein für die Kirche präzedenzloser Fall.

Er war ein kluger Verwalter und ordnete viel in den kirchlichen Angelegenheiten, wobei er weit ausholte. Zuerst schaffte er Ordnung in seinen Papstbesitzungen, mit denen sich niemand je beschäftigt hatte. Er ernannte Ökonomen, erhöhte die Einkünfte aus den Ländereien, machte die Kirche vom Staatsfiskus unabhängig. Das erwirtschaftete Geld ließ der neue Papst nicht den Beschöfen zukommen, sondern verwendete es für die Bedürfnisse der Römer und den Loskauf von Gefangenen. Das brachte ihm Anerkennung und erhöhte die Autorität der römischen Kirche.

Und das waren bei weitem nicht alle Taten von Papst Gregor.

Sein Hauptaugenmerk richtete er jedoch auf die Klöster, in ihnen bildete er seine künftige Stütze heran, mit deren Hilfe er die ganze Welt umzuwandeln und der Kirche unterzuordnen beabsichtigte.

Inzwischen hatten sich auf dem Territorium des Weströmischen Reiches neue Staaten herausgebildet, die in offener Feindschaft miteinander und mit Italien lebten. Dort war es nie ruhig. Der Papst fühlte sich von diesen neuen Staaten angezogen. Er wusste: Die Menschen würden, kriegsmüde wie sie waren, ihm und den Mönchen Gehör schenken. Man musste nur die richtigen Worte finden.

Der Papst entsandte seinen Boten an den König von Spanien und führte selbst inzwischen einen Dialog mit Brunhilde, der kriegerischen Herrscherin von Austrasien (die heutigen Staaten Frankreich, Schweiz, Deutschland und Österreich). Ganz Westeuropa geriet in sein Blickfeld. In den Mittelpunkt setzte er die Langobarden.

Die Langobarden waren die Einwohner von Norditalien, die Kiptschak, die Rom wiederholt belagerten, eine Horde mit der Hauptstadt in Mailand. Von ihnen ist nicht wenig bekannt. Als sie aus dem Altai nach Europa kamen, unterschieden sie sich durch nichts von Attilas Kriegern und glaubten an Tengri. Unter den entdeckten Papieren, die in europäischen Archiven zufällig erhalten geblieben sind, gibt es Dokumente der Langobarden, sie sind sowohl in Runen als auch in der Schnellschrift, in der Turksprache geschrieben. Wohin sind andere Zeugnisse verschwunden? Und die Langobarden selbst? Das ist ein großes Geheimnis.

Es hört jedoch auf, ein Geheimnis zu sein, wenn man von den Taten von Papst Gregor dem Großen und der gesamten römischen Kirche erfährt.

Nach Abschluss des Friedens mit den Langobarden im Jahre 592 erklärte Papst Gregor die römische Kirche zur turkischen Kirche und sich selbst zu ihrem Vorsteher. Es gab diese vergessene Episode in der Geschichte des Katholizismus.

Der Papst lernte sogar die Turksprache (Griechisch kannte er nicht), weshalb die Griechen ihn „Gregor den Dialog“ nannten. Er begann ein überaus schlaues Spiel. „Gott des Himmels“ sagte er den Römern, den Langobarden aber redete er von Tengri. Der Papst tat, als hätte er alles vergessen und als wisse er nichts. Wie ein unwissendes Kind bat er die Kiptschak, ihn in die Geheimnisse des Tengri-Glaubens einzuweihen.

Die Benediktiner, diese treuen Diener des Papstes, strömten zu den Kiptschak. Sie schlichen sich mühelos in die turkischen Kirchen ein und stießen bis zu den größten Heiligtümern vor: weil Papst Gregor sich immer wieder den „Bischof nicht der Römer, sondern der Langobarden“ nannte.

Außerdem einen „Diener der Gottesdiener“. Das sind seine persönlichen Worte.

Er kam nach Mailand als Pilger, im Überwurf eines Sklaven. Die Kiptschak nannten solche Überwürfe „kapa“ oder „tschekrek kapa“. Nach einer Verbeugung vor der Kirche sagte er in der Turksprache: „Da bin ich, Diener der Gottesdiener!“ Sowohl die Verbeugung als auch die Worte machten auf die ehrgeizigen Kiptschak einen großen Eindruck.

Sie sind also „Gottesdiener“, er aber ihr Diener. Nicht jedermann ist imstande, eine solche Schmeichelei zu überhören und als leere Phrase abzutun. Die Kiptschak glaubten dem schlauen Fuchs, sie bissen auf den Köder.

Die Benediktiner aber arbeiteten ihr Brot ehrlich ab: Der Papst wusste, auf wen er sich verlassen konnte. Die Mönche waren zwar Angehörige des Turkvolkes, aber schon in dritter oder vierter Generation Italiener und Katholiken. Turkische Katholiken wurden gern in die Klöster aufgenommen, wo ihnen ein sattes Leben sicher war. Die Bezeichnung Orden kam ebenfalls nicht so einfach auf. Aus der Turksprache übersetzt, bedeutet dieses Wort „von oben gegeben“ – also gleichsam von Gott. Daher diese Mönchsorden, diese gehorsamen Krieger des Papstes, die Europa still und leise eroberten.

Die Katholiken siedelten sich in den Städten der Kiptschak an. Sie verbrannten dort keine Tempel, töteten niemanden, und bald empfanden die Langobarden sie nicht mehr als Fremde.

Ein demütiges Lächeln verließ nie das Gesicht der Benediktiner. Sie glaubten aufrichtig, ihren irregeleiteten Brüdern Frieden zu bringen. Papst Gregor allein verstand, dass sich die Langobarden, d. h. die Kiptschak, früher oder später an Christus und die römische Kirche gewöhnen mussten und dann ihren eigenen Glauben und sich selbst vergessen würden.

„Gottvater und Gottessohn bilden eine einzige Familie“, pflegte er zu sagen und nannte dabei immer häufiger den Namen des Sohnes und ließ den Namen des Vaters aus.

Wie „eine einzige Familie“ beteten die Christen neben den Langobarden. Ihre Kirchen unterschieden sich nicht voneinander, ihre Gebete und Riten waren einander beinahe gleich. So war es bis zum 8. Jahrhundert den einfachen Gläubigen verboten, die christlichen Kirchen zu betreten. Sie beteten neben den Kirchen, in der Nähe. Alles kam vom Turkvolk her! Von Kilissa, dem heiligen Berg Utsch-Sumer.

Bemerkenswerterweise erschien die erste christliche Basilika im Westen im Jahre 313, nach dem Sieg der Kiptschak über Roms Armee. Darin gab es keinen Altar, doch die Erbauer hatten sie genau nach dem Altai orientiert. Das blieb für immer eine Regel des Christentums. Man betete, den Blick gen Osten gerichtet, denn: „Ex oriente lux“.

In jener Zeit übernahmen die Katholiken viele Riten der Kiptschak, beispielsweise den Kirchengesang, der zu Ehren von Papst Gregor dem Großen, welcher ihn zu einem christlichen Ritus machte, „gregorianisch“ heißt.

Ist das eine turkische Tradition oder nicht? Jeder Streit ist überflüssig. Sie bestand schon im Alten Altai, und im 1. Jahrhundert machte Khan Erke (Herrscher Kanischka) seine neuen Anhänger mit ihr bekannt. Sie übernahmen die Tradition und die turkische Art der Musikaufzeichnung, die so genannte Krjuki-Notation. All das hat sich in der Geschichte des Buddhismus, in den buddhistischen Gemeinschaften erhalten.

Die liturgischen Weisen – Akathistos, Heirmos, Kontakion – waren die Musiksprache der turkischen Religion. Auch das ist bekannt. Diese Musik macht einen überwältigenden Eindruck, besonders das uralte Utsch-Sumer-Gebet. Darin lebt die Seele des Turkvolkes.

Zu den Klängen dieses Gesanges besiegten die Benediktiner die Kiptschak ohne alle Waffen, ohne Kämpfe und Attacken. Der römische Papst Gregor der Große unterwarf sie völlig, restlos.

Die Zahl der Katholiken in Italien stieg seitdem schnell an.

 

 

Die turkischen Katholiken

Länger als drei Jahrhunderte dauerte dieser stille Krieg um die Herzen der Menschen.

Die Kirche redete von Frieden, Nächstenliebe und Demut. Sie führte die edelsten Worte im Munde. Und die Feindschaft in Italien legte sich. Die Kiptschak gaben nach und fühlten nicht einmal, wie ihr Leben zerfressen wurde: Sie gewöhnten sich an Christus.

Dann kam die Stunde, da die Langobarden den Papst den „größten der Gottesdiener“ nannten. Ein Körnchen Wahrheit lag gewiss in ihren Worten.

In Westeuropa gab es tatsächlich weniger Kriege. Die Menschen sahen darin ein Verdienst der Kirche. Niemand bemerkte, dass das freie Leben vorbei war. Nun verlief es unter dem allsehenden Auge des Papstes und seiner Aufseher. Die Mönche – die Augen und Ohren des Papstes! – schlichen sich überall ein. Spione des Papstes überschwemmten die Städte. Sie kannten nicht einmal in der Nacht Ruhe, sahen alles und wussten von allem. Die Kirche erhielt die Macht über Völker und Länder.

Dank Papst Gregor wuchs nicht nur die Zahl der Katholiken, sondern es nahm auch ihre Stärke zu. Alle Könige und Monarchen sahen sich gezwungen, auf die Kirche Rücksicht zu nehmen. Sie wurde eine reale Macht: im Grunde ein Staat mit seinem Heer, mit Gold und Ländereien und – ohne Grenzen.

Die Kirche vergrößerte ihre Macht auf diverse Weise.

So entsandte Papst Gregor sofort nach Abschluss des Friedens mit den Langobarden die schöne Theodolinde, die Tochter eines adeligen Römers und Katholikin, zum Khan, damit dieser sie ehelichte. Und bald sah sich der Khan von Katholiken umgeben. Er hatte sie selbst in sein Haus eingelassen. Die Adat verbot es den Kiptschak, Fremdländerinnen zu heiraten. Man durfte die eigenen Frauen weggeben, aber nicht fremde nehmen. Bald sahen sich die Langobarden in der Macht der Kirche – hilflos wie Fliegen im Honig. Und waren selbst daran schuld.

Sie entlehnten den Römern ihre Sitten und spotteten nun über „die Grobheit, die wilde Hemmungslosigkeit, Gefrässigkeit und das hässliche Aussehen“ ihrer Ahnen. Das steht in ihren Dokumenten geschrieben.

Sie verzichteten auf die Stutenmilch und aßen kein Pferdefleisch mehr. Sie veränderten sogar ihre altertümliche Bestattungsart: Die Kirche verbot es ihnen, ihre Toten unter Mitgabe von Pferden in Kurganen zu begraben. Die päpstlichen Agenten waren ungeheuer eifrig und handelten energisch.

In Burgund brachten sie die Ehefrau eines Herrschers mithilfe von reichen Geschenken dazu, katholisch zu werden. Sie ihrerseits bekehrte ihren Ehemann zum neuen Glauben. Der Vorwand war im Grunde nichtig.

Vor der Schlacht bei Tolbiacum, an deren Ausgang die Burgunder stark zweifelten, beteten sie zu Christus – und siegten. Das reichte. Die Kiptschak waren nämlich fest davon überzeugt, dass Gott jenem den Sieg gebe, auf dessen Seite die Gerechtigkeit sei. Und die Kiptschak aus der Burgunder Horde erkannten den Papst an. So wollte es das Schicksal.

Seitdem veränderten sich die Burgunder ebenfalls, selbst ihre Essgewohnheiten wurden anders: Der Stutenmilch und dem Pferdefleisch zogen sie nun Schnecken und Frösche vor. „Erschrocken flüchteten sich die Musen bei den Klängen der wilden Burgunder Lyra“, schrieb ein Zeitgenosse. Anders gesagt: Die Burgunder vergaßen allmählich die Steppe und ihre Hügelgräber. Sie verwarfen ihre Musikinstrumente, deren Klänge sie neuerdings ärgerten.

Das war natürlich nicht tragisch. Die lateinischen Kiptschak konnten nicht anders als Christen zu werden. Früher oder später musste das geschehen. In ihnen „keimte“ der Glaube, der die Europäer – die neuen und die alten – miteinander aussöhnte. Das war für sie Katholizismus, d. h. Verbundenheit.

Der neue Glaube war ihnen nicht fremd, da in ihm alles von Tengri herkam, und wurde mit jeder Generation zunehmend als der eigene Glaube empfunden.

Selbstverständlich verachteten die katholischen Langobarden die Römer nach wie vor, es ging jedoch ohne Kriege ab. Sehr kennzeichnend ist eine „Gesetzessammlung“, die sie im Jahre 643 annahmen. Der Text ist zwar lateinisch, aber darin steht geschrieben, dass sie die ursprünglichen Römer für ihre Sklaven halten. Das war echt nach der Art der Kiptschak.

Erstaunlich: Sie erkannten das römische Recht zwar an, passten es jedoch der turkischen Adat an.

Einst achtete das Turkvolk in Europa sich selbst und die eigene Geschichte. Die Langobarden z. B. betonten, auch nachdem sie Italiener geworden waren, ihre Ausschließlichkeit. Das ist sehr aufschlussreich. Ihr Stolz war also nicht über Nacht abgestorben.

Die katholischen Burgunder dagegen dachten nicht an sich selbst, sondern an ein Bündnis mit dem Papst, um in seinem Namen die Macht über die Nachbarländer zu behaupten. Die Burgunder nahmen den Namen Franken an, um von der turkischen Welt abzurücken und sich mehr dem Papst zu nähern. Sie erhielten das Recht, ihre Goldmünzen („Scherwan“) zu prägen. Nur Angehörige des Turkvolkes hatten solche Münzen geprägt. Das „neue“ Volk hatte eindeutig alte Gewohnheiten!

Die Kiptschak lebten überall nach der Regel: „Unter Fröschen sollst auch du ein Frosch sein.“ Das hatten sie im Blut. Niemals zwangen sie einem anderen Volk seine Regeln auf, vielmehr passten sie sich jedesmal den neuen Lebensbedingungen an. Das ist eine Tradition, die nicht zu erklären ist. So und nicht anders war es in Indien, China und im Iran, überall. Überall wurden sie „Frösche“, nahmen neue Namen an, lösten sich gleichsam in anderen Völkern auf. Dennoch blieben sie Angehörige des Turkvolkes, wenn auch in verblasster Form.

Das bedeutete natürlich nicht, dass sie ihre Steppentraditionen aufgaben. Nein, sie bewahrten sie sich. Obwohl zu Franken geworden, blieben die Burgunder z. B. ihrem Schmiedehandwerk treu, züchteten ihre Pferde noch fleißiger als früher und veranstalteten grandiose Wettrennen, die für sie ein Fest waren. Auch das Faustrecht bestand bei ihnen weiter, ebenso wie das Recht auf Zweikampf, das in der Großen Steppe so hoch in Ehren gestanden hatte. Nach wie vor hieß es bei ihnen: „Es geht nicht, dass ein Mutiger im Unrecht, ein Feigling dagegen im Recht sei.“

Selbst jene, die Tengri vergessen hatten, wussten noch um seine Gerechtigkeit.

Hier die Worte eines mittelalterlichen Weisen, und sie treffen das Wesen der Sache genau: „Ein Kiptschak ist wie eine Perle. Innerhalb ihrer Muschel ist sie wertlos, aber außerhalb der Muschel wird sie zu einer Kostbarkeit, die Herrscherkronen schmückt.“

Liegt hierin vielleicht die Ursache des „Verschwindens“ des Turkvolkes in Europa? Sie schmückten fremde Kronen.

Die Kirche trug eifrig dazu bei. Sie spielte geschickt die Schwächen der Kiptschak aus und ließ sie schließlich sich selbst und der Hinterlassenschaft ihrer Ahnen entfremden. Vieles gelang der Kirche dabei, und das mühelos und scheinbar ohne jemandem Unrecht getan zu haben.

Von dieser Fähigkeit der Römer hieß es noch im 3. Jahrhundert: „Sie stellen Opfertische für unbekannte Gottheiten auf, um sich die Heiligtümer anderer Völker und dann auch deren Reiche anzueignen.“ Auch fünfhundert Jahre später spielte sich alles genauso ab. Die Kirche bediente sich der bewährten Waffen aus dem Arsenal des Alten Rom und siegte.

Was sie als Neues schuf, war das vergessene Alte, von dem die offenherzigen Kiptschak nicht wussten.

Damals waren die größten geistigen Kräfte für die römisch-katholische Kirche –Ägypter, Kiptschak und auch Römer selbst – tätig. Sie alle arbeiteten an einem äußerst schwierigen Werk: Sie gründeten einen neuen Glauben, der die Völker zu einer einheitlichen christlichen Familie zusammenschließen sollte.

So war der berühmte lateinische Bischof Dionysios der Kleinere (Dionysios Exegetus) Kiptschak und ein ausgezeichneter Kenner der Steppensitten und der Riten des Tengri-Glaubens. Anfang des 6. Jahrhunderts schrieb er seine „Apostolischen Regeln“, eine Satzung, von der sich die christliche Kirche bis heute leiten lässt. Aber die Feste, Gebete und heiligen Riten darin stammen sämtlich von den Kiptschak.

Vater Dionysios übersetzte turkische Bücher ins Lateinische. Er war ein bedeutender Astronom und Mathematiker und hinterließ uns jenen Kalender, nach dem wir auch im 21. Jahrhundert leben. Bis dahin begann die Zeitrechnung in Europa mit der Gründung von Rom.

Für den neuen Glauben arbeitete auch ein weiterer katholischer Kiptschak, der Geschichtsschreiber Jordan. Im Jahre 551 verfasste er das Buch „Getica“ und erzählte darin von der Einwanderung des Turkvolkes in Europa. Leider schrieb er vieles nach dem Geheiß der Kirche und setzte sein Volk herab.

Dennoch ist es gut, dass sich sein Buch erhalten hat. Es beschreibt die Sitten und die Moral des mittelalterlichen Europa. Nach den Entstellungen aber ist zu erkennen, dass die Europäer versuchten, die Spuren der Großen Völkerwanderung zu verbergen. Gewisse Dinge waren ihnen denn auch ganz gut gelungen.

Aber nicht alle.

 

 

Die angelsächsischen Feldzüge

Papst Gregor hieß der Große, aber selbst er, der „Statthalter Christi auf Erden“, vermochte es nicht, ein neues Volk zu schaffen. Italien schloss sich die Lombardei an, wurde jedoch weder einheitlich noch friedlich. Es blieb für immer ein Land mit zwei stark unterschiedlichen Teilen, einem nördlichen und einem südlichen. Hier leben unterschiedliche Völker, wenn sie sich auch seit Jahrhunderten sämtlich als Italiener und Katholiken empfinden und dieselbe Sprache sprechen.

Die Langobarden waren und blieben Angehörige des Turkvolkes. Im Jahre 567 begannen sie einen Krieg gegen Rom, was bei tausenden Kiptschak in Europa Unterstützung fand. Jahrhundertelang gingen die Unruhen in Italien von der Lombardei aus. Bis heute ist dort das turkische Blut nicht erkaltet.

Folglich vermischten sich in Italien die Sprachen, nicht aber die Völker selbst! Die Religion schloss sie zusammen und söhnte sie miteinander aus. Aber sie veränderte die Menschen nicht. Ein Volk kann unmöglich geschaffen werden. Das Blut der Ahnen stirbt nicht, es geht auf die Nachkommen, auf jede ihrer kleinsten Zellen, schließlich auf ihre Seele über.

Die Erinnerung an die eigene Vergangenheit kann in einem Volk erlöschen. Aber auch das nicht für alle Zeiten. Sie wird durch die Stimme des Blutes geweckt. Diese Stimme klingt nach und lässt das turkische Europa bis heute nicht absterben.

Die römisch-katholische Kirche beschäftigten damals nicht nur die Langobarden, sondern auch die Kiptschak an den Rheinufern. Wodurch war dieses Interesse bedingt? Nicht durch das Territorium. Am Rhein hatten die Kiptschak reiche Eisenerzvorkommen gefunden und brachten den Eisenguss in Gang. Sie nannten diese Gebiete Thering, was als „etwas Reiches“ übersetzt wird. Das Eisen zog die Kirche an. Ohne Eisen wäre Westeuropa ein Hinterhof der mittelalterlichen Welt geblieben.

Plötzlich tauchten hier Benediktiner auf, sie wollten „das, was vom Römischen Imperium übrig geblieben war, mit der überschäumenden jungen Kraft der Kiptschak vereinigen“. Sie handelten planmäßig und waren stets auf dem Laufenden.

Früher einmal hatten Kelten am Rhein gelebt, ein Volk, von dem sich wenig sagen lässt. Ein Benediktiner berichtete dem Papst über ihre Begegnung mit den Kiptschak: Die Kelten „waren über die Menschen verwundert, die ihnen körperlich und geistig überlegen waren“, sie bestaunten die Kleidung der Kiptschak, ihre Waffen, besonders aber ihren „festen Geist“.

Das Staunen ist begreiflich: Die Kelten trugen Röcke, kannten das Eisen nicht und hatten bis dahin keine Pferde gesehen. Ihr Leben war völlig anders als das des Turkvolkes, wenn auch genau so beschaffen wie das Leben der übrigen, originären Europäer.

Außerdem lebten die Gallier am Rhein, die sich wenig von den Kelten unterschieden. Die Römer nannten die Gallier, die Kelten und die dortigen Kiptschak mit dem Sammelnamen germanische Stämme. Dabei waren das unterschiedliche Völker. Aber im mittelalterlichen Europa wusste man von Völkern recht wenig.

Die Byzantiner z. B. bezeichneten alle Nicht-Byzantiner als „Skythen“ oder als „Kelten“, wobei sie nicht ein Volk, sondern die Bevölkerung eines Landes meinten.

Die „germanischen Stämme“ besiedelten das nicht-italienische und nicht-byzantinische Europa, sowohl seine Wälder als auch seine Steppen. In der Waldgegend lebte die „Bevölkerung“ ganz anders als in der Steppe. Die Lebensweise, die Wirtschaft, die Sprache, der Glaube, die Kleidung, aber in erster Linie die Waffen waren unterschiedlich. Die „Germanen“ in der Steppe wurden in Chroniken „Tungren“, „Tangren“ und „Tengren“ genannt. Wovon zeugen wohl diese Worte?

Awaren, Alemannen, Barsilen, Bulgaren, Burgunder, Goten, Ostgoten, Gepiden, Hunnen, Langobarden, Utiguren, Kurtiguren – das wäre vielleicht nur ein Zehntel der Namen der „germanischen Völker“, die die Historiker fixieren. Hier aber eine Zeile aus einem byzantinischen Brief aus dem Jahr 572: „… Hunnen, die wir gewöhnlich Kiptschak nennen“. Da wird mit einem Mal alles klar.

Diese Zeile ist bei weitem nicht die einzige.

Wie sich herausstellt, sprachen einige „germanische Völker“ die Turksprache und unterschieden sich gar nicht voneinander. Sie hatten die gleiche Sprache, die gleichen Sitten, die gleiche Geschichte. Sie waren gute Schmiede, führten Kriege hoch zu Ross, zu ihrer Kleidung gehörten Hosen, sie tranken die Stutenmilch, einige trugen blonde Perücken. All diese Fakten sind der Wissenschaft bekannt.

Genauso wie die Tatsache, dass der heilige Schutzgeist in Sachsen der Drache war. Er schmückte die Fahnen der „Germanen“ bis ins 12. Jahrhundert hinein. Das unverkennbare Zeichen des Alten Altai!

Wenn Historiker von „wilden germanischen Stämmen“ sprechen, irren sie gewaltig. Sie wissen nicht, dass das Turkvolk einst in Übereinstimmung mit der Regel lebte, nach der ein Ulus (Geschlecht), das an die Macht kam, der Horde seinen Namen gab. Manchmal nahm eine Horde den Namen ihres Anführers, des Khans, an. Manchmal gab es auch einen Beinamen, wenn er berechtigt war.

Die Angehörigen des Turkvolkes haben eine scharfe Zunge und gaben viele treffende Beinamen. So entstand der Name „Gepiden“ oder „Gepanta“ keineswegs zufällig. Eine Sage berichtet darüber, wie die Goten über ein Meer fuhren und einige ihrer Landsleute hinter den Übrigen zurückblieben, so dass ihr Schiff als Letztes die Küste erreichte. „Gepide“ heißt „faul“, hier handelt es sich um ein Wortspiel in der Turksprache: „gepi anta“ bedeutet so viel wie „dort sollst du dich auch abtrocknen“.

In einer Chronik heißt es, später hätten sich „die Langobarden und die Awaren“ von den Gepiden getrennt.

Um die Awaren gab es eine andere Geschichte, und auch die ist wohl bekannt. Dieses Geschlecht floh im 6. Jahrhundert aus dem Altai nach Europa, und der Große Khan ließ es verfolgen. Aber die Flüchtlinge wurden nicht gefangen, sie hielten sich im Kaukasus versteckt. Dann zogen sie nach Konstantinopel weiter und tauchten schließlich im Alpenvorgebirge auf. Heute heißen sie Bayern.

Ein weiteres Beispiel. Ein Khan hatte zwei Söhne, Utigur und Kurtigur. Nach dem Tode des Vaters teilten die Söhne die Besitzung, ihre Horden hießen seitdem die „Utiguren“ und die „Kurtiguren“. Die einen rasierten sich den Hinterkopf, die anderen den ganzen Kopf kahl. Das war der ganze Unterschied zwischen diesen zwei „germanischen Völkern“.

Andere trugen nach wie vor lange Haare oder rasierten sich den Kopf bis auf eine Stirnlocke kahl. Die „germanischen“ Kiptschak führten das gleiche Leben wie die Große Steppe und bauten gleiche Städte, denn sie kannten nur diese eine Bauweise.

Ihre Städte leben fort. Eine davon ist das berühmte Calais, „Festung“ in der Turksprache, aber keine steinerne, sondern eine aus Holz und von einem Erdwall umgeben. Nach der Stadt wurde die Straße, die das Festland von einer riesengroßen Insel trennt, Pas de Calais genannt. In römischen Chroniken war diese Insel als Albion bekannt, aber die Kiptschak nannten sie Inglend.

Warum?

In der alten Turksprache bedeutete die Vorsilbe „ing“ so viel wie Beute. Inglend, bzw. England, war „erbeutetes Land“. Erbeutet wurde es bei einem Feldzug.

Im 5. – 6. Jahrhundert fanden die berühmten angelsächsischen Feldzüge statt. Zwei große Horden landeten damals auf der Insel. Ihre Anführer waren Khan Cerdic und sein Sohn Cynric (kommt der Vorname Heinrich nicht daher?). Die mit Piken bewehrten Reiter bestiegen ihre Schiffe und erreichten die Insel. Dieses Ereignis ist in der Geschichte Englands genau fixiert.

Über jene Zeiten erzählt eine Sage.

Ein junger Kiptschak ging am Ufer eines Flusses entlang, seine Beine trugen ihn nicht recht. An seinem müden Körper hingen dicke Goldketten, seine Arme waren mit Spangen voller Edelsteine geschmückt. „Wozu hast du die Schätze nötig?“ fragten ihn die Inselbewohner. „Ich suche einen Käufer dafür. Auf den Preis kommt es mir nicht an.“ Da sagte ein Mann: „Ich gebe dir viel Flusssand.“ Der junge Mann war einverstanden, verkaufte sein Gold gegen einen Sack Sand und ging. Alle lachten über ihn und priesen ihren Genossen, der den Fremden so schlau betrogen hatte.

Am Tag darauf erschienen dort Reiter. Die Bewohner waren entrüstet. Darauf trat der junge Mann mit einem Sack voll Sand hervor und verstreute ihn über das Ufer. Die Inselbewohner verstummten, denn sie verstanden: Nun ist es sein Land, er hatte es am Tag zuvor für sein Gold gekauft.

Der Tradition getreu, schlugen die Kiptschak ein Lager auf, später bauten sie eine Festung und nannten sie einfach Kent („steinerne Festung“). Niemand wagte mehr, sich gegen sie aufzulehnen, denn sie hatten das Land redlich erworben.

Das war die Einleitung zu den englischen Kapiteln der turkischen Geschichte.

 

Die englischen Kiptschak

Auch die angelsächsischen Feldzüge wurden aus der Erinnerung des Turkvolkes absichtlich verdrängt.

Jahrhundertelang wurden Gräuelmärchen von Bestialitäten der Ankömmlinge ausgestreut. Eine Erfindung jagte die andere. Das hat absurde Ausmaße angenommen. In der Geschichte Großbritanniens orientiert sich heute das ungebildete Publikum besser als so mancher Wissenschaftler. Viel zu viel wurde darin durcheinander gebracht.

Die Frühgeschichte ist im Grunde nicht erforscht, das verbot die Kirche, die selbstständig Englands „Geschichte schuf“. Im 8. Jahrhundert schrieb der Benediktiner aus dem Kloster Yarrow, Beda Venerabilis („der Ehrwürdige“), das Buch „Die angelsächsische Kirchengeschichte“. Mit ihm begann die Verfälschung, und Lügen trübten für immer das einst klare Wasser der Themse.

Doch gibt es auch eine andere, wirklich beeindruckende Schrift: die Arbeit des hervorragenden englischen Historikers Edward Gibbon, sieben unübertroffene Bände, die er im 18. Jahrhundert verfasste. Wie sonst niemand, berichtete der Wissenschaftler über das mittelalterliche Europa, und dies ausführlich und etwas genauer, als die Kirche ihm erlaubte. Dieses „etwas genauer“ reichte, um die Vorwürfe des Papstes und seiner Diener hervorzurufen.

Die Vergangenheit Großbritanniens sei so gut den am wenigsten gebildeten meiner Leser bekannt und so dunkel für die Wissenschaftler selbst, stellte Gibbon traurig fest.

Tatsächlich gab es keine Eroberung Englands, denn es waren die Inselbewohner selbst, die die „überaus weisen Saken“ (so nannten sie die Kiptschak) zur Einwanderung aufforderten. Sie überließen ihnen die fruchtbarsten Ländereien, damit die Kiptschak ihnen das Pflügen beibrachten, und eigneten sich das Züchten für sie neuer Vieharten an. Sie erkannten auch Tengri und sein Kreuz an.

Jahrhundertelang wurde alles Turkische in der englischen Geschichte eifrig ausgemerzt. Die „nomadisierenden Hunnen“, die einst an der Küste von Albion landeten und zu den Lieblingshelden der altenglischen Balladen wurden, sind inzwischen vergessen worden.

Es ist, als hätte es in Englands Geschichte nicht den Prediger Aidan gegeben, der den Inselbewohnern den Glauben an den Gott des Himmels eröffnete. Der Seelenhirt durchwanderte das englische Land in Begleitung eines Dolmetschers, weil er woanders geboren worden war. Noch früher, im Jahre 432, empfing auch der nationale Heilige Irlands, Patrick, das Kreuz aus Aidans Händen.

Gesagt sei, dass das lateinische Kreuz in jenen Jahren nicht existierte. Es entstand erst ein Jahrhundert später. Die Christen hatten das turkische, gleichseitige Kreuz. Solche Kreuze sind an den Denkmälern des alten England geblieben, nur sie werden von Archäologen gefunden.

Das ist ein für den Historiker sehr wichtiges Detail.

Den Namen Aidan (in der Turksprache: „hell“, „licht“) wird von den Engländern gegenwärtig etwas anders ausgesprochen, als Eden. Zu ihrer Ehre sei gesagt, dass sie die Tat des Predigers dennoch nicht entstellt und nicht umgeändert haben. Allerdings wurden viele Einzelheiten ausgelassen.

Vergessen sind auch die alten Kurgane, die in Südengland seit Attilas Zeiten geblieben sind. Dabei sind sie sichtbar und sehen genauso aus wie die Kurgane des Altai oder der Großen Steppe. Im Ort Sutton-Hoo der Grafschaft Suffolk besteht sogar das Hügelgrab eines Herrschers, das größte der fünfzehn hier entdeckten.

Ausgegraben wurden Waffen und Goldschmuck, eine außerordentlich feine Arbeit, echte Kunstwerke. Die Ornamente sind unverkennbar turkisch. Besonders schön sind Hirschfigurinen. Sie sind wie eine Kopie der altaischen Elen, als hätte man sie von dort hergebracht. Und das in England, einem Land, das, wie Lehrbücher behaupten, im 5. Jahrhundert von „wilden Barbaren“ überfallen worden war.

Übrigens ist das Wort „London“ turkischer Herkunft (vom chines. lung, in der Turksprache „Drache“, „Eidechse“); es sagte schon im 5. Jahrhundert den englischen Jungs, das es dort, am Flussufer, viele Schlangen gab.

Von der altenglischen Sprache wollen wir hier nicht sprechen – um den Turkologen, die sich diesem Rätsel vielleicht einmal zuwenden werden, ihr künftiges Fest nicht zu vergällen. Sie werden sicherlich über die erstaunliche Ähnlichkeit von vielen Worten der Turksprache und des Altenglischen verblüfft sein. Dafür gibt es nicht wenig Beispiele. Hier nur einige davon.

Die turksprachige Entsprechung des Wortes „young“ war „jang“; „befestigen“ hieß „tak“ usw. Sinngemäß und in der Schrift sehr nahe sind die altturkischen und englischen Wörter wie „ton“ (Haltung, Ton, Stil), „kert – kerf“ (Kerbe, Einschnitt), „tang tung et – tang“ (schrill tönen). Selbst der berühmte Londoner Tower ist ein Hinweis auf den Hügel, auf dem er steht: „tau“ bedeutete so viel wie Hügel oder Berg.

War ein Dialekt der Turksprache womöglich die Sprache von Altengland? „Das ist hier die Frage!“

Die Engländer übernahmen das Latein unter dem Druck der Kirche, davon zeugen ihre Bücher. Beispielsweise „Ethelberts Gesetze“, das älteste Buch in Altenglisch, das an der Wende zum 7. Jahrhundert in der Stadt Kent erschien. Darin wurden – die Gesetze der Langobarden und anderer Kiptschak wiederholt. Denn auch die neuen Engländer lebten in Übereinstimmung mit diesen Gesetzen. Der Text ist in Runen geschrieben, gleich anderen altenglischen Texten. Später verschwand das Buch rätselhafterweise. Warum wohl? Das ist nur zu verständlich.

Die Kirche verbrannte die Bücher Altenglands auf den Scheiterhaufen der Inquisition. Aber Kopien blieben, und von Zeit zu Zeit werden sie unter den überraschendsten Umständen gefunden. Solche Funde sind unschätzbar.

Nach allem zu urteilen, war die altenglische Literatur sehr ausdrucksvoll. So ist in der Tierdichtung „Bestiarium“ die Rede von drei Schutzgeistern: dem Irbis, dem Walfisch und dem Rebhuhn. Woher wussten die Engländer vom Irbis, einem Tier aus dem Altai? Woher von dem altaischen Brauch, die Schutzgeister zu verehren?

So manche englische Gewohnheit weist direkt auf ihre turkische Herkunft hin, z. B. das Einander-auf-die-Schulter-Klopfen. Das war ein echt turkischer Brauch.

Wissen die vergesslichen Engländer, dass ihr geliebtes Polospiel (vom Pferd aus und mit Treibhammern) lange vor der Großen Völkerwanderung ebenfalls im Altai entstand? Nur dass dort nicht mit dem hölzernen Treibball gespielt wurde, sondern mit dem Kopf eines Feindes, der in einem Ledersack steckte. Das war ein festliches Siegesspiel.

Nein, das Blut der Kiptschak ist in den kalten Adern der Engländer nicht erkaltet. Das Äußere und das Verhalten dieser Menschen, die es manchmal ganz heiß mögen, verraten dieses Blut. Beliebt sind Boxen oder auch eine einfache Schlagerei.

Selbst ihren Tee nehmen sie nach wie vor mit Milch, wie Schafhirten bei einer Rast, denn so tranken ihre Ahnen einst Tee. Sie lieben Pferde und Pferderennen, weil Pferd und Rennen zu den Kiptschak gehörten. Sie veranstalten Treibjagden auf Füchse und Hirsche in ihrem England, weil Angehörige des Turkvolkes nur so, nämlich vom Pferd aus, jagten. Auch die Falkenjagd kennen die Engländer ausgezeichnet. Woher stammt all das bei den Bewohnern von Albion? Eines Randgebietes des Römischen Reiches?

Ein interessantes Volk, das seine Traditionen pflegt, ohne zu verstehen, dass es sich um Überreste seiner einstigen Kultur handelt. Jener Kultur, die vergessen oder, richtiger, die zu vergessen befohlen wurde.

Bis zuletzt bewahrten die Engländer beispielsweise ihre alten Geldzeichen und Münzen. Ihr „komisches“ Geld ist ebenfalls ein Echo des Steppenlebens. Der englische Shilling rührt vom Wort der Turksprache „scheleg“, „für den Umlauf untaugliche Münze“; er enthält 12 Klein- oder Umlaufmünzen. „Penny“ leitet sich von „peneg“, d. h. Kleinmünze, ab. Und schließlich der Sterling: Diese Masseneinheit hieß in der Turksprache „sytyr“ oder „sytyrling“ und zählte 20 Scheleg. Alles ist bei den Engländern genauso geblieben.

Die Ähnlichkeit des Wortes der Turksprache „manat“ mit dem englischen Wort „money“ untermauert diese Beobachtung. Das eine wie das andere bedeutet „Geld“.

In ihrem Parlament haben die Engländer – seit vielen Jahrhunderten! – einen Sack mit Schafwolle. Ein solcher Sack war bei den Kiptschak ein Symbol der Macht. In der Großen Steppe saßen die meist verehrten Richter darauf. Die Engländer tragen ihre Fracks und wissen nicht, dass diese aus dem Altai kommen.

Ihre Nachbarn, die Schotten, tragen ihre Kilts und genießen die traurigen Klänge ihrer Schalmeien, haben eine andere Lebensweise und dulden nichts Turkisches um sich. Weil es ihnen fremd ist. Auch ein anderes Volk Großbritanniens, die Waliser, die auch von den Engländern fremd genannt werden, haben nichts „Turkisches“ übernommen. Selbst ihre Feste sind anders – viel zu langweilig für einen echten Kiptschak.

Die englischen Kiptschak stolzieren heutzutage selbstbewusst umher – und haben vergessen, was ihre Ahnen im Altai sagten: „Auch wenn man eine fremde Hose anzieht, bleibt man nicht unerkennbar.“ Das war Volksweisheit!

Die Benediktiner schafften es mit List und Lüge doch, den Engländern fremde Hosen anzuziehen, veränderten sie jedoch dadurch nicht, machten sie nicht zu einem neuen Volk.

Ein Anführer der Mönche, Augustin, wurde im Jahre 597 der erste englische Bischof. Der Papst setzte die Macht der Kirche in England durch. Als Erste bekannten sich Adlige zum Katholizismus. Die vierte oder fünfte Generation des Adels aber schämte sich bereits ihrer „wilden“ Ahnen. Alles kam genauso wie bei den Langobarden und Burgundern.

Die Mönche gingen auf der Insel Tan an der Küste bei Kent an Land und begaben sich zum König, weil sie wussten, dass seine Ehefrau schon vor ihrer Heirat heimlich zum Katholizismus übergetreten war. Bei ihr fanden sie Zuflucht. Bald konvertierte Ethelbert, noch kein König, aber auch kein Khan mehr, zum katholischen Glauben. Ihm folgten seine Untertanen.

Seitdem fügten sie sich in den Willen des Papstes, des „Statthalters Christi auf Erden“. Freilich stellten einige Engländer beharrlich zwei Altäre in den Kirchen auf: einen für Tengri und einen für Christus. Aber das änderte nichts mehr: Die Seele des Volkes war schon verkauft.

Der Streit darum, wessen Altar besser sei, war kurz und wurde 663 beigelegt. Die Römer überlisteten die vertrauensseligen Engländer, indem sie ihnen die Schlüssel zum Himmel versprachen, falls nur ein Altar in ihren Kirchen bleibe. Es blieb also nur einer da. England wurde christlich.

Aber der Doppelglauben hat sich bewahrt, er ist eine Norm, die die anglikanische Kirche bis heute auszeichnet: Der Katholizismus ist ein dunkler Schatten ihrer Vergangenheit.

Er hat die Kirche unauslöschbar geprägt.

 

 

Der Islam

Die höchste Auszeichnung der Katholiken ist der Georgs-Orden. Er ist eine Kopie der Orden aus dem Alten Altai: dasselbe Tengri-Zeichen. Ist das nicht symbolisch? Ebenso symbolisch wie die Tatsache, dass sich die griechisch-römische Kirche Altes, Altaisches bewahrte, jede Erinnerung an die Herkunft jedoch wegwischte, und das nicht nur in England, sondern überall.

Weil der alte Glaube die Herrschaft über die Völker behinderte.

Sowohl der Papst von Rom als auch der Patriarch von Byzanz unterließen nichts, um ihre Ziele zu erreichen. Sie zogen Turkisches, Geistiges durch den Schmutz und erfanden Eigenes, Heidnisches. Aus unauffindbaren Quellen tauchten in den Kirchen Sachen, die angeblich Christus gehört hatten, und Gebeine seiner Nachfolger auf. Die Menschen beteten nun zu diesen Gegenständen. Eine solche „Religion“ unterschied sich in nichts vom Heidentum.

Beinahe jede Kirche erhielt ihre Reliquie.

Bisweilen steigerte sich das ins Absurde: In den Kirchen zeigte man ein ganzes Dutzend Köpfe von Johannes dem Täufer. Als ein Winzer sah, dass der Wein in seinen Kellern versauert war, schüttete er je einen Tropfen von jedem Krug in einen einzigen und stellte diesen neben den Gebeinen des Hl. Stephan. Am Tag darauf hatte der Wein wieder seinen guten Geschmack. So entstand die Sage vom „Wunder“ des Hl. Stephan.

Die Heiden im Gewand der Seelsorger hatten überall ihre Hand im Spiel.

Der Glaube, der im 4. Jahrhundert im Kaukasus entstanden war, verblasste und trat, wie alles Turkische, in den Hintergrund. Er wurde umgewandelt. Auf Geheiß der Kirche nannten sich die Europäer nun Christen, aber sie hatten wenig miteinander gemein. Die Differenzen blieben. Es gärte im mittelalterlichen Europa, man lebte wie auf dem Vulkan. Turkisches, Römisches, Griechisches, Keltisches – alles vermischte sich und verschmolz miteinander, um schließlich wie erloschene Lava glashart zu erstarren.

Für Jahrhunderte zu erstarren!

Anders war es im Nahen Osten. Dort war die Kirche ebenfalls auf der Suche nach Wegen, die ihr zu ihrem eigenen Gesicht und zur Macht verhelfen konnten. Allerdings wurde nicht im Heidentum, sondern in der Philosophie gesucht, um den Sinn des Lebens zu ergründen. Tengris Gestalt strahlte am Firmament, sie wurde nicht durch Idole verdeckt.

Jede Suche zeitigt bekanntlich früher oder später ihre Resultate. Eine Frucht des freien Denkens im Orient war ein Phänomen, das in die Menschheitsgeschichte unter der kurzen, aber aussagekräftigen Bezeichnung Islam – vom Allerhöchsten gegebene Lehre – eingegangen ist.

Man erfuhr vom Islam in Arabien. Das geschah zu der Zeit, als der Papst Gregor der Große einen erbitterten Kampf gegen die Langobarden aufnahm. Im Jahre 609 wurden dem Araber Mohammed göttliche Offenbarungen zuteil. Später wurden sie als neue Lehre anerkannt, und er selbst galt nunmehr als ihr Prophet.

Leider ist über den Propheten sehr wenig bekannt. Es hat sich so gut wie nichts Authentisches erhalten. Sein Leben ist eine Legende, zusammengesetzt aus Worten und Bildern. Die Wissenschaft ist außer Stande, sie zu bestätigen oder zu widerlegen. Folglich kann es genau auf diese Weise geschehen sein.

Mohammed war Analphabet, in seiner Jugend zog er mit Karawanen durch die Wüste, dann verwaltete er den Handel einer Witwe, die er später ehelichte. Einmal hörte er ferne Stimmen. Sie erstaunten ihn.

Drei Jahre lang wurden ihm Offenbarungen geschenkt, und er berichtete über sie. Aber in der Stadt Mekka wollte man ihm nicht zuhören, die Menschen sahen keinen Sinn in der neuen Religion. Deren Gebetshandlungen schienen ihnen unerträglich, und das Verschenken eines Zehntels der Einnahmen wurde von ihnen als schreiende Ungerechtigkeit empfunden. Die Städter waren mit ihrem Heidentum ganz zufrieden.

Leider entsteht eine Religion nicht nach einer göttlichen Offenbarung. Es ist die Gesellschaft, die darüber entscheidet, ob ein Glaube bestehen soll oder nicht. Und darüber, wie er beschaffen sein muss.

Nur Menschen, die Mohammed ganz nahe standen, erkannten ihn an, sie bildeten denn auch eine Gemeinde. Diese nahm nur langsam zu, auch noch nach zehn Jahren zählte sie wohl kaum 100 Moslems.

Heute bekennen sich hunderte Millionen Menschen, ganze Länder zum Islam. Das Interesse für diese Religion ist gewaltig. Alle verweisen auf das Geheimnis ihrer Entstehung und betonen, dass die in der Welt der Philosophie allein dastehende Lehre von unwissenden Kameltreibern erfunden worden sei.

Hier gibt es offensichtlich ein Geheimnis, und nur der Koran kann es entschleiern helfen.

Der Koran ist ein Schatz des Islams, das Buch der Predigten und Belehrungen des Propheten, das Hauptgesetz der Moslems. Sein abgeschlossener Text erschien an der Wende vom 7. zum 8. Jahrhundert, fast fünfzig Jahre nach Mohammeds Tod. Ebenso wie der Islam, brauchte er Zeit zum Heranreifen. Eine Lehre bildet sich ja nicht über Nacht heraus. So ist nun einmal jene Welt beschaffen, in der Geist und Zeit herrschen.

Über die Geschichte des Islams sind hunderte Bücher geschrieben, aber Klarheit besteht nicht. Die Theologen verschiedener Länder nehmen den frühen Islam unterschiedlich auf. Sie streiten über die Wahrheit, die Lehre und führen Argumente an, die einander widersprechen. Dabei kann eine Religion nicht zwei Geschichten gleichzeitig haben.

Es gibt nur eine einzige Geschichte, wie es nur eine einzige Wahrheit gibt.

„Bismi-llajhi-r-rachmani-r-rahim“ („im Namen Allahs des Erbarmers, des Barmherzigen“). Es ist der Weltenherr, der dem Menschen Gedanken gibt, so war es, so bleibt es in alle Ewigkeit.

Hier, in diesem Buch äußert niemand Zweifel, aber ein Moslem ist verpflichtet, dem Koran zu glauben und nicht den Menschen, welche Kleidung sie auch immer tragen mögen. Die heute bekannte „arabische“ Version des Islams (ebenso wie die Version vom „griechischen“ Christentum) ist einem Mythos sehr ähnlich. Einem großen Mythos, der sich gegen das 19. Jahrhundert herausgebildet hat. Davon zeugt die Geschichte. Die Geschichte aber lässt sich nicht umschreiben.

Die Moslems haben wohl schon vergessen, dass der Islam im mittelalterlichen Europa „ägyptische Häresie“ genannt wurde. Und das war kein Zufall. Er unterschied sich beinahe nicht von der Lehre der ägyptischen und der abessinischen Kirche. Ägypten, damals eine byzantinische Kolonie, sah im Islam einen Weg zur Freiheit, denn: „Wes Gott, des Macht.“

Die geistlichen Traditionen Ägyptens und Äthiopiens bildeten die Grundlage des Islams, nicht die Arabiens.

Den neuen Glauben übernahmen zuerst Christen, d. h. Menschen, die den Gott des Himmels schon kannten. Der Nahe Osten wollte nicht mehr ein Sklave von Byzanz sein und brauchte den Islam. Er veränderte das Christentum – die Religion der Väter! – nicht, befreite jedoch den Glauben von der Macht der Griechen. Er bewahrte die Gestalt des Gottes des Himmels in Reinheit und gewann dadurch Menschen in den Kolonien von Byzanz.

Die Gestalt des Gottes des Himmels im „ägyptischen“ Christentum und die im Islam waren sich völlig gleich. Das ist einfach erstaunlich. Anders konnte es nicht sein. Die Religion ist Bestandteil der Kultur eines Volkes, seine Moral, sie entsteht nicht in einer Wüste und schließt die Menschen nicht nur durch Worte zusammen, so richtig diese auch sein mögen. Es genügt nicht, göttliche Offenbarungen zu hören, man muss sie verstehen und an andere Menschen heranbringen.

Der Islam ist eine große Hervorbringung des Orients, und an seinem Anfang war Tengri, weil die Menschen vor zweieinhalbtausend Jahren erstmalig ihre Blicke zum Himmel erhoben.

Zum Ewigen Blauen Himmel!

Der Islam half Ägypten und dem ganzen Nahen Osten die Freiheit erlangen. Der Einfluss des Turkvolkes ist dort enorm. Der Umstand, dass man das seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr erwähnte, bedeutet noch nicht, dass seine Angehörigen nicht dabei waren. Sie waren sehr wohl dabei!

Erinnern wir uns an einen der Namen Tengris: Alla (von „al“, Hand), der Gebende und Nehmende. Nur die Angehörigen des Turkvolkes hielten die Handflächen vor sich hin und sprachen, die Augen gen altaischen Himmel gerichtet, das Wort „Alla“ tausend Jahre vor dem Islam aus. Das entlehnte der Islam.

Der Altai kannte 99 Anrufungen für Tengri. Auch der Islam zählt 99 Namen des Allah. Sie sind sich in beiden Fällen gleich.

„Alla-il-Alla“, sagten die Moslems vor einem Gebet. „Gott (Alla)! Steige zu uns herab, Herr (al-Illah)!“ Ein durch und durch turkischer Satz – und üblich für einen turkischen Moslem auch heute. Er sagt selten das Wort mit einem langen „a“ am Ende (Allah), wie das die Araber tun, er sagt vielmehr Alla und noch öfter Tengri, wenn er sich an den Allerhöchsten wendet. Die alten Leute erinnern sich noch an die Worte ihrer Urgroßväter.

Der Islam lehrt: Allah ist allmächtig. Wie Tengri.

Allah schuf die Pflanzen, die Tiere, den Menschen. Wie Tengri.

Beim Beten zu Allah fällt man auf die Erde. Wie beim Beten zu Tengri. Was ist der Unterschied zwischen beiden? Monotheismus ist die Hauptidee des Islams. Doch gerade den Monotheismus brachte das Turkvolk der westlichen Welt: Gott ist der Geist, der Erzeuger dieser Welt. Niemand ist neben ihm.

Der Islam hat die zwischen Gott und den Menschen lebenden Engel und Dämonen bewahrt. Das Volk vom Altai hatte sie schon immer gekannt. Es blieb im Islam sogar der gefallene Engel, der Anführer der bösen Geister Iblis.

Nichts war in Vergessenheit geraten, nichts aus dem alten Glauben des Turkvolkes verloren gegangen.

„Es gibt keinen Gott außer Allah“, sagen die Moslems. Das Gleiche sagte das Volk aus dem Altai: „Es gibt keinen Gott außer Gott.“ Also: Was unterschied den frühen Islam vom turkischen Glauben?

Beinahe nichts. Nur ein Ritus, den die Moslems im 8. Jahrhundert noch nicht hatten und nach dem sie erst suchen mussten. Das Werden des Ritus nahm Jahrhunderte in Anspruch.

 

 

Der Koran

Der Koran ist selbstverständlich das höchste Gut des Islams, sein heiliges Buch. Es enthält die Antworten auf alle Fragen des Seins, selbst auf die schwierigsten. Wie ist das Buch entstanden?

Das ist eine sehr wichtige Frage. Denn auf der arabischen Halbinsel gab es überhaupt keine Bücher: Ihre Völker hatten keine Schriftzeichen. Das alte Turkvolk aber hatte sehr wohl heilige Bücher, nach ihnen lernten die Völker des Ostens schon im 1. Jahrhundert, zu den Zeiten von Khan Erke, und später tat das Europa. Dann aber verschwanden sämtliche Bücher. Wohin? Und sind sie wirklich verschwunden?

Die Antwort liegt auf der Hand, sie ist in der 108. Sure des Korans enthalten: „Gesser haben Wir dir gegeben, so richte deine Gebete an Gott.“ So beginnt diese Sure. Ihr Sinn ist tief, es fällt nicht leicht, ihn zu erschließen.

Die Araber wussten nicht, wer „Gesser“ war, sie wussten es nicht damals, sie wissen es auch heute nicht. Das ist am erstaunlichsten. Das „unbegreifliche Wort“ löste bei Koran-Übersetzern stets Meinungsverschiedenheiten und Streit aus. Selbst seine Aussprache ist bei ihnen unterschiedlich: Kewser, Kaussar, und ebenso unterschiedlich seine Auslegung: als „Überfluss“, „Wohlstand“.

Den Namen des Propheten des Turkvolkes nicht kennen und ihn in den Text des Korans aufnehmen? Ihm eine ganze Sure widmen? So etwas ist undenkbar, unmöglich. Etwas stimmt hier nicht. Man schreibt kein Buch, wenn man die Buchstaben nicht kennt. Man löst eine arithmetische Aufgabe nicht, wenn man die Ziffern nicht kennt. Folglich ist das Wort „Gesser“ im Koran mit einem sehr wichtigen Ereignis verbunden, das heute „vergessen“ ist oder außer Acht gelassen wird.

Im Text des Korans gibt es auch andere „weiße Flecken“. Aber auch sie werden ihren wahren Sinn offenbaren, sobald die Geschichte des Turkvolkes den ihr zukommenden Platz in der Menschheitsgeschichte einnimmt. Es geht doch nicht, immer wieder ein Volk zu „vergessen“, das der Welt den Glauben an Gott im Himmel brachte.

Die Wahrheit wird früher oder später dennoch triumphieren!

Die Wissenschaftler verweisen seit langem nicht nur auf „unverständliche“ Wörter im Koran, sondern auch darauf, dass sein ganzer Text auf eine besondere Art und Weise geschrieben ist. Die Araber schrieben anders, hatten einen anderen Satzbau. Der Koran weist eine offensichtlich „nichtarabische Sprache“ auf. Zu diesem Schluss ist die Wissenschaft gekommen.

Nun, eine alte Weisheit besagt im Grunde das Gleiche: „Ein Kamel ist nicht in einer Schafherde zu verbergen.“ Und das stimmt.

Im Koran gibt es z. B. Zeilen, die mit Texten des Talmuds und der Bibel zusammenfallen. Das sollte nicht wundernehmen. Der Koran ist ein Sammelbuch der göttlichen Offenbarungen. Ein Werk, zu dem die Worte des Propheten Mohammed die Menschen bewogen.

Jahrzehntelang wurde am Koran geschrieben und an seinen Zeilen geschliffen. Damals wurden Dutzende Bücher – turkische, ägyptische, syrische, iranische, hebräische usw. – ins Arabische übersetzt. Man suchte darin nach Körnern der Wahrheit.

Jene Übersetzungen wurden „arabische Literatur“ genannt. Es handelt sich wohlgemerkt um Übersetzungen. Sie ergötzten das Ohr der Moslems, waren Teil der neuen Kultur des neuen Orients, der frei von der byzantinischen Despotie war.

Eine der Übersetzungen hieß „Gesser-efsane“ („Häzar afsaneh“) und enthielt turkische Märchen und Lehrdichtungen. Ende des 8. Jahrhunderts bekam sie einen neuen Titel: „Tausendundeine Nacht“. Ist es so, dass die Scheherazade ihre Märchen in der Turksprache erzählte?

Demnach sprach auch Sindbad der Seefahrer in dieser Sprache, denn er kannte keine andere. Ja, die Geschichte ist eine erstaunliche Wissenschaft. Sie lüftet nicht nur große Geheimnisse, sondern beweist auch, dass der Koran, „ein Sammelbuch der Weisheit, das in der Sprache der Offenbarungen geschrieben ist“, außerdem noch „verloren gegangene“ Schätze bewahrt.

Ist das Buch wirklich von Menschenhand geschrieben?

Seine Parabeln und kernigen Sprüche sind hohe Literatur, ihre Frucht, die im Laufe von Jahrhunderten ausreifte. Sie gleichen dem Schmuck aus einem Hügelgrab in der Steppe, der weder nachzuahmen noch zu übertreffen ist. Im ganzen Nahen Osten gab es solchen Schmuck früher nicht. Nur das Turkvolk besaß ihn.

Der Koran setzt sich aus Ajats zusammen wie aus schillernden Edelsteinen, sie verleihen seinen Kapiteln – den Suren – Licht und Weisheit. „Ajat“ ist ein Wort der Turksprache und setzt sich aus „aj“ (erkläre) und „at“ (Bezeichnung) zusammen. Dieser Satz (oder Teil eines Satzes) wird im Singsang gelesen.

Bekanntlich lasen die Angehörigen des Turkvolkes ihre Gebete nur im Singsang. Das ist eine Tradition des Alten Altai.

Der Text des Korans wurde seit dem Jahr 633 aufgeschrieben, und das nahm Jahrzehnte in Anspruch. Hunderte heilige Seiten kamen heraus, und seitdem wurde kein Wort, kein Komma daran geändert. Aber wer diktierte den Koran? Das weiß man nicht. Bekannt ist dagegen, dass Arabien nach Mohammed zum Heidentum zurückkehrte. Als Erste vergaßen die Inselbewohner ihren Propheten.

Sie kannten ihn auch zu seinen Lebzeiten schlecht. So bat Kalif Omar im Jahre 637, nach seinem Sieg über die Perser, seine besten Krieger, wenigstens einen Spruch Mohammeds zu zitieren. Keiner konnte es. Nur einer sagte leise: „Basmala.“

Das war alles, was die Menschen vom Islam wussten, die zu seiner Ausbreitung beitrugen.

Es besteht die Meinung, dass der Araber Sejd ibn Tabit (Sajd ibn Sabit) die ersten Zeilen des Korans nach den Worten von alten Leuten aufschrieb, die nach der Schlacht bei Jemama am Leben geblieben waren. Vielleicht. Er war erst zweiundzwanzig Jahre alt. Im Jahre 651, bereits als reifer Mann, schloss er sein Werk ab. Aber nicht den Koran.

Außerdem heißt es, dass sich in der Nähe des Propheten Mohammed seine Sekretäre befanden, die schreibkundig waren. Das ist wenig wahrscheinlich: Wieso sollte es Sekretäre in einem Land der Analphabeten geben? Selbst wenn das der Fall gewesen wäre: Was tat dann Sejd ibn Tabit binnen zwanzig Jahren, wenn alles schon vor ihm aufgeschrieben worden war? Folglich war dem nicht so.

Der Text des Korans nahm gegen das 8. Jahrhundert festere Formen an. Das ist ein historisch authentischer Fakt. Alles Übrige sind Erfindungen, die im Laufe von Jahrhunderten zu einer unwiderlegbaren Wahrheit hochstilisiert wurden.

Vieles ist hier unbegreiflich. In welcher Schrift konnte der Koran geschrieben werden? Auch das ist eine sehr wichtige Frage. Ohne eine Antwort darauf bleiben gewisse Dinge immer noch unerklärt und also erfunden.

Die so genannte arabische Ligatur war im frühen Mittelalter die „göttliche Geheimschrift“ – die Schrift des Turkvolkes. Dieses bezeichnete sie mit einem Wort, das ähnlich wie das Wort „Chiffre“ klang. Von der Geheimschrift wusste man auch unter den Christen, aber das Wissen war nur Auserwählten, darunter Kopten, zugänglich. Jedenfalls nicht den Bewohnern der arabischen Halbinsel. Ebendeshalb ist die Rolle gerade eines „koptischen Schreibers“ in den Aussprüchen von berühmten Moslems – Khadis – widergespiegelt. Das ist bei weitem kein Zufall.

Konnte Sejd ibn Tabit, ein einfacher Mann aus Medina, von der turkischen Geheimschrift wissen? Niemals. Und die Sekretäre des Propheten? Doch, aber unter einer Bedingung: wenn sie Bischöfe der nahöstlichen Kirche waren.

Und das war der Fall!

Bekanntlich entsandte Mohammed seine Boten im Jahre 615 zur abessinischen Kirche. Der Prophet lud Christen, die er Glaubensgenossen nannte, zu sich ein. Er bat die Kopten, „den Rechtgläubigen zur Frömmigkeit zu verhelfen“ und sonstige Sorgen der Moslems auf sich zu nehmen. Diese Sorgen waren mit dem Schriftsystem verbunden.

Zu solchen Behauptungen berechtigen nicht nur die Kadis, sondern auch die Schriftzeichen selbst.

Wie Wissenschaftler festgestellt haben, nahm die arabische Ligatur ihr heutiges Aussehen erst im 8. – 9. Jahrhundert an, als der Koran schon geschrieben war. Damals schuf man denn auch die „göttliche Schrift“ ab, um sie zu vergessen. Man machte die neue arabische Schrift einfachen Menschen zugänglich, sie verlor ihren Charakter einer Chiffre.

Es erhebt sich jedoch eine weitere Frage: Waren die Seiten des allerersten Korans nicht in der Turksprache geschrieben? Jene Seiten, von denen Sejd ibn Tabit abschrieb? Und die später auf eine geheimnisvolle Weise verschwanden?

Wurden nicht sie verboten und verbrannt, als Kalif Othman befahl, nur den arabisch geschriebenen Koran zu belassen?

Deshalb gibt es keine Aufzeichnungen der Reden des Propheten Mohammed, die noch zu seinen Lebzeiten gemacht worden wären. Ebenso wie der Text des allerersten Korans können sie nur in der „göttlichen“ Sprache, nämlich der Turksprache, geschrieben worden sein. Anders als turkisch konnten sie einfach nicht sein.

Diese verbotenen Texte lebten noch einige Jahrhunderte lang ihr eigenes Leben, die turkischen Moslems übergaben sie von Hand zu Hand wie ein Heiligtum. Möglicherweise leben sie bis jetzt fort.

Die Araber haben eine weitere heilige Überlieferung, die Sunna. Sie ergänzt den Koran und enthält die Aufzählung der Taten und die Aussprüche des Propheten. Dieses Buch war um das 9. Jahrhundert vollendet. Mit ihm endete die Epoche des „ägyptischen Christentums“ im Islam und begann dessen selbständige Existenz.

Mohammeds Lehre wurde eine vollwertige Religion.

Nicht alle Moslems waren mit dem Text der Sunna einverstanden. Menschen, die sie voll und ganz anerkannten, wurden Sunniten genannt. Sie machen die Mehrheit aus. Das hat jedoch nichts zu sagen, denn die Schiiten sind in der islamischen Welt nicht minder geachtet und angesehen.

Die Autoren der Sunna waren zwei große Angehörige des Turkvolkes: al-Buchari und Muslim. Sie lebten keineswegs in Arabien! Das Werk von al-Buchari wurde wegen seiner Gedankentiefe „sachich“ (wahr) genannt. Das ist das zweitwichtigste Buch neben dem Koran. Diese Meinung vertreten bekannte Wissenschaftler des Orients.

Übrigens stammten beinahe alle bedeutendsten moslemischen Wissenschaftler aus der turkischen Welt. Besser als sie kannte niemand Mohammeds Lehre. Das ist eine anerkannte Tatsache.

Mit ihren Büchern setzten diese Menschen sich und ihrem Volk ewige Denkmäler.

Unter den Inselbewohnern gab es nie Menschen von einem so reichen Wissen. Für die Anhänger der neuen Religion fand sich nicht einmal eine würdige Kleidung. Ihre Überwürfe taugten nur fürs Kamelreiten. So kam auch die Kleidung der Moslems vom Turkvolk.

Der Turban (suwluk), Schapkas und Fes, Schalwaren und Hemden mit freier Brust, kurze schwarze Jacken (kapas), Kaftane – all das kam zustatten. Das Klima im Nahen Osten ist natürlich anders als im Altai, deshalb wurden die Kleidungsstücke leichter gestaltet, doch der Schnitt blieb unverändert.

An der neuen Kleidung erkannten alle einen Moslem. Beamte trugen ein an der Brust ausgeschnittenes langes Hemd und Theologen einen Überwurf, Tailassan („talu san“, was in der Turksprache so viel wie „besondere Ehre“ bedeutet). Alle Moslems, Männer wie Frauen, trugen Schalwaren, die ganz besonders geschätzt wurden.

Seitdem führte sich die turkische Kleidung auch im Nahen Osten ein. So legte Kalif al Muktadir, als er in den Tod ging, einen Kaftan an. Weit entfernt sind von uns jene Kapitel der moslemischen Geschichte, aber vergessen sind sie nicht.

Man kennt sie heute nicht, weil sich die Welt gegen das 19. Jahrhundert nicht zugunsten des Turkvolkes veränderte. Nun waren seine Angehörigen allen verhasst, selbst sich selbst: Das Osmanische Reich, das letzte Bollwerk der turkischen Welt, war untergegangen.

Aber früher, im 9. Jahrhundert, wussten die Moslems gut den Ausspruch des Allerhöchsten und wiederholten ihn auswendig: „Ich habe ein Heer, das Ich Turkvolk nannte und im Osten ansiedelte; wenn ich über ein Volk zornig werde, gebe ich meinem Heer die Macht über dieses Volk.“ Beeindruckende Worte.

Der große Wissenschaftler des moslemischen Welt Mahmud Kasgari zitierte sie in seinen Büchern. In ihnen liegt die gesamte Geschichte der Großen Völkerwanderung beschlossen. Auch die Apokalypse, die mit dem Zusammenbruch des Römischen Imperiums begann. Auch Attila, der Gottes Geißel genannt wurde. Auch der Islam, der für die Päpste in Rom „Gottes Strafe“ war.

Wer weiß, vielleicht ist in diesen mahnenden Worten nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft der turkischen Welt enthalten?

 

 

Zeichen des Islams

Früher bestanden sieben Lesungsarten des Korans, und jede war richtig. Folglich schufen sieben Völker, genauer: sieben Kulturen den Islam und seine Traditionen.

Einige trugen in die neue Religion den Beschneidungsritus ein, von anderen stammt das Verbot des Genusses von Schweinefleisch, und wieder andere gaben ihr Bücher, die Moral, die Architektur, die Kleidung, die Riten. Der Beitrag verschiedener Völker war unterschiedlich. Aber die Bewohner Arabiens hatten damit nichts zu tun.

Was konnten Heiden schon beitragen, die selbst die Waschung mit Sand vornahmen?

Einmal im Jahr, im Frühjahr, kamen ihre Stämme nach Mekka, zum Schwarzen Stein. Die Häuptlinge stellten dort Götzen auf und beteten zu ihnen. Mit diesem Gebet brach ein neues Jahr an. Selbstverständlich wussten die Araber vom Glauben der Hebräer, hatten auch von den iranischen Feueranbetern sowie von Christen gehört. Doch sie hatten ihren Glauben nicht übernommen: Fremdes Feuer erwärmte ihr Herz nicht.

Ein Volk übernimmt einen fremden Glauben, wenn er ihm stark genug ist. So war das immer. Die Armenier, die Griechen und die Römer bekannten sich zum Gott des Himmels, erst als sie seine Stärke sahen.

Dennoch spielte die Arabische Wüste ihre Rolle. Die nahöstlichen Philosophen fanden dort eine Nische, die den Griechen unzugänglich war. Dort pflanzten sie einen Trieb des neuen Glaubens. Man nannte die Anhänger des Islams „Moslems“ (Muslims), d. h. „jene, die sich Gott unterwerfen“. Menschen aus mehreren byzantinischen Kolonien wurden durch den Geist der Freiheit zusammengeschlossen, doch hatten sie weder eine gemeinsame Sprache noch eine gemeinsame Kultur.

Deshalb spielte die Kleidung für die Moslems, besonders in der ersten Zeit, eine wichtige Rolle: Nur dank ihr waren sie zu erkennen. Die Menschen übernahmen die turkische Kleidung und glichen nun jenen, die ihnen halfen, zum Gott des Himmels zu finden und damit die heiß ersehnte Freiheit zu erlangen.

So geschah das.

Mit dem Islam erschien um das 7. Jahrhundert ein Land freier Moslems, ein Kalifat, das den Griechen nicht untergeordnet war. Auch dieses Land war ein Zeichen der Freiheit. Bald schoben sich seine Grenzen unermesslich weit auseinander, sie verliefen weit von Mekka entfernt: jenseits der Länder Mittelasiens, des Siebenstromgebietes, Mesopotamiens, des Nahen Ostens und Nordafrikas.

Die Ideen des Islams eroberten einen Teil Italiens, Spanien und Südfrankreich, wo die Kiptschak lebten. Die Menschen sahen in ihnen die Hoffnung, sich von der zunehmenden Macht der Kirche zu entfernen, und nahmen die Veränderungen, die in ihren Häusern und Städten eintraten, gern an.

Abgesandte des Propheten Mohammed besuchten die Kaganate von Descht-i-Kiptschak, Chasarien, Wolga-Bulgarien.

Überall wurde der neue Glaube friedlich übernommen, denn er vereinigte die Menschen in ihrem Widerstand gegen die verhassten Byzantiner. Die Einwohner der Städte von Ägypten und Syrien z. B. empfingen die Abgesandten des Propheten begeistert, mit Musik und Gesang, wie man sonst Sieger empfängt.

Selbst die römischen Päpste mussten einen heimlichen Briefwechsel mit Moslems einleiten, in der Hoffnung, von ihnen Hilfe und Unterstützung zu bekommen. Und die Moslems unterstützten sie wirklich und waren bis zum 11. Jahrhundert ihre guten Verbündeten. Einmal retteten sie einen Papst sogar vor sicherem Tod.

Vom Kalifat wurde viel geschrieben. Aber – Politik stand der Wahrheit stets im Wege und ließ bisweilen das Wichtigste auslassen. Beispielsweise: Wer waren sie, diese furchtlosen Eiferer des Islams? Warum kämpften sie zu Pferd? Außerdem gebrauchten sie Säbel und Piken.

Und wieso tauchte im Nahen Osten, einer byzantinischen Kolonie, plötzlich eine Reiterei auf, wie kam es zu so bedeutenden Siegen?

Die Antwort liegt im Wort „Araber“. So nannte man im Mittelalter die Moslems. Alle Moslems auf einmal, gleich, ob es sich um die Völker Arabiens, Ägyptens oder Syriens handelte.

Moslem war gleich Araber. Dutzende Völker wurden plötzlich Araber. Darunter auch die nahöstlichen Angehörigen des Turkvolkes, die Krieger des Islams. Sie erhoben die blaue Fahne des neuen Glaubens, blau wie der Ewige Blaue Himmel, und schmückten damit die Kuppeln der Moscheen, d. h. der moslemischen Tempel.

Der neue Glaube des Orients stand auf altturkischen Pfeilern. Sein Symbol war natürlich das Tengri-Zeichen Kreuz (Adshi).

Allerdings vertauschten die Araber (Angehörige des Turkvolkes aus der Mamelucken-Dynastie!) die blaue Fahne mit einer grünen. Aber das Symbol des Glaubens bewahrten sie, indem sie es durch einen achteckigen Stern kaschierten. Unter diesem Stern zogen die Krieger des Kalifats in die Schlacht, unter ihm errangen sie ihre Siege.

Aber nur Eingeweihte wussten um dieses Geheimnis.

Zum gleichseitigen turkischen Kreuz stand man im Kalifat zu verschiedener Zeit unterschiedlich. Im 7. Jahrhundert z. B. beschloss der Herrscher Muawia, besondere, „moslemische“ Münzen aus Silber und Gold zu prägen, aber die Menschen akzeptierten sie nicht. „Auf den Münzen ist kein Kreuz“, sagten sie.

Das Kreuz aber war damals im Kalifat überall. Dieses Symbol des Himmels zeichnete die Fahnen der Moslems aus. Bis 1024 erlaubte es der Islam, den Tag des Heiligen Kreuzes zu feiern. Das Fest wurde vom Kalifen selbst eröffnet. Das war ein großes Volksfest.

Zwischen Moslems und Christen war im Mittelalter ein unbarmherziger Kampf um das Zeichen des Himmels im Gange. Die Moslems drangen in die Kirchen ein, brachen die Kreuze aus den Wänden heraus und beschmierten ihre Spur. Die Christen gingen nicht behutsamer vor. Alle wollten dem Gott des Himmels am nächsten sein.

Im 8. Jahrhundert gaben die Europäer allmählich nach. Sie beschlossen sogar, auf das Tengri-Zeichen zu verzichten, und erfanden ein griechisches und ein lateinisches Kreuz. Das geschah unter dem Druck der Umstände. Nur die Armenier haben es sich unter einer leichten Änderung bewahrt.

Ost und West lagen im erbitterten Streit um den Besitz des Kreuzes. Ihr Kampf war deshalb so hart, weil auf beiden Seiten die Kiptschak standen, wenn das auch nicht mehr ihr Heiligtum war. Und sie strebten danach, es wieder zu besitzen. Daher rührten die „Kreuzzüge“.

Später allerdings erinnerte man sich an diese Züge und ihre Geschichte erstaunlich wenig. Die Meinung galt, dass das Wissen darum in Vergessenheit geraten sei.

Neu war auch die Architektur des Islams. Sie ist eine im Stein „schlafende“ Zeit, die Jahrhunderte haben keine Macht über sie.

Spuren der ersten Moscheen haben sich nicht erhalten, denn es gab keine Moscheen. Vielmehr beteten die Moslems zu Lebzeiten des Propheten auf einem kleinen Platz mit Lehmboden, der von einem Schilfrohrzaun umgeben war. Dann kamen Gebäude von ägyptischer Bauweise auf, allerdings waren sie viel zu einfach und wenig ausdrucksvoll – „etwas wie ein Getreidespeicher oder ein Zelt“, sagten Zeitgenossen.

Also wandten sich die Moslems der turkischen Tradition zu.

Im Jahre 691 bauten die Kiptschak in Jerusalem ihre erste Moschee, Qubbet es-Sakhra, die heute als Felsendom bekannt ist. Sie ist herrlich. Ihre riesige Kuppel, einer gigantischen Jurta nicht unähnlich, und ihr achteckiges Ziegelfundament begeisterten die Menschen.

Als eine ebensolche Moschee in Medina aufgeführt wurde, riefen die Städter wie aus einem Munde aus: „Das ist ja Kilissa!“ Sie meinten einen turkischen Tempel.

Das waren die Anfänge der moslemischen Architektur. Eigentlich hatte sie viel früher, noch im Altai, begonnen, um dann zusammen mit den Kiptschak durch die Große Steppe und durch Europa zu ziehen.

In der Siedlung Lekit in Aserbaidschan besteht ein einzigartiger turkischer Tempel des 5. Jahrhunderts. Das ist ein wahres architektonisches Mekka. Beinahe 100 Jahre nach seiner Fertigstellung, im Jahre 527, wiederholten die Kiptschak ihn genau in der Sergius-Bacchos-Kirche zu Konstantinopel. Nach demselben Muster wurde 547 die San-Vitale-Basilika in Ravenna, der Hauptstadt der italienischen Kiptschak, gebaut.

Die Moschee Qubbet es-Sakhra unterschied sich von diesen Tempeln höchstens durch ihre Größe und ihren besonderen Geist. Ihre Zeltkuppel, die an eine Jurta anklang, und das Postament, das an ein Zeltlager im Gebirge erinnerte, waren für einen Kiptschak Zeichen des Altai, des Zuhause. Darin konzentrierte sich die ganze Wärme der Heimat und die Höhe des Himmels.

In der Frühzeit des Islams erfuhr man im Nahen Osten auch von Masaras (Mausoleen), in denen namhafte Menschen begraben wurden. Es hieß, dass ein hier gelesenes Gebet Allah schneller erreiche. Ganze Mengen versammelten sich vor den neuen Heiligtümern.

Ein Mausoleum war im Grunde ein Steppenkurgan, nur eben aus Stein.

Damals setzte sich im Orient eine weitere altturkische Sitte durch. Man stellte auf den Gräbern adliger Moslems Denkmäler (Türben) auf – wie die „Steinweiber“ aus dem Altai, nur in vereinfachter Form.

Die Toten wurden nach turkischer Sitte beweint, wie das der Ritus vorschrieb.

Die mittelalterliche Welt veränderte sich, unmerklich, doch so, dass die Veränderungen schließlich sichtbar wurden. Die turkische Kultur wuchs in sie hinein, sie durchsetzte den Boden wie die Wurzeln von jungem Gras im Frühling. Manchmal tauchte sie unerwartet, plötzlich auf, dort, wo niemand darauf gefasst war.

Beispielsweise zu der Zeit, da die Araber von Ziffern erfuhren und sie übernahmen. In diesem Fall handelt es sich um die Ziffern, die heute arabisch genannt werden. Dabei waren sie turkisch, von Kalif Walid eingeführt.

Er wusste seine Untertanen davon zu überzeugen, dass die Fähigkeit, Briefe und Botschaften zu schreiben sowie Einkünfte und Ausgaben zu zählen, eine dem Lande dienliche Kunst war. Diese neue Kunst verhalf den Moslems zu großen Entdeckungen in Mathematik und Physik.

Die arabischen Ziffern sind eigentlich Runen, sie waren auch vor98  unserer Zeitrechnung bekannt. Damals kamen Chinesen in den Altai und waren über die Einfachheit der turkischen Ziffern verwundert. Diese Verwunderung fand ihren Niederschlag in einem Buch über die Verwaltung des Landes, das sich erhalten hat.

Es unterliegt keinem Zweifel: Das Arabische Kalifat wurde von den Kiptschak, von ihrer Kultur ins Leben gerufen. Die Kiptschak entschieden denn auch über sein Schicksal.

 

Sultan Mahmud

Bis zum Jahr 750 war Damaskus die Hauptstadt des Kalifats, regiert durch die Dynastie der Omaijaden. Dann wurden diese gestürzt. Nicht mehr die turkischen Kiptschak, sondern die turkischen Oghusen kamen an die Macht und brachten die Dynastie der Abbasiden auf den Thron.

Die neuen Herrscher hießen „Iraner“, aber das Wort war nicht ganz genau. Sie konnten keine Iraner sein.

Der Iran übte keinen Einfluss auf das Kalifat aus: Seine originären Einwohner waren nicht Moslems, sondern nach wie vor Feueranbeter. Auf dem Territorium von Altpersien lebten damals verschiedene Völker, die verschiedene Arten von Glauben hatten. Aber die Herrschaft gehörte den Moslems, genauer, der turkischen Oghusen-Dynastie. Ihre Vertreter bestiegen denn auch den Thron des Kalifats.

Die neuen Herrscher bekannten sich zu allem Neuen. Im Jahre 762 verlegten sie die Hauptstadt nach Bagdad, und das war bei weitem nicht die einzige ihrer Neueinführungen. Die Stadt wurde in einer flachen Ebene angelegt und neu gebaut. Das ist nicht weniger symbolisch als ihr Name, das sich von „Bogdo“, einem beim Turkvolk üblichen altertümlichen Namen für Tengri, ableitet.

Die Abbasiden wünschten alles neu anzufangen und taten das.

So war früher jeder Moslem berechtigt, seine Muttersprache zu sprechen, seine Ahnen zu ehren und die Feste seines Volkes zu feiern. Nun wurde das aufgegeben, und zwar für immer. Die rechtgläubigen Anhänger des wahren Glaubens waren verpflichtet, nur Arabisch – die Sprache des Propheten – zu sprechen.

Ein Mensch, der sich Araber nannte, vergaß alles, was er früher das Seine nannte. Er tat das selbstverständlich zu Ehren des Islams.

Nur ein Angehöriger des Turkvolkes war zu so etwas fähig und imstande. Seine Lebensregel lautete ja: „Du sollst unter Fröschen ein Frosch sein.“ Und so befahl er, dass alle so lebten. Er tat das, ohne an den Untergang des Ostens und seiner Völker zu denken.

Die eingewanderten Oghusen gewannen in den Provinzen des Kalifats rasch die Oberhand und verwandelten sie in ihnen untergeordnete „Frösche“.

Bald verdrängte die arabische Sprache alle übrigen. Sie war eine Sprachmischung und von der Sprache des Korans recht weit entfernt. In Ägypten klang sie anders als in Syrien oder Saudi-Arabien. Manchmal verstanden die Menschen, die arabisch sprachen, einander schlecht.

Damit hatte es noch nicht sein Bewenden. Die Menschen mussten sich einen arabischen Stammbaum erfinden. Die Herrscher verabschiedeten Gesetze, die die Völker ihre Vergangenheit für immer vergessen und sie in Unwissenheit – Dschahilija – versinken ließen. Im Orient spielte sich eine wahre Tragödie der Moslems ab, sie wurden gezwungen, gleichsam „neu zur Welt zu kommen“. Das neue Volk wurde unter Schmerzen geboren.

Alles geschah genau wie in Europa. Es brodelte im gleichen Vulkan, in dem die Kulturen der Völker miteinander verschmolzen. Hier wie dort stand das Turkvolk an der Quelle der Not. Das war wohl der Wille des Himmels, der ihm die Rolle des Erbauers zukommen ließ.

Die Herrscher des Kalifats warfen in den Krater dieses Vulkans vor allem das Eigene, Turkische. Sie waren sich darüber im Klaren, dass sie ein Land nicht für das Turkvolk, sondern für alle Völker des Orients schufen. Darin sahen sie die eigene Weisheit.

Sie überwanden das eigene Ich, um den Sieg über Byzanz näher zu bringen. Dazu brauchten sie einen starken Staat. Dieser bestand noch nicht, weil es keine Einheit der Völker gab. Deshalb waren der Macht alle Mittel recht.

Die alte, gestürzte Dynastie hatte sich zu diesem großen Opfer nicht entschlossen – und konnte den Thron nicht halten. Unter ihrer Herrschaft schwanden die Kräfte der Moslems dahin wie Wasser in heißem Sand. Sie wurden im wechselseitigen Kampf um die Führung in der moslemischen Welt, in Aufständen, Kriegen, Sekten und Streitigkeiten verausgabt. Die Menschen sahen, dass sie das Land nicht stärkten, sondern vielmehr zerstörten.

Die Oghusen suchten, gleich alle miteinander auszusöhnen, aber die neuen Herrscher hatten die alte Weisheit des Altai vergessen, die da lautet: „Man bekommt keinen Sohn, wenn man einen Fremden großzieht.“ Trotz ihrer gewaltigen Opfer schufen sie ein neues Volk doch nicht. Die arabische Welt blieb für immer eine Welt von Meinungsunterschieden und Machtkämpfen. Selbst ein Jahrtausend später wurden die Moslems nicht einheitlich.

Das Kalifat bestand aus lauter Widersprüchen.

Bald zerfiel es, um sich nie mehr zusammenzuschließen. Seine Tragödie teilte die Menschen nur noch mehr. Als die Ägypter z. B. zur arabischen Sprache übergingen, vergaßen sie ihre Muttersprache und wurden deshalb den Kopten fremd, denn diese blieben, obwohl Ägypter, dem Christentum treu.

Der Islam und das Christentum spalteten das ägyptische Volk. Der fremde Sohn wurde nicht zum eigenen. In der Geschichte des Kalifats gab es folgende Episode.

Alles kam daher, weil die Herrscher zwar von Einheit redeten, sie in Wirklichkeit aber nicht wünschten. Im Jahre 833 ließ ein neuer Kalif seine Weisen zusammenkommen und fragte sie: „Wieviel Jahre werde ich herrschen?“ Die Antworten fielen verschieden aus. Nur einer, mit schlohweißem Haupt, sagte leise: „Solange es die Turkischen wollen.“ Alle lachten, als sie diese bittere Wahrheit hörten: Die Garde von Bagdad setzte sich eben aus Angehörigen des Turkvolkes zusammen. Es geschah nach dem Wort des Weisen, und dies nicht nur damals, sondern auch in anderen Fällen.

Bemerkenswert ist der Lebensweg des Sultans Mahmud von Ghasni, den die Inder einen „eisernen Angehörigen des Turkvolkes“ und einen „Tataren“ nannten. Sie fanden sich nämlich in den „Geheimnissen“ des Arabischen Kalifats zurecht und wussten vom Turkvolk nicht bloß vom Hörensagen. Immerhin sprach der Adel Nordindiens damals noch die Turksprache – die Muttersprache! – und brauchte keine Dolmetscher.

Sultan Mahmud ist eine berühmte Persönlichkeit des Orients. Kaum jemand konnte es mit ihm aufnehmen. Im 11. Jahrhundert stärkte er die moslemischen Länder in Nordindien. Unter seiner Herrschaft erlangte das Kalifat seine größte Macht. Weder Berge noch Wüsten, Ströme oder die dräuenden Kampfelefanten der Inder konnten ihn aufhalten. Er ging immer vorwärts, gen Osten, und siegte immer.

Der Sultan war zu Lande und zu Wasser gleich stark. Mühelos zerschlug er das Heer und dann auch die Flotte Indiens am Indus. Die Siege des Sultans wirkten sich stark auf die mittelalterliche Welt aus: Christen, Buddhisten, Feueranbeter und selbst Heiden beeilten sich, zum Islam zu konvertieren. Die Menschen wussten: Recht hat, wer siegt.

Es siegten die Araber. Also wurde ihre Religion als die wahre aufgenommen.

Sultan Mahmud verhalf der islamischen Welt zu einem ungewöhnlich hohen Ansehen.

Er erreichte das nicht durch Kriege, sondern dank seinen Wissenschaftlern, Dichtern, Übersetzern, Denkern und Philosophen. Er versammelte sie bei seinem Hof. Dann eröffnete er Bibliotheken für das Volk, und die Zahl gebildeter Menschen nahm von Jahr zu Jahr zu und mehrte den Ruhm des moslemischen Orients. Den Sultan umgab stets ein Gefolge, in dem ein Sprachgewirr herrschte und das sich aus Turksprachigen, Persern, Indern, Arabern und Chinesen zusammensetzte.

Er war eine Persönlichkeit! Ein Edelstein in der Krone des Kalifats, der mächtigste Angehörige des Turkvolkes in seiner Geschichte. Sein Vater Sabuktegin „war Sklave jenes Sklaven, der unter dem Herrscher der Rechtgläubigen selbst Sklave war“. Das sagte der Monarch über sich selbst.

Allerdings waren das herrliche „Sklaven“! Einer war der Besitzer der Provinzen von Transoxanien und Chorassan, ein anderer Staatsminister und Feldherr, noch einer Herrscher über die Stadt und Provinz Ghasni. Daher rührt der Name der Ghasnawiden-Dynastie. Auf dem Thron des Kalifats saß ein Aristokrat reinsten Wassers. Er war kühn, stark und intelligent – das Ideal eines Herrschers.

Einmal, in Indien, erhob er seinen Herrscherstab gegen einen Götzen. Höchst erschrocken, versprachen ihm die Inder einen Berg von Schätzen, er möge nur ihren Götzen nicht berühren. Der Sultan antwortete ruhig: „Eure Argumente sind überzeugend. Aber Mahmud handelt nicht mit Idolen.“ Und er fügte hinzu: „Was würden die Nachkommen über mich sagen?“ Und führte mit verdoppelter Kraft einen furchtbaren Schlag.

Unter Sultan Mahmud strahlte die Sonne anders vom Himmel.

Damals übersetzte der große Ibn Sina (Avicenna) die Bücher von Aristoteles, wodurch er ihnen ein langes Leben sicherte. Eigens dazu hatte er Griechisch gelernt. Er behandelte viele Kranke, seine medizinischen Bücher waren im ganzen mittelalterlichen Europa bekannt, nach ihnen lehrten Generationen von Ärzten. Außerdem war er als großer Kunstkenner bekannt.

In jener Zeit offenbarte auch das vergessene Genie des Orients al-Biruni seine Talente. Er wusste bereits, dass die Erde rund ist und sich auf einer Kreisbahn um die Sonne bewegt. Er hat das 500 Jahre vor Kopernikus mathematisch bewiesen und damit eine Umwälzung in der Astronomie vollbracht.

Ihm an die Seite war Ibn al-Haissam zu stellen, den sein Buch „Schatz der Optik“ berühmt machte. Er schenkte der Welt die Idee von Teleskop und Brille. Seine Arbeiten wurden im 12. Jahrhundert ins Lateinische übersetzt, wodurch sie zu einem Gut von ganz Europa wurden.

Unter Mahmud erinnerte man sich wieder an al-Farabi, der damals in Europa verbotene Arbeiten alter Philosophen des Westens übersetzte. Das war ein Mensch von umfassendem Wissen und seltener Intelligenz. Man nannte ihn den Zweiten Lehrer (der Erste war Aristoteles).

Zur Zeit von Mahmuds Herrschaft kehrten Talente ins Land zurück. Man erfand damals jenes Schreibpapier, auf dem bis heute geschrieben wird. Denn in jener Zeit blühten Chemie, Physik und Literatur auf. Die Luft wurde heller und reiner über der Welt. Genaues Wort und intelligenter Gedanke erlangten ihren wahren Preis wieder.

Das Epos „Schahname“ und andere poetische Perlen bekamen ein neues Leben. Die Blütezeit von Wissenschaft, Literatur und Schöpfertum – das goldene Zeitalter der moslemischen Kultur – brach an. Die Menschen lernten, Schönes zu genießen.

Das war eine turkische Renaissance!

Sie dauerte mehr als nur ein Jahrzehnt und bescherte der Welt viele Dichter. Beispielsweise Nisami Gandshewi. Damals strahlten am Firmament des Orients Sterne erster Größe. Gleich einem Jüngling, empfand auch der Sultan einen schöpferischen Trieb und diktierte eine neue Geschichte des Kalifats. Darin erklärte Mahmud alle Angehörigen des Turkvolkes zu Moslems und Arabern, um „den Markt der Redekunst zu unterstützen“, wie er eigenhändig auf seiner Arbeit schrieb.

Somit wurde die turkische Kultur zur arabischen, so dass niemand mehr zwischen ihnen unterschied. Aber das Gedächtnis des Volkes bewahrte das, was nahe daran war, in der Tiefe der Zeiten zu verschwinden.

Die Moslems teilten Wissenschaften und Kenntnisse immer in ihre eigenen und fremde auf. Die eigenen waren arabisch-moslemisch, die fremden waren „fremdländische Wissenschaften“ bzw. „Wissenschaften der Alten“. Das heißt, der Angehörigen des Turkvolkes, sagten sie. Philosophie, Mathematik, Geografie, Astronomie, Mineralogie, Chemie und Physik hatten ihren Ursprung im Altai.

Tengri sei Dank, der die Wahrheit über jene entfernten Tage erhalten hat.

 

Das turkische Kalifat

Im Kalifat waren die Oghusen „zum Triumph prädestiniert“. Ihr Nährboden war der Alte Altai, die geistige Quelle des Turkvolkes. Dazu Mittelasien, ein Land von Schöpfern, Dichtern und Wissenschaftlern, an welches das Erbe des Kuschanreiches übergegangen war.

Als im 7. Jahrhundert die moslemische Reiterei in Mittelasien einfiel, verstanden die Oghusen, sobald sie vom Islam hörten: Ihre Stunde war gekommen. Das Signal war nicht laut, aber unüberhörbar. Nicht von ungefähr bedeutete „oghus“ in der Turksprache so viel wie „weise“. Darin liegt ein tiefer Sinn.

Ja, in einem offenen Kampf konnten sie sich nicht verteidigen. Das stimmte. Viele mussten ihr Leben lassen oder gerieten in Sklaverei. Auch das ist nicht zu bestreiten. Aber wie ein Säugling die Muttermilch benötigt, benötigte der Islam Redekunst, Weisheit und Wissen. Immerhin war der moslemische Glaube in jenen Jahren nur eine Sekte des Christentums. Wie eine unabhängige Religion zu schaffen war, wusste man im Kalifat noch nicht.

Die Herrscher betonten zuerst äußere Unterschiede, befahlen den Christen z. B., Kleidung mit gelben Zeichen zu tragen. Oder über die Straßen des Kalifats nur auf Maultieren zu reiten. Wenn schon auf einem Pferd, dann seitlich, wie Frauen ritten. Ihnen fiel nichts Besseres ein, sie hatten weder frische Ideen noch neue Kenntnisse.

All das besaßen dafür die Oghusen.

Die Oghusen wussten kaum etwas vom Christentum, einer westlichen Religion. Da sie keine Vergleichsmöglichkeiten hatten, half ihnen ihr Unwissen, ihren eigenen einzigartigen Glauben ins Leben zu rufen. Bei ihrem Schaffen stützten sie sich nur auf ihre eigenen Kenntnisse und Traditionen und ließen sich nur vom Altai, von seinem Ewigen Blauen Himmel inspirieren.

Erst die Oghusen machten den Islam zum Islam, zu einer unabhängigen Religion. Die Moslems erhielten einen Ritus, ihr Glauben bekam ein Antlitz, das dem des Christentums nicht glich. Das Kalifat seinerseits erhielt einen neuen Herrscher, einen Sultan, und auch er glich anderen Herrschern wenig.

Der Sultan und der Kalif besaßen die ganze Macht im Lande, sowohl die weltliche als auch die geistliche. Das war für den Orient absolut neu, aber für die turkische Welt üblich. Alles glich nun der Ordnung im turkischen Staat im Alten Altai.

„Sultan“ bedeutet „Macht“, er war der weltliche Herrscher der moslemischen Welt. Diesen Titel führte Mahmud von Ghasni ein.

Im 12. Jahrhundert wollte man den Titel in „Schah-in-schah“ umändern, aber der Mensch, der „dieses Wort“ sprach, wurde getötet. „Dieses Wort“ bedeutete „König der Könige“ und bezog sich auf den Allerhöchsten allein. Die Moslems wollten ihren Herrscher nicht so nennen, weil sie keinen Papst, keinen „Statthalter Gottes auf Erden“, über sich haben wollten. Sie waren gegen das Heidentum.

So entwickelte sich der Islam: mit seiner eigenen Kultur und seinem eigenen Ehrenkodex. Sultan Mahmud bewies die Überlegenheit der einen wie des anderen durch Taten.

Einmal beschwerte sich bei ihm ein armer Mann, dem ein adliger Krieger das Haus und die Frau weggenommen hatte. „Ich will selbst über ihn richten!“ sagte der Sultan. Im Dunkel der Nacht drang er ins Haus ein und vollstreckte sein Urteil. Danach zündete er eine Fackel an. Etwa eine Minute lang stand er stumm da, kniete nieder und begann zu beten. Dann hieß er den armen Mann sich den Tisch decken. Mit der Gier eines Bettlers machte sich der Sultan über hartes Brot her. Er schwieg lange, aß viel, bis der Hausherr nicht mehr aushielt und fragte: „Was hast du?“ Da antwortete Sultan Mahmud, der allmächtige Herrscher des Orients: „Ich habe drei Tage lang nichts gegessen und nichts getrunken, weil ich dachte, dass der Verbrecher mein Sohn sei. Deshalb habe ich beschlossen, das Urteil selbst zu vollziehen. Damit das Gericht aber unerbittlich sei, habe ich die Fackel nicht angezündet. Nun sehe ich, Allah sei’s gedankt, dass es nicht mein Sohn war.“

Auf diese Weise regierten damals Angehörige des Turkvolkes, Ehre schätzten sie über alles.

Gewiss starben einige turkische Traditionen im Kalifat ab, während sich andere im Gegenteil einbürgerten. Je reicher das alte Leben, desto besser ist das neue.

Jede Generation festigte die Pfeiler des Glaubens. Buchara, Gandsh, Nachitschewan, Turkestan, Samarkand waren Quellen des Flusses der Kenntnisse. Das Wort „Tengri“ wurde von den Menschen hier noch lange im Munde geführt.

Für die ersten Moslems gehörten die Worte „Tengri“, „Chodai“ und „Alla“ zusammen. Sie bedeuteten dasselbe, nur mit unterschiedlichen Nuancen. Im Alten Altai bedeutete das Wort „alla“ z. B. so viel wie „Schutzgeist“, und „Alla-Tschaian“ war gleich „Weltschöpfer“, „Gott“, ebenso wie das Wort „Chodai“ (Gott, Herr). Das wird dort bis heute genauso ausgesprochen.

Dann blieb im Islam nur noch „Allah“.

Der Name Tengri klang immer seltener – nicht weil man ihn hätte vergessen wollen. Vielmehr lag es an den Christen. Auch sie sagten „Tengri“, „Dangri“ oder „Dangyr“, wenn sie Gott anriefen. Der Orient wollte auch hier anders sein.

Das musste sein. Und nur noch die turkischen Moslems sagten trotz aller Verbote „Tengri“ und „Chodai“. Sie hüteten diese Namen wie einen von den Ahnen und Urahnen geerbten Brillanten.

Die Oghusen erwiesen sich als echte Heiler – und gewandte Fänger – der Menschenseelen. Sie trieben eine feingesponnene Politik und veränderten das Leben geschickt. So benannten sie den Altai anders. Für die Moslems wurde daraus der heilige Berg Kaf: ein Berg, auf einem Smaragd stehend, dessen Abglanz den Himmel azurblau färbt.

So zog die grüne Farbe – die Farbe des Smaragdes! – in den Islam ein.

Kaf lebe nach dem Willen des Himmels, lehrten sie, von hier gehe alles aus: Erdbeben, Orkane und andere Heimsuchungen des Schicksals. Das sei der heilige Ort unseres Planeten.

Ebenso wie die Christen, beteten die Moslems damals mit dem Gesicht zum Osten, denn dort lag der Altai, richtiger: der Berg Kaf. Erst viel später veränderten die Araber diese Tradition und hießen die Gläubigen mit dem Gesicht zu Mekka hin beten.

Gleich Chirurgen, schnitten die Oghusen in das lebendige Fleisch der turkischen Kultur und behaupteten die islamischen Riten. Das war ein unerträglicher Schmerz, aber das Begonnene wurde fortgeführt. Sie antworteten auf jeden Schlag der Christen, auf jeden ihrer Ausfälle.

Es entfaltete sich ein Kampf um den Glauben, um den Gott des Himmels, die Heiligenbilder und das Kreuz.

In Byzanz ging man im 8. Jahrhundert daran, Heiligenbilder zu zerstören. Das wurde absichtlich und geschickt eingefädelt, weil das Konzil Trullanum im Jahre 691 befahl, auf den Ikonen Christus abzubilden (bis dahin wurde er als Lamm Gottes dargestellt). Man verlieh Christus das Antlitz des Gottes des Himmels, Tengris. Das war eine offene Herausforderung und ungerecht, eine Rücksichtslosigkeit dem Islam und anderen Religionen gegenüber.

Denn sowohl die Moslems und Christen als auch die turkischen Tengri-Anhänger und die an Tengri glaubenden Buddhisten stellten den Allerhöchsten auf ihren Ikonen dar. Den Handlungen der Griechen lagen bewusster Betrug und feines Kalkül zugrunde: Ihrer Meinung nach wurde Christus gleichsam der Eine Gott für alle.

Kalif Abd al-Malik reagierte darauf mit dem Verbot der moslemischen Ikonen, und seitdem hörte man auf, Allah und alles Lebendige, was er erschaffen hatte, darzustellen. Um das 9. Jahrhundert wurde das Verbot eine Regel der moslemischen Malerei. Doch wurde sie niemals genau befolgt, und zwar unter Berufung auf den Koran. Talentierte Künstler malten und zeichneten weiter. Allerdings gehören die Ikonen nicht mehr zum Islam, das ist bis heute so geblieben.

Im steten Kampf gegen Byzanz suchte und fand der Islam den Weg zu sich.

Das ist eine schwierige Angelegenheit – auf dem unsicheren Boden eines religiösen Disputs zu sich zu finden.

So wurde der Held des Turkvolkes Dshargan in die moslemische Kultur eingeführt, doch war das bereits eine andere Gestalt. Die Oghusen suchten ihren Meister darin, den Trank des Vergessens zu brauen. Sie gaben Dshargan einen anderen Namen, und seine alte Geschichte wurde von Menschen, die vom „Trank des Vergessens“ kosteten, einfach vergessen.

In den moslemischen Sagen hieß der Held Dshor, Dshirdshis, Chysyr, Chysyr-Iljas, Chysyr-Galja issalam, Keder, Kederles. Immer mehr entfernte sich die Gestalt von der Wahrheit. Er blieb ein Jüngling, hatte jedoch einen langen weißen Bart, wurde unsterblich und lebte nicht in Derbent, sondern an einer Meeresküste. In der Dichtung ist die Wahrheit stets ein wenig unwahrscheinlich, und das macht die Dichtung so wertvoll.

In seiner „unwahrscheinlichen“ Gestalt ging Dshargan in die moslemische Welt ein.

Bis heute erscheint er den Menschen in der Ayasofya-Moschee in Istanbul (Konstantinopel). Der Krieger führt dort in so mancher Nacht einen den Menschen unsichtbaren Kampf gegen die dunklen Kräfte. Am Morgen treten an der Wand der Moschee Blutflecken – Spuren jenes Kampfes – hervor. Man wischt das Blut weg, aber die Flecken erscheinen wieder.

Wunder geschehen auch in Derbent an Dshargans Grab. Die hiesigen Einwohner sehen ihn manchmal – lebendig, obwohl Jahrhunderte vergangen sind. Er sei unsterblich, sagen sie. Er gehe in der Nacht umher, spreche mit Menschen, trete an die Quelle heran, die hier nach seiner irdischen Hinrichtung hervorgesprudelt sei. Er strafe die Sünder und helfe den Leidenden. Sein Grab ist ein Pilgerort.

Nach einem Schluck vom „Trank des Vergessens“ erinnern sich die Menschen nicht mehr daran, dass die Christen Dshargan den Hl. Georg nannten, aber bei den Christen hat er seine eigene Legende.

Wozu sollten sich die einfachen Menschen auch daran erinnern? Es kommt darauf an, dass der Islam einen weiteren Helden bekam.

Die Modifizierung von Heldengestalten ist in der Geschichte keine Seltenheit. Bei den Moslems wurde Christus zu Issa, Moses zu Mussa, und auch ihre Lebenswege werden etwas anders dargestellt als im Christentum. Das macht nichts. Sie gemahnen an den frühen Islam. Die Moslems ehren und schätzen sie als Propheten.

Leider schlich sich Politik auch in diesen Bereich der Geschichte wiederholt ein. Sie entstellte, brachte durcheinander, erfand allerlei Schreckgespenster. Einst wird das Geheimnis des Klosters al-Kussair entschleiert werden. Hier, im Nahen Osten, lebt der Name des turkischen Propheten Gesser fort, wird jedoch eifrig übersehen. Dabei war dort ein moslemisches Kloster, wo Hassan von Basra, Begründer des islamischen Mönchstums, seinen Weg begann. Er starb im Jahre 728.

Viele Rätsel und Geheimnisse hat das Mittelalter hinterlassen.

Damals kämpften Ost und West um die Macht über die Welt. Das war ein erbitterter Kampf, denn hie und dort lebten Angehörige des Turkvolkes. Sie selbst veränderten Namen, Bezeichnungen und Daten, sie taten das bewusst. Dahinter steckte Politik: Es wurde die turkische Hinterlassenschaft aufgeteilt. Im Grunde ging es um die Teilung der turkischen Kultur.

Sowohl der Westen als auch der Osten wollte sie sich aneignen.

 

Am Vorabend großer Veränderungen

Um zu siegen, brauchte der Orient Freiheit. Freiheit in allem: in Glauben, Handel, Politik. Nur der Islam konnte sie sichern, denn: „Wes Gott, des Macht.“

Der Westen sah das Unterpfand seiner Siege ebenfalls in der Stärke des Geistes, d. h. im Glauben. Den europäischen Ländern ging es um das Wohl der Kirche. An der Macht waren dort ebenfalls Angehörige des Turkvolkes, wenn sie auch nicht auf dem Thron waren, sondern in seiner Nähe: im Gefolge der Herrscher, als ihre Berater. Entscheidend in der Politik waren nicht sie, sie nahmen nur daran teil. Die Kiptschak waren Europäer geworden! Das erklärte alles. Nunmehr verteidigten sie die Interessen der eigenen Länder und nicht der turkischen Welt. Sie vertraten fremde Interessen, die sie als ihre eigenen empfanden.

Der moslemische Orient hatte es viel schwerer. Er hatte lange unter dem Joch des Imperiums gelebt, nun schuf er sich selbst, und das im Schoße von Byzanz, aus dem Zustand der Sklaverei von gestern heraus. Die Byzantiner, die damaligen Herren der Welt, hatten eine große Angst vor dem Islam: Lügner haben immer Angst vor der Wahrheit.

Als Byzanz im 4. – 5. Jahrhundert turkische Söldner kaufte, näherte es sich der turkischen Welt nicht an. Im Gegenteil, es hasste sie noch mehr. Der Wohlstand des Landes hing von der „Seidenstraße“ ab, die über die Länder der Kiptschak führte. Es waren die Kiptschak, die die Reichtümer des Orients nach Konstantinopel beförderten, dennoch galten sie dort als gefährliche Feinde. Das war unerklärlich.

Aber im Grunde auch nicht erstaunlich. Byzanz gehörte ja nie einem einzigen Volk: Die Griechen, das Turkvolk, die Armenier, die Kurden kämpften dort heimlich und offen um die Macht. Der Sieger bestimmte die Politik. Intrigen, Verschwörungen und Morde gehörten dort zum Alltag, machten einen Teil des Lebens aus.

Das Land musste untergehen: an den eigenen Komplotten und ständigen Lügen. Sein Schicksal war besiegelt und eine Sache der nahen Zukunft.

Die Griechen, die sich lange an der Macht in Byzanz gehalten hatten, verloren sie schon um das 8. Jahrhundert endgültig. Der griechische Kaiser regierte, „solange es ihm die Kiptschak erlaubten“. Der weitere Verlauf glich dem in Rom oder im Kalifat: Im Jahre 717 brachten die Kiptschak ihre Isaurische Dynastie an die Macht.

Die Macht der Griechen war zu Ende. Nicht so die Politik von Byzanz.

Der Kaiser Leo III. von Isaurien stammte aus der Stadt Hermanikia in Syrien. In seinen Adern floss das edle turkische Blut, er beherrschte die Waffen ausgezeichnet und war ein leidenschaftlicher Reiter. Bekanntlich lebten die Kiptschak seit dem 4. Jahrhundert im Nahen Osten und gehörten schon seit langem zur eingesessenen Bevölkerung.

Der Herrscher aus der Isaurischen Dynastie regierte, als er den byzantinischen Thron bestieg, sehr klug und verstand sich darauf, jede Angelegenheit zu Nutzen seines Landes zu schlichten. Leo III., ein glänzender Feldherr und Politiker, zeichnete sich durch Intelligenz, feinen Spürsinn, Furchtlosigkeit und eine erstaunliche Beharrlichkeit aus.

Einmal passierte der künftige Kaiser mit einem kleinen Aufklärungstrupp die Berge des Kaukasus auf geflochteten Skiern, wie sie im Altai üblich gewesen waren. Er setzte sein Leben aufs Spiel, um etwas zu vollbringen, was unmöglich schien: Er ging über den gefährlichen Schnee und siegte. Furchtlosigkeit und Temperament, diese Züge des turkischen Charakters, zeugten untrüglich von der Herkunft des neuen Kaisers.

Unter seiner Regierung atmete Byzanz gleichsam auf und belebte sich. Binnen kurzer Zeit wurde es aggressiv und erklärte die Moslems für seine Hauptfeinde. Man kann es dem Herrscher nachfühlen. In seiner Jugend wurde er als Christ von den Arabern schikaniert worden, und noch auf dem Thron konnte er die Erniedrigungen aus der Zeit nicht vergessen, da man die Christen des Kalifats zwang, wie Frauen seitlich zu reiten.

Kaum hatte der Kaiser den Thron bestiegen, als ein Krieg mit den Moslems begann. Sie rückten dicht an Konstantinopel heran und belagerten es. Eine Flotte von 1800 Schiffen bedrohte die Stadt und besetzte die ganze Bucht Goldenes Horn, so dass man vor lauter Schiffen und Booten kein freies Wasser sah. Das war der Untergang selbst.

Die Kräfte waren offensichtlich ungleich, die Niederlage schien unvermeidlich. So dachten alle. Aber nicht Leo von Isaurien. Er hatte keine Angst. Ruhig sicherte er die Verteidigung, führte Gefechtsaufklärung durch, vor allem aber verwendete er rechtzeitig das „griechische Feuer“, seine Geheimwaffe. Einfacher gesagt, brannte er die Schiffe des Feindes im Meer genau so ab, wie die Steppenbewohner trockenes Gras vor dem Feind abgebrannt hatten.

Die Welt hatte eine so furchtbare Schlacht noch nie erlebt. Das Meer brannte! Die Moslems sahen darin ein Wunder, ja eine Strafe Gottes und räumten in ihrer Angst das Feld.

Wenn das ein Wunder war, dann eines von den kaukasischen Kiptschak gewirktes. Wiederum die Kiptschak! Sie waren mit Leo von Isaurien befreundet, und als ausgezeichnete Chemiker verstanden sie sich darauf, aus Erdöl eine Waffe herzustellen, von der damals niemand wusste. Da waren sie, die unschätzbaren „Kenntnisse der Alten“! Das Turkvolk verehrte schon immer Chemiker und Alchemiker.

So half Derbent den Byzantinern. Die Rede ist vom Erdöl von Baku, daraus wurde das „griechische Feuer“ hergestellt. Früher hatte man es in der Steppe bei Erdkämpfen angewandt, für die Kiptschak war das nichts Besonderes.

Die Araber zogen sich zurück und konnten sich lange nicht von der schrecklichen Niederlage erholen. Sie waren offensichtlich erschrocken, ihre späteren Kriege gegen Byzanz hatten keine Bedeutung mehr, sie waren reine Verzweiflungstaten: Eine Armee, die ihre Moral verloren hat, kann nicht mehr siegen, selbst wenn es sich um einen notorisch schwachen Gegner handelt.

Diese „Verzweiflungskriege“ führten letztendlich zum Sturz der Omeijadendynastie im Kalifat. Sie waren der Hauptgrund seines Untergangs.

Nicht weniger begabt belebte Leo von Isaurien den Handel und brachte Byzanz das „goldene Zeitalter“ zurück. Er ernannte neue Gerichte und führte neue Gesetze ein, die denen von Descht-i-Kiptschak sehr ähnlich waren. Von den gleichen „Gesetzessammlungen“ ließ sich nunmehr auch Byzanz leiten.

„Wir haben die irdische Gerechtigkeit als Vermittlerin zwischen uns und dem Gott des Himmels in den Vordergrund gestellt, im Kampf gegen die Feinde ist sie schärfer als jedes Schwert“: Mit solchen Worten begann in Byzanz jeder Prozess im neuen Gericht. Damit hatte ein Prozess beim Turkvolk immer begonnen, das an die Gerechtigkeit des Himmlischen Gerichts vorbehaltlos glaubte.

Bemerkenswert ist, dass die Griechen den Vertretern der Isaurischen Dynastie wegen ihrer Vorliebe für Reitpferde den Spitznamen „Cavallini“ („Pferdemenschen“) gaben.

Die neue byzantinische Dynastie zeigte ein besonderes Interesse für die Kaganate von Descht-i-Kiptschak: Chasarien und Groß-Bulgarien (Bulgarien). Das war früher nicht üblich. Die Byzantiner führten dort eine kluge Politik durch, die sie ohne Druck verwirklichten.

Mit den byzantinischen Kiptschak wollten sich jetzt die Khane der Kiptschak befreunden und sogar verwandschaftliche Bande knüpfen. Es bildete sich ein erstaunliches Bündnis zwischen Byzanz und Descht-i-Kiptschak heraus. Leo von Isaurien ließ seinen Sohn Konstantin V. die Tochter des chasarischen Khans Tschitschak („Blume“) heiraten. Nachdem sie die griechische Taufe empfangen hatte, nahm sie den Namen Irina an und ging unter ihm in die Geschichte von Byzanz ein.

In der Regierungszeit der Isaurischen Dynastie veränderte sich alles stark, alles wurde neu eingerichtet. Das Land war wie neu geboren.

Die Kaganate Chasarien und Groß-Bulgarien waren neuerdings nicht nur befreundet mit Byzanz, sondern auch seine Stütze im Kampf gegen die Katholiken und Moslems. Später, 864, gingen die Bulgaren überhaupt zum griechischen Christentum über. Der Schritt war offensichtlich politisch bestimmt, und diese Politik sollte sich in Jahrhunderten auswirken.

Leo von Isaurien führte tatsächlich viel „Kiptschakisches“ in die byzantinische Gesellschaft ein. Zugleich kämpfte er sein Leben lang gegen die turkische Welt. Auf seinen Befehl wurden die Ikonen mit Tengris Antlitz zerstört, weil sie angeblich von „barbarischer“ Herkunft waren.

Aus demselben Grund führte er einen Schlag gegen die Klöster von Byzanz. Zugleich damit übernahm dieser Todfeind alles Turkischen und Moslemischen das Beste davon, was es im Islam gab. Deswegen warfen ihm Zeitgenossen sogar „Sympathien mit den Moslems“ vor.

Aber vielleicht war das politisch bedingt? Byzanz trieb schon immer ein Doppelspiel. Unter den Herrschern, die von den Kiptschak stammten, lebte das Land gleichsam auf und begann, zu einem Krieg zu rüsten: einem Krieg um das Recht, in einer neuen Welt zu leben.

Es kam aber anders, als die Byzantiner planten. Im 9. Jahrhundert wurde ihren Plänen ein niederschmetternder Schlag versetzt. Er war zwar überraschend, aber unvermeidlich, denn gründlich vorbereitet. Damals lehnte der römische Papst Nikolaus I. die Macht des byzantinischen Patriarchen ab und gab der Welt seine Unabhängigkeit bekannt.

Das war ein Stoß direkt ins Herz, eine unverhohlene Aufforderung zur Neuaufteilung Europas und der Macht in der Kirche. Es war klar: Die besten Zeiten der griechischen Kirche, die Kaiser Konstantin im 4. Jahrhundert mit Gewalt und Betrug herbeigeführt hatte, waren vorbei. Gefährliche Veränderungen drohten ihr aus Ost und West.

Die ganze Welt war bereit, sich gegen Byzanz, ein Land, das sich im frühen Mittelalter märchenhaft bereichert hatte, zu erheben.

Die Griechen profitierten nämlich jahrhundertelang am Christentum. Sie richteten, straften und begnadigten eigenmächtig, diktierten anderen Völkern die eigenen Lebensregeln. Sie schalteten und walteten in fremden Häusern und fremden Taschen. Reichtümer aus der ganzen Welt flossen in Konstantinopel zusammen.

Eben das erregte bei Vielen Unmut.

Die erste Schlacht um die Neuaufteilung der Welt hatten die Byzantiner doch gewonnen, sie waren von einem Kiptschak namens Leo von Isaurien zusammengeschlossen, und er schlug den Angriff aus dem Osten zurück. Doch die nächste Schlacht sollte nicht mehr auf dem Schlachtfeld stattfinden, vielmehr in der Kirche, und in den geistlichen Disputen waren die Byzantiner schon immer schwach.

In jenen Machtkämpfen um Europa hatte Descht-i-Kiptschak starke Positionen: Hinter ihm stand die halbe Welt, in seinen Händen hatte es die Haupthebel der Politik: Gold und Schwert. Dem Turkvolk mangelte es jedoch am Wichtigsten: Seine Angehörigen verstanden einander nicht mehr, wenn sie auch dieselbe Sprache sprachen. Die einen von ihnen blieben Tengri treu, die anderen schworen auf den Koran oder auf die Bibel.

Das Volk hatte die Fahne verloren und damit auch die Kampfmoral. Es hatte die Lehren des Alten Altai vergessen: Nicht Schwert und Geld regieren die Welt, das tut vielmehr, wer die Herzen der Menschen für sich zu gewinnen vermag.

Die Italiener dagegen, ebenfalls Feinde von Byzanz, zeichneten sich durch eine einheitliche Moral aus. Sie wurden von turkischen Katholiken zusammengeschlossen, die im Jahre 756 auf dem Boden von Ravenna einen Staat – eine päpstliche Gemeinde – gründeten. Sein Erbe wurde der Vatikan. Die päpstlichen Mönchsorden stellten dort die entscheidende Kraft dar. Für sie gab es keine Grenzen, ganze Länder wurden von ihnen gelenkt.

Heute ist der Vatikan der Inbegriff der päpstlichen Macht. Das ist das kleinste Land der Welt, ein Zwergstaat, aber von gewaltiger Stärke, wie das bei Zwergen zu sein pflegt, die sich Riesen untergeordnet haben.

Die päpstlichen Diener waren stets Riesen, Nachkommen des großen Attila. Im Vatikan war Lateinisches längst mit Turkischem zusammengewachsen. Niemand wusste mehr, wo das eine in das andere überging. Freilich wurden die Lehren des Alten Altai dort immer heilig gehalten und befolgt: Nahm man einen Glauben an, so zweifelte man an ihm nicht mehr. Dem Papst fügte man sich vorbehaltlos.

Alle wussten: Die Grundlage seiner Macht ist Gott. Richtiger: das Wort, das die Menschenseelen beherrschte. Auf das Wort wurde gehört.

Der Papst Gregor VII., der 1075 eine neue kirchliche Politik einleitete, stammte von Toscana, wo italienische Kiptschak lebten. Ein Gesicht mit breiten Backenknochen, Augen wie die eines Habichts hätten ihm, wenn er in der Steppe gelebt hätte, sicherlich den Beinamen Togryl (Habicht) eingebracht. Er hasste alles Turkische, wie Überläufer stets das eigene Verlassene hassen, d. h. viel zu stark.

Dieser Papst erließ einen Dictatus Papae, worin er sein „Recht, Kaiser zu ernennen und zu krönen“, festschrieb. Das bedeutete, dass die katholische Kirche unter ihm die Macht über alle Monarchen Europas verkündete und den Anspruch auf die Rolle eines „Schah-in-schahs“ erhob. Das rief den Zorn des in Süddeutschland herrschenden Kaisers Heinrich IV. hervor.

Ein Krieg brach aus. Die germanischen Kiptschak nahmen Rom im Sturm. Sie konnten den Papst jedoch nicht töten. Es mischten sich Moslems ein, die sich mit ihren Schwertern den Weg zu der Burg freilegten, in der sich der Papst aufhielt, und ihn retteten.

Die Moslems waren treue Verbündete des Vatikans!

Papst Gregor wusste sehr wohl von Tengri, kannte die islamischen Riten und erklärte offen, dass er zum selben Gott wie die Moslems bete und dass sein und der Kiptschak Glaube gleich, weil von derselben Quelle ausgehend, sei. Ein sehr kühner Gedanke, selbst für einen römischen Papst.

Kühn scheint er jedoch erst heute, da vieles vergessen ist. Zu jener Zeit waren solche Worte keine Seltenheit. Die Katholiken und die Moslems standen als Soldaten ein und derselben Armee jahrhundertelang nebeneinander und kämpften jahrhundertelang gemeinsam gegen Byzanz. Der Papst Sylvester II., seiner Abstammung nach übrigens ebenfalls ein Kiptschak, lebte vor seiner Wahl mehrere Jahre unter den turkischen Moslems, bei denen er Mathematik, Chemie und technische Wissenschaften studierte. Sein Wissen war in Europa von Legenden umwoben. Die Sage vom berühmten Doktor Faustus beschrieb sein Leben.

Heute hat man die Freundschaft zwischen turkischen Moslems und turkischen Katholiken vergessen. Damals verwunderte sie niemanden.

Das Turkvolk ist das größte Geheimnis der „finsteren Jahrhunderte“ des Mittelalters. Die Historiker verdichteten diese „Finsternis“ absichtlich und deuteten die einen Ereignisse in eine Farce und andere in ein Missverständnis um. Sie taten, als hätten sie das Turkvolk und seinen Beitrag zur Schatzkammer der Menschheit vergessen.

Doch niemand ist im Stande, die Wahrheit der Zeit wegzuleugnen. Nicht einmal die Kirche.

 

 

Unstimmigkeiten

Die Päpste waren natürlich unterschiedlich: Die einen widmeten sich dem Gottesdienst, andere gaben sich Vergnügungen hin. Am Wesen des Menschen kann nicht einmal die päpstliche Tiara etwas ändern.

Es gab Jahre, da die Vatikanpaläste ein Ort von lockeren Sitten, blutigen Verbrechen und allgemeiner Ignoranz waren. Die Geistlichkeit wetteiferte gleichsam mit den Laien in Sünden: Trunksucht, Faulheit und sonstigen Lastern.

Mit dem Einzug eines neuen Papstes veränderte sich alles. Wieder Gebete, Politik und Intrigen. Die Zeit verging, und die Kirche erlebte einen neuen Niedergang. Warum? Die Antwort fehlt. Wohl deshalb, weil niemand nach ihr suchte.

Sind nicht Angehörige des Turkvolkes der Grund dafür? Die katholische Kirche wurde ja gemäß ihren Traditionen aufgebaut, und sie regierten darin. Das ist im Großen wie im Kleinen zu sehen. Immerhin sind die „Apostolischen Regeln“ der Kirche von einem Kiptschak, Vater Dionysios Exegetus, geschrieben! Und das hatte zweifellos seine Folgen.

So trugen alle römischen Päpste, angefangen mit dem 4. Jahrhundert, einen Siegelring mit der Darstellung eines Fisches am Finger. Er wurde vererbt als Symbol der Macht über den Vatikan. Der Ring stammt aus dem Altai. Über wen und auf welchem Wege er nach Rom kam, ist ungewiss, doch wurden in altaischen Kurganen wiederholt Gegenstände mit der Darstellung eines genau solchen Fisches gefunden.

Ein Zufall? Mitnichten. Es handelt sich um ein Symbol. Nur Tengritschi, die höchsten turkischen Geistlichen, trugen solche Ringe. Das war ihr Dienstabzeichen, das ihnen das Recht auf Macht verlieh. Dieser Fisch ist dreitausend Jahre alt. Beim alten Turkvolk war er der Symbol des himmlischen Ozeans, d. h. des Himmels.

Keineswegs zufällig war auch die Sitte der „Ausraubung“, die in der Kirche ebenfalls sehr lange aufrechterhalten wurde. Nach der Wahl des Papstes plünderten die Wachen die päpstlichen Paläste und ließen alles mitgehen, was sich nur wegtragen ließ. Eine solche Sitte war im Großen Römischen Imperium unbekannt. Das ist ein durch und durch turkischer Brauch, er hieß „khan talau“ (Ausraubung des Khans). Er wurde erst im 16. Jahrhundert abgeschafft, was unter den Wachen Unzufriedenheit auslöste.

Eine solche „Ausraubung“ gab es auch bei den Moslems. Sie kam ebenfalls vom Turkvolk. Auch dort geschah nach dem Tod eines Kalifen ein „khan talau“. Besonders fleißig waren die Wachen im Jahre 991, da wurde der Palast zu einer Ruine.

Das ist keine Barbarei, vielmehr ein Fest des Herrschers – zugegeben, ein etwas wildes Fest. Auf diese Weise brachte das Volk zum Ausdruck, dass es die neue Macht anerkannte und sie zu unterhalten sich verpflichtete. Alles „Geraubte“ wurde zurückgegeben.

Solche Beispiele sind in der Geschichte des Mittelalters keine Seltenheit.

Der Kampf zwischen Turkischem und Nichtturkischem prägte lange die Welt, Italien und besonders den Vatikan. Die Spuren sind in Chroniken zu finden. Hier eine Parabel aus jener Zeit. Sie enthält die Philosophie des Turkvolkes, gibt Aufschluss über seine Seele und erklärt vieles.

Ein Lehrer hieß seine Zöglinge eine Taube töten, aber so, dass niemand das sah. Der Lateiner erstach sie in einem Schuppen, der Grieche in einem dunklen Keller und der Kelte im dichten Wald. Nur der Angehörige des Turkvolkes gab dem Lehrer eine lebendige Taube und sagte dabei, die Aufgabe sei unerfüllbar. „Wieso?“ fragte man ihn. „Weil Gott alles sieht. Ihm kann nichts verborgen bleiben“, antwortete der Junge.

Das Turkvolk hatte früher seine eigene, besondere Vorstellung von Gott und der Welt. Seine Angehörigen wurden damit geboren. Die Kultur der Ahnen sogen sie mit der Muttermilch ein, und Wiegenlieder und Märchen, die ihnen fürs Leben unvergesslich blieben, trugen ebenfalls dazu bei.

Katholisch oder moslemisch geworden, blieb ein Kiptschak trotzdem ein Abgesandter des Altai. Freiheit lebte in seiner Seele nach wie vor. Ebenso angeboren wie die Liebe zur Heimat, ist sie nicht auszumerzen. Dieses Gefühl der Freiheit hat sich bis heute nicht verloren.

Ein Lateiner, der den päpstlichen Thron bestieg, konnte sehr wohl sündigen. Ihm, einem Heiden von gestern, war der Glaube an Gott im Himmel fremd, er hoffte immer noch, sich vor dem allsehenden Auge verbergen zu können und Gottes Strafe zu entrinnen. Er verstand nicht, dass dies unmöglich ist.

Daher rührten die Schwankungen im Vatikan. Zwei Völker, zwei Arten Charakter existierten in Italien nebeneinander, und in der Kirche prallten sie aufeinander.

Beide Völker wurden „Italiener“ genannt, doch waren es zwei offensichtlich unterschiedliche Arten von Italienern.

Die Päpste blieben Menschen jener Kultur, oder, richtiger: jener Regeln und Traditionen, nach denen ihre Ahnen gelebt hatten. Das verrät schon die Geschichte der römischen Päpste.

Für die Italiener bedeutete die Führung im Vatikan Macht. Bisweilen kauften sie sich den päpstlichen Thron und mit ihm auch das Recht zu sündigen. Als Johannes XII. die Tiara aufsetzte, war er zwanzig Jahre alt, und für lange Zeit verwandelte er die Kirche ins Haus der Sünde.

Die Angehörigen des Turkvolkes dienten der Kirche anders. Selbst Christen geworden, blieben sie, ohne sich dessen bewusst zu sein, ihrer Kultur und ihren Ahnen treu. Gewiss, auch sie waren an Grausamkeiten und Gewalttaten schuldig, doch geschah das nicht um der eigenen Laune, sondern um des neuen Glaubens willen.

Das war die Politik der Europäer, die altaische Wurzeln hatten.

 

 

Die neuen Europäer

In Europa stand man unterschiedlich zu den Sünden des Vatikans: Die einen ließen sie gleichgültig, andere nicht. Die Unruhen und Aufstände der katholischen Gläubigen waren wie Pestseuchen, aber man wunderte sich nicht darüber: Sie gehörten zum neuen Leben.

Als Erste sprachen die Bogomilen von den Sünden des Vatikans. So wurden Katholiken genannt, die zu Tengri zurückzukehren wünschten. Später traten die ebenfalls unzufriedenen Katharer (später Albigenser) an ihre Stelle. Sie alle kämpften um die Reinheit des Gottes des Himmels und missbilligten die Haltlosigkeit und Despotie des Papstes.

Die Bogomilen, Katharer und andere waren nicht etwa mythische Völker, wie das einige Historiker darstellen, sie sind vielmehr die Ahnen der heutigen Franzosen, Italiener, Spanier, Deutschen und Schweizer. Wegen ihres unruhigen Charakters und der turkischen Abstammung wurden sie auch als Chasaren oder Bulgaren bezeichnet. Der Geist des Altai hatte sich im mittelalterlichen Europa nicht gleich verflüchtigt.

Er starb lange dahin, mit Qualen und Leiden. Das Volk hatte die Attila-Fahne und den einstigen Stolz nicht vergessen. Der turkische Geist unternahm verzweifelte Versuche, in den Menschen wiederaufzuleben, denen der Verlust der Freiheit keine Ruhe ließ. Sie gaben sich zu erkennen, indem sie den Glauben der Ahnen wiederbelebten. Vergebens.

Im Grunde ist die gesamte Geschichte des mittelalterlichen Europa die Geschichte des Kampfes der einen Angehörigen des Turkvolkes gegen die anderen Angehörigen des Turkvolkes.

Einige Ulus gingen in jenem Kampf anders vor. Sie gaben den Kampf gegen die Kirche auf und zogen weg. Beispielswese nach Skandinavien, um dem Papst und seinen Intrigen möglich fern zu sein. Dort, im Norden Europas, lebten ebenfalls Kiptschak, die Goten hießen. Ihr Schutzgeist war die Eidechse bzw. ein kleiner Drache, der in der Turksprache „got“ heißt.

Vom Turkvolk sprechen sowohl die Runendenkmäler Skandinaviens aus jener Zeit als auch die Ergebnisse von Attilas Feldzug gegen Nordeuropa im Jahre 435, wo er ein neues Khanat gründete.

Denkmäler aus jener Zeit haben sich ausgezeichnet erhalten. Sie sind recht zahlreich. In der Ostsee z. B. gibt es die Insel Gotland (Land der Goten). Es war auch kein Zufall, dass die Eidechse oder der kleine Drache das Symbol von Skandinavien war. Er ist überall auf altskandinavischen Denkmälern zu sehen. Auch heute ist die Gestalt des Drachens nicht vergessen worden.

Offenbar waren dort einst Menschen aus dem Geschlecht der Balten an der Macht. Daher rührt auch der Name Baltikum, den sie jener Gegend gaben.

Die Kiptschak Italiens zogen ungern in den ungemütlichen Norden, aber dort, unter ihren Brüdern, hofften sie, sich selbst, ihren Glauben und ihre Kultur zu erhalten. Sie verstanden sich darauf, Vieh zu züchten und den Boden zu ackern, was die eingesessenen Völker nicht kannten. Wie sie übrigens auch kein Metall- oder Schmiedehandwerk kannten. All das brachten ihnen die Kiptschak bei.

Dank den reichen Eisenerzvorkommen im Skandinavischen Gebirge bekam Skandinavien in der mittelalterlichen Welt ein neues Gesicht. Früher ein Hinterhof Europas, verwandelte es sich in einen starken Staat. Bei Rom erweckten die Normannen, mutige Krieger und geschickte Metallwerker, große Befürchtungen. Zum erstenmal wurden sie in den Chroniken im Jahre 839 erwähnt, als eine Botschaft der Bewohner des Nordens nach Konstantinopel kam. Sie bemühte sich um einen Bund, weil die Normannen in ihrem Kampf gegen die Katholiken Byzanz auf eigener Seite zu haben hofften.

Die Normannen waren für ihre Furchtlosigkeit, ihr kunstvolles Metallgießen und ihre aus dem gewonnenen Metall hergestellten ausgezeichneten Waffen bekannt. Mühelos eroberten sie ganz Nordeuropa. Ein Bund mit Byzanz war für sie sehr wichtig. Die altskandinavischen Sagas erzählen viel über jene Zeit. Sie sind eine wahre poetische Chronik Europas.

So erfährt man daraus, dass die Anführer der Normannen Reiter waren und selbst auf ihre Kriegsschiffe Pferde mitnahmen. Dass ihre Lieblingsspeise gekochtes Pferdefleisch und ihr Lieblingstrunk Kumys (Stutenmilch) war.

Aus unbekannten Gründen gerieten Pferde der Normannen auf unbesiedelte Inseln und verwilderten dort. Ein Teil davon ging ein, andere überlebten. Bei Biologen rufen sie bis heute Befremden hervor: Wie kamen die Steppentiere auf die fernen nördlichen Inseln?

Die skandinavischen Sagas sind ungemein aufschlussreich.

Sie müssen erst richtig gelesen werden, besonders die Saga über den wunderbaren Schmied Wieland. Sie enthält verblüffende Details aus dem Leben der Normannen. Selbst die Tatsache, dass Wieland aus dem Schädel des Feindes einen Weinbecher machte. Eine rein turkische Sitte! Die Normannen brachen nicht mit ihr.

Auch die berühmte Sigurd-Saga enthält viele Zeichen der altaischen Symbolik: Darin ist die Rede von den legendären Nibelungen. Wer waren sie? Unbekannt, oder, richtiger: vergessen. Im Altertum hatte aber das Turkvolk so seine Recken („niw“) genannt, die dem Drachen („lung“) dienten und den Drachen im Wappen führten.

Nicht von ungefähr wurde der Drache zum Symbol der Normannen. Folglich hat das Nibelungenlied seine historischen Wurzeln und seinen Haupthelden, hat seine Vergangenheit.

Mehr noch, im europäischen Norden wurden herrliche Elen-Steine gefunden, die solchen im Alten Altai absolut identisch sind. Die Archäologen können nicht erklären, wieso Felsbilder, die am altaischen Fluss Abakan und in Skandinavien gefunden wurden, nicht voneinander zu unterscheiden sind.

Auch das ist noch nicht alles. Genau solche Bilder wiesen die Schiffe der Normannen auf: das gleiche Ornament. Woher? Warum schmückten die „altaischen“ Drachen das Schiff der Skandinavier? Das ist ein Kapitel für sich, das bedarf seiner eigenen Erklärung und Erzählung.

Altertümliche turkische Symbole sind in Skandinavien überall anzutreffen.

Ist es z. B. ein Zufall, dass die Skandinavier sich zum Gott des Himmels bekannten? Ihre Worte wie Thor, Donar oder Dangyr sind Namen zum Anrufen von Tengri. Sie stehen aber in ihren Sagas. Allerdings hatten sie einen anderen Ritus als im Altai, darin machten sich die örtlichen Glaubensnuancen bemerkbar. Umso interessanter ist er.

Wir haben es hier mit einer Verschmelzung von Kulturen zu tun: Gottesglauben und Heidentum nebeneinander. Diese Vermischung war für die Skandinavier notwendig. Die originären Einwohner und die eingewanderten Kiptschak suchten nach einem Bündnis. Und sie fanden es, um stärker zu sein.

Jenes Bündnis, das sich im Mittelater abzeichnete, ist nicht verschwunden, lebt in Skandinavien bis heute fort. Die Ahnen der Schweden standen den Kiptschak und ihrer Kultur wohl näher, auch heute sind sie gute Metall- und Handwerker. Die Norweger dagegen sind anders. Ihre Traditionen gleichen eher den finnischen. Sie sind ausgezeichnete Jäger, Fischer und Seefahrer, das Handwerkliche liegt ihnen jedoch nicht. Sie haben eben ein anderes Naturell.

Die Skandinavier sind als ein Volk bekannt, als Normannen. Dennoch sind sie unterschiedlich. Eine deutliche Parallele zu den Italienern, denn auch sie empfinden innere Gegensätze, können sie jedoch nicht verstehen.

Etwas ist in ihrem Gedächtnis geblieben, aber was konkret, daran erinnern sie sich nicht mehr.

Die Völker bringen die Begriffe „eigen“ und „fremd“ nie durcheinander. Das bleibt fürs Leben, davon spricht die innere Stimme. Aber wie gelingt es den Menschen, sie zu vernehmen? Die Wissenschaft weiß keine Antwort darauf.

Die Belgier verstehen sich ebenfalls nicht ganz. In diesem Land leben zwei unterschiedliche Völker: die Flamen und die Wallonen. Die Zeit vermochte sie nicht einander näher zu bringen, obwohl sie seit bereits fünfzehn Jahrhunderten nebeneinander leben.

Die Völker vermischen sich nicht. Sie vergessen nur ihre Vergangenheit.

Die Ahnen der Flamen sind Kiptschak, die Attila hergeführt hatte. Das ist ein historischer Fakt. Die Kleidung, die Sitten und Gebräuche, die Feste der Flamen scheinen aus dem Altai auf Europa übertragen und ihm angepasst worden zu sein. Das Schmiedehandwerk, die alten Handwerke und Hausratgegenstände, die alte turkische Kleidung, die Nationalküche, in der Knoblauch nicht die letzte Rolle spielt, selbst Badeanstalten: Alles ist dort unverwechselbar „altaisch“.

Ganz besonders sind es die altertümlichen Muster und Ornamente. Das Altai-Tamga! Hochinteressant ist die Provinz Limburg: Dort gibt es alte Kirchen und Klöster, die zu Ehren Tengris gebaut wurden, es gibt sogar die Stadt Tongeren, von den Franzosen Tongres genannt. Im Jahre 451 sah sie Attilas Reiter in ihren Straßen. Damals müssen sich die ersten Angehörigen des Turkvolkes hier niedergelassen haben.

Die Beharrlichkeit der Kirche war der Grund dafür, dass die Flamen gegen das 15. Jahrhundert ihre Muttersprache vergaßen. Jetzt hat sie sich gleichsam in den örtlichen Dialekten aufgelöst, allerdings eine Spur in Wörtern hinterlassen, die allen Belgiern gemein sind.

Die Wallonen dagegen sind Nachkommen der Kelten und ganz anders. In ihren Adern fließt kein Tropfen turkisches Blut, das sind Menschen einer anderen Kultur, anderer Regeln. Ein Pferd weckt in ihnen keine Erinnerung und keine Freude.

Die Normannen begründeten in Nordeuropa mehrere Länder.

In Dänemark und Holland gibt es ebenfalls einzigartige mittelalterliche Denkmäler. Die frühe Geschichte dieser Länder wurde, wie sich erweist, in turkischen Runen und nach den altaischen Regeln geschrieben. In Dänemark ist der Einfluss der Kiptschak noch deutlicher, weil hier schon vor der Einwanderung der Normannen turkische Siedlungen bestanden. Sie wurden im 5. Jahrhundert von Attila gegründet.

Die Holländer und die Flamen wissen von ihrer Verwandtschaft, können sie jedoch nicht erklären, haben die Wurzeln vergessen.

Ist es etwa ein Zufall, dass die Tulpe Hollands Emblem ist? Die Kiptschak nannten sie „Khan-Blume“, im Frühjahr blüht sie in der Steppe, ihrer Heimat, am frühesten. Vielleicht wird sie die Holländer einmal an die Große Steppe, den Altai, ihre vergessene Vergangenheit erinnern.

Ohne eine Vergangenheit gibt es kein Volk, ohne die Vergangenheit gleicht es einem Waisen-, einem Findelkind. Die Symbole der Heimat werden nicht erfunden, mit ihnen wird man geboren. Sie sind das Gedächtnis, eine göttliche Nachricht, die nur den Fremden unhörbar bleibt.

Denkt man an die Kiptschak, so klären sich viele Geheimnisse in der Geschichte Europas auf und wird vieles verständlich.

Der Streit um die mythischen „Reußen“ z. B. verliert jeden Sinn, wenn man die mittelalterlichen Kiptschak in Betracht zieht. Die Normannen nannten sich nämlich mitunter „Reußen“. Dieser Name galt besonders jenen Normannen, die an der baltischen Küste lebten.

Daher ihre berühmte „Rus“, anders gesagt: ein Fürstentum, ein Khanat von Seefahrern. Daher die Weiße, die Schwarze und die Kiewer Rus.

Das Wort „Rus“ kommt sogar in dem Buch „Diwan Lugat at-Türk“ (Sammlung von Dialekten der Turksprache) des mittelalterlichen Gelehrten Mahmud Kazgari vor. Er war ein großer Kenner des altertümlichen Turksprache. Er lebte in Mittelasien, in weiter Entfernung von Europa und den Skandinaviern, von denen er wohl nicht einmal gehört hatte.

Mit „Rus“ oder „rs“ bezeichnete man im Alten Altai die Ruderer, Menschen, die von Generation zu Generation „von ihrem Ruder lebten“ und sich so den Unterhalt sicherten. Eben deshalb nannten die Normannen sich oder doch die Normannen an der Küste, die „von ihrem Ruder lebten“, Rus.

Das Wort sei ethnisch, fügte Mahmud Kazgari erläuternd hinzu.

Nichts gehe über die Jugend, lehrte der Altai. Die Jugend von Nordeuropa fiel ins 9. Jahrhundert mit seinen geheimnisvollen Normannen, die wie ein Orkan über einen Ort hereinbrachen und sich ebenso schnell in nichts auflösten.

Im Jahre 865 entstand die „Englische Rus“. Damals landete ein großes Normannenheer in England, von zwei Brüdern, zwei Söhnen des ruhmreichen Ragnar, genannt Lederhose, geführt. Wer war er? Nehmen wir an, das sei unbekannt. Aber das Erste, was seine Söhne in England taten, war der Erwerb von Pferden. Sie wussten: „Man legt keine Straße zurück, ohne ein Pferd zu verlieren.“ Von ihnen handelt die alte „Saga von Ragnar, der Lederhose“.

Durch ihren Einfall festigten die Normannen die turkische Kultur in England, ohne es zu bemerken. Die Zeugnisse sind zahlreich: Hügelgräber, ein wichtiges Merkmal der Steppe, herrlich gemachte Bücher, wunderbare Stickereien, Schmucksachen, Intharsien und Treibarbeiten. Alles trägt den Stempel des Altai. Deshalb stießen sie bei den englischen Kiptschak auf keinen nennbaren Widerstand.

Englische Archäologen streiten seit langem über die Herkunft dieser Funde. Der Streit ist eigentlich grundlos: Der Tierstil der Funde, den die Engländer so bewundern, ist ein Zeichen des Alten Altai, sein „Tamga“.

Nirgends in der Welt kommt etwas Ähnliches vor.

Interessant sind die turkischen Spuren in Island und Grönland: der gleiche Tierstil, wiederum runische Denkmäler. Auch hier wurden sie von der Wissenschaft „übersehen“.

Niemand hat die Denkmäler richtig erforscht. Sie wurden als eine bizarre Laune des Mittelalters aufgenommen, eine Zufälligkeit von ungewisser Herkunft. Man übersetzte mit Kennermiene altertümliche Texte – und wusste nicht einmal, aus welcher Sprache man übersetzte. Ein Beispiel sind die „Nibelungen“. Was herauskam, war nicht eine Übertragung, sondern ein Abrakadabra, ein sinnloses Nebeneinander von Wörtern.

Dabei ist selbst der Name Island turkischer Abstammung. Das verrät das Wort „isi“ („heiß werden“). Es handelt sich also um ein „heißes Land“.

Daran ist nichts Verwunderliches. Bis zum 11. Jahrhundert aßen die Isländer nicht Heringe, sondern Pferdefleisch und sprachen die Turksprache. Die heute bekannte Version „Eisland“ passt auf Island nicht. Im Ozean gibt es viele eisbedeckte Inseln, heiß dagegen ist nur diese einzige, die die Normannen im 9. Jahrhundert fanden und die sie durch ihre Wärme in Erstaunen setzte.

Vulkane und Geysire ziehen bis heute Touristen her. Kaum jemand weiß jedoch, dass die Staatsflagge Islands einst „tug“ hieß und ein Kreuz und zwei Baschlyks auf blauem Feld zeigte.

Eine ausgesprochen turkische Fahne. Unter ihr führte Attila seine Kriege. Solche Fahnen waren im Alten Altai üblich.

Auch die normannischen Fahnen zeigten dieselben Symbole. Sie blieben auf den alten Fahnen von Schweden, Belgien und England.

Freilich erzählt eine Legende, dass der schwedische König Erik IX. im 12. Jahrhundert am Himmel ein goldenes Kreuz gesehen und es zum Symbol des Landes gemacht habe. Möglich, aber doch nicht ganz. Das war die Zeit, da sich hier der Katholizismus durchsetzte, und der Vatikan „korrigierte“ etwas die Geschichte von Skandinavien.

Das tat er immer, wenn er seine Macht behauptete.

Selbst im amerikanischen Bundesstaat Minnesota wurden turkische Runensteine gefunden. Man erklärte sie zu einer Fälschung, so unerwartet waren sie für diese Gegend. Doch gibt es auch andere Fakten, und früher oder später müssen sie erforscht werden. Das ist nicht zu vermeiden, will man z.B. etwas vom Lande Vinland (Winlandia) erfahren, das, wie eine isländische Saga berichtet, im Jahre 1000 von Leif Eriksson entdeckt wurde.

Leif ist ein Sohn des berühmten Normannen Erik des Roten. Ihm half bei der Seefahrt ein gewisser Tjurok, der ein sommersprossiges Gesicht, eine runde Stirn und kurze Beine hatte. Er sprach die Sprache der Germanen – also die Turksprache – fließend, war ein geschickter Handwerker und hatte ein recht umfangreiches Wissen.

Tjurok war es, der dank einem glücklichen Zufall Amerika entdeckte und dort sogar wilden Wein fand, von dem die Normannen nie gehört hatten. Folglich waren Kiptschak auch in Amerika!

Vinland lag westlich von Grönland, die Normannen trugen es in eine alte Landkarte ein. Der Ozean, der Europa und Vinland bespült, wurde Tengyr genannt. Dieses altturkische Wort zieht sich über die ganze normannische Landkarte von oben nach unten. Am Rand ist in altaischen Runen ein kurzer Text über die Seefahrt geschrieben.

Die Karte wurde bis zu einer gewissen Zeit in einem Museum in Ungarn aufbewahrt. Sie war auf einem Papier gezeichnet, dessen Herstellung nur in Samarkand bekannt war, und das ist schon beredt genug.

Das Schicksal zerstreute die Kiptschak über die ganze Welt.

Sie besiedelten Inseln, gründeten neue Länder und entdeckten Amerika 500 Jahre vor Kolumbus. Nur um dem römischen Papst zu entrinnen.

 

Die Kreuzzüge

Man nennt das Mittelalter eine dunkle Zeit, und das war es tatsächlich. Die ganze Wahrheit darüber werden die Menschen nie erfahren. Die Katholiken haben Chroniken und Bücher jener Jahre vernichtet, so dass beinahe nichts übrig geblieben ist. Sie erfanden tausende Tricks, um die Wahrheit abzutöten. Ihnen gelang das Unglaublichste. Hier eine ihrer Methoden.

Die Kirche führte eine Regel für den Adel – einen Zweikampf gegen den Drachen – ein. Ohne den Drachen besiegt zu haben, konnte ein Mensch nicht mehr Anspruch darauf erheben, zur Aristokratie zu gehören. Ihm war der Weg in die Gesellschaft abgeschnitten, die Nachbarn schlossen ihre Türen vor ihm.

Aber welchen Drachen hatte man zu besiegen? Und von welchem Zweikampf ist die Rede? In Europa gibt es ja keine lebendigen Drachen. Dafür war die Gestalt des Drachens, ein Zeichen der turkischen Kultur, überall anzutreffen. Die Kirche erwartete, dass sich der Mensch von seinen Ahnen lossagte.

Er hatte zu schwören, nie das erfahren zu wollen, was mit dem „Drachen“ zusammenhing. Das sah aus wie ein ritueller Zweikampf, dazu blutlos, dahinter steckte jedoch ein richtiger Mord. Der Mord am Gedächtnis.

Ein weiteres, ebenfalls beredtes Beispiel. Ein Angehöriger des Turkvolkes erstach einen Gegner nie mit dem Säbel oder Dolch, weil das als schandvoller Meuchelmord galt. Die Kiptschak erkannten nur einen offenen Säbelhieb an. Nach ihrem Ehrenkodex musste der Gegner den Hieb sehen.

Das zog die Kirche sehr wohl in Betracht. Seitdem trugen die Katholiken Degen, Stilette und sonstige Stichwaffen. Bei Zweikämpfen in den engen, verworrenen Gassen der Städte hatten sie viele Vorteile. Die Kirche legte damals auf die Regeln eines ehrlichen Kampfes wenig Wert.

So löste der Dolch den Säbel und Niedertracht den Edelmut ab. Aber die Katholiken verbanden den Sieg ihrer Waffen damit, dass der Degen einem lateinischen Kreuz ähnlich sei und den Sieg Christi bedeute.

Alles andere übergingen sie mit Schweigen.

Als Papst Gregor VII. Europa zu den Kreuzzügen aufforderte, behauptete er, das sei ebenfalls für den „Sieg Christi“ unumgänglich. In Wirklichkeit aber plante er diese Kriege, die blutigsten und sinnlosesten des Mittelalters, nicht um der Rettung des „Grabes Christi“ willen (das Wort „Grab“ setzt voraus, dass auch ein Sarg da war).

Eine schreckliche Zeit brach an.

Zum 11. Jahrhundert hatte Westeuropa genügend Kräfte gesammelt, um Byzanz und den islamischen Orient anzugreifen. Nun ging es dem Papst darum, die Menschen zu einem Krieg für die Macht über die Welt zu motivieren. Darin bestand das Wesen der Politik, die „Kreuzzüge“ hieß. Diese dauerten beinahe zwei Jahrhunderte.

Der Wahrheit zuliebe sei jedoch gesagt, dass es in Palästina, gegen welches der Papst den Krieg richten wollte, keine Särge gab: Die Hebräer bestatteten ihre Toten nicht in Särgen. Zu einem solchen Krieg bestand also kein Grund.

Aber ein Krieg tat not. Ein Krieg vom Atlantik bis zum Euphrat, damit die ganze Welt in Brand geriet. So erfand die Kirche den Mythos vom „Hl. Grab Christi“, das die Ungläubigen angeblich an sich gerissen hatten.

Agenten des Papstes veranstalteten einen Pogrom in Jerusalem und schrieben ihn den Moslems zu. Das war der Auslöser. Dazu trug auch Peter der Einsiedler bei, den von Geburt an Wahnvorstellungen und Albdrücke quälten. Um des Geldes willen heiratete der kranke junge Mann eine alte Frau von schlechtem Ruf, doch die Ehe brachte ihm kein Glück. So vertauschte Peter das reiche Haus seiner Ehefrau mit einer Mönchszelle. Im Jahre 1094 pilgerte er auf Veranlassung des Papstes nach Jerusalem. Dort sei ihm angeblich Christus entgegengetreten und habe ihm gesagt: „Peter, erzähle von der Not der heiligen Orte, bewege die Gläubigen dazu, Jerusalem zu reinigen und die Heiligtümer zu retten, die in den Händen der Heiden sind.“

Mit diesen Worten begannen die Kreuzzüge. Die Katholiken begannen einen Krieg gegen ihre einstigen Verbündeten, die Moslems.

Zu jener Zeit kamen die ersten Lügenmärchen vom Islam als von dem Feind der Christen und der ganzen Menschheit auf. Er wurde an jeder Straßenecke, in jedem Haus verleumdet. Päpstliche Agenten arbeiteten wie ein gut geölter Mechanismus, störungsfrei und präzise. Sie verbreiteten ihre Lügereien auf den Wegen von Kloster zu Kloster, von Stadt zu Stadt. Solche Erfindungen schlichen sich in die Seelen der Menschen ein und riefen bei ihnen den Hass auf die Moslems hervor.

Die Katholiken strebten danach, die Griechen aus dem mediterranen Gebiet zu verdrängen, wozu sie eine neue Politik brauchten. Papst Gregor VII. War einer der weitsichtigsten Kirchenväter.

Doch weiß man seit langem, dass ein einziger Mensch nicht viel ausrichten kann, so genial er auch sein mag, denn es gibt keine vollkommenen Menschen. Dafür gibt es grandiose Pläne, die die Völker in ihren Bann schlagen und selbst Weise zu vertrauensseligen Toren machen.

Von dieser Art war das Aufgebot von Papst Gregor VII. Zum „Gotteskrieg“.

Er rüstete nicht nur zur Eroberung des Mittelmeergebiets, er wollte außerdem Europa erschöpfen und um starke und aufgeklärte Menschen bringen. Das war die geheime Feder und die Hauptsache bei den Plänen der Kreuzzüge. Die Kirche hegte seit langem den Traum, „weltlicher und geistlicher Imperator“ zugleich zu sein. Deshalb war der Papst darauf aus, ihm gefährliche Gläubige zu vernichten, in erster Linie den Adel und die Jugend, die keine Beschäftigung fand, anders gesagt: junge Leute, die das „Alter des Militärdienstes“ erreicht hatten.

Der Westen lebte damals der Idee eines „Gottesfriedens“, die Kriege und jede Feindschaft zwischen den Katholiken verbot. Die Idee entstand in Südfrankreich und bemächtigte sich des Bewusstseins der Herrscher. Das Volk unterstützte die Idee, sie hatte so viel Anziehendes an sich, und für das turkische Ohr klang sie eingängig: Treuga Dei (Gottesfrieden). Das war wie ein Echo, eine Mahnung an den vergessenen Tengri. Im Blut der lateinischen Kiptschak lebte die Erinnerung an die großartige Vergangenheit wieder auf.

Im ganzen Jahr 1096 strömten Menschenmengen in den großen Städten Europas zusammen. Die Straßen und Plätze waren überfüllt. Die Menschen nähten sich auf die rechte Schulter der Kleidung ein Kreuz aus rotem Stoff – Zeichen des päpstlichen Heeres – auf und wurden zu Kreuzträgern.

„Gott will es“, wiederholte der damalige Papst Urban II. Unermüdlich. Er nahm die Kreuzfahrer unter seine Schirmherrschaft, erließ ihnen die Sünden und verzieh ihnen ihre Schulden. Er stellte ihnen alles zur Verfügung.

Sehr viele Menschen nähten sich das Kreuz auf. Sie waren zweifellos gläubig, aber vom Papst betrogen. Man führte sie ins Verderben wie Tiere zum Schlachthof. Sie aber begriffen das nicht.

Zum Marsch auf Jerusalem – für die Befreiung des Heiligen Landes – rüsteten Adlige und deren Kinder, Bauern und Handwerker. Es sammelten sich ganze Familien aus Toulouse, Burgund und Flandern, kurz, aus allen turkischen Ländern von Westeuropa. Sie bereiteten sich darauf vor, ein Wunder zu vollziehen: etwas zu erobern, was es nicht gab.

Kaum jemand von den Kreuzfahrern wusste, wo sich das Heilige Land befand, wer und wozu es brauchte. Ihre Anführer hatten keinen Handlungsplan. Übrigens war er auch nicht nötig. Der Papst führte die Menschen von Europa weg, um sie ins Verderben zu stürzen. Er wollte eine Auseinandersetzung zwischen den westlichen und den östlichen Kiptschak herbeiführen, damit möglichst viele Menschen umkamen. Die Kirche gewann bei jedem Ausgang des Krieges.

Aber wenn der Papst vom „böswilligen Islam“ redete, log er unverhohlen. Im Koran findet sich kein Wort von der Unterordnung anderer Völker, nicht einmal eine Andeutung darauf. Dafür heißt es im Koran, dass es dem Glauben Schaden bringe, wenn er durch Gewalt und Betrug aufgezwungen werde. Einen solchen Glauben anzunehmen sei eine Sünde für einen Moslem. Der Islam dürfe nur durch das Wort und das persönliche Beispiel verbreitet werden.

Der Papst aber erfand allerlei Schreckgespenster, ihm ging es nicht um die Wahrheit.

Und so begannen die Kreuzfahrer den Krieg, ohne etwas vom Islam zu wissen. Ihnen wiederum ging es am wenigsten um Wissen und Bücher, vielmehr dürsteten sie nach Blut und den märchenhaften Schätzen des Orients. Das zog viele an.

Zu Plünderungen kam es gleich von Anfang an. Auf ihrem Weg nach Jerusalem raubten die päpstlichen Krieger Siedlungen und einzelne Menschen, alle, die ihnen unter die Augen kamen, aus. Das war ihr Unterhalt, denn die Mönche speisten sie nur mit Gerüchten. Neben dem Heer zogen Frauen und Kinder dahin. Das glich gewissermaßen der Großen Völkerwanderung, nur dass man nicht die Besiedlung neuer Ländereien im Auge hatte, sondern in den Tod getrieben wurde.

Die Kreuzfahrer sahen beinahe in jeder großen Stadt auf ihrem Weg Jerusalem und bereiteten sich auf einen Sturm vor. Eine blinde Menge ergoss sich in den Orient. Sie nahm immer neue Anhänger auf: Die Predigten der Kreuzfahrer zogen Menschen an und rissen sie fort.

Ein großes Durcheinander herrschte. Neben Adligen marschierte da der Abschaum der Gesellschaft. So standen an der Spitze der englischen Kreuzfahrer richtige Diebe. Dazu verhalf ihnen ein Räuber, der sich ein Kreuz in den Körper brannte und das für ein „Werk der Gotteshand“ ausgab.

Im Übrigen hieß es ja, auch ein Räuber, der Dutzende Menschen ermordet hat, habe eine Chance, Gutes zu tun. Damals wurde alles verziehen, alles gefördert, nur damit die Zahl der Kreuzfahrer zunahm.

Die Einwohner des heutigen Deutschland, des damaligen Römischen Reiches, sahen in den Kreuzfahrern zuerst eine unförmige Menge. Lachend nannten die Bayern und Sachsen sie Opfer „trügerischer und dummer Hoffnungen“. Die „Deutschen“ waren taub gegen die Worte der päpstlichen Prediger; sie liebten den Papst nicht, ihr Kaiser Heinrich IV. Hatte sogar einen Krieg gegen ihn geführt. Aber das Beispiel der Franzosen und Engländer war ansteckend. Auch die deutschen Kiptschak verlangte es mit einem Mal unüberwindlich nach Fahrten und Märschen in fremde Länder.

Auch im Römischen Reich erwachte also das turkische Blut.

Die Zahl der Kreuzfahrer aus den deutschen Landen nahm rasch zu, selbst trotz des Protestes des Kaisers. An der Spitze der Truppe vom Rheinufer standen eine Ziege und eine Gans; die Tiere wurden zu den „Anführern der Expedition“ erklärt.

Das war nicht weiter verwunderlich, denn der Hammel und der Schwan waren altertümliche turkische Symbole und Schutzgeister. Sie waren nicht vergessen, nur hatten sie sich im Bewusstsein der Menschen etwas verändert.

Vermischung der Kulturen – sie geschieht dort, wo sie nicht erwartet wird. Eben das macht die Ethnografie dermaßen interessant.

Über das päpstliche Heer ist wenig bekannt, es liegen beinahe keine glaubwürdigen Nachrichten vor. Niemand weiß, aus wem, aus welchen Völkern es sich zusammensetzte. Allerdings steht ein Detail fest: Die Kreuzfahrer sangen religiöse Lieder im Chor. Ist Gesang denn so wichtig? Ja, weil er uns viele wichtige Dinge vermittelt.

Die Kirche nannte sie „Wallfahrtsgesänge“ und dichtete ihnen natürlich einen religiösen Sinn an, weil sie angeblich die mehrsprachigen Völker Europas zusammenschlossen. War das wirklich der Fall?

Wie sich herausstellt, klangen diese Lieder in der Sprache der Italiener und der Franzosen, der Engländer und der Deutschen gleich. Das waren alte Marschlieder der Kiptschak, die in der „multilingualen“ Menge der Kreuzfahrer mitmarschierten. Sie sangen ihre Lieder in ihrer Muttersprache. Man darf nicht vergessen, dass jeder zweite Europäer turkisches Blut in seinen Adern hat, das war ein Ergebnis der Großen Völkerwanderung.

Das Gedächtnis schloss damals die Menschen zusammen! Die Tradition eines Marschliedes kam nach Europa bekanntlich aus dem Altai, früher hatte sie nicht bestanden. Deshalb sprachen damals die Engländer mit den Franzosen und Deutschen ohne Dolmetscher. Alle verstanden einander: Die Turksprache war damals die Sprache, in der die europäischen Völker miteinander verkehrten.

Erst gegen das 15. Jahrhundert wurde sie für immer vergessen.

Wer wirklich Angst vor den Kreuzfahrern bekam, waren die Byzantiner. Sie sahen in ihnen ihren Tod, spürten dessen Odem. Die Katholiken „gehen nur zum Schein nach Jerusalem“, hieß es damals in einer byzantinischen Chronik, „in Wirklichkeit werden sie Konstantinopel besetzen“.

Tatsächlich begannen die Kreuzfahrer die Plünderungen sofort auch hier, in der Hauptstadt des Christentums. Sie drangen in Kirchen ein, stahlen Kirchengerät und alles Wertvolle, was ihnen unter die Augen kam, und verkauften es dann – an Griechen.

Die Plünderung dauerte nicht lange, man geleitete die Gäste über den Bosporus, die Meerenge, die Europa von Asien und die christliche Welt von der moslemischen trennt, und ließ sie allein. Die Byzantiner schlossen sich dem Kreuzzug um die „Befreiung des Hl. Grabes“ nicht an.

Dann begann das Schwerste: Eine unvorbereitete Armee kann sich in einem fremden Land nicht lange halten. Natürlich besiegten die Kreuzfahrer die Moslems nicht. Die Chroniken schrieben über jenen Kreuzzug: „Die Knochen der Christen bildeten Berge.“

Das war Ergebnis der päpstlichen Politik.

Übrigens brauchte die Kirche keine militärischen Erfolge. Selbst über die Besetzung Jerusalems durch die Kreuzfahrer im Jahre 1099, die Pogrome in den Häusern von Hebräern und Moslems, die die Christen im Heiligen Land veranstalteten, freute sich der Papst nicht. Für ihn war das wie Zahnschmerzen, die man eben erdulden muss. Was konnten schon richtige Feldherren ausrichten, solche wie Graf Raymond von Toulouse, der die Truppen aus Südfrankreich befehligte, Hugo Vermandois, der Herzog Robert aus der Normandie, Gottfried von Bouillon und andere? Sie hatten im päpstlichen Heer keinerlei Rechte und mussten auf eigene Faust handeln. Zuerst brachte das einige Erfolge. Aber nur zuerst.

Letzten Endes schlugen die Moslems die Katholiken aufs Haupt und füllten die Sklavenmärkte im Orient auf. Gerade das wollte der Papst insgeheim.

Die Kreuzzüge wiederholten sich 1148 und 1191, endeten aber auf die gleiche Weise. Sie wurden auch noch später fortgesetzt. Im Jahre 1212 fand sogar ein Kinderkreuzzug statt. Zehntausende Kinder begaben sich ins Heilige Land, wo der Tod auf sie wartete: Die päpstlichen Diener beförderten sie nicht nach Jerusalem, sondern direkt auf die ägyptischen Sklavenmärkte.

Damals verlor Europa Millionen Menschen. Dafür bekam die Kirche viel Gold für ihre lebendige Ware.

Der Triumph der römisch-katholischen Kirche basierte auf dem Unglück des Volkes. Sie siegte in den Kreuzzügen. Die Macht der Aristokratie, des größten Feindes des Papstes, war gebrochen. Trostlosigkeit herrschte in den Städten.

Da trat ein neues päpstliches Heer in den Vordergrund: die Ritterorden der Templer und der Johanniter. Sie erhöhten die Zahl der Mönchsorden, die den Päpsten seit Jahrhunderten dienten.

Die Templer trieben Handel und wucherten mit Geld, die Johanniter pflegten Verwundete und Kranke. Sie waren nur den Bischöfen untergeordnet, die weltlichen Herrscher hatten ihnen nicht zu befehlen. Die neuen Mönche schienen harmlos zu sein. Aber unter ihren weißen Kutten trugen die Templer insgeheim Waffen und Panzer. Vorläufig insgeheim.

Auf diese Weise wurden die Diener der Kirche nun Militärs. Ihre Macht kannte keine Grenzen. Der Papst aber flößte den Gläubigen bei jeder Predigt ein, der Misserfolg der Kreuzzüge sei ihre Schuld, weil sie zu viel gesündigt hätten.

Die Gläubigen litten an ihrer Unvollkommenheit: Gott hatte sie ja verlassen.

Kam vielleicht in jener Zeit das Wort „Feudalherr“ auf? Denn jeder große und kleine Aristokrat meinte, man habe ihm seine Rechte und seine Macht entwunden. Die Menschen schämten sich und zogen sich zurück, schlossen sich in ihren Burgen ein und wiesen jeden Besuch ab.

Es begann eine Zeit der Einsamkeit und des Nachdenkens.

Einige Adlige verließen ihre angestammten Güter und Ländereien und ließen sich einkleiden. Mönche flüchteten sich in die Wälder und Einsiedeleien. Alle ehrlichen Menschen in Westeuropa beteten um die Vergebung ihrer – nichtexistenten! – Sünde.

Sie beteten, fasteten, litten, geißelten sich. Das Land, die Schlösser und Paläste sanken unglaublich im Preis. Die Bauern verkauften ihr Vieh und ihre Ernten um einen Pappenstiel.

Jemand aber kaufte den vom Volk aufgegebenen Reichtum auf. Das waren die stillen Diener des Papstes, die Templer. Damals bereicherte sich die Kirche märchenhaft. Auch das war ein Ergebnis der Kreuzzüge.

 

Die Gentry und die Ritterschaft

Wahnsinn umnachtete Europas Geist.

Er prägte eine ganze Epoche: die der Kreuzzüge. Kunst, Wissenschaft, Moral verfielen, das Volk lebte in einem unvorstellbaren Elend. Der Druck der Kirche auf die Gesellschaft wurde immer stärker, niemand wagte, sich gegen sie aufzulehnen. Alles blieb stumm.

Die Menschen lebten dahin – von Gebet zu Gebet, von Fasten zu Fasten; selbst ihre Gedanken gehörten ihnen nicht mehr. Die Völker waren Schachfiguren in den Händen des Papstes. Dieser glaubte, immer noch zu wenig erreicht zu haben. Er befürchtete, dass der „Wahnsinn“ verfliegen würde, den Menschen die Augen aufgehen würden. Deshalb befasste er sich damit, eine Armee zu formieren. Eine eigene, ganz besondere Armee. Nicht etwa einen Mönchs-, sondern einen Kriegerorden. Seine Gründung war ein seit langem konzipierter Plan.

Schon der erste Schritt war in seiner Einfachheit genial: Tausende friedliche Pilger wurden nach Palästina geschickt. Auf den ersten Blick harmlos. Es fanden sich viele, die das Land zu sehen wünschten, das „von Gott betreten worden war“. Der religiöse Taumel griff in der Epoche der Kreuzzüge um sich und hüllte die Städte und Dörfer wie ein dichter Rauchschwaden ein.

In Jerusalem wurden sie von Leuten des Papstes erwartet. „In den heiligen Orten herrschen die Feinde“, trichterten sie den Pilgern ein, um sie in Wut zu versetzen. Zornentbrannt sprachen diese dann selbst von neuen Kreuzzügen, von der Verteidigung der Kirche und von einer päpstlichen Armee.

Sie schlugen dem Papst von selbst neue Kreuzzüge vor!

Die Kirche spielte auf Menschenseelen Klavier. Und sie taten gehorsam, was der Papst wünschte, als wären sie Puppen gewesen, die ein geschickter Puppenspieler tanzen ließ. Von ihm stammten selbst ihre Gedanken. So sagte der Papst, die Kreuzritter hätten 1099 in Palästina den Hl. Georg auf seinem Pferd und mit abgehacktem Kopf, den er unter dem Arm trug, gesehen. Das wurde zu einem Wunder und der Heilige zu einem Kreuzfahrer, Ritter und Diener des Papstes erklärt.

Ein von A bis Z offensichtlich erfundenes Ereignis, dennoch ist es in die Geschichte der Kirche eingegangen. Es entstand eine abermalige Georgs-Sage: Man setzte ihn aufs Pferd und ließ ihn den Drachen töten.

Wiederum der Kampf gegen den Drachen! Wiederum ein Schlag gegen die turkische Geschichte! Und wiederum im Verborgenen eingefädelt.

Nach dem Willen der Kirche wurde aus Dshargan, dem Heiligen von Descht-i-Kiptschak, ein Reiter und Mörder gemacht. Der Papst brauchte ihn eben in dieser Gestalt: grausam, blutrünstig, tötend. Weil das turkische Europa ihn anders – edelmütig – im Gedächtnis bewahrte. Es hat sich z. B. Eine alte angelsächsische Legende erhalten: Sie ist ein dokumentarisches Zeugnis, denn sie berichtet über Georgs Hinrichtung in Derbent. In England und anderen Ländern schwor man auf Georgs Namen. Den Kiptschak blieb ihr Schutzheiliger lange unvergessen.

Aber auch der Papst musste an ihn und seinen Einfluss denken. Daher sein Wunsch, den turkischen Helden in seinen Diener – einen Kreuzfahrer und Mörder – umzuwandeln.

Früher, seit 498, war Georg den Katholiken fremd, nunmehr hat man ihn in seinen Kreis aufgenommen und Ritterscharen aufgestellt. Für ihn, nicht für den Papst! Das war eine abermalige List der Kirche, und wieder fielen die Menschen auf diese List herein.

Eben damals entstand ein neuer Stand in Westeuropa, die Ritter; ihr Schutzheiliger wurde Georg der Reiter.

Gesagt sei, dass Europa die Ritter auch früher kannte. Sie waren gepanzerte Reiter, Diener der Aristokratie. Im Kampf deckten sie das Hinterland ihres Herrn. Die Ritter lebten auf Märschen, ihr Beruf war Krieg. Das hatte sich seit dem 4. Jahrhundert, seit der Einwanderung der Kiptschak, eingeführt.

Die Herren der Ritter hießen Gentry (daher das heutige „Gentleman“). Im Jahre 312 hörte Rom dieses turkische Wort. Es bezeichnete Menschen von adliger Herkunft.

Die Gentry hatte, wie Historiker jener Jahre schrieben, einst in Roms Armee gedient, dann eroberte sie das gesamte Imperium. Sie war auf die Zugehörigkeit zum fremdländischen Adel stolz und pflegte ihn.

Wer waren diese Menschen?

Über sie wurde nicht wenig geschrieben, aber das Wesentliche außer Acht gelassen: Sie lebten gemäß den turkischen Gesetzen, denen des Jurt oder des Khanats. Anders gesagt, sie hatten ihre eigene Macht. Ebendas machte ihren „fremdländischen Adelsstand“ im Imperium aus. Bei ihnen herrschte ein Khan, und wenn er auch König, Herzog oder Graf hieß; die Ländereien des Jurt verteilte er unter den Baronen.

Die Sitten der Gentry unterschieden sich in nichts von den Sitten der Großen Steppe. Die Menschen glaubten an Tengri, deshalb nannten die Katholiken sie Heiden. Sie sprachen die Turksprache, kämpften zu Pferd, ein Leben zu Fuß war für sie undenkbar. Das waren Kiptschak, alles in ihrem Leben zeugte davon!

Wie nannten sie sich: einen Ulus? Einen Jurt? Eine Horde? Jetzt ist das unbekannt. Im 12. Jahrhundert hatten sie schon lateinische Namen, aber turkische Spitznamen blieben. Der Rufname des berühmten Ritters Lancelot war Telegi. Der legendäre französische Ritter Karl der Kühne hieß in Wirklichkeit Temir – heute nennen ihn die Franzosen „le Téméraire“. Er war Herzog von Burgund. Will man den Dokumenten aus jenen Jahren glauben, so hatte auch König Charlemagne (Karl der Große), der Begründer Frankreichs, zu seinen Lebzeiten einen anderen Namen: Er hieß Tscharla-mag, was in der Turksprache so viel wie „Rufe den Ruhm“ bedeutete (vgl. Die englische Aussprache des Namens Charlemagne). Später latinisierten lateinische Geschichtsschreiber viele historische Namen – und die Geschichte verlor ihr einstiges Kolorit.

Die Gentry blieb, selbst nachdem aus ihr Herzöge und Könige hervorgegangen waren, ihrer Gewohnheit treu, auf dem Boden im Schneidersitz zu hocken. In den Chroniken jener Zeit wird erwähnt, dass der französische König Ludwig der Heilige seine Gäste gern in dieser Sitzhaltung empfing.

Der Boden seiner Burg war mit Teppichen ausgelegt, in den Ecken stapelten sich zahlreiche Kissen. Im Schlafraum des Königs wurden abends Zelte (Espervières) aufgeschlagen und darin die Betten aufgestellt. Der König selbst trug zu Hause keine Schuhe, dafür aber einen reich bestickten Kaftan (Sapan). In seinem Palast gab es sowohl Räume für Kunaks (Freunde) als auch Frauengemächer. Neben dem Herd stand eine Figurine des Schutzgeistes des Hauses.

Genau solche, ebenfalls aus Filz hergestellten Figurinen waren im Altai üblich gewesen.

Die Festmahle der Gentry unterschieden sich nicht von jenen, die Attila veranstaltet hatte: das gleiche Pferdefleisch, die gleiche Stuten- und Ziegenmilch, der gleiche Thron, die gleichen Hofnarren und orientalischen Speisen, die gleichen Lieder und Darbietungen. Allerdings gab es in den Sälen des Palastets nun eine Reiterei, das war ein Novum. Die Speisen wurden direkt an den Tisch geritten, was die Begeisterung der Gäste auslöste. Die Volkstraditionen ändern sich nicht!

Auch bei der Gentry wurde, gleich wie bei den Kiptschak, einem Toten sein Pferd mitgegeben. Ihre Leichen wurden nach altaischen Regeln einbalsamiert. Auf diese Weise wurden der englische König Eduard III. (1376), Graf Gaston de Foix (1391) und andere wichtige Seigneurs begraben. Sie gingen wie echte Kiptschak in die andere Welt ein!

Später verbot die Kirche das Begräbnis unter Mitgabe des Pferdes. Nie mehr wurden danach Hügelgräber in Westeuropa aufgeschüttet. Sie verschwanden.

Bis zum 15. Jahrhundert hielten die europäischen Kiptschak an ihrem altertümlichen Ritus. Selbst noch in Kleinigkeiten. Nach dem Begräbnis wurde eine Totenfeier begangen, in ihrem Kummer schnitten sich die Menschen Narben ins Gesicht und rissen sich die Haare aus. Alles war wie seinerzeit unter Attila – und alles wurde nun verboten.

Bei der Gentry galt es als schändlich, das Wort zu brechen oder eine Dame zu verleumden. Für so etwas schlug man auf den Schuldigen mit den Fäusten ein, bis ihm der Helm vom Kopf fiel. Sie hatten das Faustrecht, welches ihnen bei der Lösung vieler Streitfälle half.

Aber einander halfen sie vorbehaltlos. Nie verkauften sie etwas, nie borgten sie etwas. Wer sich dessen schuldig machte, wurde nicht einmal geschlagen. Vielmehr wurde ihm der Helm heruntergerissen und zu Boden geworfen. Das war Ehrabschneidung. Dieser Mensch gehörte nicht mehr zur Gentry, man nahm ihm sein Pferd weg. Danach hatte er keine andere Wahl als Selbstmord zu begehen oder sich als Landarbeiter zu verdingen.

Als ebenso unduldbar galt eine ungleiche Ehe.

Ehen wurden zwischen den Familien ebensolcher Krieger geschlossen. Für einen Fremden gab es da keinen Platz: Man musste auf vier Generationen aus der Gentry zurückblicken können, um sich ihrer Gesellschaft anschließen zu dürfen und zu ihr zu gehören.

Freilich konnten Nichtadlige und Fremdlinge eine Bewährungsprobe bestehen. Man gab ihnen eine Chance. Eine Kriegstat machte den Mutigen zum Vater einer neuen Familie. Der Khan (König) zeichnete ihn mit einem Orden aus, adligte ihn und nahm ihn in die Gentry auf.

Der Vater vererbte diesen Titel nur seinem ältesten Sohn. Erst nach seiner weiteren persönlichen Kriegstat, die wiederum durch einen Orden ausgezeichnet werden musste, durfte er den ersehnten Titel all seinen Kindern vererben. So entstand eine neue adelige Familie.

Doch das genügte noch nicht, um Aristokrat zu werden. Die Familie erhielt alle Rechte der Aristokraten erst nach einem treuen Dienst in weiteren zwei Generationen. Je höher die Orden waren, umso mehr Rechte bekam sie. Es war nicht leicht, ein turkischer Aristokrat zu sein. Man musste nach dem Ehrenkodex leben, der keinen einzigen Fehltritt verzieh. So galt es als die größte Schande, eine Fahne fallen zu lassen oder auch nur zu senken. Das bedeutete den Freitod.

Das Leben eines Vertreters der Gentry war billig, denn nicht das Leben und nicht der Reichtum waren ihre Werte. Vielmehr schworen diese Menschen auf Ehre und Mut. Die Jugend wurde von klein auf zu Kriegstaten erzogen.

Ein Junge musste, und sei er noch so adlig, beim Hof eines anderen Gentry-Angehörigen als Page dienen. Die Aufgaben eines Pagen bestanden gewöhnlich darin, das Pferd des Herrn zu pflegen, dessen Waffen zu reinigen, sich in der Kriegskunst zu üben, im Reiten Weiden mit dem Säbel zu kappen. Wegen jedes Versäumnisses wurde der Page schonungslos geprügelt.

In der Großen Steppe hatte das „Atalyk-Dienst“ geheißen. Den hatten auch Attila, Aktasch und jeder andere turkische Junge, der später ein berühmter Feldherr wurde, durchgemacht. Selbst Aëtius.

Ohne diesen schweren Dienst und diese schwere Arbeit ging es nicht. Ein richtiger Mann musste beides ertragen können.

Und so arbeitete der Junge und wuchs heran in Erwartung einer Gelegenheit, sich zu bewähren: bei einem Turnier unter seinen Altersgenossen zu siegen, bei der Hochzeit eines Khans ein Pferderennen zu gewinnen, am besten aber sich in einem richtigen Krieg hervorzutun. Davon träumte jeder Page in Westeuropa – wie einst jeder Lanzenreiter (Ulan) in der Großen Steppe.

Es war, als hätte die Kirche heimlich die Träume des jungen Pagen ausspioniert, als sie die Ritterorden stiftete. Sie nannte die Gentry-Angehörigen ihre „Ritter“, ihre Beschützer. Das war eigentlich auch alles, was nach den Kreuzzügen geschah. Man hatte nur den Sinn eines Wortes leicht umgewandelt, indes veränderte sich alles: Die Herren wurden zu Dienern der Kirche.

Das Tamga hieß nunmehr Wappen, es wurden dafür auch neue Zeichen erfunden, die den Stammbaum der Ritter verewigten. Kennzeichnend ist, dass viele Wappen das Tengri-Zeichen – das gleichseitige Kreuz – aufweisen. Nicht ein lateinisches, sondern ein turkisches Symbol.

Drei Farben – Blau, Weiß, Rot – färbten die Ritterfahnen. Auch das waren die altertümlichen Symbole des Altai, die drei Farben des Ewigen Blauen Himmels. Mit Schleifen in diesen Farben danken die Angehörigen der Turkvölker dem Himmel auch heute.

Man modelte damals beinahe alles um. Es gelang jedoch nicht, etwas von Grund auf zu verändern.

Die Kultur der Gentry blieb. Neues erwies sich wieder einmal als Altes. Aber die Turniere wurden wirklich anders.

Früher kamen ganze von „Barbaren“ besiedelte Provinzen zusammen, um den Wettkämpfen der Gentry zuzusehen. Die Kämpfer bereiteten sich im Voraus vor. Was wandten sie nicht alles an! Das war eine Parade der Rüstung, eine Schau der Kampfkunst. Die Zuschauer bei diesem Fest der Stärke stritten über die Vorzüge der einzelnen Kämpfer, setzten auf sie und verkündeten Preise. Der Turnierpreis waren Jagdfalken, häufiger jedoch war es der Kuss einer adligen Dame. Um dieses Kusses willen war ein Gentleman zu jeder Prüfung bereit.

Mitunter wuchsen sich die Turniere zu wahren Schlachten aus. 1274 z. B. Schlug sich König Eduard samt seinen Rittern mit dem Grafen von Chalon und dessen Burgundern. Niemand wollte nachgeben. Die päpstlichen Ritter fielen in jenem Kampf, sie waren schwächer. Das benutzte der Papst, um alle Turniere zu verbieten. Wer gegen das Verbot verstieß, wurde aus der Kirche ausgestoßen, durfte nicht in geweihter Erde begraben, musste auf jede Weise bedrängt und verfolgt werden.

Dennoch gingen die Turniere weiter. Sie konnten gar nicht aufhören, waren sie doch eine Schule des Mutes nicht nur für junge Leute. Also befahl der Papst, dass sich die Ritter in einem leichten Panzer und mit stumpfen Waffen schlugen. Auf einmal wurde daraus ein buntes Spiel, eine bunte Schau.

Für die Krieger war das verhängnisvoll, der Verzicht auf einen richtigen Kampf führte ins Unglück. Da sich die Ritter an die „Als-ob-Turniere“ gewöhnt hatten, verloren sie in wirklichen Kämpfen. Bekanntlich schleicht sich ein Unglück immer unmerklich heran.

Die Nachkommen der Khane bemerkten gar nicht, wie sie es gelernt hatten, dem Papst den Steigbügel zu halten. Sie, diese Aristokraten des Turkvolkes, sanken zu Dienern eines Menschen herab und gingen daran zugrunde.

Nicht die Ritter gingen damals zugrunde, sondern die Kiptschak von Westeuropa, ihr Adel. Denn die Aristokraten ließen ihre Fahne sinken. Und das war der Tod.

Ein Volk darf seine Fahne nur vor Gott senken. Nur ihm allein darf es „den Steigbügel halten“. Im 13. – 14. Jahrhundert verstummte in den Ritterburgen die Turksprache. Für immer.

 

 

Die Seldschuken

In der Epoche der Kreuzzüge war nicht mehr Byzanz, sondern der Orient das „Reich des Bösen“. Es fanden sich viele Gründe, die Moslems zu hassen. Wie sich erwies, verehrten auch sie das Kreuz, Jesus (Issa), Moses (Mussa) und den Hl. Georg (Dshirdshi). Der Westen fühlte sich beleidigt und wollte sich mit dieser „Ungerechtigkeit“ nicht abfinden.

Gesagt sei, dass sich Ost und West damals nicht sehr stark voneinander unterschieden. Sie schienen nur unterschiedlich, aber hüben wie drüben wurden nach wie vor die Tengri-Traditionen gepflegt. Hüben wie drüben lebte der turkische Dienst an Gott fort!

Nicht die Religion also führte die Menschen asueinander, das tat vielmehr die Politik.

Der Papst war das Oberhaupt der Christen und wollte nun das Oberhaupt des Alls sein. Man nannte ihn nicht anders als den Vermittler zwischen Gott und den Menschen, als den Statthalter Christi. Doch das Kalifat hatte seine eigene Zukunftssicht und wollte nicht wieder Kolonie sein. So hielt sich der Orient, der die Sitten der römisch-katholischen Kirche sehr wohl kannte, so fern wie möglich von ihr.

Früher, als die Katholiken und die Moslems einen gemeinsamen Feind – Byzanz – hatten, suchten sie nicht nach Unterschieden zwischen ihnen. Der Sultan Seldschuk, der Begründer einer neuen Dynastie des Kalifats, eroberte Ostbyzanz und rückte dicht an Konstantinopel heran, besetzte die Stadt jedoch nicht.

Im 11. Jahrhundert, unter Sultan Alp-Arslan, gehörten die besten Gebiete Kleinasiens faktisch dem Kalifat, und wiederum ließen die Araber Byzanz in Ruhe. Warum ließen sie sich ihr Glück selbst entgleiten? Das Land, das an einem dünnen seidenen Faden hing, hätte eine leichte Kriegsbeute sein können. Doch die Moslems nahmen es nicht, weil sie den Byzantinern das Recht gaben, selbstständig den Glauben – und folglich auch ihr Schicksal – zu wählen.

Nachdem die Christen der östlichen Provinzen von Byzanz den Islam kennen gelernt hatten, nahmen sie ihn fast sämtlich an, und das freiwillig. Das hatte natürlich seine Konsequenzen: Die Macht des Kaisers war im Lande danach nur Schall und Rauch. Hofintrigen und Palastrevolutionen setzten ein. Byzanz wurde zusehends schwächer.

Das Kalifat mischte sich immer noch nicht ein, wartete vielmehr ab.

Die Katholiken benutzten die Stille, um einen neuen, vierten Kreuzzug zu beginnen. An das Heilige Land dachte keiner mehr. 1203 gingen ihre Schiffe bei Konstantinopel vor Anker. Beinahe 20 000 Kreuzritter landeten an der Küste und schlugen ein Lager auf. Vor der Stadt lag nun das Heer des Papstes, und diese Ritter glaubten, mit einem einzigen Schlag über das Schicksal des byzantnischen Throns entscheiden zu können.

Das gelang ihnen jedoch nicht. Bei den Verhandlungen wurden sie von den Griechen betrogen. Darauf rüsteten die betrogenen Kreuzritter zum Sturm.

Ein solcher Sturm schien völlig absurd zu sein. Die Riesenstadt hatte ein gigantisches Heer von 100 000 Soldaten (Normannensöldner und Kiptschak aus Osteuropa). Diesen wurde ihr Sold jedoch nicht ausgezahlt, und sie wollten keinen Krieg führen. Somit war das Heer da – und gleichsam gar nicht da.

Die Zeit war aufseiten der Ritter, ihre Kühnheit lähmte den Gegner. Aber das war nicht der einzige Grund. Der Papst wusste: Das Reich der Griechen lag in den letzten Zügen, es war verfallen: Die Menschen schwankten zwischen zwei Religionen, waren zerstritten. Und wenn keine Einheit bestand, konnten sie mit geringen Kräften erobert werden. Auch diesmal hatte der Papst scharf kalkuliert.

Endlich wurde der Befehl erteilt. Zum betäubenden Trommelwirbel gingen die Ritter am 9. April 1204 an Land. Ihre Fahnen bauschten im Wind. Der Sturm begann. Im Grunde war das der Kampf zwischen David und Goliath. Die kleine Flotte stürzte sich auf den Riesen. Der Angriff wurde zurückgeschlagen. Aber drei Tage später erfolgte ein neuer Sturm, und der Riese fiel.

Die Sieger feierten lange und ausgiebig: Zwei Wochen lang mordeten die einen Christen die anderen. Frauen und Kinder wurden gefoltert. Berge von Leichen lagen in den Straßen, man hatte keine Zeit, sie zu begraben. Konstantinopel, das nie von einem Fremden betreten worden war, ergab sich dem Schwert des Papstes auf Gnade und Ungnade.

Die Beute reichte für alle. Kostbarkeiten wurden sackweise verladen. Ein Augenzeuge schrieb darüber: „Seit die Welt steht, wurde in keiner anderen Stadt so viel erbeutet … Wer bis dahin arm war, wurde reich und vermögend.“

Als Papst Innozenz III. Von der Einnahme der griechischen Hauptstadt erfuhr, war das für ihn die Stunde seines Triumphes. Dennoch sandte er ein zorniges Schreiben an die Kreuzritter. Das war eine List. Mit seinem Tadel lobte er sie – und auch sich selbst.

Die Kreuzritter gaben Byzanz einen neuen Namen: Lateinisches Kaisertum. Das geschah zu Ehren des Papstes. Am 9. Mai 1204 wurde Balduin von Flandern zum Kaiser gewählt. Doch ein neues Land kam nicht zustande. Es ging bald an seiner eigenen Schwäche zugrunde, zerfiel in einzelne Lande und Fürstentümer. Seine Häfen fielen den Templern, den neuen Herren über das Mittelmeer, zu.

Das Gold aus dem Handel mit dem Orient strömte seitdem in die päpstlichen Schatzkammern.

Gewiss hätten die Moslems sich in jene Ereignisse einmischen können. Die Armee des Kalifats stand in der Nähe, der Rittertrupp war kein Hindernis für sie. Doch sie hatte keinen Schritt getan. Die Schätze von Byzanz lockten die Araber nicht. Dem Orient blieben sie fremd und ließen ihn kalt.

Der Stern der Aufklärung leuchtete nach wie vor über dem mittelalterlichen Orient. Gold war noch nicht sein Hauptziel. Die Herrscher der Moslems widmeten sich der Architektur, der Kunst, den Wissenschaften. Ob das gut oder schlecht war, können wir nicht beurteilen. Auf jeden Fall herrschte dort nicht Gold.

Zu Nachfolgern von Byzanz riefen sich das Kaiserreich Trapezunt und das Kaiserreich Nizäa aus. Allerdings mag „Kaiserreich“ ein für sie zu großes Wort sein. Es handelte sich um zwei kleine Länder. Im ersten waren Verwandte der georgischen Herrscher, im zweiteren die Griechen an der Macht.

Trapezunt wurde von der Reiterei der Zarin Tamara unterstützt, und gerade sie half ihren entfernten Verwandten, den Brüdern Alexios und David, auf den Thron. Sie nannten sich die „großen Komnenen“. Es ging das Gerücht um, dass sie im Steppenland Kumanien (Lebadia), in einer Gegend zwischen Don und Dnepr, mitten in Descht-i-Kiptschak, geboren wurden. Dort hießen alle Menschen „Kumanen“ bzw. „Komanen“. Ihr Schutzgeist war der Schwan.

Ein Verwandter der Brüder Komnenen war dafür bekannt, das Kloster Batschkowski gegründet zu haben. Es lag also wiederum in der Großen Steppe, und dorthin schickten adelige georgische Häuser ihre Knaben zur Erziehung. Die herrschenden Brüder selbst hatten blaue Augen, helles Haar und waren wie alle Kiptschak sehr schön.

Die Komnenen kamen in Transkaukasien keineswegs zufällig auf.

Im 11. Jahrhundert forderte Zar David der Erbauer 40 000 Familien aus Descht-i-Kiptschak zur Besiedlung Transkaukasiens auf. Diese bildeten das Rückgrat seiner Armee und vereinigten kleine Fürstentümer zum einheitlichen Staat Georgien, oder, richtiger: Gjurdshi: So nannten sie ihn und die blauäugigen Georgier, die die Wärme und Stärke der Großen Steppe ausstrahlten. Das war das goldene Zeitalter Transkaukasiens, damals erfuhren auch die Nachbarländer vom neuen Staat. Jedes zweite seiner Fürstengeschlechter stammte vom Turkvolk ab.

David selbst heiratete 1118 in zweiter Ehe die Schwester des berühmten Kiptschak Khan Kontschak (später sollte dieser den russischen Fürsten Igor gefangen nehmen). Der Ehemann der georgischen Zarin Tamara war Utamysch, ebenfalls ein turkischer Khan.

Mit der Einwanderung der Kiptschak kam in Georgien die Schrift „Mchedruli“ („Schriftzeichen der Krieger“) auf. Ebenso wie das turkische Alphabet, zählte es achtunddreißig Buchstaben. Äußerlich erinnerten diese an die Schriftzeichen der altertümlichen Angehörigen des Turkvolkes. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Herrscher des Kaiserreichs Trapezunt in dieser Schrift ihre Befehle und Verfügungen schrieben.

Die beiden herrschenden Brüder erwiesen sich als viel zu ungeduldige Politiker. Sie waren zwar kühn, aber ungeschickt, hätten siegen können, siegten jedoch nicht. Denn im Leben geht es nicht ohne den Glauben und ohne Verbündete. Kurzum, im Jahre 1215 mussten sie dem Kalifat wieder Tribut zahlen, wurden wie Vögel in einen Käfig gesperrt.

Alexios zahlte dem Sultan 12 000 Goldmünzen, 500 Pferde, 2 000 Kühe, 10 000 Hammel und 50 Ballen verschiedene Waren im Jahr. Vor allem war er verpflichtet, dem Sultan den Steigbügel zu halten, wenn dieser einen Spazierritt unternahm.

Ruhmlos verließ Trapezunt die Bahnen der Weltpolitik: Gleich einem Kometen glänzte es am Firmament auf und erlosch.

Die Seldschuken hätten über das Schicksal aller Nachfolger von Byzanz schon damals entscheiden können. Aber … In der Welt kam eine neue Kraft auf, sie wuchs bedrohlich an, wie eine Gewitterwolke am Horizont.

Ihr Name war Dschingis Khan.

 

 

Dschingis Khan

Nach Attila verfiel die turkische Welt langsam. Sie wurde von Bruderkriegen erschöpft. Vom Baikalsee bis zum Atlantik, von Moskworetschje bis zum Indischen Ozean legten sie sich nicht. Die Kiptschak schlugen sich grausam und jahrhundertelang unter sich selbst.

Beinahe alle mittelalterlichen Kriege waren ihre Kriege, wobei die Kiptschak in den sich bekriegenden Armeen kämpften: die einen für die Italiener, andere für die Byzantiner, wieder andere für die Araber, und noch andere für sich selbst oder für sonst jemanden.

Krieg war seit langem die Lebensweise des Volkes.

Im 5. Jahrhundert spalteten die Zusammenstöße Attilas Land und brachten es um seine Zukunft. Ähnliche Bruderkriege entkräfteten auch das Kalifat.

Einst hatten die Moslems eine starke Armee. In Politik, Wissenschaft und Kunst hatten sie keine Rivalen. Doch wie es kam, so kam es. Im Übrigen waren es nicht die Streitereien zwischen den Herrschern ihr Verhängnis, denn solche Streitereien waren immer da und werden immer bleiben. Über das Schicksal des Kalifats entschied ein Schlag aus dem Osten, und die Araber hatten ihn selbst provoziert.

Es war der Altai, der die tödliche Wunde schlug.

Nach der Großen Völkerwanderung war der Altai wie eine kleine, verlassene Insel im Ozean. Die Menschheit hatte ihn anscheinend vergessen. Sie kannte das Römische Imperium, Byzanz und das Kalifat, den Altai aber nicht mehr.

Und da brachte er sich in Erinnerung.

Das geschah mit der Geburt des größten Angehörigen des Turkvolkes, eines Genies aller Jahrhunderte und aller Völker. Die Eltern gaben ihm den Namen Temutschin. Der Junge kam in Deligun-Buldak zur Welt, einem heiligen Ort am Ufer des Onon. Zuerst sah ihn die Kerulen-Wiese. Der Vater, Jessugej-bagatur, herrschte im Altai-Vorgebirge. Doch er hatte zu viele Neider und Feinde, und sie vergifteten ihn.

Sie wollten auch die Familie des Herrschers töten, doch trat ihnen der Sohn mit der Waffe in der Hand entgegen. Der Mutige war dreizehn Jahre alt. In seinen Augen glühte eine alles zerstörende Flamme, sein Gesicht strahlte vor Siegesgewissheit. Als die Feinde ihn erblickten, wussten sie vor Überraschung nicht, was sie tun sollten. Das rettete den Jungen, man ließ ihn von dannen gehen, ohne ihm etwas angetan zu haben.

Er zog in weite Ferne, lebte in Wäldern, sorgte selbst um seine Nahrung, wurde stärker und formierte einen Trupp. Jahre vergingen, und der Name Temutschin wurde bereits mit Zittern in der Stimme ausgesprochen: Der scharfe Geist und die Furchtlosigkeit des jungen Mannes rangen selbst reifen Kriegern Respekt ab.

Das Leben schien die Sage von At-sys zu wiederholen: Ein um alles beraubte Jüngling zog in die Fremde aus, um Ruhm zu erwerben. Genau das geschah auch diesmal.

Der junge Mann eroberte den Ruhm seines Vaters zurück. Aus dem Schädel des Vergifters machte er sich einen Weinbecher. Seitdem hieß es beim Turkvolk: „Die Seele einer großen Tat ist zu sehen, sobald sie vollbracht ist.“

Erst dann übernahm Temutschin die Macht über den Altai. Man nannte ihn nun Dschingis Khan, d. H. Den „großen Khan“, den „unbeugsamen Khan“. Der Name passte ihm. Der neue Herrscher beabsichtigte, den alten Staat, den Großen Altai, wieder aufzubauen.

In erster Linie setzte er den inneren Fehden, die das Volk zerfleischten, ein Ende. Dann stellte er eine Gesetzessammlung (er nannte sie „jassa“, „tura“, „adat“) auf und gab sie bekannt. „Dschingis Khans Jassa“ strafte wegen Betrugs, Verrats, wegen unterlassener Hilfeleistung gegenüber einem Krieger auf dem Schlachtfeld, wegen Diebstahls.

Auf einen Verstoß gegen die Adat stand der Tod. So war man im Alten Altai gegen Verbrecher verfahren. So wollte auch Dschingis Khan verfahren. Das Turkvolk besann sich auf seine Ahnen!

Mit einem Mal zog Gerechtigkeit in die Beziehungen zwischen den Menschen ein: Wer taube Ohren gehabt hatte, hörte nun, wer früher nichts hatte sehen wollen, wurde sehend, und wer stumm gewesen war, begann zu sprechen. Der Herrscher wie der Sklave befolgten die Adat. Von Bruderkriegen war keine Rede mehr. „Das Wort meiner Lippen wird mein Schwert sein“, erklärte Dschingis Khan. Und er wurde richtig verstanden.

„Dschingis Khans Jassa“ ist eine Verfassung, so würde man heute dazu sagen. Niemand in der Welt befolgte das Gesetz so genau wie der Herrscher. Selbst die Feinde verstummten, als sie die Gerechtigkeit seiner Macht sahen. Jeder wusste: Die Strafe ist unabwendbar, es gab für Schuldige keine Nachsicht, das bezog sich auf ausnahmslos alle.

Doch das größte Werk von Dschingis Khan war nicht die Adat. „Die Menschen unterschiedlichen Glaubens müssen in Frieden miteinander leben“, verkündete er. „Wir wollen wieder Brüder sein.“ Kein einziger Herrscher in der Welt war auf diesen segensreichen Gedanken gekommen: Überall – in Ost und West – spaltete der Glaube die Menschen und verfeindete sie miteinander. Hier aber spielte er im Gegenteil eine einigende Rolle.

Das ist erstaunlich. Die Christen und die Moslems stritten sich darüber, wessen Glaube besser sei, das altaische Turkvolk aber gemahnte sie an Einen Gott, der die Welt erschaffen hatte, an den Glauben. „Was ist besser?“ fragten sie sich und die anderen. Er ist im Himmel. Er sieht alles. Er richtet über alles. Die Welt ist vollkommen, weil sie vom Allerhöchsten regiert wird.

Der Tengri-Glauben, der den Altai erhöht hatte und verschiedene Völker unter Dschingis Khans Banner versammelte, verlieh seinem Staat Stärke. Die Menschen verschiedener Religionen empfanden, dass sie nur den einen Vater haten: den Allerhöchsten. Nachrichten liegen vor, dass selbst Engländer bei Dschingis Khan in den Dienst eintraten. Möglicherweise rechneten sie sich nicht mehr zum Turkvolk, doch kamen sie, um für den Glauben – den reinen Glauben! – zu kämpfen. Das ist eine höchst kennzeichnende Tatsache, denn Dschingis Khan erlaubte es seinen Untertanen, sich nach freier Wahl zum Christentum, zum Islam oder zum Buddhismus zu bekennen. Allerdings nur nach einem Gebet zu Tengri. „Man muss mit ganzem Herzen an Gott glauben, und der Sieg kommt.“

Der Herrscher erkannte diese Wahrheit, als er noch nicht ganz 28 Jahre alt war. Zu jener Zeit söhnte er die sich bekriegenden Angehörigen des Turkvolkes aus. Man nannte ihn Sutu-Bogdo, was „Sohn des Himmels“ bedeutete.

Die Angehörigen des Turkvolkes wurden wieder zu einem einheitlichen Volk.

Dschingis Khan und seine Leute werden gewöhnlich Mongolen genannt. Aber der Herrscher hatte blaue Augen und einen roten Bart, das wurde von Augenzeugen bestätigt. Sein Vater hatte grüne Augen, daher rührte sein Spitzname Bordshigin (Grünauge). Der Vater und sein Sohn hatten ein deutlich ausgeprägtes Kiptschak-Äußere. Wer waren sie in Wirklichkeit? Auf jeden Fall keine Mongolen.

Das Wort „Mongole“ kam, wie die Mongolen selbst herausgefunden haben, im 11. Jahrhundert auf. Es bezog sich nicht auf ein Volk, sondern auf einige Geschlechter der Tielie (Angehörige des Turkvolkes im Osten). Warum? Leider sind hier viele Einzelheiten unklar. Vielleicht nannten sich diese Geschlechter „Mongolen“, um sich von den westlichen Angehörigen des Turkvolkes des Altai abzusondern, mit denen sie verfeindet waren. Möglich ist aber auch eine andere Ursache.

Aber wie dem auch sei, 1206 sagte Dschingis Khan: „Das Volk, das sich mit mir gegen alle verbündet hat; das Volk, das meinen machtvollen Gedanken mit seiner großen Kraft gewappnet hat… Dieses Volk, rein wie ein Bergkristall – ich wünsche, dass es sich keke-mongol (himmlisches Glück) nenne.“

Daher rührt also das Wort „Mongole“. Im Munde Dschingis Khans bedeutete es nicht Volk, sondern das „Glück, das der Himmel selbst beschert hat“. In diesem Wort lag auch eine große Berechnung. Sie bestand in Folgendem:

Dschingis Khan, ein turkischer Dingling, kam zu seinen Brüdern, den turkischen Tielie, und wurde ihr Herrscher. „Er hat das Schwert verkauft, um den Namen zu erwerben“, pflegte man in solchen Fällen im Altai zu sagen.

Genau so handelten vor tausend Jahren Dschingis Khans Ahnen, als sie in die Fremde auszogen, um den parthischen, persischen, indischen oder ägyptischen Herrschern zu dienen. Diese namenlosen Söhne des Altai begründeten dort mehr als nur eine herrschernde Dynastie. Von ihnen stammte so mancher Würdenträger von Asien und Europa ab. „Ich bin ein wandernder Kaiserkrieger“, sagte der künftige Großmogul Baber von sich, als er sich auf die lange Suche nach Name und Macht begab.

Es sei bemerkt, dass die Wörter „Mongole“, „Mongal“ und „Mogul“ im Mittelalter absolut bedeutungsgleich waren, nur dass sie von verschiedenen Völkern unterschiedlich ausgesprochen wurden.

Als Erste mussten die Chinesen die Stärke Dschingis Khans erfahren, ihnen hatten die Angehörigen des Turkvolkes aus dem Altai jahrhundertelang Tribut gezahlt. Der Kaiser wunderte sich über die Abgesandten von Dschingis Khan, die eines Tages zu ihm kamen und von ihm – das war noch erstaunlicher – etwas forderten. Dabei war die Forderung völlig klar. Der Altai erlegte dem Kaiser, diesem „nichtigsten aller Menschen“, einen Tribut auf.

Die Chinesen waren sprachlos, als sie dies hörten.

Aber die Angehörigen des Turkvolkes verhalfen ihnen zum Sprechen. Sie überwanden die Große Chinesische Mauer, fielen ins Mittelreich ein, kreisten 90 Städte ein und besetzten sie. Die Riesenarmee der Chinesen stöhnte vor Ohnmacht. Die Reiter pflegten ihnen rasch einen Schlag zu versetzen und ebenso rasch zu verschwinden. Das war ihre Taktik.

In kleinen Trupps bewegten sich die Ankömmlinge durch das unbekannte Land, als wäre es ihr eigenes. Wie gelang ihnen das? Gewöhnlich wird die Erfindung des Kompasses den Chinesen zugeschrieben, das stimmt jedoch nicht, sie kannten den Kompass nicht. Dafür hatten die turkischen Truppen ihn, so dass sie sich mühelos in einem fremden Land orientieren konnten.

Auch hierin zeigte sich Dschingis Khans Weisheit. Der weitsichtige Feldherr kannte die Städte und Straßen Chinas ausgezeichnet, als hätte er sie schon gesehen. Was ihm dabei half, waren Landkarten, die auf seinen Befehl hin gezeichnet wurden. In seinem Hauptquartier, in der Horde, wusste er, was hunderte Kilometer weiter lag.

Seine Armee bewegte sich mit großer Sicherheit vorwärts, die Aufklärung, ebenfalls eine Errungenschaft von Dschingis Khan, handelte tadellos. Deshalb gab es eigentlich keinen wirklichen Krieg. Den Chinesen wurde ein Schlag nach dem anderen versetzt, immer überraschend und immer an der wundesten Stelle. Dazu bedurfte es nicht einmal einer großen Armee.

Die Beamten des Kaisers sahen sich gezwungen, die Abgesandten von Dschingis Khan selber einzuladen und der Verpflichtung zum Tribut zuzustimmen. Der Herrscher des Altai erhielt eine chinesische Prinzessin, 3 000 Pferde, 500 Jungen und ebensoviele junge Mädchen. Die Chinesen geizten auch nicht mit Gold und Seiden.

Dschingis Khan ernannte im eroberten Teil Chinas seinen Statthalter und gab ihm den Auftrag, die Unterwerfung des Landes zu Ende zu führen.

Man sollte meinen: Was sieht man in einem besiegten Land? Not, Brände, Leiden? Nein. Die eigene Größe und die Stärke der eigenen Armee? Wiederum nicht. Dschingis Khan wäre nicht der Weiseste der Weisesten gewesen, hätte er nicht auch in einem fremden Land sein Auserwähltsein bewiesen. Gott offenbarte ihm, was die anderen Menschen nicht sahen, obwohl alles offen lag.

Beispielsweise veranstalteten die Chinesen ein Salut ihm zu Ehren: Feuerwerke, Knallfrösche. Millionen Menschen hatten sie in vielen Jahrhunderten gesehen und wunderten sich nicht über so etwas. Dschingis Khan aber war erstaunt – weil er nicht einen Knallfrosch sah, sondern eine Flinte. Eine Feuerwaffe, die niemand kannte, von der niemand etwas auch nur ahnte. Die Chinesen besaßen Pulver – einen Schlüssel der mittelalterlichen Welt –, kamen jedoch nicht auf diesen Gedanken.

In China lernte Dschingis Khan viel dazu, denn er sah dort viel Neues, Erstaunliches: Erfahrungen von Ingenieuren, das Können einfacher Handwerker. Weitsichtig, wie er war, gab der turkische Herrscher dort Maschinen zur Einnahme von Festungen in Auftrag, und auch die wurden sonst von niemandem in der Welt hergestellt. Die Römer hatten ebenfalls Belagerungmaschinen, doch waren sie ein Kinderspielzeug im Vergleich damit, was sich Dschingis Khan vornahm.

„Wissen ist zu ehren“, lehrten die Ahnen. Der große Herrscher hatte diese Worte beherzigt und lernte sein Leben lang, ohne sich dessen zu schämen.

Über seine Armee wird gewöhnlich als über „wilde Horden“ geschrieben, über ihre technischen Neuheiten dagegen absichtlich geschwiegen. Beispielsweise über die Brandgeschosse, die Urform der Artillerie. Man müsste ein ganzes Buch schreiben, um über den Feldherrn Dschingis Khan zu erzählen. Er war ein Künstler des Schlachtfeldes, er erfand stets etwas Neues, was nur er hatte. So gab er jedem Reiter zwei Pferde bei, damit dieser sie während eines Feldzugs wechseln konnte. Dadurch wurde die Armee doppelt so schnell und widerstandsfähig und handelte doppelt so überraschend.

Im gewöhnlichen Stachelgras der Steppe erblickte er eine neue Verteidigungswaffe: Eisendorne. Mit diesen vereitelten die Kiptschak Angriffe des Gegners und jede Verfolgung.

Alles in seiner Armee war besonders und einzigartig, wie im Atelier eines großen Künstlers.

Der nach China nächste Staat, der auf Dschingis Khans Wege lag, war das Kalifat. Der Sultan Muhammad, der dort regierte, benahm sich viel zu unwürdig. Er begriff nicht, mit wem er zu tun hatte.

Dieser Sultan wirkte wie ein Sklave, der die Gewänder seiner Herren gestohlen hatte. Einst waren seine Ahnen Sklaven der Seldschuken und verrieten sie. Er benahm sich denn auch wie ein Sklave. Von seinem Verhalten gekränkt, baten die Moslems selbst Dschingis Khan um Hilfe. Sie wandten sich an ihn als einen „großen Beschützer aller Angehörigen des Turkvolkes“, wie sie in ihrer Botschaft schrieben. Einen Sultan mit der Seele eines Sklaven konnten sie nicht mehr ertragen.

Dschingis Khan wollte jedoch keinen Krieg mit den Moslems, er schlug ihnen einen gemeinsamen Handel über die „Seidenstraße“ vor. Im Jahre 1218 ließ er eine Karawane mit teuren Waren über das Territorium des Sultans ziehen.

Doch ein Sklave bleibt ein Sklave, selbst wenn er die Kleider eines Sultans trägt: Ihn dünkt, er werde betrogen, weil er selbst immer wieder die anderen betrügt. Muhammad befahl, die friedliche Karawane zu überfallen. Die Kaufleute wurden ermordet, die Waren geraubt. Dschingis Khan forderte über seine Botschafter eine Befriedigung. Der Sultan ließ auch die Botschafter ermorden, weil er eine Gefahr witterte.

Misstrauen ist viel zu leichtsinnig, wenn man es mit einem edelmütigen Angehörigen des Turkvolkes zu tun hat. Die Antwort folgte unverzüglich.

Zuvor aber stieg Dschingis Khan nach alter Tradition seines Volkes auf einen Berggipfel und betete zu Tengri. Drei Tage und drei Nächte wartete er auf dessen Antwort. Drei Tage und drei Nächte aß und trank er nichts, nur der Wind brachte ihm Kühlung und linderte seinen Durst.

Als er vom Berg hinabstieg, wusste die Armee, was zu tun war. Beim Anblick des Feldherrn riefen die Krieger wie aus einem Munde: „Tengri! Tengri!“ und beteten. Der Glaube reinigt das Bewusstsein. So geschah es auch dieses Mal.

Unter den Fahnen des Feldherrn und seiner Söhne versammelten sich 700 000 Reiter, das war faktisch der ganze Altai. Zwei große Kräfte wollten sich auf dem Schlachtfeld in Mittelasien miteinander messen. Solche Schlachten hatte die Welt nicht einmal zu Attilas Lebzeiten erlebt. Der Altai gegen den gesamten moslemischen Osten.

Ein Zweikampf ohnegleichen.

Die Schlacht am Syr-Darja begann am frühen Morgen und endete in der Nacht. Der selbstzufriedene Sultan verlor in jenem Kampf die Hälfte seines Heeres. Erst dann begriff der verachtenswerte Sklave, gegen wen er die Hand erhoben hatte: gegen eine Armee, über die ein Schutzengel seine Schwingen ausgebreitet hatte.

„Der Tag von Gottes Zorn ist gekommen“, sagten darauf die Moslems.

Fergana, Otrar, Chodshent, Buchara, Samarkand – beinahe alle Städte Mittelasiens wurden von Dschingis Khan genommen: Seine Belagerungsmaschinen funktionierten fleißig, die Stadttore zersplitterten. „O Volk, die Maßlosigkeit deiner Sünden ist offensichtlich, ich bin gekommen, ich, Zorn des Allerhöchsten, Abgesandter des allmächtigen Gottes, ich, fürchterliche Strafe“, sagte der Sohn des Himmels in Buchara, in seiner Hauptmoschee. Und alles verneigte sich vor ihm, weil seine Worte wahr waren.

Von Kriegsbeute schwer, kehrte die Armee in die Heimat zurück, damit der turkische Herrscher sein Leben und seine alten Tage genießen konnte. 1227 begab sich der Feldherr auf seinen letzten Marsch. Den weitesten, den, von dem man nicht mehr zurückkommt.

Tengri nahm seine edle Seele auf.

 

 

 

 

Die Sulde-Fahne des „himmlischen Glückes“

Seine Fahne wurde Sulde genannt. Sie war der Schutzgeist des Turkvolkes, dessen „Lebenskraft“, dessen „Seele“ (so wird das Wort übersetzt). Unter dieser Fahne zogen die Krieger des Großen Altai in die Schlacht, mit ihr siegten sie.

Sulde und Jassa von Dschingis Khan halfen dem Turkvolk in den schwersten Zeiten, waren die Stimme des Volkes und gaben ihm Sicherheit und Kraft. Ihre Anwesenheit wurde sofort und von allen empfunden. Als ein Aufklärungstrupp von Dschingis Khan 1222 z. B. Derbent, Tiflis und andere kaukasische Städte einnahm, brachte Khan Dshebe die Nachricht über Dschingis Khans Sulde und Jassa dorthin. Und kampflos fügten sich ihm, einem Abgesandten des Herrschers, die dortigen Angehörigen des Turkvolkes.

Die Menschen begriffen: Es handelte sich um die Zeichen eines heiligen Krieges, den der Altai begonnen hatte. Eines Krieges um die Wiedergeburt des Turkvolkes!

Die Truppe von Khan Dshebe war nicht groß, sie zählte nur 25 000 Reiter, legte jedoch den Weg von Samarkand bis zum Dnepr zurück. Das ist höchstens mit dem Feldzug Alexanders von Mazedonien zu vergleichen. Die Truppe vollbrachte aber mehr als Alexanders gesamte Armee.

Woran lag das? Die Zeitgenossen verstanden es nicht, und die Geschichtsschreiber haben es nicht erklärt. Verwegenheit? Ein Streich? Eine kluge Absurdität? Möglicherweise alles zusammen, vielleicht auch noch etwas anderes. Auf jeden Fall war der Feldzug mit mathematischer Genauigkeit berechnet. Es war erstaunlich, mit welcher Sicherheit die Truppe im unbekannten Land vorwärts kam.

Sie hatte nämlich einen Kompass und Landkarten.

Die Truppe glich einem Gespenst, wirkte wie ein Abgesandter des Himmels. Sobald

die Kiptschak ihr begegneten und von ihren Zielen erfuhren, wagten sie nicht, ihren Blick gegen die Fahne von Dschingis Khan zu heben, neigten ihr Haupt und knieten nieder.

Mit Jassa-Gegnern verfuhr man einfach, nämlich nach dem Gesetz. Nicht anders verfuhr man im Nordkaukasus auch mit Kiptschak, die ihre Säbel gegen die heilige Sulde-Fahne gezückt hatten. Sie mussten das schwer büßen.

Leider ist jener Feldzug von Khan Dshebe beinahe nicht erforscht. Viel zu unterschiedlich äußerten sich Zeitgenossen über ihn. Die einen mit Freude, andere ganz anders. Besonders wütend waren die Feinde der Großen Steppe. Sprachen sie von Dshebe und Dschingis Khan, so speiten sie Gift und Galle.

Hier jedoch ein Fakt, der nicht zu übersehen ist: Der Aufklärungstrupp betrat den Boden des Khanats Groß-Bulgarien, mühelos, ohne auf einen nennbaren Widerstand gestoßen zu sein. Das konnte er tun, weil er Dschingis Khans Jassa folgte und das auch bekannt gab. Der Einzug war keine feindliche Invasion. Die Reiter zogen nicht in ein fremdes Land ein. Sie kamen, um turkische Lande, die durch Bruderkriege erschöpft und durch Raubzüge der Byzantiner verwüstet waren, zu befreien.

Groß-Bulgarien lag darnieder, und das seit dem 9. Jahrhundert, nach dem Kaiser Leo von Isaurien, der das Land zu seinem Unglück Byzanz angenähert hatte. Die Griechen diktierten den bulgarischen Angehörigen des Turkvolkes das Christentum auf. Dann ordneten sie sie vollends der griechischen Kirche unter. Und dann schalteten und walteten sie in Groß-Bulgarien nach dem Beispiel der Katholiken, die die Macht über ganz Westeuropa an sich gerissen hatten.

Nicht von ungefähr wurde ein byzantinischer Kaiser Bulgarentöter genannt. Er bekam diesen Beinamen für seine Siege in Groß-Bulgarien. Die furchtbarsten Folterungen verblassen neben dem, was die Griechen dort nach ihrem Sieg verübten. Sie stachen 15 000 Kiptschak die Augen aus, damit sie nicht den Himmel sehen und nicht zu Tengri beten konnten.

Gerade die Griechen lösten Streite unter den bulgarischen Khanen aus. Gerade den Griechen passte der Hader im Turkvolk; mit solchen Methoden begannen sie, ihre Macht in der Großen Steppe durchzusetzen. Osteuropa stand in Flammen, durch ein neues „griechisches Feuer“ in Brand gesteckt.

Ein tragisches Unverständnis lastete auf der Großen Steppe.

In der Hitze des allgemeinen Brandes war Khan Bohur der Erste, der das Turkvolk verriet. Im Jahre 852 erhob er, der heute als Zar Boris oder Bohoris bekannt ist, einen Aufstand in Bulgarien und übte einen Verrat. Die Aufständischen köpften 52 namhafte turkische Familien. Bohur wurde Zar und nannte seine Untertanen nicht mehr Kiptschak, sondern Slawen.

Um seine Macht zu behaupten, zwang dieser Verräter 864 – 865 seinem Volk das griechische Christentum auf. Sich nannte er Michail zu Ehren seines Taufpaten, des byzantinischen Kaisers Michael III.

Die Griechen halfen ihm, und er half den Griechen.

Der römische Papst tat seinerseits nicht wenig, um die Steppe krank zu machen. Das ist aber eine ganz andere Geschichte, weder blutig noch grausam. Sie erzählt davon, wie einschmeichelnd die Stimme des Satans ist, die so manche osteuropäische Kiptschak die Macht des Papstes anerkennen ließ. Nach der Taufe wurden sie Moravanen, Tschechen, Polen, Österreicher, Kroaten, Ungarn usw. Eine tragische und nebelhafte Geschichte.

Im Jahre 882 eroberten die Normannen, Verbündete der Byzantiner, den Norden des Kaganats Ukraine. Es entstand die Kiewer Rus und mit ihr eine neue „Krankheit“ der Steppe. Auch hier wurden Attilas Nachkommen zu „Slawen“ und „Christen“, ohne recht verstanden zu haben, wie das eigentlich geschehen war.

Es war also kein Zufall, dass Dschingis Khan seine Aufklärung in den Westen geschickt hatte, vielmehr war das eine Fügung der Geschichte. Der große Herrscher wusste ausgezeichnet, wie es in Europa aussah. „Das Turkvolk muss seinen verlorenen Namen wieder erlangen“, entschied er.

Khan Dshebe und sein Gehilfe Subutai (Sudebej) brachten aus dem Altai die heilige Sulde-Fahne nach Osteuropa. Sie war das Heilmittel gegen alle Krankheiten des Turkvolkes. Der Herrscher hatte den Aufklärern befohlen, „in den Westen zu ziehen, solange sie auch nur einen einzigen Angehörigen des Turkvolkes antreffen“. So ging Khan Dshebe nur vorwärts, um den Namen und die Ehre seines Volkes wiederherzustellen. Fremde Länder brauchte er nicht.

Dschingis Khans Aufklärertruppen eroberten niemanden. Sie legten nur ruhig Orte für die Armee fest, die bald kommen sollte. Unter den ansässigen Kiptschak wählten sie Vollstrecker aus, die die Steuern für die Armee einziehen und die Macht ausüben sollten. Sie zogen alles in Rechnung, ihnen stand alles zur Verfügung. Gleich Ärzten taten sie ihr unauffälliges, doch nützliches Werk: Sie pflegten die kranken Lande gesund.

An jene Tage erinnern die Wörter, die damals aufkamen. „Jesaul“ wurde der Vollstrecker genannt, „Jamschtschik“ jener, der in der Poststation (Jama) Passvermerke machen sollte. „Daroga“ hieß jener, der für die Verkehrsordnung und Verkehrswege verantwortlich war (vgl. Das russ. Doroga, Straße, Weg). Der Aufmerksamkeit von Dshebe und Subutai entging nichts. Ordnung zog in den Staat wieder ein!

Im Jahre 1223 erreichte der Trupp die Grenze der westlichen Welt. Diese Grenze wurde vom Papst, richtiger: von der Macht der ihm voll und ganz untergeordneten Kirche, festgelegt.

Die Kiewer Rus war das östliche Bollwerk des unsichtbaren Imperiums des Papstes. Vielleicht wusste sie gar nicht, dass sie mit der Annahme des Christentums eine Kolonie des Papstes geworden war. Doch gerade hier, in den Steppen der Ukraine, grenzten Ost und West aneinander. Deshalb mussten sie sich hier miteinander messen. Wie zu Attilas Zeiten.

Ihr Kampf war unvermeidlich. Selbstverständlich war sein Grund nicht nur der Meuchelmord an Dschingis Khans Abgesandten in Kiew. Alles war viel komplizierter: Zwei Weltanschauungen prallten aufeinander, zwei Kulturen, zwei Wahrheiten. Jede davon wollte sich und das eigene Fortbestehen behaupten.

Am 30. Mai begann die berühmte Schlacht gegen die russischen Fürsten; ihre Armee war zahlenmäßig viermal so stark wie der Trupp von Khan Dshebe und Subutai, ihnen half ganz Europa. Alles war auf ihrer Seite. Nur Gott nicht.

Die Schlacht begann ungewöhnlich. Zuerst demonstrierte der Trupp von Khan Dshebe kunstvoll seine Kampfunfähigkeit, tat erschrocken und imitierte einen eiligen Rückzug. Das war eine Vorstellung, von einer solchen Kriegskunst machte Dschingis Khan Gebrauch, wenn die gegnerischen Kräfte ihm überlegen waren. Aber die russischen Fürsten wussten nichts davon, sie verfolgten den sich zurückziehenden Gegner und zogen ihre Armee viele Kilometer weit auseinander. Ihre große Überlegenheit schmolz dahin wie Schnee im Frühjahr.

Erst am Fluss Kalka begriff der Kiewer Fürst Mstislaw, was passiert war, es war aber zu spät. Erst an der Kalka begann die richtige Schlacht.

Kaum jemand überlebte sie. Sechs Fürsten, siebzig Bojaren, zehntausende einfache Krieger blieben auf dem Schlachtfeld. Der Aufklärungstrupp schlug die Riesenarmee mühelos aufs Haupt; dabei hatte auf diese Armee der Papst gesetzt, als er von einem „zweiten Rom“ im Osten von Europa sprach.

Die Kiptschak, die den Altai vergessen hatten, erhielten eine eindringliche Lehre.

Allerdings rächten sie die Niederlage an der Kalka, aber diesmal ohne die Russen. Im Herbst desselben Jahres überfielen sie dreist den Trupp von Dshebe und Subutai, als jene die Itil (Wolga) überquerten.

Nun, das war eine des Turkvolkes würdige Antwort.

 

 

Ein Joch, das es nicht gab

Dennoch hinterlässt jener große Feldzug ein Gefühl des Befremdens: Die Niederlage an der Kalka ist für die Rus der Beginn des tataromongolischen Jochs. Den Sieg der Großen Steppe trug sie in ihre Geschichte nicht als einen Sieg und nicht als eine Niederlage ein, sondern als das Verschwinden des Landes der Kiptschak vom Erdboden.

Einfach unglaublich.

Wie behauptet wird, hätten die Kiptschak nach diesem ihrem herrlichen Sieg den geschlagenen Russen die eigenen Städte, Stanizas, Ackerböden und Weideflächen geschenkt und sich in unbekannte Richtung verzogen. Unvorstellbar: Ein Volk von mehreren Millionen verschwunden! Von allein und freiwillig, über Nacht, ohne Spuren zu hinterlassen. Gerade das behauptet die offizielle Geschichte.

Konnte es so etwas überhaupt geben?

Der gesunde Menschenverstand lehrt, dass es viel zu wenige Russen in der ganzen Welt gab, um jenes „Geschenk des Khans“ anzunehmen und die Städte auch nur am Don zu besiedeln. Dabei ist der Don noch nicht die ganze Große Steppe, vielmehr ein kleiner Teil davon.

Die Rus machte ein Hundertstel der Steppe aus.

Ist folglich alles, was mit dem Begriff „Joch“ zusammenhängt, einfach frei erfunden?

Jawohl, frei erfunden. Es ist sogar bekannt, wann das geschah: im Jahre 1823. Bekannt ist auch, wo das geschah: in Petersburg. Der Gedanke stammt von einem Gymnasiallehrer.

Leider gibt es viele Entstellungen in der Geschichte der Völker, Entstellungen jeder Art. Mit ihnen wuchsen Generationen auf, denen man die Wahrheit von ihren Ahnen und ihnen selbst vorenthielt. Das war in Westeuropa üblich, und seit dem 18. Jahrhundert auch in Russland.

Der gesamte geschichtliche Verlauf war natürlich anders gewesen.

Der Feldzug von Khan Dshebe und Subutai wirkte auf Dschingis Khan wie eine kalte Dusche. Er verstand, dass er den Westen nicht besiegen konnte, weil ihm jene Kiptschak im Wege standen, die weder Sulde noch Jassa anerkannten. Schon um 1223 verlor der Feldherr das Interesse am Westen.

Wie es im Leben oft vorkommt, spielte ein Zufall die entscheidende Rolle.

Einmal war Mangusch, Sohn von Khan Kotjan, auf der Falkenjagd in der Steppe. Er begegnete Khan Akkubul, einem alten Rivalen des eigenen Geschlechts. Wären sie auseinandergeritten, hätte sich womöglich die gesamte Weltgeschichte anders gestaltet. Doch sie ritten nicht auseinander, vielmehr schlugen sie sich, und im Zweikampf tötete Akkubul den jungen Mann.

Kaum war die traurige Nachricht bis zum Dnepr, zu den Besitzungen von Khan Kotjan, vorgedrungen, als er seine Truppen sammelte und sie in die Schlacht mit Khan Akkubul, zum Don führte.

Die Kiptschak vom Dnepr kämpften am Don wie die Löwen. Akkubul wurde verwundet und konnte sich nur mit Mühe retten. Da er keine Kräfte zu einem Gegenschlag aufbringen konnte, sandte er seinen Bruder Ansar zum Altai, damit er Hilfe brachte. Jener führte denn auch die „Mongolen“ zum Don.

Das geschah fünf Jahre nach der Schlacht an der Kalka. Dschingis Khan war nicht mehr am Leben. So und nicht anders begann das „tataromongolische Joch“. Dabei war an ihm nichts Erniedrigendes. „Ige“ (vgl. Das russ. Igo, Joch) bedeutet in der alten Turksprache „Herr“. Die Große Steppe bekam einen Herrn: Jassa. Und dazu die Sulde-Fahne.

Es gab weder das Verschwinden eines Volkes noch einen Einfall von „Nomadenhorden“. Es kam ein Gericht, das zwang, auf das Gesetz zu hören. Besonders schwer strafte das Jassa-Gesetz wegen Streitereien und Hader unter den eigenen Leuten. Die Steppenbewohner söhnten sich aus, Friede kehrte in ihre Häuser ein.

Der Westen hatte sie gegeneinander aufgehetzt, Dschingis Khan söhnte sie miteinander aus. Das war in Wirklichkeit geschehen.

Das Leben schien in die gewohnten Bahnen zurückgekehrt zu sein, veränderte sich aber doch.

Die Steppe erkannte Jassa an und blieb turkisch. Denn am Don, am Dnepr, an der Wolga lebten Kiptschak. Hier hatten sich seit Khan Aktasch vierzig Generationen abgelöst. Die Kiptschak waren schon seit langem in der Steppe ansässig.

Nachdem sie das „Ige“ angenommen hatten, veränderten sie sich natürlich nicht äußerlich, nannten jedoch ihr Land auf neue Weise: Goldene Horde bzw. Blaue Horde. Ein neues Leben zog ein und hinterließ seine Spur.

Die neuen Benennungen in der Steppe zeichneten sich dadurch aus, dass sie sich nach der Farbe der Fahne richteten. Was das Wort „Horde“ betrifft, so bedeutete es so viel wie „ein Land, das das Jassa-Gesetz anerkannt hat“.

Die Söhne von Dschingis Khan teilten die riesige Großmacht Altai unter sich auf. In jeder einzelnen Horde regierte ein Khan. Der älteste Sohn, Dschütschi, erhielt die westlichen Lande, d. H. Die Goldene Horde, doch regiert wurde diese von seinem Sohn Batu.

Zur Hauptstadt der Goldenen Horde bestimmte er Sarai, die reichste Stadt Osteuropas. Ihre Paläste und Fontänen riefen selbst bei Venezianern, die manchmal herreisten, Bewunderung hervor. Sarai wurde rasch zu einer Kreuzung von Handelsstraßen, über die Waren aus Ost und West befördert wurden. Beliebige Luxusgegenstände waren auf seinen Basaren zu haben. In der Stadt blühte das Handwerk, sein professioneller Stand setzte die Byzantiner in Erstaunen. So fanden Archäologen dort z. B. Einen Kaffeeservice von feinster Arbeit, ausgesuchten Goldschmuck und Münzen (heute werden sie in der Ermitage aufbewahrt).

Die Stadt war wegen ihrer herrlichen Bibliothek und ihrer Wissenschaftler berühmt. Wohlgemerkt: Die Rede ist von der Hauptstadt des „blutrünstigen“ Batu, eines „Wilden“, wie gewisse Historiker ihn nennen. Fakten überzeugen jedoch vom Gegenteil.

Bekannt ist, dass Batu von seinen Angehörigen Sainkhan, d. H. Gutmütiger, genannt wurde. Das war sein Hausname. Er war dick, untersetzt, faul, hatte eine Schwäche für Luxus, Muße und lange Tischgespräche. Auf Kriege und Feldzüge legte er keinen Wert.

Selbstverständlich führte Batu Kriege, und zwar erfolgreich. Aber sein Wille war das nicht. Unter seiner Fahne standen 300 000 Reiter – Kiptschak von Dnepr, Don und Itil – kampfbereit. Unter ihnen waren auch „Mongolen“, d. H. Ankömmlinge aus dem Altai, ihre Zahl betrug 4 000. Sie wurden von Batus Onkel, Khan Oktaj, zu ihm geschickt. Er war es auch, der Subutai zum Oberbefehlshaber der Goldenen Horde ernannte. Dieser Liebling von Dschingis Khan machte die Horde berühmt. Als entschlossener Mensch zwang Batu zu Handlungen, die er selbst für nötig hielt. Auch machte Subutai vor nichts Halt.

Auf sein Beharren führte die Goldene Horde 1237 Dschingis Khans Jassa bei den Kiptschak von Rjasan und anderen Landen ein. 1240 musste Kiew, das die Jassa-Gesetze nicht anerkannte, erfahren, wie hoch die Strafe dafür ist. Dann waren Buda und Pest, Prag, Kraków, Porzega und andere turkische Städte an der Reihe.

Dank Subutai erinnerten sich die Angehörigen des Turkvolkes, die in Zentraleuropa lebten, an ihre Ahnen. Nicht Batu, sondern Subutai schlug die polnischen, bohemischen, deutschen und ungarischen Ritter im Kampf. Er war ein großer Krieger. Europa kannte keine Feldherren von seinem Format. Erstaunlich an seinen grandiosen Siegen waren Eleganz und Leichtigkeit.

Subutai führte Krieg genau nach den Geboten von Dschingis Khan. Das Gebot aber lautete: vorwärts gehen und erst dort stehen bleiben, wo die turkische Welt endete; nichts Fremdes an sich nehmen; nur Eigenes zurückerobern. Deshalb kehrte Batus Armee 1238 von ihrem Marsch auf Nowgorod zurück; selbstverständlich nicht, weil sie vor jemandem Angst bekam.

Subutai sah eben: Dort gab es keine Angehörigen des Turkvolkes, also war das ein fremdes Land. Man erlegte ihm einen Tribut auf und ging von dannen.

Im 13. Jahrhundert endete die turkische Welt an der Moskwa. Weiter nördlich lagen die Lande der finnisch-ugrischen Völker, fremde Lande.

Damals bedeutete die Auferlegung eines Tributs nicht Unterwerfung, sondern das Schließen eines Bündnisses. Der Tribut war sowohl eine Steuer als auch ein Vertrag, keineswegs ein blutiges oder furchterregendes Wort. Dschingis Khan hieß schwache Verbündete schützen. Batu hielt sich an dieses Geheiß – vielleicht sogar viel zu genau.

Dschingis Khans Jassa verpflichtete ihn dazu, jede Stadt und jedes Land zu schützen, wenn sie zum Gott des Himmels beteten und den Khan anerkannten. Sonst wurde vom Tributpflichtigen nichts verlangt. Nur eben sein reines Gebet.

Das war der ganze Tribut, den die Rus unter Batu der Goldenen Horde zahlte.

Dafür beschützte die turkische Armee den Tributpflichtigen vor äußeren Feinden. Das Fürstentum Nowgorod z. B. Wurde von Khan Aliskander beschützt. Als Sohn eines Fürsten von Wladimir und einer Kiptschak-Prinzessin, war er in Batus Palast aufgewachsen. Batus Sohn Sartak war sein Milchbruder. Beide Jungen wuchsen zu den Klängen der Steppenlieder auf.

Zu seiner berühmten Schlacht auf dem Eise des Peipussees 1242 führte Aliskander die Reiter der Goldenen Horde, und sie erteilten den Teutonen eine grausame Lehre. Die Reiter waren es, nicht die Russen. Diese hatten damals überhaupt keine Armee und schickten ihre jungen Männer in die Horde zum Armeedienst, wie das im Vertrag vorgesehen war.

Khan Aliskander und Alexander Newski sind also zwei völlig verschiedene Menschen in ein und derselben Gestalt. Im 18. Jahrhundert, als Russlands Geschichte „korrigiert“ wurde, verwandelte man den Khan in Alexander Newski und machte einen russischen Heiligen aus ihm. Dabei konnte er nicht „Newski“ sein, weil er sich an der Schlacht an der Newa nicht beteiligte. Dort kämpften die Schweden gegen die Finnen, und zwar nicht auf dem Territorium der Rus.

Auch Batu ist eine Figur mit „doppelter Geschichte“. Dabei half er der Kirche. Von seinem „tataromongolischen Joch“ profitieren in erster Linie die russischen Klöster: Ihre Zahl in der Rus vervielfachte sich. „Wer zum Himmel betet, möge beten“, sagte der Khan.

Er erließ den Geistlichen die Steuern und baute eifrig neue Kirchen. Sein Sohn Sartak wurde zu einem Diakon. Batu selbst allerdings ließ sich nicht taufen, als er erfuhr, dass Tote in die Kirchen getragen werden, und vor Toten hatte er große Angst. Seine Frau aber konvertierte zum Christentum.

Offenbar war es kein Zufall, dass Venezianer, päpstliche Agenten, sich in Sarai bei Batu lange aufhielten. Sie wollten ihn zum Christentum überreden: Er war der Erste, der Zweifel an dem Glauben seines Vaters und Großvaters bekam. Das Verhalten des Khans war einem Verrat nah.

Zweimal verriet Batu die Goldene Horde und die turkische Welt.

Dieser beleibte schwerfällige Mensch zerstritt sich mit den Aristokraten. Sie verachteten ihn wegen seines Verrats am Glauben und wegen seiner Faulheit und machten kein Hehl daraus. Zuerst duldete Batu das schweigend, dann beschwerte er sich bei seinem Onkel, fand bei ihm keine Unterstützung und machte sich mit der Grausamkeit eines Schwächlings daran, die ihm verhassten Menschen zu vernichten. Das war ein großes Unglück für die Goldene Horde. Viele Köpfe rollten.

Die Aristokraten verließen eilig die Heimat. So zogen sie z. B. In den Kaukasus, um sich dort vor dem wahnsinnig gewordenen Nachkommen Dschingis Khans zu verbergen. Sie konnten Batu nicht töten, wollten ihn aber auch nicht sehen. Ein anderer Teil des Adels rettete sich nach Westeuropa, und wieder ein anderer Teil ging nordwärts, in die Lande der finnisch-ugrischen Fürstentümer, über die Batu keine Macht hatte. Auch Twer, Kostroma, Moskow und andere Waldstädte boten den Flüchtligen aus der Steppe Zuflucht.

Mit diesen ausgewanderten turkischen Aristokraten begann der russische Adel: Die Kiptschak nahmen russische Namen an und dienten bei russischen Fürsten. Die Rus bereicherte sich märchenhaft: Die Aksakow, Araktschejew, Bulgakow, Godunow, Golizyn, Kutusow, Kurakin, Nachimow, Ogarjow, Puschkin, Suworow, Turgenjew, Tolstoi, Tschirikow, Jussupow – über dreihundert turkische Familien ließen sich in der Rus nieder.

Dreihundert Geschlechter, die Blüte des künftigen Adels. Die besten, die würdigsten Menschen. Sie verließen die Große Steppe, ihre turkische Welt für immer. Russlands Anfänge sind bei ihnen und nicht bei der Kiewer Rus zu suchen.

Nach dem Gebot ihrer Ahnen hatten diese turkischen Aristokraten „ihr Schwert verkauft, um den Namen zu erwerben“, und wurden zu Würdenträgern eines anderen Landes. Selbst die russischen Zaren Romanow sind turkischer Abstammung: Sie gingen aus dem Geschlecht Kopyl hervor, davon zeugt ihr Stammbaum.

Somit schuf der starrsinnige Batu Russland – aus einer Laune heraus!

Unter ihm verwandelte sich das unbedeutende Städtchen Moskow in die Fürstenstadt Moskau. Berühmt wurde es jedoch nicht durch Handel oder Handwerk, sondern durch die Steuer, die seine neuen Einwohner in der ganzen Rus eintrieben.

Das war eine Gendarmenstadt, die der Goldenen Horde diente.

 

 

Die Inquisition

Batus Feldzug von 1241 versetzte Europa in große Angst.

Damals rückte die turkische Armee an die Grenze Italiens, an das Adriatische Meer heran. Sie zerschlug die Elitetruppen des Papstes und blieb dort überwintern, um sich auf den Feldzug gegen Rom vorzubereiten. Der Ausgang der Angelegenheit war nur eine Frage der Zeit.

Batu dachte natürlich nicht an die Eroberung Roms. Die turkischen Katholiken, die sich dort angesiedelt hatten, mussten auf die Herrscher des eigenen Volkes und nicht auf die des Papstes hören. Von diesem Gedanken ließ man sich im Altai leiten, als man die Armee in das ferne Europa ausschickte.

Es ist unvorstellbar, was sich in jenem Winter abspielte. Ein richtiges Ende der Welt. Überall Panik und Chaos. Attilas Nachkommen erwarteten das vom Osten kommende Gericht und sprachen nur noch davon. Niemand wusste jedoch im Grunde, was es mit diesem Gericht auf sich hatte. Die Katholiken fürchteten nicht die „Mongolen“, sondern die Ordnung, die diese mit sich brachten.

Denn unter der neuen Ordnung wurde der Papst überflüssig auf dieser Erde.

Die Einwohner Gotlands (Schwedens) z. B. Waren dermaßen erschrocken, dass ihre Schiffe nicht mehr zum Heringsfang ausliefen und auch sonst nicht in den See stachen, um nicht zufällig Batus Armee herzuführen. Die Märkte waren geschlossen, eine große Gleichgültigkeit befiel alle und ergriff die Herrschaft über alles.

In den Straßen der europäischen Städte trieben sich von Angst verblendete Menschen umher, die nicht wussten, vor wem und wohin sie fliehen sollten. Es war, als fühlten sie eine große Schuld, die auf ihnen lastete. Aber was für eine Schuld? Jeden Tag erwartete man Batu. „Gott, errette uns vor der Wut der Tataren“, flehten die Europäer, die Augen zum Himmel erhoben. In England kam sogar der Ausdruck „to catch a tartar“ auf, der so viel bedeutete wie „auf einen notorisch stärkeren Gegner zu stoßen“.

Doch ein Überfall blieb aus.

Anfang März 1242, unmittelbar vor dem Angriff, traf im Hauptquartier die Nachricht ein, dass Batus geliebter Onkel, Khan Oktaj, im Altai gestorben war. Batu fühlte sich verloren, weinte fortwährend und fand keine Ruhe. Von einem Feldzug wollte er nichts mehr hören.

Der Oberbefehlshaber sah sich in einer sehr schwierigen Lage: Ohne den Khan konnte er weder einen Rückzug noch eine Attacke unternehmen. Die Armee, die zu einem entscheidenden Sieg motiviert war, war am Scheideweg. In Tränen aufgelöst und kniefällig flehte Batu Subutai an, ihn gehen zu lassen. Nichts lockte den trauernden Khan mehr an, nicht einmal ein naher Sieg.

Letzten Endes reiste er ab und überließ die Armee ihrem Schicksal.

Der Oberbefehlshaber Subutai aber ließ, um den Gegner irrezuleiten, einen Aufklärungstrupp vorrücken, damit sich die Europäer von seinen ernsten Absichten überzeugten. Der Trupp ruinierte die Städte auf seinem Weg und zeigte auf jede Weise seine Entschlossenheit und Unversöhnlichkeit.

Unterdessen zog sich die Armee langsam, um nicht den Verdacht einer Flucht zu erwecken, zurück. Subutai ging schlau vor. Er erklärte z. B., der Altai verzeihe den europäischen Kiptschak ihren Verrat am Glauben an den Gott des Himmels.

Erst dann seufzte Europa erleichtert auf.

Nun trat aber Papst Innozenz IV. In den Vordergrund. Er hatte einen dreisten Plan, der darin bestand, aus seinen Feinden Verbündete zu machen.

Dieser Papst war als hervorragender Jurist und durchtriebener Politiker bekannt. Seine Ahnen waren Langobarden, also Kiptschak, und bei ihnen und nicht bei den Römern fand er Unterstützung: Der Papst stammte von fremdländischen Rittern ab. 1245 entsandte er seinen Botschafter, den Mönch Giovanni del Plano Carpini, in den Altai, in die Hauptstadt des „mongolischen“ Reiches, Karakorum. Das Ziel der Reise schien friedlich zu sein: Der Papst erkannte Tengri an und bot den Kiptschak ein Bündnis zur Bekämpfung der Moslems an.

Ein raffinierter politischer Schachzug. Noch dazu völlig überraschend. Er suchte nicht einen Krieg, sondern ein Bündnis: Der Altai und der Westen sollten gegen den moslemischen Osten gemeinsam kämpften und Europa so vor einer neuen Invasion der Kiptschak retten. Ausgezeichnet konzipiert.

Den Botschafter begleitete ein anderer Mönch, der Dolmetscher turkischer Abstammung Benedikt Polak. Sie durchzogen die Große Steppe und sahen sie mit eigenen Augen, den Augen von Spionen! Diese Aufklärung brachte glänzende Resultate. Sie schrieben einen Bericht für den Papst und dann noch ein Buch. Beide waren die ersten Katholiken, die den Altai – das Paradies – besuchten.

Später, 1253, hielt sich hier unter dem gleichen Vorwand ein weiterer päpstlicher Spion, Guillaume de Roubrouc, auf.

Im 13. Jahrhundert war der Plan der Kirche reif, den ihr Dschingis Khans Jassa vorgesagt hatte. Ein genialer Plan, der den Namen Inquisition bekam. Das Wesen war einfach und verständlich: Um neue Angriffe der Goldenen Horde zu vermeiden, müsse man jede Spur der Anwesenheit der Kiptschak in Europa tilgen. Es galt, zu erreichen, dass nichts mehr an sie erinnerte. Aber wie?

Durch Vertuschen! Dschingis Khans Jassa verpflichtete ja dazu, den Krieg nicht gegen die Europäer, sondern nur gegen die dort lebenden Angehörigen des Turkvolkes zu führen. „Vorwärts kommen, bis man den letzten Kiptschak trifft“: So lautete ein Jassa-Gebot. Dann erst solle man umkehren.

Deshalb unternahm Batu keinen Feldzug gegen Byzanz! Dort war die Turksprache verstummt, in Westeuropa aber noch nicht.

Die päpstlichen Helfershelfer waren wieder auf der Höhe.

Von der Inquisition sprachen sie zuerst beim Kirchenkonzil von 1229 in Toulouse, nach der Niederlage der Russen an der Kalka, dann wieder 1245 in Lyon, schon nach Batus europäischem Feldzug.

Die Idee stammte vom Mönch Dominikus. Er schlug vor, einen weiteren Orden, den gefährlichsten und mächtigsten, zu gründen. Der Orden sollte alles Turkische ausmerzen, sich alle Gerichte unterstellen, die Schuldigen aufspüren und die Untersuchung selbstständig durchführen. Kurzum, Richter und Henker zugleich sein.

So entstand der Dominikanerorden. Auf seinem Wappen waren wütende Hunde dargestellt, als Symbol der Gefahr für die Ketzerei. Alles Turkische galt als Ketzerei.

Diese Entscheidung gefiel natürlich nicht allen. Einige Katholiken wollten die Turksprache nicht vergessen und die eigenen Sitten „vertuschen“. Zu Häretikern verschrien, wurden diese Menschen die ersten Opfer der Inquisition.

Übrigens ist das Wort „Häretiker“ turkischer Abstammung. Jawohl, selbst dieses Wort! Da hatten die turkischen Katholiken nichts Neues erfunden. Mit ihm wurden Menschen bezeichnet, die die Ansichten der Kirche ablehnten. In der Turksprache bedeutet „Häresie“ „das Abzulehnende“. Mit Hilfe der Inquisition „maskierten“ die Katholiken Europa.

Rein menschlich kann man es ihnen nachfühlen. Die Menschen empfanden sich nicht als Angehörige des Turkvolkes, sondern als Europäer. Die Mongolen, ihre Brüder, erkannten das vielleicht mit einem zehnten Gefühl. Doch in erster Linie sahen sie in ihnen Vertreter einer anderen – nicht europäischen, folglich fremden und feindlichen – Kultur. Fremde Brüder... Sie unterschieden sich voneinander wie ein Prinz von einem Bettler.

Aber jeder glaubte, der Prinz sei er.

Um ein einheitliches Volk zu sein, genügt es also noch nicht, die gleiche Sprache zu sprechen und gemeinsame Wurzeln zu haben. Es bedarf einer gemeinsamen Kultur, und sie war nicht mehr da: Die Große Steppe hatte sich im Laufe von Jahrhunderten im Westen aufgelöst und sich in einen Bestandteil Europas verwandelt. Nur die Häretiker, diese kleinen Inseln im Ozean des Vergessens, gemahnten an die turkische Vergangenheit.

Was aber lehnten die Häretiker ab? Wonach suchten sie, woran hielten sie sich?

Die Zahl ihrer Gemeinden im mittelalterlichen Europa ging in die Dutzende: Bogomilen, Katharer, Albigenser, Oliviten, Euchiten, Johanniten u.a. Die einen waren bekannt und zahlenmäßig stark, andere nicht. Eines war ihnen aber gemein: Sie traten gegen die Kirche auf. Genauer, gegen den Obskurantismus, der sich gleich einer finsteren Wolke über Europa verdichtete.

Sie erklärten die Entstehung der Welt auf ihre Weise, glaubten an die Seelenwanderung und bestanden darauf, dass Christus nicht gleich Gott sei. Sie vertraten die Ansicht, dass es Einen Gott gebe und dass Er im Himmel sei. Nein, sie verneinten die Religion Europas nicht. Sie verwiesen lediglich auf die Laster, die die Kirchenfürsten verbreiteten.

Es empörte sie, dass sich Geistliche, die sich „Gottesdiener“ nannten, im Luxus schwelgten und prassten, während das Volk, das auf ihre Predigten hörte, im Elend dahinvegetierte.

Offenbar waren die Häretiker nicht die dümmsten Menschen. Sie beichteten nur bei Gott und ließen die päpstlichen Diener nicht an die Geheimnisse ihrer Seele heran. Auch das ärgerte die Kirche.

In Südfrankreich und Norditalien, wo es, wie die Mönche sagten, „vor Häretikern wimmelte“, waren die Katharer bekannt. Sie wurden auch als Bulgaren, Chasaren und selbst Langobarden bezeichnet. Diese Nachkommen der fremdländischen Gentry bewahrten sich den Glauben an Tengri und hatten ihre eigene Kirche.

Sie fanden Unterstützung in Flandern und anderen Ländern, in denen ebenfalls Kiptschak lebten, die Tengri nicht vergessen hatten.

Nach Meinung der Katharer waren z. B. Die katholischen Riten viel zu reich und prunkvoll. „Gott liebt Bescheidenheit“, sagten sie. Auch diese Worte ärgerten die Kirche, die, reich geworden, ihre Schwäche für Reichtum, Sattheit und Unterhaltungen entdeckte.

Bemerkenswerterweise stimmte die Gotteslehre, die die Katharer in den Burgen der französischen Gentry predigten, erstaunlich mit der überein, die im Altai oder bei den nördlichen Buddhisten bestand. Das war die Philosophie des Ostens!

Aber bei der Kirche waren die Häretiker aus unerfindlichen Gründen als Dummköpfe verschrien.

Nicht von ungefähr wurden die Katharer die ersten Opfer der Inquisition. Im Jahre 1229 erlebten sie einen Überfall der Kreuzritter, die ihnen einen empfindlichen Schlag versetzten.

Viel Blut wurde damals in den Besitzungen des Herzogs Raymond von Toulouse vergossen. Die Nachkommen der Kiptschak kämpften bis zum letzten Mann, aber die Kräfte waren viel zu ungleich. „Treibt ihn und seine Anhänger von seinem Schloss fort“, schrie der Papst, „nehmt ihm alle Lande weg, die Besitzungen der Häretiker sollen rechtgläubigen Katholiken gehören!“

Diese Worte enthüllen einige Geheimnisse der Inquisition.

„Die Besitzungen der Häretiker einnehmen ...“ Das vergaß die Kirche nie, wenn sie eine neue Politik einleitete; darunter auch die der Inquisition.

Wie wurden in der Hitze des Gefechts Häretiker von richtigen Katholiken unterschieden? Ganz einfach. Der päpstliche Legat Arnold Amalric etwa gab folgenden Rat: „Tötet alle miteinander. Gott wird selbst zwischen den Seinen und den Fremden unterscheiden.“

Eine wahre Räuberei herrschte im 13. Jahrhundert.

Es ist, als hätten manche Europäer den Einbruch der turkischen Armee herbeigesehnt. Sie wussten um Dschingis Khans Jassa, und mit ihrer „Häresie“ gaben sie sich ihren Landsleuten vom Altai zu erkennen. Diese Behauptung mag strittig sein, ist jedoch nicht auszuschließen. Das Turkvolk konnte nicht so einfach wegsterben, ohne Widerstand zu leisten, es suchte seine Kräfte in jeder neuen Generation. Dennoch gab es den Widerstand allmählich auf. Die Inquisitoren taten das Ihre: Sie „beförderten die Menschen vom Leben zum Tod“.

Natürlich lehnten sich die Menschen auf, sie vergalten Böses mit Bösem. Ein Kampf war im Gange, ein grausamer und langwieriger Kampf auf Leben und Tod. Er tobte überall: in Frankreich, der Schweiz, der Tschechei, in Ungarn, Polen, England, Deutschland, Bulgarien. Überall weist die Geschichte seine Spuren auf.

Der Wille der Inquisition wurde vom Gericht verkündet. Ein Beschuldigter wusste mitunter gar nicht, weshalb er vor Gericht kam und wer Zeuge seines angeblichen Verbrechens war. Er wurde grausam gefoltert, darauf wurde auf dem Marktplatz zu Trompetenklängen und zum Gebrüll der Menge das Urteil verlesen. Das war weder Gericht noch Untersuchung. Den Menschen wurde einfach Angst eingejagt, damit sie sich nie gegen die Kirche und ihre Entscheidungen auflehnten. Damit sie beim bloßen Klang eines Wortes der Turksprache zusammenzuckten wie unter einem Schlag.

Es gab drei Arten Strafe: „Aussöhnung“, „Beschlagnahme des Vermögens“ und „Gefängnis“. Wer sich auf seine Häresie versteifte, wurde bei lebendigem Leibe verbrannt.

Es brannten Menschen und Bücher. Ganze turksprachige Bibliotheken gingen in den Flammen der Inquisition für immer auf. Für die Franzosen, Engländer, Deutschen, Schweizer und andere Völker war das ihre eigene, ihre „Haussprache“, waren das ihre Hausbibliotheken. Und diese wurden in erster Linie verbrannt.

Gewisse kostbare Bücher wurden jedoch in den Bibliotheken der Kirche versteckt, damit niemand in Zukunft etwas von ihnen wusste. Dem Himmel sei Dank, etwas hat sich auf diese Weise doch erhalten. Außerdem blieben einige turksprachige Bücher in den weltlichen Archiven erhalten, weil die Inquisitoren sie einfach außer Acht ließen.

Nach Papieren zu urteilen, die dem Feuer völlig zufällig entgangen sind, schrieben und sprachen die Grafen Fugger von Augsburg (in der Nähe von München) noch 1553 – 1555 die Turksprache. Davon zeugt auch eine 1598 herausgegebene Schrift des ungarischen Historikers Thelegy über die Kiptschak Europas und ihre Sprache.

Das war nicht einmal ein Buch, vielmehr das Aufstöhnen eines Menschen, dem die Heimat gestorben war.

 

 

Dschingis Khans Nachkommen

Historikern ist es seit langem aufgefallen, dass alte Handschriften in Europa nur fragmentarisch vorliegen – als hätte jemand absichtlich einige Kapitel der Geschichte gelöscht. Oder die entsprechenden Seiten mit Farbe übergossen, damit sie unleserlich wurden. Die antike Epoche hat weit mehr Dokumente hinterlassen als das Mittelalter. Eben deshalb nennt man das Mittelalter finster.

Erst im 15. – 16. Jahrhundert tauchten die Dokumente in ihrem vollen Umfang auf. Kam das etwa daher, dass die Menschen es neu lernten, zu lesen und zu schreiben? Welche Papiere waren verschwunden?

Solche, die in der Turksprache geschrieben waren!

Sie wurden verbrannt, weil sie aufbewahrten, was die Kirche zu verbergen suchte. Das Verschwinden historischer Dokumente oder ihre Fälschung sind ebenfalls eine Spur und ein trauriges Ereignis der Inquisition.

Die Häretiker wurden von den Dominikanern, die Dokumente aber von den Jesuiten, Mitgliedern der „Gesellschaft Jesu“, vernichtet. Das ist die fürchterlichste katholische Organisation, selbst die Päpste hatten Angst vor ihr. Sie unterstand niemandem. Ihr Grundsatz lautete: Das Ziel heiligt die Mittel.

Den Jesuitenorden gründete 1534 der Kiptschak Ignatius Loyola, um den päpstlichen Dienern die beste Bildung zu geben. Der Orden wurde auch der der Gelehrten genannt. Zu ihm gehörten nur gebildete Menschen, mittels der Wissenschaft übten sie ihre Justiz aus und verfolgten sie ihre Politik.

Bald schufen sie in Westeuropa ihr geheimes Imperium und nahmen die Wissenschaft und Bildung aller katholischen Länder in ihre Hand. Die Jesuiten eröffneten Schulen, Seminare und Akademien, in denen sie Jugendliche zu ihren Anhängern ausbildeten. Geduldig, von Jahrhundert zu Jahrhundert bauten sie eine neue Weltordnung auf: eine Welt, in deren Mittelpunkt der Westen und der Katholizismus standen.

Braucht man sich da noch zu wundern, dass das turkische Europa jetzt vergessen ist?

Dieser „Gelehrtenorden“ wühlte in Archiven, säuberte sie, raubte und verheimlichte Zeugnisse der Vergangenheit. Bis heute besteht im Vatikan eine Jesuitenbibliothek (amtlicher Name!), allerdings nur für Ordensmitglieder. Darin werden jene unschätzbaren Papiere und Bücher aufbewahrt, die nicht auf die Scheiterhaufen der Inquisition kamen. Sie wurden nicht verbrannt, vielmehr erhalten, damit die Eingeweihten allein die Wahrheit über das Mittelalter wussten und sie umso besser verheimlichen konnten.

Immerhin ein Gelehrtenorden.

Einen Teil der altturkischen Bücher übersetzten die Jesuiten ins Lateinische. Nun sind sie als Bücher mittelalterlicher lateinischer Autoren bekannt. Die Jesuiten haben die Weltgeschichte umgeschrieben, alles durcheinandergebracht und auf den Kopf gestellt. Die Hand des Kopisten machte nicht einmal vor den Lebensbeschreibungen von Heiligen Halt.

Der Orden funktioniert seit bald fünfhundert Jahren und frisst an der Wahrheit wie ein Wurm an einem Baum. Vom Maßstab seiner Tätigkeit mögen folgende Ziffern zeugen. Die Gesellschaft zählt 35 000 Mitglieder, gibt rd. 1 000 Zeitungen und Zeitschriften mit einer Gesamtauflage von 150 Mio. Exemplaren in 50 Sprachen heraus und hat 33 Universitäten und über 200 eigene Schulen. Das gigantische Imperium des Ordens regiert das Gewissen des Westens.

Die Jesuiten sind überall wie die Luft. Und ebenso unsichtbar.

Nach Moskau gelangten Abgesandte des Papstes dank Iwan Grosny, der ihnen Tür und Tor öffnete. Mit ihrer Hilfe bereitete der Moskauer Fürst Kriege gegen die Große Steppe vor. Dschingis Khans große Hervorbringung war dem Untergang geweiht. Dem Andrang des unsichtbaren päpstlichen Heeres konnte noch niemand in der ganzen Weltgeschichte standhalten.

„Wenn ein Mutiger Schwache anführt, wird jedermann mutig.“ Dschingis Khan war mutig. Er hatte „Schwache“ um sich geschart und der Welt das Altaische Imperium geschenkt. Aber der Feldherr hatte keinen würdigen Erben, und das nutzten die päpstlichen Agenten aus.

Auf seinem Todeslager gedachte der große Dschingis Khan nicht seiner Söhne, vielmehr sagte er: „Hört auf den kleinen Chubilai, seine Rede ist voller Weisheit.“ Das waren seine letzten Worte.

Dschingis Khans Enkel Chubilai vollendete den Triumph seines Großvaters in China; er entdeckte die Inseln Indonesiens und war in der Nähe von Australien; er wurde zum Herrscher über den Fernen Osten. Dem chinesischen Kaiser blieb nichts anderes übrig als sich den Dolch ins Herz zu stoßen und auszurufen: „Unsere Götter sind ohnmächtig!“ Die Siege des jungen Chubilai waren bewunderungswürdig.

Man kann sie natürlich auf verschiedene Weise werten, aber nur nicht als „Eroberung Chinas“! Denn es hatte kein China gegeben. Vielmehr gab es Provinzen, die erbittert gegeneinander kämpften. Erst die Kiptschak vereinigten sie zu einem einheitlichen Land. Der Sage nach gaben keine anderen als sie diesem Land den Namen China, d. H. Abgesondert („hinter der Großen Mauer liegend“).

Dschingis Khan und seine Nachkommen beabsichtigten, die mittelalterliche Welt auf ihre eigene Weise aufzubauen. Wohlgemerkt: aufzubauen. Was Attila angefangen hatte, setzte Dschingis Khan fort.

Ein weiterer Enkel von Dschingis Khan, Chulagu, vollendete das Werk seines Großvaters im Nahen Osten. Auch er war weit davon entfernt, Städte zu erobern, vielmehr rottete er Sektierer, die den Islam zerrütteten, aus. Er zog über die Lande des Kalifats als Enkel von Dschingis Khan, einem großen Eiferer des Glaubens und Verteidiger des Turkvolkes.

1258 nahm Chulagu Bagdad, Damaskus und andere Städte ein. Dagegen machte er einen Bogen um Mekka und Medina: Für ihn waren das heilige Städte!

Ging alles zum Besten in der turkischen Welt? Nein. Ein Hoffnungsstrahl leuchtete auf und erlosch wieder. Mit Batu begann der Abstieg. Es heißt nicht von ungefähr, dass auf einen Aufstieg ein Niedergang und auf eine Höhe eine Tiefe folge. Das ist nun einmal der Lauf des Lebens. Dschingis Khan war ein Genie. Seine Nachkommen waren es nicht. Sie verrieten den Glauben der Väter – und verloren alles.

Batu träumte davon, zum orthodoxen Christentum überzutreten, sein Bruder Berke wurde Moslem, Chubilai konvertierte zum Buddhismus und Mamai gar zum Katholizismus. Ihre Seelen waren von den Feinden zersetzt. So kam es, dass die großen Siege von Dschingis Khan durchstrichen wurden. Mehr noch, das Turkvolk selbst vergaß sie.

Man darf an Gott nicht zweifeln, denn das bedeutet die Verderbnis.

Kaum dass der Glauben in der Goldenen Horde ins Schwanken geriet, da war es mit der Einheit vorbei. In jenem Moment ging das Land zugrunde. Von allein. Niemand hatte es besiegt, niemand zum Abgrund gedrängt. Genauso ging die Horde in China unter.

Auf seine alten Tage wurde Chubilai Buddhist, nannte sich auf chinesische Weise Schutsu und seine Dynastie Yuan. Jede Erinnerung an das Turkvolk in China merzte er aus und deutete Dschingis Khan in einen chinesischen Nationalhelden um.

Bis heute wird Chubilai in China geliebt und verehrt. Man erinnert sich daran, wie er den kleinen Hinterhof des Palastes mit Steppenwermut besäte. Seinen Kindern sagte er auf Chinesisch, auf die winzige Wiese inmitten der Steinmauern weisend: „Dies ist das Gras der Demut. Bei seinem Anblick denkt an eure Ahnen zurück.“

Mit Demut endete das Mittelalter in der turkischen Welt.

 

* * *

 

 

 Wenn der Schlüssel zu einer Chiffre nicht bekannt ist, wandelt sich der Text in eine Geheimschrift um. In ebendieser Weise schrieben die Jesuiten die Geschichte Europas und Asiens: nach den Gesetzen der Geheimschrift. Deshalb nennt man jetzt das Mittelalter „düster“. Die Große Völkerwanderung ist aus der Erinnerung dahingeschwunden, die turkische Kultur, die hier mit Attila einzog und die römische Kultur ablöste, ist vergessen. Dennoch sind ihre Spuren nach wie vor überdeutlich. Das zeigt unser Buch. Sein Gestalter hat den Illustrationen keinen einzigen Strich hinzugefügt, er verwandte nur allgemein Bekanntes, dokumentarisch Belegtes. Wie sonst könnte man die Geheimnisse ausleuchten, die im Dunkel der „finsteren Jahrhunderte“ verborgen liegen?

Deshalb heißt unser Motto: Das Licht der Wahrheit ist der beste Schlüssel zur Chiffre!

 

Verzeichnis der Illustrationen und Kommentar

 

Zu S. 8 und 11

Michel Colombe. Der Hl. Georg kämpft gegen den Drachen. Marmor. 1508. Paris, Louvre. Das Thema des Kampfes Georgs mit dem Drachen drang in die europäische Kunst erst im 13. Jh. ein, nachdem die Kirche den Heiligen in einen Beschützer des Rittertums umgedeutet hatte. Bis dahin wurde er nicht als tötender Reiter dargestellt.

 

Zu S. 9

Reiter, mit dem Bogen schießend. Sattelverzierung. Bronze. 7. – 8. Jh. Chakassien.

 

Zu S. 10

Reiter. Detail eines Altars. Bronze. 4. – 2. Jh. v. u. Z. Kasachstan.

 

Zu S. 12 – 13

Bildnis eines Mannes. Gefäß aus Kafyr-Kala. Keramik. 6. Jh. Usbekistan.

Phidias und seine Schüler. Parthenon-Plastik. Marmor. 5. Jh. v. u. Z. London, British Museum.

 

Zu S. 14 – 15

Angreifende Römer (Nachzeichnung). Markussäule. Rom. Man beachte die Kleidung, die Waffen und die Helme der Römer sowie ihre Militärtaktik. So etwas hatten nur sie.

Schlacht zwischen Steppenbewohnern und Römern. Fragment eines Reliefs auf der Trajanssäule. Rom. Wiederum unterscheidet die militärische Einkleidung beide Armeen voneinander, und das zeigte der Maler.

 

Zu S. 16 – 17

Besiegte Briten. Relief des Antoniuswalls in Schottland. 2. Jh. Hier gibt die Kleidung der Besiegten ebenfalls über vieles Aufschluss.

Julius Cäsar. Grünes Schiefer. Berlin, Antikensammlung.

Hadrianswall, der nördlichste Vorposten des Großen Römischen Imperiums. 2. Jh. Großbritannien.

 

Zu S. 18 – 19

Skulptur aus der katholischen Nikolauskirche in Prag. Der christliche Erzbischof Kyrill tötet Hypatia, eine gelehrte Frau, wegen ihrer Neigung zur antiken Wissenschaft und zum Heidentum.

 

Zu S. 20 – 21

Zirkusszenen. Fragment eines Diptychons. 5. Jh. Sankt Petersburg, Ermitage.

Marcellustheater in Rom (1. Jh. v. u. Z.). Zeichnung. 15. Jh.

 

Zu S. 22 – 23

Türgriff aus Italien. 15. Jh. Sankt Petersburg, Ermitage. Beinahe jedes turkische Haus hatte schon im Alten Altai solche Türklopfer. In dieser Form haben sie sich bis heute erhalten.

Statue eines Kaisers aus Barletta. Fragment. Bronze. 4. Jh.

 

Zu S. 24 – 25

Adlerfibel. 5. Jh. Nürnberg, Germanisches National-Museum. Muster der Juwelierkunst der Großen Steppe. Solche Gegenstände werden oft in den Hügelgräbern am Don und Dnepr gefunden. Dort verstand man sich auf die Juwelierkunst. Die Funde werden gegenwärtig in einem Sonderdepot der Ermitage aufbewahrt. Die hier abgebildete Fibel stammt aus Italien.

Schlangen-Armspange. Bronze. 4. Jh. Berlin, Museum für Vor- und Frühgeschichte.

Büste von Kaiser Justinian. Chalzedon. 4. Jh. Sankt Petersburg, Ermitage.

 

Zu S. 26 – 27

Mausoleum der Galla Placidia in Ravenna, Innenansicht. 5. Jh.

Fragment eines Fundes aus den römischen Katakomben. Berlin, frühchristlich-byzantinische Sammlung. Diese jüdischen Kultgegenstände sind die einzigen aus der Zeit des frühen Christentums. In den Katakomben von Rom gab es weder Kreuze noch Ikonen, noch sonstige Funde. Wissenschaftler haben bewiesen, dass die Zeichnungen an den Katakombenwänden von mittelalterlichen Mönchen stammen. An den Anfängen des „Katakomben-Christentums“ stand im 4. Jh. der römische Papst Damasus.

Johannes der Täufer aus Basel. Silber, zum Teil vergoldet. 15. Jh. Sankt Petersburg, Ermitage.

 

Zu S. 28 – 29

Hafen in Ravenna. Mosaik der Kirche S. Apollinare in Classe, Ravenna. 6. Jh. Dieser Hafen wurde von den Kiptschak für die neue Hauptstadt ihres Imperiums gebaut. Die von Bergen und Morasten umgebene Stadt hatte keinen Zugang zum Festland, ihre Wege in die äußere Welt begannen erst jenseits des Hafens.

Guter Hirt. Fragment eines Mosaiks im Mausoleum der Galla Placidia in Ravenna. 5. Jh. Die Art der Schafe mit langem Schwanz war in der Großen Steppe üblich. Bisher gilt sie bei den turksprachigen Völkern als elitär und sehr alt. In Europa wurden vor der Einwanderung der Kiptschak Ziegen gehalten.

 

Zu S. 30 – 31

Baptisterium in Ravenna, ein Werk turkischer Meister aus dem 5. Jh. Darin wurden die örtlichen Einwohner und Kiptschak, die zum Christentum konvertieren wollten, getauft. Die Taufe erfolgte nach der altaischen Tradition, mit dreimaligem vollständigem Untertauchen.

Apostel Peter. 4. Jh. Sankt Petersburg, Ermitage.

 

Zu S. 32 – 33

Helm mit Visier. London, British Museum. Der Besitzer ist heute unbekannt. Darüber bestehen unterschiedliche Meinungen, ein Kiptschak wird allerdings nicht in Betracht gezogen. Offenbar handelt es sich um den Helm eines Ritters, der einem Khan  diente (der Gentry angehörte), oder, was wahrscheinlicher ist, den eines Khans selbst.

Stadtmauern und -türme von Carcasson. 12. – 14. Jh. Frankreich.

 

Zu S. 34 – 35

Piero della Francesca. Fragment einer Freske in der S.-Francesco-Kirche in Arezzo. 15. Jh.

 

Zu S. 36 – 37

Baltea, Aosta. Detail. 2. Jh.

Rosskopf. Aus einem in Bayern gefundenen Schatz. 3. – 4. Jh. Auffallend sind die Schlangentalismane sowie der Krieger im römischen Panzer. Offenbar gehörte der Rosskopf zum Schlachtross eines Kiptschak, der in Roms Diensten stand. Die Vermischung von Steppen- und römischen Elementen ist für jene Zeit charakteristisch. So wurde der erste König der Franken, Hilderik (gest. 482), in einem Kurgan wie ein Steppenbewohner begraben, unter Mitgabe von Waffen und eines reich geschmückten Schlachtrosses.

 

Zu S. 38 – 39

Panorama des Hradschin in Prag – ein typisches Beispiel der mitelalterlichen Gotik.

 

Zu S. 40 – 41

Fragment eines Diptychons von Areobindus. Elfenbein. 506. Nach den Symbolen zu urteilen, sind hier Nachkommen der ersten Generationen der lateinischen Kiptschak dargestellt. So sahen sie aus: noch nicht Europäer, doch auch nicht mehr Steppenbewohner.

 

Zu S. 43

Detail einer mittelalterlichen Kirche im gotischen Stil. Die turkische Sakralarchitektur bildet die Grundlage der christlichen Baukunst, diesen Stil weisen viele architektonische Meisterwerke Europas auf. Dazu gehören der Kölner Dom in Deutschland, die Kathedrale Notre-Dame de Paris in Frankreich, das Rathaus in Brüssel und die Westminsterabtei in Großbritannien.

Fassade der Kirche Notre-Dame-la-Grande in Poitiers.

 

Zu S. 44 – 45

Basrelief. 5. Jh. Ägypten. Zwei schützende Genies mit einem Kranz und dem Tengri-Kreuz, das zu dieser Zeit schon Zeichen der nahöstlichen Kultur war.

Sitzender. 2. Jahrtausend v. u. Z. London, British Museum. Der Text ist in Hieroglyphen eingemeißelt, so schrieb man am Nilufer. Keine noch so geringe Ähnlichkeit mit der heutigen arabischen Schrift.

Steinernes Kapitell aus einer altertümlichen Siedlung von Sudagylan. 5. – 6. Jh. Aserbaidschan. Diese Runen-Inschrift wird albanisch genannt, dabei hat sie niemand auf Albanisch lesen können. Offenbar handelt es sich in diesem Fall um einen unerforschten Dialekt der Turksprache.

Muster eines koptischen Dokumentenschreibens. Papyrus. 8. Jh.

 

Zu S. 47

Die älteste Ikone der Welt. 4. Jh. Ägypten. Wie angenommen wird, stellt sie Jesus Christus und den Hl. Mena dar, auf den sich das altturkische Wort „apa“ (heiliger Vater) bezieht. Aber Darstellungen Christi kamen erst im 7. Jh., nach einem Konzil (Trullanische Synoden), auf. Folglich empfing Bischof Mena den Glauben nicht von Christus, sondern aus den Händen Tengris, dessen Darstellung auf allen Ikonen des frühen Mittelalters der Welt zu sehen war.

Muster der koptischen Schrift. Fragment einer Handschrift aus Nag Hammadi. Papyrus. 4. Jh. Die „Buchstaben“ sind von einer wenig geübten Hand geschrieben, einige erinnern an Runen. Offenbar begannen die Ägypter erst damals, sich die neuen Schriftzeichen und die Sprache des neuen Glaubens anzueignen.

 

Zu S. 48 – 49

Disput zwischen Erzbischof Kyrill und einem Heiden. Bruchstück eines Kalksteines. 7. Jh. Berlin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung. Ein weiteres, nicht weniger ausdrucksvolles Muster der koptischen Schrift.

Löwe, einen Menschen zerfleischend. Fensterschmuck im Dom von Worms. 12. Jh.

Drache. Leuchte aus Byzanz. Bronze. 4. Jh.

 

Zu S. 50 – 51

Koptische Ikone „Die Heiligen Antonius und Paul“. Fragment. 17. Jh. Die Traditionen der koptischen Ikonenmalerei änderten sich im Laufe der Jahrhunderte nicht. Bezeichnenderweise zeigt die Ikone dasselbe Sujet wie während der Christianisierung Ägyptens. Nichst veränderte sich im Laufe von tausend Jahren.

Korb mit Hammelköpfen und Pfauen. Säulenkapitell. Fund aus Ägypten. 8. Jh. Symbole, die Bände sprechen! Der frühe Islam war ja „ägyptisches Christentum“. Die Oghusen waren die Ersten, die die Christen von den Moslems trennten. Sie erfanden ihr Opferfest Kurban-bairam, bei dem Allah ein Lamm dargebracht wird. Obwohl auf den ersten Blick unwesentlich, bedeutete das den Bruch mit dem Christentum, weil das Lamm diesmal das Agnus Dei, d. h. Christus, verkörperte. Erst nach der Opferung durfte sich ein Mensch einen reinen Moslem nennen, seine christliche Vergangenheit schwand zusammen mit dem Opfer, dem Lamm, dahin. Kurban-bairam ist seit jener Zeit das islamische Hauptfest.

 

Zu S. 52 – 53

Maria mit Kind. Fragment einer Skulptur aus einer Kirche in Österreich. 16. Jh.

Thronende Madonna mit dem Kind. Pisaner Maler. 13. Jh. Moskau, Museum für bildende Künste „A.S. Puschkin“. Der italienische Meister folgte offensichtlich den Regeln der turkischen Ikonenmalerei: das Gesichtsoval, eine auf eine besondere Art verfeinerte Nase, orientalische Augenform. Das ist zweifellos Umai. Indes deutete die Inquisition im Westen alles um: Umai wurde Madonna genannt, man erfand ihr ein neues Gesicht und einen neuen symbolischen Gehalt der ganzen Gestalt. Dem ging ein langer religiöser Disput voraus.

 

Zu S. 54 – 55

Perugino. Madonna mit Kind. Moskau, Museum für bildende Künste „A.S. Puschkin“. 16. Jh. Hier ein Beispiel einer schon „neuen“ Ikonenmalerei: Das Kind hat keinen Nimbus und kein Tengri-Zeichen darauf, die Madonna selbst hat andere Gesichtszüge. Früher zeigte das Tengri-Zeichen über dem Kind, dass dieses eine „Gabe Gottes“ sei. Alles, was der Allerhöchste gab, galt für die Angehörigen des Turkvolkes als „Gottes Gabe“. Das Kind auf Umais Arm war eben das Symbol einer Gabe. Weiß man von all diesen Änderungen, so versteht man den Sinn der auf den ersten Blick sinnlosen Dispute auf dem Konzil von Ephesos und auf anderen Kirchenkonzilen: Es ging um Umai, die Christen stritten darum, wie sie zu nennen und in welche Beziehung zu Christus sie zu setzen sei.

Koptisches Gewebe. Fragment. 4. – 5. Jh.

Miniatur aus der „Alexandrinischen Weltchronik“. Papyrus. 7. Jh.

 

Zu S. 56

Knieschemel mit christlichen Symbolen. Holz. 587. Saint-Benoîs, Abtei Sainte-Croix bei Poitiers.

 

Zu S. 58 – 59

Hl. Benedikt von Nursia. Miniatur aus dem Martyrologium der Abtei Saint-Sépulcre in Cambrai. Die Backenknochen, die Augenform, das Gesichtsoval, die Körperproportionen können viel über einen Menschen aussagen. Die Zugehörigkeit des Benedikt von Nursia zum Turkvolk springt ins Auge. Das Gesicht und das Werk des Heiligen verraten diese Zugehörigkeit.

Eine Schöne aus Sachsen. Detail des Doms von Meißen. Stein. 1357. Die Schöne hat ebenfalls turkische Gesichtszüge, solche Gesichter sah man beinahe in jeder Straße.

Der Satan versucht den Hl. Benedikt. Stein. 12. Jh. Abteikirche St.-Madeleine in Vézelay, Burgund.

 

Zu S. 60

Pilger. Zeichung aus der Lebensbeschreibung der Hl. Hedwig. Lithografie, 19. Jh.

 

Zu S. 62

Schloss Azay-le Rideau. Frankreich. Die Schwäne sind Schutzgeister des Schlosses. Jedes Haus, jedes Geschlecht hatte seinen Beschützer. Daher ein weiterer Name der Kiptschak: Man nannte sie in Europa  „Kuman“, d. h. Schwanenmenschen.

Mönch beim Kopieren. Miniatur. 15. Jh.

 

Zu S. 64 – 65

Schreibender Engel. 1210. In Altgriechenland und im Alten Rom kannten die Dichter keine Reime. Die Tradition der Reime kam aus dem Altai nach Europa. Die Angehörigen des Turkvolkes beherrschten die Wortkunst seit alters virtuos, sie verstanden sich darauf, die Zeilen am Anfang, in der Mitte oder am Ende zu reimen. Ihre Gedichte hatten einen schönen Klang. Als der erste europäische Dichter gilt Ambrosius von Mailand (gest. 397), ein Kiptschak, der zum Christentum übertrat. Er schrieb hymnische Gedichte im Auftrag der Kirche.

Die eiserne Krone der Langobarden. Monza, Schatzkammer. Diese turkische Krone ist die älteste in Europa, sie weist das Tengri-Kreuz auf und stammt von den Don-Ufern, aus dem Land der Kumanen (Schwanenland). Die Krone wurde von der Römerin Theodolina, der Witwe des Königs der Langobarden Autharis, in Auftrag gegeben. Im Jahre 774 wurde mit dieser Krone Karl der Große, der Gründer Frankreichs, gekrönt, damals entstand in den europäischen Ländern das Wort „König“ (ebenfalls ein turksprachiger Wortstamm). 1805 wurde die Krone Napoleon überreicht. Heute wird sie in Italien aufbewahrt.

Schachfiguren. Walrosszahn. 12. Jh. London, British Museum. Vom Schachspiel wissen wohl alle, dass es aus Indien käme. Die Inder sind indes anderer Meinung. Schach spielt man ja nur in Nordindien, in jenem Teil, in dem die aus dem Altai eingewanderten Kiptschak lebten. Die Einwohner des mittelalterlichen Medina dagegen sagten: „Das Schachspiel ist eine Erfindung der Barbaren“, d. h. der Kiptschak.

 

Zu S. 66 – 67

Lanzen. 16. – 18. Jh. Deutschland.

Doppeltreppe im gotischen Stil. 1499. Österreich.

Mönch beim Kopieren. Miniatur. 16. Jh..

 

Zu S. 68 – 69

Festmahl bei einem Herzog aus der Karolingerzeit (8. – 10. Jh.). Rekonstruktion aus dem 19. Jh.

Schloß der Grafen von Flandern in Gent. 12. – 13. Jh.

Männerporträt. Wassergefäß aus Ungarn. Bronze. 12. Jh. Sankt Petersburg, Ermitage.

 

Zu S. 71

Grabstein. Dom in Frankfurt-am-Main. Stein. 14. Jh. Eine offensichtliche Mischehe: Der Eheman ist ein Kiptschak in europäischer Kleidung, ihn verrät sein auf östliche Art geteilter Bart. Die Ehefrau trägt ein Schmuckstück an der Brust aus dem Familienbesitz des Mannes.

Schmuck aus der Nekropole von Prochorowka. 5. Jh. v. u. Z. Kasachstan. Genau das gleiche Schmuckstück mit genau dem gleichen Ornament wie oben. Das Ornament war früher das Zeichen eines Geschlechts, sein Tamga.

 

Zu S. 72 – 73

Reiter und Bogenschützen auf einem Schiff. Fragment der Stickerei auf dem Bayeux-Teppich. 11. Jh. Bayeux, Kathedrale. Der berühmte Teppich ist farbig bestickt und zeigt 72 Szenen der Eroberung Englands durch die Normannen im Jahre 1066. Den Teppich gab Königin Mathilde, Ehefrau Wilhelms des Eroberers, zum Andenken an jenen Feldzug in Auftrag. Unter Napoleon, 1803, wurde der Teppich in Paris als Kunstwerk und als Historikum zugleich ausgestellt. Heute in Bayeux aufbewahrt.

Drachenkopf. Holzschnitzerei. 9. Jh. Skandinavien.

 

Zu S. 74 – 75

Liebespaar. Aus einer mittelalterlichen Miniatur. 13. Jh. Paris.

Beizjagd in Europa. Kennzeichnend ist, dass Europa die Beizjagd von den Kiptschak lernte. Das war eine Lieblingsunterhaltung der Khane, die von den ansässigen Europäern eine „wilde Unterhaltung der Barbaren“ genannt wurde. „Falke“ bedeutet in der Turksprache „die Hand richten“ und „Greif“ so viel wie „Beute bringen“. Selbst turkische Geistliche gingen gern auf Beizjagd.

 

Zu S. 76 – 77

Einschiffung. Fragment der Stickerei des Bayeux-Teppichs. 11. Jh. Bayeux, Kathedrale.

Drachenkopf. Schmuck eines Wikingerschiffes. Eichenholz, Schnitzerei. 800. London, British Museum. Der Drache war der Schutzgeist der Normannen, deshalb schmückte ein solcher Kopf oft die Schiffe dieser Bewohner des Nordens. Daher der bekannte Name der Skandinavier „Goten“, was in der Turksprache so viel wie „Drache“, „Eidechse“ bedeutet. Das waren Symbole des Altai und ganz Zentralasiens.

 

Zu S. 78 – 79

Irbis. Miniatur aus dem Bestiarium. Pergament. 12. Jh. Oxford. Wie konnte man in England von einem Irbis wissen? Wie konnten die Menschen ihn dort zu ihrem Schutzgeist machen? Ein Rätsel der Geschichte? Wirklich ein Rätsel?

Der König bei einer Sitzung des englischen Parlaments. Miniatur aus einem mittelalterlichen Manuskript. Hier fallen zwei überraschende Details auf: die Wollsäcke, auf denen die Parlamentarier sitzen, und die Königskrone. Die Säcke und die Krone waren im mittelalterlichen England und in der Großen Steppe Machtattribute, vor der Einwanderung der Kiptschak hatte es sie in Europa nicht gegeben. Das Wort „Krone“ leitet sich vom Wort der Turksprache „qorï“ („behüte!“ ) ab, der Gegenstand selbst ist eines der ältesten Machtsymbole des Orients. Ein von Gott gesegnetes Zeichen. Die Krone wurde dem Khan vom obersten Geistlichen auf den Kopf gesetzt, und seit dieser Minute hieß der Khan Zar. In Europa bürgerte sich ein anderes Wort, „König“, ein. Es leitet sich vom turkischen Namen (dem Hausnamen) Karls des Großen ab.

Münze von Heinrich I., König von England ab 1100. In der berühmten Britannica Encyclopaedia lesen wir: „Das englische Münzsystem begann mit dem Silberpenny von Offa.“ Wer war Offa? Ein fremdländischer Herrscher, ein Anglosachse, d.h. Angehöriger des Turkvolkes. Dieser Offa (757 – 796) habe befohlen, gleiche Münzen wie der arabische Kalif Mansur zu prägen, heißt es des Weiteren in der Britannica. Höchst interessant. Erst recht deshalb, weil bekannt ist, dass Kalif Mansur das Geldsystem des Turkvolkes übernommen hatte. Ein neues hatte er, wie er auch selbst zugab, nicht erfunden. Die gleichen Münzen wie bei Offa waren im ganzen „turkischen“ Europa in Umlauf und hießen „markus“ wie bei den Arabern oder „mark“. Die Burgunder nannten ihre Münzen, nachdem sie (1799) Franken „geworden“ waren, eben so. Daher rühren die Mark und der Frank.

 

Zu S. 80 – 81

Greifjagd in Kirgisien.

Märchentier. Kopfbedeckungsschmuck aus dem Kurgan Issyk. Gold. 5. – 4. Jh. v. u. Z. Kasachstan.

Ein Derwisch übergibt dem Prinzen einen Poloball. Altertümliche Miniatur aus dem Manuskript „Ball und Treibstock“ von Arifi. 16. Jh. Sankt Petersburg, Staatliche öffentliche Bibliothek „M. Je. Saltykow-Schtschedrin“.  Polo war im Alten Altai bekannt und wurde Tschawgan genannt. Wie ein altes turkisches Sprichwort besagt, müsse ein Mann mit einem Treibstock spielen und treffsicher mit dem Bogen schießen können. Ein anderes Sprichwort lehrt: „Spielst du Tschawgan, setze deine Hose nicht aufs Spiel.“ Polo galt als die edelste Sportart.

 

Zu S. 82 – 83

Lüsterkacheln aus Kaschan. Einige datieren von 1267. Paris, Louvre.

Hl.-Georgs-Orden. Solche Orden existierten in der Großen Steppe schon vor Attila. Archäologen haben sie wiederholt in Hügelgräbern gefunden. Es handelt sich um das Tengri-Zeichen. In der Turksprache bedeutet das Wort „orden“ so viel wie „von oben gegeben“. Die Frage ist wohl nicht müßig, ob die turkische Kultur so wenig bemerkbar ist, wenn selbst der höchste Orden des römischen Papstes vom Turkvolk stammt.

Frau am Baum. Kachel. 12. – 13. Jh. Kairo, Museum für Islamische Kunst.

 

Zu S. 84 – 85

Mausoleen auf dem Mamelucken-Friedhof bei Kairo. 15. – 16. Jh. Auch im Orient bekam die turkische Architektur ein neues Gepräge: die üblichen Kuppeln, die üblichen Oktogone, aber schon anders ausgestaltet als in Europa und der Großen Steppe. Auch der Sinn der Symbolik ist anders.

Minarett der Kaljan-Moschee in Buchara. 1127.

 

Zu S. 87

Mohammeds Himmelfahrt. Miniatur aus dem Manuskript „Joseph und Suleïcha“ von Dschami. 16. Jh. Taschkent, Institut für Orientalistik der Akademie der Wissenschaften von Usbekistan.

Königsmoschee in Isfahan, Innenansicht. 17. Jh.

 

Zu S. 88 – 89

Landkarte des Gebiets Mawerannachr („dessen, was hinter dem Fluss liegt“, gemeint ist der Amu-Darja). Gezeichnet im 10. Jh. vom Geografen Ibn Chaukal. Schon im Altai existierten beim Turkvolk die Anfänge der Geografie: Dort gibt es Felszeichnungen, die geografische Informationen vermitteln. Bekannt sind ferner „Karten“ des Sternhimmels der alten Altaier. Leider sind sie beinahe nicht erforscht, niemand hat sich mit ihnen befasst.

Mausoleum des Sultans Tekesch, des Begründers der Dynastie der Choresm-Schahs, in Kunja-Urentsch. 13. Jh.

In einem Boot über den Persischen Golf. Miniatur aus dem Manuskript „Indiens Wunder“ von Buzurg ibn Schahrijar. 10. Jh.

 

Zu S. 90 und 93

Gebetsaal der Moschee Sidi-Okba in Kairuan. 9. Jh.

Tabelle der Veränderungen in der Grafik der arabischen Schrift. Als die älteste der bekannten arabischen Inschriften gilt die aus dem Jahr 328. Sie wurde in der Nähe von Damaskus gefunden, gleicht der arabischen Schrift, ist eine solche jedoch nicht. Vielmehr handelt es sich offensichtlich um turkische Schnellschrift. Eine andere altertümliche Inschrift stammt aus dem Jahr 512, und auch sie ist noch keine arabische Schrift. Das arabische Schriftsystem, das heute Millionen bekannt ist, formte sich erst im 8. Jh. Seitdem wird arabisch geschrieben.

Schreiber. Fragment einer Miniatur aus dem Manuskript „Botschaften der Brüder der Reinheit“. 1287. Istanbul, Suleymanye-Bibliothek.

 

Zu S. 94 – 95

Niederkniender Prophet. Holz. 1520. Berlin, Skulpturen-Sammlung. Heute erinnert man sich nicht daran, dass sich im Mittelalter die Bevölkerung Spaniens, Südfrankreichs, eines Teils von Italien zum Islam bekannte, dass sich diese Menschen Verbündete und „Glaubensgenossen“ der Katholiken nannten. In dieser Gestalt – in turkischer Kleidung! – sahen die europäischen Moslems den Propheten Mohammed.

Statue des Herrschers Gagik Bagratuni aus Ani. 11. Jh. Armenien. Im Mittelalter war die turkische Kleidung nicht nur in den europäischen Ländern, sondern auch im Nahen Osten in Mode. Selbst in Armenien trugen die Zaren Turban und Kaftan, gleich Angehörigen des Turkvolkes.

Mittelalterlicher Turm in Baku.

Bildnis einer jungen Frau. 1420. Washington, National Gallery. Auch hier ein Turban!

 

Zu S. 96 – 97

Kirche zu Johannes dem Täufer im Dorf Djakowo bei Moskau. 16. Jh. Ein Oktogon! Eine Tradition der turkischen Architektur. Braucht man noch Beweise? Hier ist sie, die wahre, unverfälschte Geschichte.

Zusammenklappbarer Untersatz für den Koran. Schnitzerei. Nussbaum. 13. Jh. Berlin, Museum für Islamische Kunst. Auch hier braucht es keine Worte. Im Ornament versteckt sich die Geheimschrift des Alten Altai. Ein Ornament ist Bestandteil der Kultur eines Volkes, gleichsam der Rahmen für das Bild. Hier gibt es keinen Platz für Zufälligkeiten.

 

Zu S. 98 – 99

Festumzug. Miniatur aus dem Manuskript „Makamen“ von al-Hariri. 1237. Paris, Bibliothèque Nationale.

Tatarische Kirchenfahne mit Kreuz und Halbmond (Kriegstrophäe). 17. Jh. Stockholm, Militärmuseum. Das ist vielleicht die seltenste Trophäe der Welt. Ein Heiligtum. Unter dieser Fahne führte die Große Steppe ihre Kriege. Attila brachte eine genau solche Fahne nach Europa. Darauf ist das altertümliche turkische Symbol zu sehen. Dann wurde es halbiert, wie das Turkvolk selbst: Die Christen übernahmen die eine, die Moslems die andere Hälfte. Kreuz und Halbmond wurden Zeichen unterschiedlicher Religionen.

 

Zu S. 100 – 101

Fassadenfries des Schlosses Mschatta. Fragment. Steinschnitzerei. 743. Berlin, Museum für Islamische Kunst.

Hofszene der Seldschukiden-Zeiten. Fragment. Geschnitzter Stuck. 12. Jh. Philadelphia, Kunstmuseum. Das Turkvolk schätzte die Wissenschaft, Literatur und Kunst. Die Khane hielten z. B. immer Goldmünzen bereit, um eine Hand voll davon einem Dichter vor die Füße zu werfen. Der Sultan Melik-Schah aus der Seldschuken-Dynastie war für etwas anderes bekannt. Er versammelte berühmte Astronomen um sich, unter denen auch der Dichter Omar Hajjam war, und legte fest, dass am 15. März 1079 eine neue Ära beginne. Er führte einen Kalender ein, der sowohl bestehende als auch künftige Fehler bei der Zeitrechnung korrigierte. Das war der genaueste Kalender der Welt. In Europa kam ein solcher erst 500 Jahre später auf.

Malviyya-Minarett der Mutawakkil-Moschee in Samarra. 9. Jh. Das Wort „Samarra“ klingt bekannt fürs russische Ohr – man denkt an dieWolgastadt Samara. Hier handelt es sich um eine Stadt bei Bagdad, sie wurde im 9. Jh. zu Ehren des heiligen Berges Utsch-Sumer im Altai aufgeführt, war also eine heilige Stadt. Die Moschee des Kalifs Mutawakkil wurde dort zu einem Denkmal, mit ihr begann ein neuer Stil beim Bau von Moscheen. Neu insofern, als er gleichzeitig turkische und örtliche, d. h. altmesopotamische Traditionen aufweist.

 

Zu S. 102 – 103

Zeichnungsrekonstruktion der Kirche im Dorf Lekit. 5. – 6. Jh. Aserbaidschan.

Felsendom (Qubbat es-Sakhra) in Jerusalem. 7. Jh. Restauration und partielle Änderungen im 12. und 17. Jh.

Moschee des Sultans Hassan in Kairo. Hof. 1363.

 

Zu S. 104 – 105

Mittelalterlicher Turm in Baku.

Sultan Mohammed. Gelage. Zeichnung aus dem Manuskript „Diwan“ von Hafez. 16. Jh. Paris, Sammlung von Cartier. Wie auch alle Menschen auf der Welt lieben die Moslems Feste. Im Mittelalter begingen sie beinahe alle christlichen Feste, weil das gemeinsame Feste der Tengri-Verehrer waren. Zum Fest des turkischen Ostern (Navruz-bairam) gingen die Moslems und die Christen von Bagdad zusammen ins Samaluk-Kloster und feierten dort das Fest. Wie ein Teilnehmer jener Ereignisse, Schabuschti, schrieb, taten sie das, „bis die Wände um uns zu tanzen begannen“. Der Wein des heiligen Abendmahls, „Scharab al-kurban“, floss in Strömen.

 

Zu S. 106 – 107

Qutubiyya-Moschee in Marrakesch. Wurde im 12. Jh. gebaut.

Sultan Mahmud Ghasnawi setzt über den Ganges über. Fragment einer Zeichnung. 16. Jh. Sultan Mahmud galt als ein überaus kluger Mensch. So befahl er, am Ufer des Amu-Darja Schiffe quer über den Fluss zu stellen und miteinander zu verketten. Es entstand eine Art Pontonbrücke, über die der Sultan mit seinem Heer den Strom passierte, und sein überraschender Angriff entschied über den Ausgang des Krieges. „Solche Brücken hat man hier nicht gesehen“, stellten Chronisten fest.

Gefäß aus Bergkristall. 10. – 11. Jh. London, Victoria-and-Albert-Museum. Die Zeiten änderten sich, aber nicht die altaischen Sujets. Selbst als sich die ehrgeizigen Kiptschak ein anderes Volk nannten, bewahrten sie ihre Vergangenheit und die Erinnerung daran in ihren Werken. Ornamente, Schmuck, ja selbst Gebäude waren ein Seufzer ihrer schlafenden Erinnerung.

Kessel. In Aserbaidschan gefunden. 12. – 13. Jh. Sankt Petersburg, Ermitage.

 

Zu S. 109

Mondphasen. Zeichnung aus al Birunis astronomischem Traktat. Al-Biruni war nicht nur ein großer Astronom, sondern auch ein Völkerkundler. In seiner Schrift „Über die Mondstationen“ schrieb er: „Die Araber sind ein Volk von Analphabeten, sie können weder schreiben noch rechnen. Sie akzeptieren nur das, was sie mit den Augen sehen, denn sie kennen keine andere Methode der Erkenntnis.“ Die mathematischen Berechnungen des großen Angehörigen des Turkvolkes waren ihnen unbegreiflich. Diese Betrachtung des Wissenschaftlers bezog sich auf die Einwohner Arabiens, die auch noch fünf Jahre nach der Übernahme des Islams nach wie vor ungebildet waren.

Lautenist. Relief aus Kleinasien. Marmor. Um 1230. Berlin, Museum für Islamische Kunst. Die Meinung besteht, dass man in Westeuropa die Laute von den Arabern übernahm, weshalb man ihren Namen vom arabischen Wort „al-ud“ (Holz) ableitet. Das stimmt jedoch nicht. In Osteuropa war die Laute schon immer bekannt und hieß Kobsa, demgemäß hießen Menschen, die sie spielten, Kobsaren. Das ist ein altturkisches Musikinstrument, und das Wort bedeutet so viel wie „den Komus Spielende“. Das so genannte arabische Wort ist in Wirklichkeit der Ausdruck der Turksprache „al öt“ („nimm und lass erklingen“).

 

Zu S. 110 – 111

Darstellung des Sternbildes Schlangenträger. Zeichnung aus dem Sternenkatalog von Abd ar-Rahman es-Sufi. 10. Jh.

Sokrates mit Schülern. Fragment einer Miniatur aus dem Manuskript al-Mubaschschirs „Ausgewählte weise Aussprüche und Schönheiten des Sprechenden“. 13. Jh. Istanbul, Museum des Topkapi-Saray. Eine sehr beredte Miniatur. Im mittelalterlichen Europa waren die großen Wissenschaftler der antiken Welt wie Sokrates, Aristoteles, Herodot und andere von der Kirche verboten. Ihre Werke blieben unbekannt. Nur die Kiptschak bewahrten die Aufzeichnungen dieser Klassiker des menschlichen Denkens und bewunderten sie.

Miniatur aus dem arabischen Manuskript „Alexipharmaka“ von Dioskorides. 1224. Kiew, Museum der westeuropäischen und orientalischen Kunst. Die Beschäftigung mit Chemie war für das Turkvolk kein Zeitvertreib. Sie suchten nach dem Elixier der Unsterblichkeit, in dem sie die Rettung vor Krankheiten und Altersschwäche sahen. Natürlich fanden sie das Elixier nicht, erkannten jedoch Eigenschaften chemischer Elemente. Solche Kenntnisse wurden denn auch „Chemie“ genannt (vom altturkischen Wort „kimja“, d. h. Elixier).

 

Zu S. 112

Fragment einer zerstörten koptischen Kirche. Ägypten.

 

Zu S. 114 – 115

Wassergefäß in Form eines Zebus, das so genannte „Wassergefäß von Schirwan“. Bronze. 1206. Sankt Petersburg, Ermitage.

Fragment des Mosaiks aus der Kirche S. Michele in Affricisco bei Ravenna. Glas, Smalta, Kieselstein. 544. Berlin, frühchristlich-byzantinische Sammlung.  Wie es sich auch gehört, krönt das Panorama des himmlischen Lebens das Gewölbe der Kirche. Auf dem Thron segnet der Allerhöchste Tengri einen katholischen Prediger. Möglicherweise liegt in diesem Segen die Quelle der katholischen Idee, d .h. der Idee eines Bundes von Ost und West. Möglich ist auch eine andere Deutung. Der Künstler nannte dieses Werk „Tengri“ oder „Hodai“, andere Benennungen konnte es nicht geben. Stammt nicht davon – leicht abgewandelt – das allbekannte Wort „Gott“ bzw. „God“?

Detail des Tores des Kunja-Ark-Palastes in Chiwa. 17. Jh.

 

Zu S. 116

Iskandar bei einem Eremiten. Fragment einer Miniatur aus dem Manuskript der „Chamse“ von Nisami. 1543. Sankt Petersburg, Handschriftensammlung des Instituts für Orientalistik der Akademie der Wissenschaften Russlands.

Hl. Georg. Fragment der Bemalung in der Kirche Kinzwissi. 13. Jh. Georgien. Niemand wird genau bestimmen können, wer hier dargestellt ist. In jenen Zeiten nannten Angehörige des Turkvolkes ihn Dshor oder Dshargan. Daher rührt Georgien, d. h. „Land des Hl. Georg“ bzw. Grusinien. Heute nennen die Christen ihn den Hl. Georg und die Moslems Chysr. Dieses letztere Wort leitet sich von „Chasar“ ab, d. h. vom Namen des Kaspisees, an dessen Küste (in Derbent) der Held seine Großtat vollbrachte und Unsterblichkeit erlangte.

Zu S. 118 – 119

Turkisches Schiff „karaka“. Altertümliche Zeichnung.

Schiffsentladung. Fragment einer Miniatur aus dem Manuskript „Kalila und Dimna“. Um 1350. Als die Oghusen im Kalifat an die Macht kamen, erhöhten sie die moslemische Welt sehr, denn sie übersetzten unschätzbare Werke der turkischen Wissenschaft und Literatur ins Arabische. Zu solchen hunderten Büchern gehörte die Parabel „Kalila und Dimna“.

Fragment der Schale „Silen und Mänade“. Silber, Vergoldung. 7. Jh. Sankt Petersburg, Ermitage.

 

Zu S. 120 – 121

Griechisches Feuer. Fragment einer Miniatur. 14. Jh.

Ikonenstürmer. Fragment einer Miniatur aus dem Chludow-Psalter. 9. Jh. Moskau, Historisches Museum. Die Ikonenstürmerei ist ein wahres Verbrechen, ein Akt des Wandalismus. Ihn verübte die griechische Kirche, sie begann als Erste im Mittelalter damit, die Gestalt des Gottes des Himmels zu vernichten. Seitdem vergaßen die Menschen nach und nach Tengris Namen und Bild. Das war Politik.

 

Zu S. 122 – 123

Belvedere, Vatikan, Gesamtansicht. Baubeginn 1505.

Arnolfo di Cambir. Fragment des Grabmals des Kardinals de Braye in der Kirche S. Domenico in Orvieto. 1282.

 

Zu S. 124 – 125

Ordensbrüder. Französische Buchminiatur. 14. Jh. Paris, Bibliothèque Nationale. An der Brust jedes Mönchs ist das Ordenszeichen zu sehen: eine turkische Auszeichnung, die Bestandteil der europäischen Kultur wurde.

Saint-Etien als Diakon. Silber. 12. Jh. Sankt Petersburg, Ermitage.

 

Zu S. 126 – 127

Grabmal des Erzbischofs Friedrich von Wettin. Dom in Magdeburg. Bronze. 1160.

Wappen der römischen Päpste Pius II., Innozenz III., Urban IV., Klemens IV., Nikolaus III., Gregor XIII., Honorius III., Nikolaus IV., Johannes XXII., Johannes XXI. Das Wappen Pius’ II. zeigt ein gleichseitiges Kreuz mit fünf Halbmonden. Das von Nikolaus IV. weist drei Lilien („altaische Lotosblüte“) und zwei sechszackige Sterne auf. Das Wappen Gregors XIII. trägt die Darstellung eines Drachens – ein Zeichen, das keiner Erklärung bedarf. Jeder Papst hat sein eigenes Zeichen des Orients.

Bogomilen-Sarkophag aus Radminija. 10. Jh. Balkan.

 

Zu S. 128 – 129

Ausraubung. Miniatur aus den „Chroniques de France“. 15. Jh. Paris, Bilbiothèque Nationale.

Raffael. Messe in Bolsena. Fragment der Fresken in der Stanza d’Eliodoro. 1511. Rom, Vatikan-Palast.

 

Zu S. 130 – 131

Kreuz aus Middleton. Steinschnitzerei. 10. Jh. Yorkshire, Großbritannien.

Elen. Scheitel eines Zepters aus einem Kurgan von Sutton-Woo. 7. Jh. Großbritannien.

Schloss auf dem Pik von Monségur in den Pyrenäen, die letzte Zuflucht der Katharer im Jahre 1244.

Wikingerschiff aus Useberg. Um 800.

 

Zu S. 132 – 133

Szenen aus Sigurds Leben. Holzschnitzerei. 12. Jh.

Szenen aus Sigurds Leben. Runenstein. 11. Jh.

Baustelle. Miniatur aus Barberinis Psalmenbuch. 11. Jh. Rom, Vatikan.

 

Zu S. 134 – 135

Fischbeinplatte, mit zwei Pferdeköpfen abgeschlossen. Gefunden in Norwegen. 9. Jh. London, British Museum.

Schloss von Caernavron. Die Bauarbeiten wurden 1283 von Eduard I. begonnen, der Wales England angliederte.

 

Zu S. 136

Landkarte mit der Route nach Amerika (Vinland) und runischen Aufschriften. Um das 16. Jh. Das ist nicht die Originalkarte, sondern eine Kopie, die zufällig auf dem Landsgut des Bischofs in Esztergom an der Donau gefunden wurde. Dann wanderte sie in die Privatsammlung von Guzsa Sepesi, des Direktors eines Museums. Das Original ist auf eine rätselhafte Weise in den Vatikan-Archiven verschwunden.

Reiter. Fragment eines Reliefs aus Hornhausen. Stein. Um 700. Halle, Museum.

 

Zu S. 138 – 139

Eine R-Initiale aus einem mittelalterlichen Manuskript. 12. Jh. Einander auffressende Tiere, ein beliebtes altaisches Sujet, war lange Zeit ein Streitgegenstand europäischer Archäologen. Interessant ist, dass besagtes Sujet nur dort vorkommt, wo Kiptschak-Nachkommen lebten.

Erhart Reyvich. Ansicht von Venedig. Illustrationen zu „Breidenbachs Reise“. 1486.

Relief mit einer Heraldik-Komposition aus Venedig. Marmor. 11. – 12. Jh. Berlin, Staatliche Museen. Immer die gleichen Symbole des fernen Altai.

 

S. 140

Pilger. Detail des Portals der Kathedrale in Autin, Burgund. Stein. 12. Jh. Im Mittelalter verstanden sich Pilger aus verschiedenen Ländern ausgezeichnet: Im Grunde sprachen sie die gleiche Sprache. Manchmal wurde sie „barbarisch“ oder „Vulgata“, häufiger aber „göttliche Sprache“ genannt. Das war die Turksprache. In die europäische Kultur führte sie Ende des 4. Jh. Hieronymus, ein Kiptschak, ein, der sich als einer der Ersten im Westlichen Römischen Reich niederließ. Er erfand auch die Schriftzeichen, die an die Stelle der Runen kamen. Heute ist dieses Schriftsystem als glagolitisch bekannt. Hieronymus übersetzte das heilige Buch der Christen, die Bibel, in die „Volkssprache“.

Trauernde Bäuerin. Detail des Kölner Doms. Stein. Um 1322.

 

Zu S. 142 – 143

Einschiffung von Kreuzrittern. Miniatur aus dem Manuskript „Satzung des Ordens des Hl. Geistes in Neapel“. 14. Jh.

Friedrich Barbarossa als Kreuzritter. Miniatur aus dem Manuskript „Geschichte Jerusalems“. 13. Jh. Eine Gestalt des Mittelalters, um die sich wohl die meisten Legenden ranken. Selbstverständlich nicht deshalb, weil er, gleich Dschingis Khan, Rotbart hieß. Dieser Mann war beinahe der Einzige, der sich weigerte, dem Papst den Steigbügel zu halten, als jener vom Pferde stieg. Dreist sagte er dem Papst, nicht dieser habe ihm die Macht über das Volk gegeben, sondern Tengri.

 

Zu S. 144 – 145

Einnahme von Antiochia, Erster Kreuzzug. Miniatur aus einem mittelalterlichen Manuskript.

Heimkehr eines Kreuzritters. Fragment eines Grabmals in Nancy. Das ist ein Monument des Grafen Hugo de Vaudémont, eines Teilnehmers des zweiten Kreuzzuges, daneben ist seine Ehefrau, Tochter des Herzogs von Lothringen, begraben. Beider Gesichter sind sowohl ausdrucksvoll als auch wiedererkennbar: echte Kiptschak. Offenbar hatten nicht alle Nachkommen der Kiptschak die alte Regel der Ahnen vergessen, nur Frauen vom eigenen Stamm zu ehelichen. Wohl deshalb wurde eine der Frauen, die am Kreuzzug teilnahmen, zur Ehefrau des Sultans und zur Mutter des berühmten Kalifen Imad al-Din-Zangi, der im 12. Jh. die Kreuzfahrer mehr als nur einmal aufs Haupt schlug.

Ritter. Detail des Kölner Doms. Stein. Um 1322.

 

Zu S. 146 – 147

Ritterschlag. Miniatur aus dem „Oxforder Kodex“.

Kampf eines Ritters mit dem Drachen. Wassergefäß. Bronze. 13. Jh. Sankt Petersburg, Ermitage.

 

Zu S. 148 – 149

Schlacht von Kreuzfahrern gegen Moslems. Glasmalerei in der Abteikirche von Saint-Denis. 12. Jh.

Ritter. Grabmal in der Kathedrale von Glocester. 12. Jh.

 

Zu S. 150 – 151

Karl der Große. Von einem Mosaikbildnis. 9. Jh.

Bildnis eines Burgunders. Eisenhelm. 16. Jh. London, British Museum.

Ritter. Lithografie des 19. Jh.

 

Zu S. 152 – 153

Georgs Wunder mit dem Drachen. Fragment einer Freske in der Kirche von Staraja Ladoga. Ein sehr seltenes Denkmal des Mittelalters: Es zeigt die Veränderung von Georgs Lebenslauf. Auf der Ikone scheinen sich zwei Sujets miteinander zu vermischen: das neue und das frühere. Der Prediger ist Krieger und Reiter geworden, tötet den Drachen jedoch nach wie vor nicht. Neues verdrängte Altes schon immer nur langsam aus dem Gedächtnis der Menschen.

Ritterwaffen. Vom Bayeux-Teppich. 11. Jh. Bayeux, Kathedrale.

Ritter. Vom Bayeux-Teppich. 11. Jh. Bayeux, Kathedrale.

 

Zu S. 154 – 155

Die Dombra, Königin der Musikinstrumente, in einer kasachischen Jurte.

Turnier. Miniatur aus der Chronik von Froissart. 15. Jh. Frankreich.

 

Zu S. 156 – 157

Ritterturnier. Aus dem „Turnierbuch“ von Herzog Wilhelm IV. 16. Jh. München, Staatsbibliothek.

Desiderio da Settignano. Porträt einer Prinzessin von Urbino. Kalkstein. 15. Jh. Berlin, Skulpturen-Sammlung.

 

Zu S. 158 – 159

Wahl des Kaisers. Zeichnung aus dem Manuskript „Kodex des Balduin von Trier“. Koblenz, Provinzial-Archiv. Die Krönung ist ein verbreitetes Sujet, nur dass die Herrscher in Europa vor der Einwanderung der Kiptschak keine Kronen trugen. Die Köpfe der römischen Kaiser wurden von einem Diadem gekrönt (s. S. 25, Julian-Büste), und das ist immerhin etwas anderes.

Sturm der Liebesburg. Elfenbein. Schnitzerei. 1400. Berlin, Staatliche Museen.

Benedetto Antelami. Musikerplastik aus dem Baptisterium in Parma (Lombardei). Fragment. 12. Jh.

 

Zu S. 160

Schlacht zwischen Kreuzfahrern und ägyptischen Truppen. Glasmalerei in der Abteikirche von Saint Denis. 12. Jh.

Mihrab von Iskodar, die Gebetsnische in der Moscheemauer. Holzschnitzerei. 10. – 11. Jh. Usbekistan. Ein unwiderlegbarer Beweis! Das Ornament wiederholt voll und ganz die altaischen Ornamente, die heute sowohl in Europa als auch im Orient üblich sind (s. S. 71).

 

Zu S. 162 – 163

Einnahme von Antiochia durch Kreuzfahrer. Glasmalerei in der Abteikirche von Saint-Denis. 12. Jh.

Bogendetail. Kirche in Zunda. Stein. 12. – 13. Jh. Georgien.

Zarin Tamara. Fragment der Bemalung im Felsenkloster Wardsija. 1184 – 1186.

 

Zu S. 164 – 165

Festung in Tschartwissi. 10. – 14. Jh. Georgien.

Grigori Gagarin. Bad des 17. Jh. in Schemacha. Zeichnung.

Geharnischte Pferde. Detail der Verzierung. Gold. 4. Jh. v. u. Z. Tbilissi, Museum von Georgien „S. Dshanschia“.

 

Zu S. 166 – 167

Ein Herrscher auf der Jagd. Fragment eines gravierten Bechers aus Mosul. Bronze. Um 1300. Berlin, Museum für Islamische Kunst.

Dschingis Khan. Zeichnung aus dem chinesischen Manuskript „Geschichte der ersten vier Khane aus dem Dschingis-Geschlecht“. Die Zeichnung ist natürlich nicht ernst zu nehmen, sie ist Frucht der Fantasie des chinesischen Malers, und die Chinesen zeichnen alle Menschen bekanntlich so, als wären diese ebenfalls Chinesen. Anders können sie eben nicht. Das ist ein schöner Zug jeder nationalen Kunst. Ohne lange nachzudenken, zeichnet jedes Volk die Welt, wie es sie sieht.

 

Zu S. 168 – 169

Wanderer im Gebirge. Landschaft im Stil von Li Zhaodao. Fragment einer Rolle. Malerei auf Papier. 7. – 8. Jh. Aus der Sammlung des Gugong-Museums. Peking.

Mongolischer berittener Bogenschütze der Ming-Dynastie. Farbige Tusche. London, Victoria-and-Albert-Museum.

 

Zu S. 170

Frauenplastik. Figurine aus einem Begräbnis in China. Terrakotta. 7. – 10. Jh. London, British Museum.

 

Zu S. 173

Muster der uigurischen Schrift. Fragment des Manuskripts „Leben von Xuan-Zang“. 11. Jh. Sankt Petersburg, Handschriftensammlung des Instituts für Orientalistik der Akademie der Wissenschaften Russlands.

Bildnis eines Beamten. 10. – 13. Jh. Sankt Petersburg, Ermitage.

 

S. 174 – 175

Belagerung einer chinesischen Festung durch Dschingis Khans Truppen. Fragment einer Miniatur.

Einnahme von Samarkand durch Dschingis Khans Truppen. Miniatur aus dem Manuskript von Tschagatai. 16. Jh.

 

Zu S. 176 – 177

Pisanello (?). Bildnis Sigmunds von Luxemburg. Pergament auf Holz, Tempera. 1430. Wien, Kunsthistorisches Museum. Die Kunst des Mittelalters bleibt bis heute ein Rätsel, denn sie zeichnet sich durch eine ausdruckskräftige künstlerische Sprache aus. Die Wissenschaftler wissen nicht, was das für ein Stil ist, der fast in ganz Europa aufkam. Woher rührt er? Man nannte ihn internationale Gotik: Er habe keine Heimat, kein Volk habe sie geschaffen. Stimmt das aber? Und ist es ein Zufall, dass gerade in den turkischen Gebieten, die manchmal weit voneinander entfernt lagen, die gleiche Kunst festzustellen ist: in Flandern, der Lombardei, in Burgund, der Toskana, in Katalonien, England, an den Rheinufern, auf dem Territorium der heutigen Länder Österreich, Ungarn, Deutschland, Tschechien? Und das ist bei weitem nicht das ganze Verbreitungsgebiet dieser Kunst. Wo liegen die Quellen dieser besonders sanften Malerei und dieser Eleganz? Natürlich im Altai, beim Turkvolk!

Begräbnis von Dschingis Khan. Fragment einer Miniatur aus einem mittelalterlichen indischen Manuskript.

 

Zu S. 178 – 179

Ruinen der alten Stadt Bulgar. 10. – 14. Jh. Tatarstan.

 

Zu S. 180 – 181

Sophienkathedrale in Kiew. Fragment. 11. Jh. Die Architektur der Kathedrale erinnert nicht einfach an die Kirchen des alten Bulgar, vielmehr wiederholt sie ihr Aussehen. Offenbar schufen Meister der gleichen Schule – der Schule der Großen Steppe – diese Bauten.

Marktplatz in Nowgorod. Fragment einer Miniatur. Laptew-Band.

Wladimir I., Großfürst von Kiew, mit seinem Heer. Fragment.

 

Zu S. 182 – 183

Schwarzes Gemach in der alten Stadt Bulgar. 10. – 14. Jh. Tatarstan.

Alter turkischer Tempel in Bulgar. 10. – 14. Jh. Tatarstan.

 

Zu S. 184 – 185

Auszug von Einwohnern des russischen Fürstentums Galizien-Wolynien, die zu den Mongolen gingen. Miniatur aus einer ungarischen Chronik. 1488. So begann man zwei Jahrhunderte nach den Ereignissen eine neue „Geschichte“ der Rus zusammenzustellen: Legenden vom unerträglichen Tribut und dann auch vom „tataromongolischen Joch“ kamen auf.

Batu. Zeichnung aus der chinesischen Handschrift „Geschichte der ersten vier Khane aus dem Dschingis-Geschlecht“.

Der russische Fürst Fjodor Rostislawowitsch trifft in der Orda ein, um den Jarlyk, ein Dokument, das ihn zum Eintreiben des Tributs in der Rus berechtigte, zu bekommen. Randbild einer Ikone. 15. Jh. Jaroslawl, Sammlung des Museumsreservats.

 

Zu S. 187

Fragment der Ikone der Gottesmutter von Wladimir. Moskau, Tretjakow-Galerie.

 

Zu S. 188 – 189

Fragment des plastischen Dekors der Dimitri-Kathedrale. Wladimir. 1194. Die Kathedrale ist eine der ältesten in Russland und Gegenstand des Streites von Architekten. Ihrer Meinung nach kopiere sie die Kirchen des frühen Mittelalters in der Lombardei, solche, die Angehörige des Turkvolkes sowohl in Transkaukasien als auch in Europa errichteten. Die Ähnlichkeit ist unbestreitbar. Aber die turkische Architektur wird in Russland nicht anerkannt. Und so streiten sie und wissen nicht, dass im 19. Jahrhundert der Franzose Viollet-le-Duc in seinen Forschungen bis zum Altai „vordrang“ und der Welt Kunde von der turkischen Sakralarchitektur brachte. Und dass ein weiterer Wissenschaftler, Jozef Strzygowski, eine einzigartige Arbeit zur Geschichte der Ikonografie schrieb, die, wie sich erweist, ebenfalls im Altai begonnen hatte.

 

Zu S. 190 – 191

Die Schlacht auf dem Peipussee von 1242. Fragment einer Miniatur aus „Lizewoi swod“ (gesamtrussische Chronik). 16. Jh.

Ritter des Deutschen Ordens verfolgen die Schweden. Mittelalterliche Miniatur.

 

Zu S. 192

Gotisches Gewölbe der Innentreppe für Reiter, die in den Vladislav-Saal führt. Detail. Sobeslav-Palais in Prag.

Schlacht zwischen polnischen und mongolischen Truppen 1241. Von einer polnischen Wandmalerei. 15. Jh. Warschau, Nationalmuseum.

 

Zu S. 194 – 195

Schrecken der Inquisition. Zeichnung aus Samuel Clarkes Buch „Martyrologium“.

Schloss Langeais. Frankreich.

Hl. Dominikus. Aveiro, Museum.

 

Zu S. 196 – 197

Straße in Wien.

Scheiterhaufen der Inquisition. Von einer Miniatur aus einem mittelalterlichen Manuskript.

 

Zu S. 198 – 199

Verbrennung von Häretikern in Paris. Miniatur. 13. Jh.

 

Zu S. 200 – 201

Universität von Salamanca. Fassade. 1515. Spanien.

Fragment der Ikone Christus Pantokrator. 1363.

 

Zu S. 202 – 203

Festungsturm in Peking. Wurde wiederholt umgebaut. 15. – 17. Jh.

Männerkopf. Fragment eines Begräbnisgefäßes, das bei Samarkand gefunden wurde. Um 7. Jh. Usbekistan. In solchen Gefäßen (Reliquienkästen) wurden die Gebeine namhafter Personen aufbewahrt. Möglicherweise ruhen in einem solchen Kasten die sterblichen Überreste eines der Söhne von Dschingis Khan oder von diesem selbst. Das Letztere ist wenig wahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen, weil sein Grab nicht gefunden ist. Die Kiptschak wussten ihre Begräbnisstätten zu verstecken.

 

Zu S. 204 – 205

Hans Baldung. Wilde Pferde. 1534.

 

Zu S. 206

Hans Baldung. Verzauberter Pferdeknecht. 1544.

 

Zu S. 215

Habichtsjagd. Fragment einer Schatulle aus Frankreich. Bein. 14. Jh. New York, Metropolitan Museum.

 

Umschlag:

Kreuzritter im Kettenhemd. Buchminiatur. 13. Jh. London, British Museum.

Der Vogel der Oberen Welt – das Zeichen der Einheit des Turkvolkes. Filz. 5. Jh. v. u. Z. Altai.

 

 



* Mangels authentischer Quellen sowie wegen der unterschiedlichen Schreibweise in verschiedenen europäischen Sprachen wurden viele turkische und arabische Eigen- und Ortsnamen transliteriert.

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