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Murad ADZHI. Die Kiptschak. Geschichte des Altertums des Turkvolkes und der GroBen Steppe Ein Buch fur Schulkinder und ihre Eltern.

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Murad ADZHI

Die Kiptschak

 

Geschichte des Altertums des Turkvolkes

und

der Großen Steppe

 

 

Ein Buch für Schulkinder und ihre Eltern

 

 

Moskau

 

Dieses Buch handelt vom Turkvolk: von seiner Herausbildung im Altai und seiner Ausbreitung über den eurasischen Kontinent. Bilder- und farbenreiche Legenden und Sagen künden von wenig bekannten Ereignissen aus der Weltgeschichte der Menschheit, vom Leben und Weben des alten Turkvolkes, von seinen Leistungen, Siegen und Niederlagen.

Solche Bücher hat es bisher noch nicht gegeben.

 

© Murad Adzhi, 2002

© Internationale Wohltätigkeitsstiftung „Heiliger Georg“ („Dshargan“), 2002

© www.adji.ru

 

Einführung

Was ist Volk?

Warum sprechen wir so und nicht anders?

Was man unter den Aufschichtungen der Zeit sieht

Entdeckung aus einer stillen Studierstube

Worüber Steine erzählen können

Die erste Übersiedlung aus dem Altai

Wie der Alte Altai entdeckt wurde

Fest der Tanne

Zeichnungen aus dem Alten Altai

Wie eine hervorragende Entdeckung gemacht wurde

Die Skythen – ein rätselhaftes Volk?

Von Tengri gegeben

Der Gott des Himmels

Das Turkvolk in Indien

Das Turkvolk im Iran

Der berühmte Khan Erke

Straßen, die in die Steppe führten

Die Große Völkerwanderung

Khan Aktasch

Am Idel

Im Kaukasus

Das Turkvolk und das Christentum

Das Kreuz über Europas Kirchen

Das Turkvolk und Byzanz

Kaiser Konstantins Hinterlist

Die Schlacht um den Don

Das Turkvolk in Europa

Das heuchlerische Rom

Europas Anfänge liegen im Altai

Attila, der Führer des Turkvolkes

Das Turkvolk, wie es der Byzantiner Priskos sah

Die Schlacht gegen die vereinigte Armee Europas

Attilas Tod

Ein neues Descht-i-Kiptschak

Beilage

 

Unsere Heimat ist die Steppe …

… und unsere Wiege der Altai

 

 

 

Einführung

Die Turksprachen werden von sehr vielen Menschen, von Milliarden, gesprochen, und dies überall: vom verschneiten Jakutien bis zu Zentraleuropa, von Sibirien bis zum sonnigen Indien. Selbst in Afrika gibt es Siedlungen, in denen man eine Turksprache sprechen hört.

Groß und ungewöhnlich ist die Welt des Turkvolkes. Den überwiegenden Teil davon bilden die Türken. Sie leben in der Türkei, einem weiten Land, das überall in der Welt bekannt ist: bekannt dank seinem Volk und dessen uralten Sitten und Gebräuchen, bekannt für seine hohe und einzigartige Kultur. Über sie wurden tausende Bücher und Aufsätze geschrieben.

Über die Tofalaren dagegen, die nur einige wenige Hundert zählen, kann nicht viel erzählt werden. Sie leben in der dichtesten sibirischen Taiga, besiedeln zwei bis drei Dörfer und sind kaum bekannt. Ihr Leben verlief jahrhundertelang beinahe ohne Kommunikation mit anderen Völkern. Nichts verunreinigte ihre Sprache.

Ja, die Welt des Turkvolkes ist wirklich groß. Zudem sehr rätselhaft. Sie gleicht einem Brillanten, dessen jede Facette ein Volk ist: die Aserbaidschaner, Altaier, Balkaren, Baschkiren, Gagausen, Kasachen, Karaime, Karatschaier, Kirgisen, Krim-Tataren, Kumyken, Tataren, Tuwiner, Turkmenen, Uiguren, Usbeken, Chakassen, Tschuwaschen, Schoren, Jakuten – und noch sehr, sehr viele Völker.

Die turkische* Welt vereinigt viele Völker, die miteinander verwandt sind und von denen ein jedes doch seine Besonderheiten hat. Sie sprechen eine unverwechselbare Sprache, die eine besondere Färbung von Lauten und Sinninhalten hat. Es kommt vor, dass ein und dasselbe Wort bei verschiedenen Völkern einen ganz anderen Sinn hat. Und das ist normal so, denn darin spiegelt sich die grenzenlose Vielfalt der Turksprachen, ihre erstaunliche Schlichtheit und uralte Geschichte.

Das war jedoch nicht immer so. Einst, in alten Zeiten, sprachen alle Turkvölker ein und dieselbe, ihnen allen verständliche Sprache. Vor ungefähr 2000 Jahren begann die Teilung ihrer Sprache in Dialekte, die nur einer engeren Gruppe verständlich waren. Dennoch blieb die gemeinsame Sprache lange Zeit in Gebrauch. Man sprach sie weiter, z. B. auf Märkten und Messen, zu denen Kaufleute aus weiter Ferne kamen.

Diese gemeinsame Sprache war die Urquelle der Literatursprache. Dichter und Erzähler feilten in ihren Werken an jedem Wort, um dann die gesamte turkische Welt zu ergötzen. Außerdem sprachen staatliche Beamte die gemeinsame Sprache, wenn es galt, Truppen zu formieren oder Steuern einzutreiben. Ganze Staaten sprachen und schrieben damals die gemeinsame Turksprache!

Wie ist das, unterscheidet gerade die Sprache das eine Turkvolk von einem anderen? Liegt nicht in der Vielfalt der Sprachen das Geheimnis jenes Brillanten, der die „turkische Welt“ heißt?

Leider ist alles unvergleichlich komplizierter.

Wie sich herausstellt, gibt es auf unserem Planeten Völker, die heutzutage nicht wissen, ja nicht einmal ahnen, dass sie Turkvölker sind. Feinde versklavten sie einst und verboten ihnen unter Todesandrohung, ihre Muttersprache zu sprechen. Und so vergaßen die Menschen sie. Mit ihr aber auch die Ahnen und alles, was früher gewesen war. Sie wurden zu Völkern ohne historisches Gedächtnis, die von sich selbst und von ihrer wahren Vergangenheit nichts wissen.

Unglücklicherweise kennt die Geschichte unseres Planeten auch solche Fälle.

Die Gesichter dieser Menschen gleichen natürlich immer noch denen ihrer Ahnen (anders konnte es gar nicht sein). Das sieht man am Beispiel der Österreicher und der Bayern, der Bulgaren und der Bosnier, der Ungarn und der Litauer, der Polen und der Sachsen, der Serben und der Ukrainer, der Tschechen und der Kroaten, der Burgunder und der Katalanen. Beinahe sämtlich sind sie blauäugig und haben helles Haar (wie die alten Turkvölker!) – und erinnern sich nicht mehr an ihre Geschichte. Einfach erstaunlich.

Nicht wenig Angehörige des Turkvolkes, die ihren Ursprung nicht mehr kennen, gibt es unter den Amerikanern, Engländern, Armeniern, Georgiern, Spaniern und Italienern. Besonders aber unter den Iranern, Russen und Franzosen. Auch sie haben sich das Äußere des alten Turkvolkes ausgezeichnet bewahrt und ebenfalls alles vergessen …

Eine traurige Geschichte. Leider wurde sie traurig gemacht, genauer: nicht bis zu Ende erzählt.

Einen besonderen Raum nehmen darin die Kosaken ein, von denen es heißt, sie seien weder ein Volk noch ein Stamm. Man weiß nicht recht, wo sie hingehören. Ihre wahre Geschichte wird ebenfalls verheimlicht, statt ihrer entstehen alle möglichen unglaublichen Märchen. Und so ist es gekommen, dass sich die Kosaken gleichsam irgendwo an einer Kreuzung der Zeiten verlaufen haben: Sie rechenen sich zu den Slawen, haben jedoch ihre Muttersprache, die zu den Turksprachen gehört, noch nicht vergessen. In einigen Kosakensiedlungen (Stanizas) sprechen sie im Alltag gerade diese alte Sprache. Allerdings nennen sie sie schlauerweise nicht ihre Mutter-, sondern ihre „Familiensprache“.

Ich habe lange darüber nachgedacht, warum die turkische Welt so wenig bekannt ist. Ein Zufall? Keine einzige Sprache hat so viele Abarten und Dialekte wie die alte Turksprache: In den Adern der Menschen fließt das gleiche Blut, sie haben die gleichen Ahnen, die gleiche Geschichte, sprechen jedoch heute unterschiedliche Sprachen und haben sich zu unterschiedlichen Völkern entwickelt. Warum?

Eine Antwort darauf habe ich gerade in der Geschichte, in grauer Vergangenheit gefunden. Eben davon möchte ich erzählen. Das Buch „Die Kiptschak, oder die Geschichte des Altertums des Turkvolkes“ ist der Anfang meiner Erzählung. Fortgesetzt wird sie in zwei weiteren Büchern: „Die Oghusen, oder die Geschichte des turkischen Mittelalters“ und „Die Neue Geschichte der Turkvölker“.

 

Was ist Volk?

Auf unserem Planeten leben viele Völker. Wie viele genau? Das ist ungewiss. Die einen sagen, es seien viertausend, die anderen meinen, es seien doppelt so viele. Sie zu zählen ist schwer, ja beinahe unmöglich, weil nämlich bis heute nicht feststeht, was ein Volk ist. Welche Menschengemeinschaft kann so genannt werden? Da gibt es verschiedene Standpunkte.

Die Menschen sehen nur auf den ersten Blick alle gleich aus, in Wirklichkeit ist dem nicht so. Sie haben viele Unterschiede, schon rein äußerlich. In den Staaten Afrikas z. B. überwiegt eine Bevölkerung mit schwarzer Haut, in China eine mit gelber und in den europäischen Staaten eine mit weißer Haut.

Dabei leben sie sämtlich auf unseren Planeten und sind unsere Zeitgenossen.

Selbstverständlich unterscheiden sich die Menschen nicht nur äußerlich voneinander, sondern auch in ihrem Charakter und Verhalten, ihrer Einstellung zum Leben, zu den anderen Menschen. Es ist wahr, dass sich die Völker in einigen Dingen gleichen, aber in anderen sind sie völlig unterschiedlich.

Oft werden die Einwohner eines Landes als Volk bezeichnet. In Aserbaidschan etwa lebe das aserbaidschanische Volk und in Georgien das georgische.

Demnach: so viele Länder, so viele Völker?

Zum Teil stimmt das. Die Menschen eines Landes haben dieselbe Umgangssprache, sie mögen gleiche Lieder, Tänze, Feste, Trachten und Speisen. Sie haben eine gemeinsame Religion und Geschichte. Das Wichtigste aber, das, was sie vereinigt, ist das Heimatgefühl. Nach ihm urteilt man über Mensch und Volk. Jeder Mensch und jedes Volk hat nur eine einzige Heimat.

Aber in Baku z. B. leben auch Menschen, die nicht Aserbaidschanisch können und es nicht als ihre Muttersprache empfinden oder sich nicht zu den Moslems zählen. Es erhebt sich die Frage: Sind diese Menschen auch aserbaidschanisches Volk? Aber selbstverständlich. Dazu gehören dort Russen, Juden, Georgier und andere.

Ein Volk ist nicht den Einwohnern eines Landes gleichzusetzen. Menschen können in ein und derselben Stadt, ja auf demselben Hof wohnen, aber nach unterschiedlichen Sitten leben.

Sind dann vielleicht die Sitten und Traditionen das, was ein Volk ausmacht?

Ebenfalls ja und nein. Ein Volk ist nicht einfach eine Gruppe von Menschen, die sich zusammengeschlossen haben. Denn das allein genügt noch nicht, um ein Volk zu bilden. Dazu müssen diese Menschen eine gemeinsame Geschichte, genauer: gemeinsame Ahnen haben.

Das Werden eines Volkes ist ein sehr langwieriger, jahrhundertelanger Prozess. Es handelt sich um eine wirklich historische Erscheinung, die von sehr vielen Ursachen abhängt. Diese können bisweilen völlig überraschend sein. Gleich einer Baumfrucht, braucht ein Volk eine bestimmte Zeit, um zu reifen. Auf welche Weise geschieht das? Davon weiß niemand etwas.

Schon in uralten Zeiten lernten es die Menschen, sich die anderen genauer anzusehen, sie zu beobachten. Allmählich erfuhr die Menschheit immer mehr von Leben und Kultur anderer Völker, von ihren Beziehungen zueinander und ihrer Unterschiedlichkeit. Viel später bildeten solche Kenntnisse eine ganze Wissenschaft. Sie heißt Ethnografie („Ethnos“ bedeutet auf Griechisch soviel wie „Volk“, „Stamm“). Ethnografie ist also die Wissenschaft von Völkern, die Völkerkunde.

Die Entstehung der Ethnografie ist kein Zufall. Es wurde schon vor langer Zeit bemerkt, dass Hader und Kriege innerhalb eines Landes oder zwischen Nachbarländern wegen Meinungsunterschiede ausbrechen. Und Meinungsunterschiede wurzeln manchmal darin, dass man die Sitten und Gebräuche der Nachbarn nicht kennt. Dabei reagieren alle Menschen sehr empfindlich, wenn ihre Traditionen missachtet werden; kaum jemand kann da gleichgültig bleiben.

Eben deshalb ist die Ethnografie so wichtig: Sie hilft den Frieden auf Erden bewahren. Solche Kenntnisse bilden die Grundlage der Freundschaft! Manchmal genügt schon ein Wort oder eine wohlmeinende Geste, damit ein Nachbar dem anderen zulächelt, ihn versteht und ihm die Hand reicht.

Und wenn ein Mensch einem anderen zulächelt oder ihm zu einem Fest gratuliert, wird das Leben für beide lichter und leichter. Diesem Ziel eben dient die Ethnografie: Sie lehrt die Menschen das Nebeneinanderbestehen mit anderen Menschen.

„Salam alaikum“, sagt etwa ein Georgier einem Aserbaidschaner.

„Gamardshoba“, antwortet ihm der Aserbaidschaner, wodurch er zeigt, dass er die georgischen Sitten achtet.

Und die Erde wird von ihren guten Grußworten und ihrem Lächeln wärmer.

 

Warum sprechen wir so und nicht anders?

Dennoch unterscheiden sich die Völker der Welt in erster Linie natürlich durch ihre Sprache voneinander. Sprache und Schrifttum sind das Wichtigste im Leben der Menschen. Wie man etwas sagt, so wird man auch verstanden: Worte übermitteln die Gedanken der Menschen.

Jedes Volk hat seine schriftliche und mündliche Sprache, seine Art zu sprechen und zu denken. Für die Ethnografie ist auch das von Bedeutung. Davon, wie die Sprachen entstanden, kündet eine Sage. Sie stammt aus dem grauen Altertum, da es noch keine Wissenschaft gab.

Vor sehr, sehr langer Zeit sprachen alle Menschen ein und dieselbe Sprache, behauptet die Sage. Sie verstanden einander ohne Dolmetscher. Einmal aber geschah eine katastrophale Überschwemmung, die die ganze Erde überflutete: die Sintflut, der nur einige wenige entgingen. Um nicht wieder von einer Sintflut überrascht zu werden, gingen die Menschen daran, zu Babel einen Turm zu bauen, um bis zum Himmel steigen zu können. Dadurch luden sie den Zorn der Götter auf sich, und diese zerstörten den Turm. Damit sich die Menschen aber nicht über einen neuen Turmbau einigten, wurden ihre Sprachen vermischt und über die ganze Erde verstreut. Seitdem kannte jedes Volk nur seine eigene Sprache. So sollen auch die Völker entstanden sein.

Natürlich ist das nur eine Sage … Doch wurde sie nicht zufällig erdacht. Darin sahen die Menschen eine Erklärung dafür, warum sich die einen Stämme und Völker von den anderen unterscheiden, warum die einen die Sprache der anderen nicht verstehen. Lange Zeit hindurch genügte den Menschen eine solche Erklärung.

Einer Sage nach fand sich ein Volk dorthin versetzt, wo hohe Berge von dichtem Nadelwald bedeckt sind, glitzernde Flüsse in kristallklare Seen münden und der Himmel am höchsten und reinsten in der Welt ist. Diese Region heißt Altai. Der schönste Ort auf der Welt. Auch der einzige, der den Angehörigen dieses Volkes ans Herz gewachsen war.

Was bedeutet das Wort „Altai“? Einige übersetzen es heute wie „Goldene Berge“. Das stimmt jedoch nicht. Das alte Turkvolk verstand es anders und nannte den Altai, d. h. seine, richtiger: unsere Heimat, „Land der Ahnen“ oder auch „Göttliches Land“.

Die Sprache, die hier schon im Altertum gesprochen wurde, war eben die Turksprache. Zu den ersten, die sie vernahmen, gehörten die Chinesen.

Gerade die Chinesen notierten sich als Erste das Wort „Turk-“als „tiukiu“, was in ihrer Sprache soviel wie „stark“, „kräftig“ bedeutete. So schrieb man einst über Chinas nördliche Nachbarn: über die Altaibewohner, die durch ihr ungewöhnliches Aussehen alle in Erstaunen setzten. Sie waren hellhaarig und blauäugig und zeichneten sich durch Stärke und Kriegskunst aus.

Außerdem nannten die chinesischen Weisen die Altaier „tie-lie“. Allerdings nicht alle Altaier, sondern nur jene, die ein den Chinesen „bekanntes“ Äußeres – dunkle Haare und Augen wie bei den Chinesen selbst – hatten.

Diese schon im Altertum bemerkten Unterschiede unter den Angehörigen des Turkvolkes haben sich bis heute erhalten. Seit jenen alten Zeiten lebt das Wort „Turk-“ in der Geschichte der Völker fort. Die Chinesen hörten es natürlich von den Angehörigen des Turkvolkes selbst, sprachen es allerdings auf ihre eigene Weise aus. Es ist so, dass jedes Volk ein Wort, das es aus einer anderen Sprache übernimmt, gewöhnlich umwandelt, um es der eigenen Aussprache anzupassen.

Folglich sprechen verschiedene Völker selbst einige Laute unterschiedlich aus!

 

Was man unter den Aufschichtungen der Zeit sieht

Für Ethnografen sind die Nachrichten der chinesischen Chronisten selbstverständlich von hohem Interesse. Doch dürfen sich die Wissenschaftler darauf allein nicht verlassen.

Chroniken neigen, gleich Menschen, zu Übertreibungen. Das stimmt leider wirklich. Selbst der ehrlichste Mensch übertreibt bisweilen stark; gegen den eigenen Willen irrt er sich, weil er gewisse Einzelheiten eines Ereignisses nicht kennt. Ganz besonders aber dann, wenn er Gerüchte glaubt.

Auf eben diese Weise aber schrieben die alten Chinesen: Sie stützten sich auf Gerüchte. Sie wussten vom alten Turkvolk sehr wenig, im Grunde so gut wie nichts. Sie verließen sich auf Märchen und Erdichtungen. Denn das Turkvolk war damals in die chinesischen Lande eingefallen und hatte sie sich unterworfen. Das verursachte in China eine große Unruhe.

Die riesige chinesische Armee – der Stolz der Kaiserdynastien Yin und Zhou – musste vor dem turkischen Heer weichen, China sich fügen und einen Tribut zahlen. Wohl daher kam das für das Nachbarvolk so ungewohnte Wort „Turk-“, d.h. „kräftig“, „sehr stark“, auf. Anders gesagt: „unbesiegbar“. Wollten die Chinesen vielleicht ihre Niederlage auf diese Weise rechtfertigen?

Alte Chroniken enthalten oft sehr aufschlussreiche Nachrichten über Ereignisse, Menschen, das Aufkommen dieser oder jener Bezeichnungen. Das ist selbstverständlich schon an sich interessant. Doch die Ethnografie hat andere Forschungs- und Erkenntnismethoden, dazu ist sie ja eine Wissenschaft.

Die Chinesen schrieben z. B. über Unterschiede im Äußern der Angehörigen des Turkvolkes. Wie können aber diese Nachrichten überprüft werden? Im Alten Altai siedelten, wie sie behaupten, hellhaarige und blauäugige Menschen, auf chinesisch „tiukiu“ oder „ding-ling“. Menschen, die so aussahen, lebten in China bekanntlich nicht. Ein Chronist schrieb sogar, diese „tiukiu“ sähen kleinen Äffchen gleich. Über andere Vergleiche verfügte er nicht (in Südchina gab es blauäugige Äffchen). Das Staunen der Chinesen ist begreiflich: Sie hatten Menschen mit solchen Gesichtern bis dahin niemals gesehen. Eben deshalb betonten die alten Autoren ihr Aussehen, sobald sie über das Turkvolk schrieben.

Über einen anderen Teil des Turkvolkes, die „tie-lie“, die im Ostaltai lebten, schrieben die Chinesen ganz anders. Auf das Aussehen dieser Menschen gingen sie gar nicht ein, weil es ihnen gewohnt war.

Ein Volk mit zweierlei Gesichtern?! Doch, das stimmt.

Gegenwärtig haben die Wissenschaftler die Richtigkeit der Beobachtungen chinesischer Chronisten glänzend bestätigt. Das tat das Akademiemitglied Michail Michajlowitsch Gerassimow, ein hervorragender Wissenschaftler. Nach Schädeln und anderen Knochen aus altertümlichen Bestattungen vermochte er die Gesichter und Gestalten längst toter Menschen zu rekonstruieren. Ihm gelangen auch noch so geringe Details eines Porträts.

Wie?! Auch hier eine Wissenschaft? Selbstverständlich! Sie heißt Anthropologie. Und sie ist manchmal imstande, Wunder zu wirken.

Die von Akademiemitglied Gerassimow geschaffenen Plastiken wirken dank ihrer erstaunlichen, ja erschütternden Genauigkeit verblüffend. So hat uns der Wissenschaftler beispielsweise das Äußere bedeutender Persönlichkeiten der Vergangenheit wiedergegeben: des russischen Zaren Iwan Grosny, des russischen Admirals Uschakow, des großen turkischen Astronomen Ulugbek.

Einige seiner genialen Skulpturen hat Michail Gerassimow nach Schädeln rekonstruiert, die in den Kurganen – den alten turkischen Hügelgräbern – gefunden wurden. Er hat turkische Gesichter wiederhergestellt. Und nun wissen wir, wie unsere Ahnen aussahen. Beim Anblick dieser einzigartigen Plastiken muss man immer wieder staunen. Denn solche Gesichter sieht man auch heute in den Straßen von Städten und Dörfern. Gott sei Dank hat sich nichts verändert! Freilich gibt es doch ein paar Veränderungen in den turkischen Gesichtern, und zwar recht auffällige Veränderungen. Doch davon etwas später.

Jetzt aber wollen wir herausfinden, wie und wann sich das Turkvolk auf dem Altai ansiedelte.

 

Entdeckung aus einer stillen Studierstube

So schön die Sage vom Turm zu Babel auch sein mag, die Wissenschaftler konnte sie doch nicht ganz überzeugen. Sie legen Wert auf Genauigkeit, doch damit können alte Sagen nicht aufwarten. Die Ereignisse sind darin undeutlich, „verschwommen“ dargestellt. Deshalb wandten sich die Ethnografen an Archäologen.

Die Archäologie ist Altertumskunde, sie erforscht die Geschichte der Gesellschaft nach materiellen Spuren des menschlichen Lebens und stellt fest, wo und wie die Menschen vor Jahrtausenden lebten. Nach den Ruinen altertümlicher Städte, nach Grabstätten, verlassenen Höhlen, kaum sichtbaren Felsenzeichnungen oder nach Geschirrscherben führen die Archäologen ihre eigene geduldige Suche durch, um Bilder der Vergangenheit zu rekonstruieren.

Der Alte Altai zieht seit langem die Aufmerksamkeit der Wissenschaftler auf sich. Hier wurden in den menschenleeren Weiten im 18. Jahrhundert völlig zufällig Spuren altertümlicher Siedlungen entdeckt: kolossale Kurgane, Grabsteine, Überreste von Palästen und Skulpturen, wie es sie in keinem anderen Land der Welt gibt.

Überraschend für die Wissenschaftler waren auch die hiesigen Felsen mit ausdrucksvollen Zeichnungen und rätselhaften Schriftzeichen, die altertümliche Künstler einst hier hinterlassen hatten. Alles hat sich ausgezeichnet erhalten! Und nichts davon wurde bis dahin erforscht.

Welchem Volk gehörten jene kostbaren Schätze? Wer besiedelte diese verlassenen Territorien? Die Fragen blieben lange Zeit unbeantwortet. Der Altai schien eine geheimnisvolle Schatzinsel im Zentrum Asiens zu sein, und Rätsel umwehten ihn wie ein Nebelschleier.

Mehr als hundert Jahre lang versuchten europäische Wissenschaftler, das anscheinend unlösbare Rätsel des Altai zu lösen. Vergebens! Die besten Köpfe der Archäologie konnten nicht einmal die Andeutung einer Antwort finden. Und so beschlossen die Wissenschaftler, dass die „toten“ Schriftzeichen einem verschwundenen Volk gehört hätten und unlesbar seien.

Das Geheimnis umhüllte nach wie vor den Alten Altai. Die Spuren seiner Bewohner lagen gleichsam offen, man fand immer mehr davon, aber mehr Klarheit brachten diese Funde nicht. Das unsichtbare Volk bewahrte seine Geheimnisse beharrlich.

Als Erster las der hervorragende Wissenschaftler aus Dänemark Professor Wilhelm Tomsen die geheimnisvollen Zeilen an den Wänden von Altaifelsen. Er war nicht Archäologe, sondern vielmehr ein ausgezeichneter Linguist.

Linguistik ist die Wissenschaft, die die Sprachen der Völker der Welt erforscht, sowohl alte als auch heutige Sprachen. Die Sprachwissenschaft hat ebenfalls nicht wenig zur Lösung von Rätseln des Turkvolkes beigetragen. Aber ihr letztes Wort hat sie noch nicht gesprochen. Die Linguistik hat enorme Perspektiven, ihre Entdeckungen stehen noch bevor.

Professor Thomsen tat das, was keiner der Archäologen geschafft hatte. Freilich geschah alles still und alltäglich: in einem Studierzimmer und weit vom Altai entfernt.

Am 15. Dezember 1893 machte er in Dänemark seine Entdeckung, und sie schlug wie eine Bombe ein. Professor Thomsen legte damals der Königlichen Wissenschaftlichen Gesellschaft Dänemarks einen Bericht vor, und so erfuhr die Welt vom wichtigsten Geheimnis des Alten Altai: von einem Volk, das als „tot“ galt. Der Professor entzifferte glänzend die geheimnisvollen Inschriften an altaischen Felsen und stellte fest, dass sie zu einer Turksprache gehörten!

Alles schien mit einem Mal klar zu sein. Der Alte Altai ist die Heimat des Turkvolkes, seine Wiege.

Niemand versuchte, die Schlussfolgerungen von Professor Tomsen zu bestreiten, so überzeugend und unbestreitbar waren sie. Doch beeilte man sich auch nicht, ihnen zuzustimmen. Im Ergebnis kam es so, dass es zwar einen Bericht und eine Entdeckung gab – und doch gleichsam gar nicht gab.

Später wurden chinesische Chroniken gefunden, die ebenfalls vom Turkvolk des Alten Altai sprachen. Man sollte meinen, der Schleier des Geheimnisses um die turkische Geschichte sei schon im 19. Jahrhundert gelüftet worden. Aber das Gegenteil war der Fall, und zwar deshalb, weil sich in die Arbeit der Wissenschaftler Politik sowie Leute einmischten, die die Wahrheit zu verbergen suchten.

 

Worüber Steine erzählen können

Einigen Politikern geht es darum, die Geschichte zu entstellen. Sie haben ihre eigene, verfälschte Vorstellung von der Vergangenheit. Die Wahrheit bringt solchen Leuten meist nur Schaden. Sie interessieren sich nur für Politik, und zwar eine, die sie selbst in einem günstigen Licht darstellt. Und so taten sie, als hätten sie die von Professor Tomsen einwandfrei entzifferten Inschriften gar nicht bemerkt.

Natürlich hatten sie ihre eigenen Gründe. Die Politiker zweifelten, warteten auf weitere Forschungsergebnisse – und hatten gewissermaßen Recht. In der Tat kann man, bevor man die Fragen, wie und wann das Turkvolk den Altai besiedelt hatte, nicht beantwortet, auch nicht von seiner Geschichte sprechen.

Die Archäologen forschten also in den Zeiten, da es noch keine Völker gab und das Turkvolk noch kein Turkvolk war, weil es keine Turksprache hatte: Die Menschen konnten damals noch nicht sprechen und erklärten sich mit Hilfe von Gesten und einzelnen Lauten. Überall auf unserem Planeten lebten damals halbwilde Stämme.

Wie sich aus archäologischen Funden ergibt, tauchten urgeschichtliche Stämme vor ungefähr 200 000 Jahren im Altai auf. Sie waren von Süden, von Indochina aus hergezogen. Dort wurden die ältesten Menschensiedlungen Asiens gefunden, die etwa eine Million Jahre alt sind.

Die Spuren der Urmenschen Asiens, Amerikas und Europas sind, wie sich herausstellt, ab Indochina zu verfolgen. Dort war das „gelobte Land“, dort entstand der größte Teil der Menschheit: aller Mongoliden und Europiden.

Was zog die Urmenschen am Altai an? Wir können da nur Vermutungen anstellen. Die schöne Natur? Wenig wahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher ist etwas anderes: Das Gebirge bot mehr Sicherheit und mehr Nahrung.

In jenen fernen Zeiten unterschieden sich die Menschen nicht so sehr von Tieren. Sie hatten keine Arbeitsinstrumente, konnten sich nur schlecht vor Raubtieren schützen. Deshalb lebten sie im Gebirge oder in einem dichten Wald, das heißt dort, wo sie eine Chance zum Überleben hatten und sich in einer gefährlichen Stunde nur dank ihrer Gewandtheit retten konnten.

Vor 200 000 Jahren kam also der erste Mensch in den Altai. Das ist lange her. Dank Archäologen wissen wir recht viel vom Leben der fernen Ahnen. Beispielsweise wie sie aussahen, womit sie sich befassten, welche Behausungen sie hatten, auf wen sie Jagd machten und welche Kleidung sie trugen.

Diese Kenntnisse verdanken wir der unbezähmbaren Energie des Akademiemitglieds Alexej Pawlowitsch Okladnikow, eines großen Archäologen. Man hat den Eindruck, dass er durch die Berge des Alten Altai hindurchsehen konnte, dass sein Blick die Aufschichtungen von Erde und Zeit durchdrang.

Begonnen hatte aber alles mit einer scheinbaren Kleinigkeit.

Einmal ging Alexej Okladnikow, ein sehr origineller Wissenschaftler, im Park der Stadt Gorno-Altaisk spazieren. In Gedanken versunken, verfolgte er einen Pfad entlang des Flusses Ulalinka. Plötzlich fiel sein Blick auf einen kleinen Stein, einen von denen, die am Ufer überall herumlagen. Ein Stein wie die anderen auch. Okladnikow blieb stehen und hob ihn auf. Dieser Augenblick machte ihn zu einem Wissenschaftler, der Millionen Menschen ein Begriff ist.

Jener Stein war nämlich ein urgeschichtliches Werkzeug!

Tausende Menschen waren über diesen schmalen Weg gegangen, hatten jedoch den Stein übersehen. Erst Alexej Okladnikow bemerkte ihn, weil er zum Archäologen geboren war. Archäologie war seine Berufung, er wusste und konnte sehr viel. Der Fund war kein Zufall, sein ganzes Leben war die Vorbereitung darauf.

Weder Wasser noch Frost können einen Stein so gestalten, wie das ein Mensch zu tun vermag. Eine erstaunliche Wissenschaft, diese Archäologie, sie gibt die Möglichkeit, sich über einen gewöhnlichen Stein zu freuen: weil nämlich vor Jahrtausenden die Hand eines anderen Menschen diesen Stein berührt hatte. Wie man sieht, überdauert die Wärme einer solchen Berührung viele Jahrhunderte.

Später kam eine archäologische Expedition ans Ulalinka-Ufer. Ausgrabungen wurden in Angriff genommen, ihr Leiter war Alexej Okladnikow.

Im Stadtpark spielte abends nach wie vor eine Blaskapelle, Menschen kamen her, um sich zu erholen, und vor den Augen des erstaunten Publikums buddelten die Archäologen in einer verlassenen Höhle. Wie sich später herausstellen sollte, handelte es sich dabei um das älteste Lager des Urmenschen im Altai. Es wurde freigelegt und nach dem Namen des hiesigen Flusses Ulalinskaja genannt.

Bald wurden im Altai andere urgeschichtliche Lager entdeckt. Auch dort fand man Beile, Messer, Pfeil- und Speerspitzen aus Stein, die von den Urmenschen hergestellt worden waren. Allmählich erfuhr man immer mehr vom Alten Altai und seiner Geschichte.

So mancher Fund war einzigartig, selbst namhafte Wissenschaftler staunten. An solchen Funden war alles ungewöhnlich, alles anders als in anderen Stationen der Urmenschen. So waren die Steinmesser und -dolche scharf wie eine Rasierklinge. Mit ihnen hätte man sich rasieren können.

Ein Stein, der schärfer als eine Rasierklinge ist? So etwas schien unglaubwürdig, und doch wurden hier solche Steine gefunden. Die Urmenschen des Alten Altai hatten gerade solche ungewöhnlich scharfen Messer gefertigt. Die Wissenschaftler stritten viel darüber und äußerten zahlreiche Zweifel. Ein Mensch von heute kann so etwas nicht mehr anfertigen. Es sei denn, er hat Instrumente und sehr präzise funktionierende Werkzeugmaschinen.

Die Altaier aber hatten das ohne Instrumente und Werkzeugbänke geschafft! Auf welche Weise? Nun, das war ganz einfach. Freilich mussten sich die Archäologen an Physiker wenden, um diese geniale Einfachheit zu verstehen. Gemeinsam experimentierten sie, und gemeinsam fanden sie die Wahrheit heraus.

Wie wir heute wissen, wandten die Altaier – im Unterschied zu allen anderen Urmenschen unseres Planeten – nicht die Zuschlag- oder die Anschlagtechnik an, bei der ein Stein mit einem anderen behauen wird. Vielmehr bearbeiteten sie Steine mit Feuer und Wasser. Deshalb hatten ihre Werkzeuge nicht ihresgleichen in der Welt.

Nicht jeder Stein hielt einer so harten Bearbeitung stand. Es eignete sich nur der Nephrit, ein seltenes grünliches Mineral mit schwarzen Schlieren, das sehr hart ist. Im Altai gibt es Nephritlagerstätten, und die altertümlichen Höhlenbewohner wussten das.

Die Entdeckung der Wissenschaftler bewies, dass das Gebirge für die Bewohner des Alten Altai außer allem anderen auch eine wahre Schatzkammer war. Folglich sind die Altaier die ältesten Geologen der Erde. Sie lernten es als Erste, Bodenschätze, die sich für die Anfertigung von Steinwerkzeugen eigneten, zu finden und zu gewinnen.

Die Geologie entstand folglich bei den Altaiern.

 

Die erste Übersiedlung aus dem Altai

Das Leben in den Höhlen des Alten Altai dauerte tausende und abertausende Jahre, und in all dieser langen Zeit veränderte sich faktisch nichts: Immer noch sicherten Jagd und Fischerei den Menschen die Nahrung.

Und doch zeichneten sich Veränderungen in jenem träge dahinfließenden Leben ab: Die Archäologen erkennen den Puls der Veränderungen in der Zeit dank ihren Funden.

So haben die Wissenschaftler das Aufkommen von kleinen Gegenständen aus Metall festgestellt. (Das war Bronze, eine Legierung aus Kupfer und Zinn.) Folglich begann im Alten Altai die Bronzezeit, von der die Steinzeit abgelöst wurde.

Natürlich fanden die Menschen nicht an einem Tag und nicht einmal im Laufe eines Jahres heraus, dass Metall fester als Stein ist. Pfeil- und Speerspitzen aus Bronze bestanden im Hausrat der Altaier lange Zeit neben Steinwerkzeugen. Das zeugte von vielem. Unter anderem davon, dass sich das Leben der Altaier tatsächlich unaufhaltsam veränderte: Kolossale Veränderungen traten ein. Denn mit Bronzeäxten konnten z. B. Bäume gefällt werden!

Ja, ist das denn so wichtig, dass man Bäume fällen kann? Doch, denn dahinter steckt sehr vieles. In erster Linie der Umstand, dass das Leben der Menschen nicht mehr urzeitlich primitiv war und allmählich aufhörte, von Wetterlaunen abzuhängen. Der Mensch war aus der Höhle hervorgetreten. Er konnte nun seine Wohnstätte wählen, und ging daran, sich Wohnungen zu bauen.

Ein ohne jede Übertreibung hervorragendes Ereignis. Die Menschen lernten zu jener Zeit also, sich warme Behausungen aus Baumstämmen zu bauen. Sie brauchten Jahrzehnte dazu, aber Häuser aus Baumstämmen waren ein Riesenschritt vorwärts, zum Progress. Ein solches Haus hieß Kuren.

Es handelt sich dabei um eine besondere Wohnstätte: noch kein richtiges Haus, aber schon keine Höhle und keine Laubhütte mehr. Noch hatte ein Kuren weder Fenster noch Türen, noch Holzboden, nur eben die Wände und ein Kegeldach. Der Bau wurde von allen Seiten mit Erde angeschüttet oder, umgekehrt, in die Erde vertieft. Von oben (im Grundriss) sah ein Kuren achteckig aus. Der Eingang wurde an der Ostseite angebracht (und das sollte eine Tradition des turkischen Hauses für Jahrhunderte werden!). Als Türen dienten Felle, der Boden wurde mit trockenem Gras oder mit Heu bestreut. In der Mitte des Kuren war eine Feuerstelle, der Herd, deshalb hatte das Dach ein spezielles Loch für Rauch und Licht. Selbst bei strengem Frost hielten die Kurens warm.

Die Menschen bauten ihre neuen Unterkünfte überall, in jeder Gegend, die ihnen zusagte. Dadurch unterscheidet sich ein Kuren von einer Höhle, die von der Natur geschaffen und deshalb nicht zu verlegen war.

Im Prozess des Baus von Kurens, genauer: von neuen Ansiedlungen, breiteten sich die Menschen langsam über die Altaitäler aus. Sie ließen sich dort nieder, wo die Natur reich und die Jagd vielversprechend, das Leben also leichter war.

Niemand in der Welt baute damals Unterkünfte aus Baumstämmen, weil das noch niemand konnte. Baumstammhäuser waren eine unbestreitbare Erfindung der Altaier. Eine großartige Erfindung, die die Urmenschen in die weite Welt hinausführte.

Damals zogen einige Stämme aus dem Altai gen Norden, zum Uralgebirge. Doch kann nicht behauptet werden, dass gerade Angehörige des Turkvolkes den Ural besiedelten. Nein, denn vor 5000 Jahren, als die ersten „altaischen“ Ansiedlungen weit vom Altai entfernt aufkamen, gab es noch kein Turkvolk. Das war noch zu früh, die Frucht war noch nicht reif.

Für den Verkehr miteinander verfügten die Altaier nur über ein paar Dutzend Worte. Ihre Sprache ähnelte dem Vogelgezwitscher, war viel zu einfach, um sie als Umgangssprache zu bezeichnen. Einzelne Laute, Gesten, selbst ganz einfache Wörter machen noch keine Sprache aus. Das sind erst die Keime einer Sprache. Jahrhunderte mussten vergehen, ehe sich die Sprache formte und das Reden fließend wurde.

Als die Altaier in den Ural einzogen, brachten sie auch ihre Kenntnisse mit. Das ist völlig natürlich. So bauten sie dort ihre gewohnten Kurens, weil sie keine andere Art von Behausungen kannten.

Neue Dörfer und Siedlungen entstanden ebenfalls in Wäldern und an Flussufern. Ihre Spuren haben sich erhalten. Sie sind den Altaier Siedlungen erstaunlich ähnlich, ja beinahe mit ihnen identisch. Das bezieht sich auch auf den Hausrat, die Arbeitswerkzeuge und vieles andere.

Archäologen haben im Ural sogar verlassene Städte jener Epoche gefunden. Folglich hatte es, wie geschlussfolgert werden kann, ähnliche Städte auch im Altai gegeben. Und das stimmt tatsächlich: Altertümliche Altaier Städte sind bekannt, wenn sie auch, wie man leider feststellen muss, von niemandem erforscht worden sind.

Dabei bestanden sie wirklich!

Im Ural ist Arkaim die bis heute am besten erforschte Stadt. Nach allem zu urteilen, ist sie 5000 Jahre alt. Dort lebten geschickte Metallwerker. Sie gewannen Kupfer und Zinn und gossen Bronze daraus. Beinahe in jedem Hof von Arkaim gab es Schmelzöfen. Tag und Nacht lohte Feuer darin. Die Uraler beförderten ihre Ware zum Altai.

Wer lebte in Arkaim? Welches Volk hatte die Stadt gebaut? Gestritten wird viel darüber, aber Klarheit besteht nicht. Dabei lebten dort offensichtlich Übersiedler aus dem Altai.

Stämme aus dem Altai siedelten im Ural als geschlossene Kolonien. Darauf wanderte ein Teil von ihnen weiter westwärts, wo das Klima milder und die Natur üppiger war. Jede Kolonie beziehungsweise jeder Stamm (noch kein Staat, lediglich ein künftiger Staat bzw. ein künftiges Fürstentum!) suchte nach einem bequemen Stück Land, um sich dort für Jahrhunderte niederzulassen.

Nicht Straßen, sondern Tierpfade führten die Stämme vom Altai auseinander, und so besiedelten sie allmählich den unbewohnten Teil Nordeuropas. Es begann eine langsame Abtrennung und Entfernung der einen Stämme von anderen. Das ist ein langwieriger, wenig auffälliger Vorgang.

Im Laufe von Jahrhunderten erfuhren die Umgangssprache wie auch die Lebensweise der Menschen Veränderungen. Das frühere, einfache Reden (mit Überwiegen von Gestik und Mimik) wurde komplizierter, Laute bereicherten es, aber verständlich war es nur für die Menschen des gleichen Stammes.

Es ist erstaunlich: Menschen, die bis dahin nur eine, wenn auch unkomplizierte Sprache gekannt hatten, vergaßen einander. (Ist an der Sage vom Turm zu Babel also doch etwas Wahres?)

Die Menschen ein und desselben Stammes, die sich über die Weiten Nordeuropas verstreuten, kapselten sich gleichsam ein, weil sie nur mit nahen und entfernten Verwandten verkehrten. Das musste seine Resultate zeitigen: Die Stämme (oder doch Stammesverbände) entwickelten sich allmählich zu Völkern, aber diese hatten dieselbe Wurzel: die aus dem Altai.

Zu nennen wären hier die heutigen Udmurten, Mari, Mordwinen, Komi, Finnen, Wepsen, Karelier, Reußen u. a. Jedes Volk formte im Laufe von Jahrhunderten seine Sprache, seine Sitten und Traditionen, seine Festtage und seinen Alltag. Kurzum, seine Kultur.

Das Werden eines Volkes ist ein unvorhersagbarer und sehr langwieriger Prozess. Selbstverständlich entwickelte sich bei weitem nicht jeder Stamm zu einem Volk.

 

Wie der Alte Altai entdeckt wurde

Jene Uraler Übersiedler, die die Verbindungen mit dem Altai nicht abbrachen und ihre alte Heimat ab und zu besuchten, wurden später wahrscheinlich, wie die Altaier selbst, ebenfalls zu den Turkvölkern gerechnet. Allerdings kann diese Behauptung bestritten werden.

Als Arkaim, Sintascht und andere Uraler Städte den Gipfel ihres Ruhms erreichten, stand der Altai im Schatten. Er tat sich durch nichts hervor. Sein Ruhm wartete noch bescheiden auf seine Reihe.

Die Altaier waren damals dabei, die sie umgebende Welt zu entdecken und neue Territorien zu besiedeln. Ihnen standen, ohne dass sie es wussten, außerordentlich wichtige Ereignisse bevor, die sich dort noch nicht vollzogen, für die jedoch ideale, von der Natur selbst geschaffene Bedingungen bestanden.

Die Landfahrer mussten auf ihrem Weg steile Berge überwinden und jungfräuliche Wälder durchqueren. Auf der Suche nach Weideplätzen für ihr Vieh stiegen sie auf hohe Gebirgskämme und passierten reißende Flüsse. Lang und beschwerlich war ihr Weg zu ihrem Ruhm, als sie den Altai erschlossen.

Die schwer zugänglichen, mit Wald bedeckten Berge nannte man Taiga.

Ein bekanntes Wort, nicht wahr? Heutzutage kennt man es überall. Doch kaum jemand macht sich Gedanken darüber, woher es zu uns gekommen und wann es entstanden ist.

Wie reisten die Bahnbrecher? Aufs Geratewohl? Aber nicht doch. Sie orientierten sich nicht schlecht nach der Sonne und lernten es, die Himmelskarte nach Gestirnen zu lesen. Ihren Weg prüften sie am Verlauf von Flüssen, sie wussten viel von ihnen: wo ein Fluss begann, wie und wohin er floss. Die Flüsse waren ihre einzigen Straßen, und so gaben sie ihnen Namen, um sie nicht zu verwechseln. Das aber sind schon geografische Kenntnisse!

Im Altertum hatten die Flüsse im Altai offenbar keine Namen. Wie die Wissenschaftler meinen, hatten sie sämtlich nur den einen Namen: „Katun“, und das bedeutete eben „Fluss“, den gewöhnlichen und einzigen Fluss, der einst neben der Höhle oder der Siedlung floss. Von anderen Flüssen wussten die Menschen nicht, ja sie ahnten nicht einmal, dass es auch noch andere Flüsse gab.

Den altertümlichen Namen bewahrt der wichtigste Strom des Altai, der Katun, bis heute. Einen anderen Strom, der ebenfalls in den schneeweißen Berggipfeln entspringt, nannte man Bija. Auch dieser altertümliche Name ist für Jahrhunderte auf den Landkarten der Welt fixiert. Die Bija und der Katun ergießen sich lärmreich in die Bergtäler und fließen zu einem einzigen breiten Strom zusammen, der das Nordpolarmeer erreicht. Das ist der Ob.

Es sei festgestellt, dass all diese Namen turksprachig sind.

Bija und Katun bedeuten in der Übersetzung aus der Turksprache „Herr“ und „Herrin“, und Ob bedeutet „Großmutter“. Aufgrund der Namen von Bergen, Flüssen und Seen kann man, wie sich herausstellt, ebenfalls etwas von einem Volk und seiner Vergangenheit erfahren. Die Wissenschaft von den Ortsnamen heißt Toponymik. Die Fachleute auf diesem Gebiet sind an den Fingern einer Hand abzuzählen, weil die Toponymik von einem Wissenschaftler sehr gründliche Kenntnisse in Geschichte, Geografie, Linguistik und Ethnografie erfordert. Er muss einfach alles wissen.

Einer der bedeutendsten Ortsnamenforscher ist Eduard Makarowitsch Mursajew. Sein ausgezeichnetes Buch „Turksprachige Ortsnamen“ hat viele Geheimnisse von Altai und Eurasien gelüftet. Wenn man es gelesen hat, sieht man die Landkarte mit ganz anderen Augen.

So kann der wohlbekannte Stromname Jenissej uns nicht wenig Interessantes verraten. Dank der Toponymik klärt sich das in ihm verborgene Rätsel der Laute auf.

Am Oberlauf dieses Stromes gab es, wie sich herausstellt, sehr alte Ansiedlungen der Altaier. Es hat sich eine Sage erhalten, nach der die ersten Angehörigen des Turkvolkes – eben als Angehörige eines Volkes! – gerade hier auftauchten. Sie nannten den Strom „Anassu“, was „Mutterfluss“ bedeutet.

Beim alten Turkvolk war vieles mit Flüssen, genauer, mit Wasser verbunden. Ein Neugeborener zum Beispiel wurde ins eiskalte Wasser eines Flusses getaucht. Überlebte das Kind, so musste es gesund und stark groß werden. Wenn nicht, dann trauerte ihm keiner nach. Daher rührte also die Gesundheit des Volkes!

Und das Wort „Turk-“ (stark) selbst – rührte es nicht ebenfalls daher? Erstaunlich einfach.

Der einstige Sinn und Name des Baikalsees, des größten und reinsten Sees der Welt, hat sich verloren. In der altertümlichen Turksprache bedeutete der Name „Heiliger See“, und die Menschen sagten andächtig: „Bai-kjol“. Ein jeder Mann hielt es für eine Ehre, sich mit seinem erquickenden Wasser zu übergießen.

Der Strom, der im Baikal-Gebirge entspringt, hat überhaupt alles verloren: sowohl seinen Namen als auch seine Geschichte. Heute heißt er Lena. Früher einmal hieß er Ilin, d. h. „östlicher Strom“.

Er war der am weitesten östlich verlaufende Strom des Alten Altai. In einer schweren Zeit fanden andere Altaisippen (Ulus) Zuflucht an seinem Ufer. Seit unvordenklichen Zeiten werden hier Turksprachen gesprochen. Die Weiten von Sacha-Jakutien bilden auch heute eine richtige Schatzkammer von Altertumsdenkmälern der turkischen Welt: Die politischen Katastrophen und Kataklysmen machten einen Bogen um diese Region, verschonten sie.

Der Alte Altai begann am Bai-Kjol und Sacha-Jakutien und reichte im Westen in die unübersehbare eurasische Steppe hinein. Das war ein ganzes Land, das das Turkvolk großwerden ließ, zu seiner Wiege und Heimat wurde.

Die Toponymik ist eine überaus genaue Wissenschaft. Es gibt chinesische, arabische, persische und griechische Namen, die sich ebenfalls ohne weiteres entziffern lassen. Anders kann es gar nicht sein: In ihnen offenbaren sich die altertümlichen Traditionen eines Volkes, denn jeder Ortsname, jede geografische Bezeichnung hatte und hat stets einen sehr tiefen Sinn.

Wie man feststellen kann, hatte jedes Volk einen richtigen Ritus der Namengebung. Wenn die Angehörigen des Turkvolkes z. B. Berge benannten, sprachen sie deren Namen nie laut aus, um kein Unglück heraufzubeschwören. Deshalb konnte ein und derselbe Berg zwei oder sogar drei Namen haben. Diese Tradition hatte gewiss ihren tieferen Sinn.

Es gab Sagen über Berggeister, die Viehseuchen auslösten, die Weideplätze austrocknen ließen und die Brunnen leer sogen. Um die Bergbeschützer gütig zu stimmen, brachten die Menschen ihnen Opfer – und erfanden falsche Namen für die Berge, die ausgesprochen werden durften.

Freilich kam es mitunter zu einem Durcheinander von Namen. Trotzdem geschah das absichtlich, damit die bösen Geister nicht verstanden, wovon die Rede sei, und sich irrten.

So ist im Altai der Ortsname Abai-Koby bekannt, er bedeutet „Hohlweg des großen Bruders“. Dabei war die Rede keineswegs von einem Bruder. Eigentlich hätte es „Hohlweg des Bären“ heißen sollen, denn der Bär war der Beschützer dieses Ortes.

Der Name des Berges Kysyy-Kyschtu-Osok-Bashy ist schon an sich etwas Besonderes. Niemand entsinnt sich dessen, wie er aufkam und was er bedeutete, aber die örtlichen Bewohner sprechen ihn fließend aus. Die Übersetzung ist sehr verworren, etwas wie „Überwinterungsort im Oberteil der Schlucht an der Mündung“. Was bedeutete der Name? Auf jeden Fall fanden die bösen Geister diese so schlau versteckte Siedlung niemals.

Auf dem Gipfel einiger Berge stellte das alte Turkvolk seine Heiligtümer – Obo – auf. Dort wurden Opfer gebracht und Sünden erlassen. Deshalb enthalten die Bergnamen im Alten Altai manchmal das Wort „Obo“: Obo-Osy, Obo-Tu. Von weit her brachte ein Sünder einen Stein dorthin, so groß wie seine Sünde. Er selbst wählte ihn am Bergfuß und trug ihn auf dem Rücken hinauf. Aus solchen „Vergebungssteinen“ entstanden die Obo.

Das alte Turkvolk vergottete die Berge und suchte bei ihnen die Vergebung ihrer Sünden. Denn dort flogen, wie es im Volk hieß, die Seelen der verstorbenen Ahnen zusammen, um Gericht zu halten; das geschah jedoch nicht auf jedem Berg, sondern nur auf einem heiligen.

Wie wurde ein Berg heilig? Und warum? Heute erinnert sich natürlich niemand daran. Ein ungelöstes Rätsel des Turkvolkes? Alte Leute mögen etwas davon wissen, aber sie verraten es nicht.

Am bekanntesten war schon immer der Berg Utsch-Sumer, der Berg mit drei Spitzen. Er war das Zentrum der Welt (Meru). Hier nahm alles seinen Anfang, und hier endete alles. Das war der heiligste Ort im Alten Altai, da durfte nicht einmal laut gesprochen, sondern lediglich geflüstert werden. In der Nähe jagte man nicht, brach man keinen Grashalm ab. Das galt als Sünde.

Später entstanden auch andere heilige Bergspitzen: Borus, Khan-Tengri, Kailassa. Lange Zeit hindurch waren sie turkische Heiligtümer. Bei Festen versammelten sich Tausende um sie. Diese Heiligtümer sind nicht in Vergessenheit geraten, wenn auch heutzutage nur Einzelne zu ihnen wandern.

Das alte Turkvolk verehrte nicht nur Flüsse und Berge. Einmal im Jahr veranstaltete es das Fest der Tanne. Auf dieses Fest freuten sich Erwachsene und Kinder am meisten. Auch diese Tradition lebt fort.

 

Fest der Tanne

Im Altai wuchsen schon immer sehr schöne, schlanke Tannen. Die Tanne galt beim Turkvolk seit alters als heiliger Baum. Sie wurde ins Haus „hereingelassen“. Man feierte Tannenfeste schon vor drei- oder viertausend Jahren, als die Menschen noch heidnische Götzen anbeteten.

Ursprünglich war das Fest Jer-Su gewidmet, der seinen Sitz im Zentrum der Erde hatte, wo die Gottheiten und Geister ihrer Ruhe pflegten.

Zusammen mit Jer-Su wohnte Ulgen, ein Alter mit einem dichten weißen Bart. Den Menschen zeigte er sich stets in einem reichen roten Kaftan. Ulgen hatte Gewalt über die guten Geister. Er saß auf einem goldenen Thron in einem unterirdischen goldenen Palast mit einem unterirdischen goldenen Tor. Die Sonne und der Mond waren ihm untergeordnet.

Das Tannenfest fiel mitten in den Winter, auf den 25. Dezember. An diesem Tag besiegt der Tag die Nacht, und die Sonne bleibt etwas länger am Himmel. Die Menschen beteten zu Ulgen und dankten ihm für die wiedergegebene Sonne. Damit aber das Gebet erhört wurde, schmückten sie seinen Lieblingsbaum, die Tanne. Man trug sie nach Hause, band bunte Schleifen an die Zweige und legte daneben Geschenke hin.

Der Sieg der Sonne über das Dunkel wurde bis in die Nacht gefeiert. Die ganze Nacht hindurch wiederholte man „Koratschun, Koratschun“. Darum hieß auch das Fest selbst „Koratschun“, was in der alten Turksprache „Mag sie abnehmen“ bedeutete.

Mag die Nacht abnehmen und der Tag zunehmen.

Um die Tanne wurde ein Reigen – „Inderbai“ – geführt. Die Menschen bildeten einen Kreis, der die Sonne symbolisierte. Auf diese Weise forderten sie die Sonne zur Rückkehr auf. Alle glaubten, dass auch der sehnlichste Wunsch in Erfüllung gehe, wenn man in jener Nacht intensiv genug daran dachte.

Und tatsächlich, Ulgen enttäuschte die Menschen kein einziges Mal, wies ihre Bitte kein einziges Mal ab: Nach dem Fest nahm die Nacht immer mehr ab, während die Sonne immer länger am Himmel blieb.

Man nannte die Tanne den „Ulgen-Baum“. Sie stellte eine Verbindung zwischen der Welt der Menschen und der unterirdischen Welt der Gottheiten und Geister her. Gleich einem Pfeil wies die Tanne dem Ulgen den Weg nach oben. Daher kam der Name „Jol“, was in der Turksprache auch wirklich „Weg“, „Straße“ bedeutet.

Daher der Name „Jolka“ (russ.: Tannenbaum)!

So viele Jahrhunderte sind vergangen, das alte Fest hat sich aber nicht vergessen. Heute ist es das allbekannte Neujahrsfest mit dem Tannenbaum. Ulgen freilich hat einen neuen Namen bekommen: Väterchen Frost oder auch Heiliger Nikolaus oder auch Santa Claus, aber seine Rolle beim Fest und seine Kleidung sind die alten geblieben.

Nach wir vor wird um den Tannenbaum ein Reigen getanzt. Und niemand denkt daran, dass der rote Mantel, die Mütze, der Gürtel und die Filzstiefel von Väterchen Frost aus der altturkischen Garderobe stammen. Diese Tracht war für sie typisch. Die Archäologen haben das einwandfrei nachgewiesen.

Der Sage nach veränderte Ulgen manchmal sein Aussehen. Dann hieß er Erlik. Im Übrigen ist es möglich, dass Erlik ein Bruder von Ulgen war. Nach so vielen Jahrhunderten lässt sich das kaum genau feststellen. Vielleicht ist das auch nicht mehr so wichtig.

Viel wichtiger ist etwas anderes. Für das alte Turkvolk verkörperten Ulgen und Erlik Gut und Böse, Licht und Dunkel. Deshalb waren am 25. Dezember alle Menschen, selbst die bösesten, gut und freigebig. Darunter auch Erlik, das Symbol des Bösen. An diesem Tag brachte er einen Sack voller Geschenke mit. Die Kinder gingen auf die Suche nach Erlik. Sie zogen singend umher, wobei „Koljada“-Lieder gesungen wurden. Das Wort Koljada stammt aus der Turksprache und wird als der Satz übersetzt: „Erbete dir das Wohlergehen.“

 

Zeichnungen aus dem Alten Altai

Das alte Turkvolk besaß eine sehr gute Beobachtungsgabe, hatte keine Angst vor der Natur, versteckte sich nicht vor ihr, vielmehr waren seine Angehörigen bestrebt, sie zu verstehen. Allmählich formten sie ihre eigene Welt, ihre eigenen Kenntnisse. Es entstand ihre eigene, höchst eigenständige Kultur. Leider weiß man vorläufig nicht viel von ihr, sie wurde bisher wenig erforscht.

Was den Archäologen einen Einblick in die turkische Vergangenheit ermöglicht hat, waren Zeichnungen. Ihre Zahl geht in die Tausende. Sie sind an den Altai-Felsen aus sehr alten Zeiten geblieben. Die Zeichnungen sind vor allem deshalb von enormem Interesse, weil sie Bilder aus der fernen Vergangenheit – Szenen aus dem Leben – darstellen.

Nicht jeder unserer Zeitgenossen wird diese Kunst der altertümlichen Künstler ohne weiteres verstehen. Hier sind jede Linie, jeder Strich und jede Silhouette voll tiefen Sinnes. So war der Hammel in der altturkischen Kultur das Symbol des Wohlstandes, des Reichtums. Der Löwe bedeutete Macht, die Schildkröte die Ewigkeit, die Ruhe, das Pferd den Krieg, die Maus eine gute Ernte, während der Drache die Sonne, das Wohlbefinden und Glück versinnbildlichte.

Hinter jeder einzelnen Zeichnung steckte ein ganzes Poem, das viele Gefühle und Gedanken hervorrief. Die Zeichnungen offenbaren das, was das Leben der Menschen ausmachte, worüber sie sprachen, wovor sie sich fürchteten, wen sie verehrten. Kurzum: das Leben selbst.

Eben das macht die Felsbilder zur Kunst. Ebenso wie die Sprache machte sie ein Volk zu einem Volk.

Die altturkische Kunst entstand vor drei- oder viertausend Jahren. Das Leben selbst sagte den Zeichnern Sujets vor, und ihnen blieb vorbehalten, sie festzuhalten. Genau dadurch sind die Zeichnungen für die Wissenschaft interessant: Man braucht nur aufmerksam darauf zu schauen, und die Felsen erwachen zum Leben, vermitteln von selbst Informationen über die Vergangenheit.

Für ihre Arbeit wählten die Zeichner gewöhnlich Felsen von gelber oder brauner Farbe. Warum zogen sie solche Felsen vor? Das ist ungewiss. Auf jeden Fall finden die Wissenschaftler die ältesten Zeichnungen gerade auf solchen bunten Felsen. Die Darstellungen kommen meist an der einen, einer zweiten, einer dritten Stelle eines Riesenfelsens gruppiert vor. Offenbar hatte auch das einen Sinn und bildete seinerseits ein Rätsel.

Der altertümliche Künstler „malte“ natürlich ohne Pinsel noch Farben. Er ritzte mit einem Stichel Punkte in den Stein, einen nach dem anderen. Aus diesen Punkten entstand eine Linie. Und die Linie machte schließlich eine Darstellung aus, die der Zeichner der Zeit anvertraute.

Zu ihrem nicht geringen Erstaunen bemerkten die Archäologen, dass die Tiere auf den steinernen Bildern oft in Gruppen – zu fünf oder zu zehn Stück – dargestellt sind. „Das entspricht ja der Zahl der Finger!“ riefen sie aus. Konnte demnach das Turkvolk in tiefer Vergangenheit zählen? Nach allem zu urteilen, konnte es das, und zwar sehr gut.

Im Alten Altai bestand ein Tierkreiskalender. Alle zwölf Jahre begann er von neuem. Die Sage erzählt davon wie folgt.

Ein Khan wollte etwas von einem früheren Krieg erfahren. Niemand nannte jedoch sein Datum, weil die Menschen die Zeit nicht messen konnten. Darauf befahl der Khan, alle ihm bekannten Tiere zum Fluss zu treiben und ins Wasser zu stoßen. Nur zwölf Tiere konnten über den Fluss schwimmen. Nach ihnen wurden dann die Jahre des Kalenders genannt: ein Jahr der Kuh, ein Jahr des Hasen, ein Jahr des Leoparden und so weiter. Der Khan bestätigte für das Turkvolk zwölf Monate im Jahr und benannte die zwölf wichtigsten Gestirne.

Erstaunlich. Dieser Zwölfjahreskalender hing von den Bewegungsphasen des Mondes und der Sonne ab. Er wurde, wie die Wissenschaftler festgestellt haben, keineswegs aufs Geratewohl zusammengestellt, sondern aufgrund präziser mathematischer und astronomischer Berechnungen.

Haben wir die zwölf Monate unseres Jahres vielleicht von den Altaiern übernommen? Und zweimal zwölf Stunden am Tag, einmal für den Tag und einmal für die Nacht?

Offenbar ist dem so. Wie wäre sonst zu erklären, dass die Wissenschaftler in den altturkischen Schriftzeichen z. B. auf folgende Daten stießen: „Die Stunde des Pferdes am Tage der Kuh im fünften Monat des Jahres des Leoparden“. Wohlgemerkt: Alle verstanden, wann das genannte Ereignis geschah. Folglich benannte das Turkvolk selbst Stunden und Tage nach Tieren. Sein Weltbild war einfach fantastisch!

Jedes Jahr hatte seine Merkmale, und das wussten ebenfalls alle. In den Jahren des Hasen und des Widders beispielweise war man auf Unbilden und Missernten gefasst, während die Jahre des Leoparden, des Hundes und der Kuh im Gegenteil den Menschen gute Ernten und den Wohlstand versprachen.

Aus den altertümlichen Altai-Zeichnungen kann ein aufmerksamer Forscher viel herauslesen. Sie erzählen z. B. darüber, dass die Altaier Hunde auf die Jagd mitnahmen. Auch das entging dem Auge des Künstlers nicht. Auf einer Zeichnung ist ein auf die Jagd gehender Mann dargestellt, auf seinem Rücken ist ein Bogen, an der Seite ein Lederköcher mit Pfeilen zu sehen, und hinter ihm läuft ein Hund.

Die frühe turkische Kunst ist ungewöhnlich und verblüffend. Nicht in künstlerischer Hinsicht ist sie besonders wertvoll, vielmehr veranschaulicht sie das Leben der Menschen der fernen Vergangenheit. Das ist viel wichtiger. Sie stellt dieses Leben so dar, wie der Zeichner es sah und wie es tatsächlich war. Selbst die Umrisse von Tieren, Fischen und Vögeln waren nicht etwa eine Laune des Zeichners. Sie waren Teil der geistigen Kultur des Volkes.

In späteren Zeichnungen zeigen sich Veränderungen. Sie traten vor ungefähr 3000 Jahren oder etwas später ein. Die Tiere rückten gleichsam in den Hintergrund und machten Menschengestalten Platz.

Erstaunlich schöne Gesichter schauen uns aus der Tiefe der Zeiten an. Man reißt sich vom Schauen nur schwer ab, man kann sie nicht vergessen. Das sind ja Bildnisse unserer Ur-Ur-Ur-Omas und -Opas. Hundert oder sogar zweihundert Generationen trennen uns von ihnen.

Etwa zu gleicher Zeit kamen im Altai auch die ersten figürlichen Menschendarstellungen auf. Die alten Bildhauer zogen hauptsächlich Frauen vor. Sehr geschickt waren die Künstler noch nicht, ihre Statuetten sind untersetzt, etwas schwerfällig. Aber die Gesichter!

Welch ausdrucksvolle Gesichter konnten sie doch schaffen! Mit etwas zu breiten Backenknochen und einer einzigartigen Augenform. Augen, die dem jungen Mond gleichen, waren ein Merkmal der Altaier. Bemerkenswert ist, dass die Angehörigen der Turkvölker auch heute diese Augen haben.

Nach den Zeichnungen zu urteilen, mochten die alten Altaier Gesang und Reigentänze. Sie veranstalteten Maskenfeste und tanzten temperamentvoll, einander an den Händen haltend. Auch diese ihre Vorliebe haben die Felsen trotz der vielen seitdem vergangenen Jahrhunderte bewahrt.

Die Kunst eines Volkes ist seine Seele. Sie erlischt auch dann nicht, wenn das Volk selbst erlischt.

 

Wie eine hervorragende Entdeckung gemacht wurde

Selbstverständlich unterschied sich das Turkvolk von den anderen Völkern nicht nur durch seine Kunst, sondern auch durch das Streben, die Welt zu sehen. Seine Angehörigen reisten gern, liebten es, die Natur zu erforschen, und suchten nach einer Erklärung für deren rätselhafte Erscheinungen. Das half ihnen in ihrem Leben im Gebirge mit seinem Klima, das nichts für Schwächlinge ist: Da zeichnet sich der Winter durch klirrenden Frost und der Sommer durch unerträgliche Hitze aus.

Nur geschickten und viel wissenden Menschen konnte der harte Altai zur Heimstätte werden.

Vor ungefähr 2500 Jahren geschah im Altai ein Wunder. Im Grunde gab es gar kein Wunder, es geschah eben jene wunderbare Umwandlung, die früher oder später einem talentierten Volk zuteil werden musste.

Kurzum, jemand sah, wie eine helle Linie den Himmel durchzog und ein Stern auf die Erde fiel. Das war ein Meteorit, ein großer schwarzer Stein. Der außerirdische Ankömmling blieb nicht unbemerkt, er interessierte einen Mann sehr, der Temir hieß.

Auf diese (oder vielleicht etwas andere) Weise erfuhr das alte Turkvolk vom Eisen, vom „Himmelsmetall“, denn der auf die Erde gefallene Meteorit bestand aus Eisen.

Gewiss wussten die Menschen von Meteoriten seit langer Zeit, tausende Male sahen sie solche Steine, und das nicht nur im Altai. In Altägypten z. B. stellte man ungewöhnlich harte Messer aus Meteoriten her, und sie waren teurer als Gold. Nur die Herrscher und der Adel besaßen Eisenwaffen.

Im Altai nun war es Temir, der etwas anfertigen lernte, woran niemand in der Welt auch nur gedacht hatte. Er erfand den Schmelzofen, in dem er Eisen goss.

Das war eine der größten Erfindungen der Menschheit. Sie ist höchstens mit der Erfindung des Rades zu vergleichen, und die Folgen sind gar nicht aufzuzählen. In der gesamten Weltgeschichte gibt es nur zwei oder drei solche Erfindungen. Sie sind ganz hervorragend, genial und deshalb ewig. Man kann sie wirklich nicht hoch genug einschätzen.

Dank Temir erhielten die Menschen Eisen. Seitdem hieß es beim Turkvolk: „Gegen einen Feind, der mit Knüppel bewaffnet ist, halte einen Eisenschild bereit.“ Das Geheimnis des Eisengießens wurde zum wichtigsten Geheimnis des Turkvolkes, zu seinem Schutzschild.

Das Wissen um den Metallguss wurde mündlich überliefert, von Vater an Sohn vererbt. Nur die zuverlässigsten Familien kannten das Geheimnis. An deren Angehörige wurden Fremde nicht einmal herangelassen. Schmiede und Metallwerker besaßen beim Turkvolk schon immer beinahe den höchsten Stellenwert. Der Sohn eines Metallwerkers durfte z. B. nicht ein Mädchen aus einem anderen, „nicht metallurgischen“ Stamm heiraten, denn so war er davor sicher, das Geheimnis zufällig im Schlaf auszuplaudern.

Das Können der Schmiede wurde den Taten von Heiligen gleichgesetzt. Und das hatte seine Gründe. Eisen brachte dem Turkvolk einen unerhörten Wohlstand, machte es zum stärksten und reichsten Volk der Welt. Überall herrschte noch die Bronzezeit, und nur bei ihm gehörte Eisen zum Alltag.

„Wer hat Temir diesen glücklichen Gedanken eingegeben?“ fragten die Menschen, wenn sie die kostbaren Eisenstücke in den Händen hielten, die Temir aus einfachen Steinen (eigentlich aus Eisenerz) gewann. Und einträchtig beschlossen alle: „Der Gedanke stammt vom Guten Gott des Himmels.“

Der Gute Gott wurde zum Beschützer der Altaier. Man nannte ihn Tengri, in der Turksprache bedeutete das „Gott des Himmels“ oder „Ewiger Blauer Himmel“. Seitdem beschützte Tengri die turkischen Stämme und half ihnen, sich zu einem Volk zu entwickeln.

Zum Alten Altai entsandte er seinen Lieblingssohn Gesser, und Gesser brachte den Menschen ein Leben in Rechtschaffenheit bei. Gesser war der Erste Prophet auf der Erde, der Abgesandte des Gottes des Himmels. Gesser erzählte den Menschen von Tengri.

Bei den Völkern Zentralasiens haben sich viele Sagen von Gesser und seinen ruhmreichen Taten erhalten. Freilich veränderte sich der Name Gesser im Laufe der Jahrhunderte, was in der Geschichte der Völker keine Seltenheit ist. Nunmehr nennen ihn die Angehörigen der Turkvölker häufiger Keder oder sogar Chysr. Das Gedächtnis des Volkes hat ihn neben der Gestalt Tengris, des Gottes des Himmels, bewahrt.

Er ist weise und wacht über die Quelle des Lebens auf Erden; ein unsterblicher Held, den sich die einen Menschen als einen bärtigen Greis mit einem Wanderstab und die anderen als einen starken jungen Mann in den Blüte seiner Jahre vorstellen.

Interessant ist, dass die Gestalt von Chysr (beziehungsweise Keder oder sogar Kederles) heute bei vielen Völkern der Welt vorkommt. Doch nicht bei allen, sondern nur bei solchen, die eng mit der alten turkischen Kultur und Tengri verbunden waren. Einem aufgeklärten Menschen sagt das viel.

Die Gesser-Sagen künden von der glücklichen Zeit, da im Altaigebirge Glück herrschte und die Erde von den urzeitlichen Dämonen und Ungeheuern gesäubert war. Damals fanden die Altaier reiche Eisenerzvorkommen und gingen an den Bau von Städten und Siedlungen. Sie erkannten den Gott des Himmels. Das Leben veränderte sich von Grund auf.

Professor Sergej Iwanowitsch Rudenko, ein hervorragender Archäologe, erforschte diese Periode in der Geschichte des Alten Altai. Allerdings sprach er in seinen Büchern nie von einem Turkvolk. Er nannte die Altaier Skythen.

Dafür hatte er seine Gründe.

 

Die Skythen – ein rätselhaftes Volk?

Zu der Zeit, da Sergej Rudenko seine Grabungen vornahm, wurde die Wahrheit über die turkische Kultur weder gesagt noch geschrieben. Das war verboten. Im zaristischen Russland und später in der Sowjetunion wurden Wissenschaftler wegen einer bloßen Andeutung der Wahrheit darüber eingekerkert und sogar erschossen. Das Thema war tabu.

Über die Skythen aber durfte man sprechen. Ihre Ansiedlungen und Bestattungsplätze durften erforscht werden. Und die Wissenschaftler taten das. Doch bei weitem nicht alles wurde gesagt. So verschwieg man, welche Sprache die Skythen untereinander sprachen, woher sie stammten und, vor allem, wer sie eigentlich waren.

Das war ein sorgsam gehütetes Geheimnis, genauer: eine stumme Einigung der Wissenschaftler untereinander, ans tabuierte Thema nicht zu rühren. Waren die Skythen demnach vom Himmel gefallen? Sprachen sie eine „außerirdische“ Sprache? Sie tauchten überraschend in den Steppen auf, die sich auf dem heutigen Territorium von Kasachstan, Usbekistan, Russland, der Ukraine, von Bulgarien und Ungarn befinden. Und später verschwanden sie.

Sie kamen geheimnisvoll – aus dem Nichts – und lösten sich ebenso geheimnisvoll – im Nichts – auf. Aber ist so etwas denn möglich?

Der erste Europäer, der etwas über die Skythen mitteilte, war der altgriechische Schriftsteller Herodot, ein Kenner der alten Welt. In seinem Geschichtswerk über die Perserkriege erzählte er über das Leben des Steppenvolkes, seine Feste und seinen Glauben, seine Traditionen und seine Kriegskunst. Er berichtete selbst über das Aussehen und die Kleidung seiner Angehörigen.

Die Skythen seien, behauptete Herodot, aus dem Osten, aus der Ferne in die europäischen Steppen gekommen. Woher konkret? Darüber schrieb er nicht, weil seine geografischen Kenntnisse noch sehr lückenhaft waren. Dabei hätten die Skythen von keinem anderem Ort kommen können als aus dem Altai, von dem die Griechen nicht einmal gehört hatten.

Viel später, als die Wissenschaftler vom Altai und vom Turkvolk erfuhren, kam die Meinung auf, die Skythen seien ein aus dem Altai abgewanderter Teil des Turkvolkes, der aus irgendwelchen Gründen die Heimat verlassen habe.

Diese Annahmen waren durchaus begründet, weil die Skythen und das Turkvolk eine absolut identische Kultur haben. Unterschiede zwischen ihnen zu suchen, wäre dasselbe, wie wenn man nach Unterschieden zwischen Zwillingsbrüdern suchen wollte. Reiner Zeitverlust.

In Russland wurde der Gedanke über die Identität von Skythen und Turkvölkern vor 300 Jahren vom russischen Historiker Andrej Lyslow geäußert. Doch seine Wahrheit kam ungelegen, und der Wissenschaftler wurde bestraft. Diese Wahrheit missfiel dem Zaren Peter I., einem Erzfeind des Turkvolkes, der nach den Asow-Feldzügen die Große Steppe okkupierte und aus einem freien turkischen Land eine Kolonie Russlands machte. Ihm ging es also darum, zu verbergen, dass das Turkvolk ein angestammtes Volk Russlands und der Ukraine war, das dort seit unvordenklichen Zeiten lebte. Und so sagte der Zar, es gebe kein Turkvolk, dieses habe auch nie eine Heimat oder eine Kultur gehabt. Auf diese Weise tauchten in der russischen Geschichte anstatt des Turkvolkes „wilde Nomaden“ und „heidnische Tataren“ auf.

Bald trafen in Russland Wissenschaftler aus dem Ausland ein. Ihnen wurde sehr viel Geld gezahlt, damit sie mündlich und schriftlich behaupteten, die Skythen seien Slawen, das Turkvolk dagegen überall als eine wilde Nomadenhorde verschrien.

Seit jener Zeit hörte man auf, die Wahrheit vom Turkvolk und von den Skythen zu sagen. Eine unverschämte Lüge folgte auf die andere, und die Lügen wurden beharrlich verbreitet. Doch sie wirkten so absurd, dass sie nicht geglaubt wurden. Was hatten die Slawen damit zu tun? Die Slawen hatten nie in der Steppe, vielmehr in Wäldern gelebt.

Man ging noch weiter und erfand eine neue Lüge: Die Skythen seien aus Persien eingefallen und hätten Persisch gesprochen. Leider hatte sich dieses Märchen durchgesetzt und lebt bis heute in der russischen Geschichtswissenschaft fort.

Selbst schriftliche Denkmäler aus skythischen Hügelgräbern, die mit turkischen Runen beschrieben sind, überzeugen die Ignoranten nicht. Nichts ist ihnen überzeugend genug. Die Redewendung „Jeder sieht nur, was er sehen will“ stimmt wahrscheinlich doch.

Aber Wahrheit bleibt Wahrheit, und wenn sie auch verboten ist. Ehrliche Wissenschaftler suchten weiter nach ihr. Zu ihnen gehörte glücklicherweise Professor Sergej Rudenko.

Er hatte nicht gegen das Verbot verstoßen, das hätte ihm viel Unglück gebracht. Aber der Wissenschaftler berichtete in seinen Büchern ehrlich darüber, was er vom Turkvolk und seiner Kultur erfuhr. Seine Arbeit ist deshalb so wertvoll, weil man darin gleichsam zwischen den Zeilen lesen kann. (Was tun, in gefährlichen Zeiten mussten Wissenschaftler so manches Buch auf ebendiese Weise schreiben!)

Rudenko stellte fest, dass die Skythen im Altai gelebt hatten und von dort nach Europa übergesiedelt waren. Sie gehörten zu den Turkvölkern, denn sie sprachen und schrieben eine Turksprache. Allerdings nannten sie sich, wie Herodot behauptet, Skolten.

Die Iraner und Inder kannten sie unter dem Namen „Saken“. Dieser Name der Skythen stammte vom altturkischen Wort „sakla“, was „bewahren“ bedeutete. Übrigens ein sehr treffendes Wort. Ja, die Skythen zogen vom Altai weg. Aber hierbei bewahrten sie sich stolz den Glauben ihrer Ahnen. Gesagt sei, dass das eine von der Wissenschaft noch gar nicht entdeckte Geschichte ist. Von ihr weiß man so gut wie nichts. Nur in Volkssagen und vielleicht noch in buddhistischen Chroniken haben sich Fragmente jener Überlieferungen erhalten.

Offenbar wurde im Altai damals, vor zweieinhalbtausend Jahren, viel Blut vergossen. Heftige Streitigkeiten arteten zu Kriegen aus. Die einen Stämme verteidigten mit der Waffe in der Hand die Oberherrschaft der alten Götter (Jer-Su, Ulgen, Erlik). Andere bestanden auf der Oberherrschaft des neuen Gottes des Himmels, des Allmächtigen Tengri.

Erstmalig in der Weltgeschichte prallten das Heidentum und die neue Religion auf dem Schlachtfeld aufeinander. Das war ein unverkennbarer Glaubenskrieg.

Die Anhänger des „alten Glaubens“ wichen zurück, man nannte sie Skythen (oder Skolten beziehungsweise Saken). Natürlich waren sie kein neues Volk, sie konnten einfach kein neues Volk sein, das überraschend aufkreuzt und ebenso überraschend verschwindet, gleich einem namenlosen Kometen.

Ein Volk entsteht nie aus dem Nichts und kann sich nie in Nichts auflösen.

 

Von Tengri gegeben

Warum brach jener religiöse Konflikt gerade im Altai aus? Die Antwort ist in der turkischen Seele zu suchen. Diese Seele ist eine unergründbare Welt von Träumen und geheimnisvollen Gestalten und Bildern, und diese brachten die Reichtümer der geistigen Kultur hervor.

Das alte Turkvolk meinte, dass das Wohlergehen eines Volkes in der Macht der Geister, der Beschützer der Stämme, liege. Und die Menschen glaubten an sie und nannten den betreffenden Geist ihren Gebieter. Jemand glaubte an die Macht des Geistes eines Schwanes, andere suchten Schutz beim Geist des Wolfes, des Bären, des Fisches oder des Hirsches.

Alle Angehörigen des Turkvolkes zusammen verehrten die Schlange oder den Drachen. (Schlange hieß in der alten Turksprache „Maga“ oder „Jylan“, der Drache hieß „Lu“ und die Eidechse „Got“; daher rührt wahrscheinlich der Name, den dem Turkvolk in Europa gegeben wurde: die „Goten“.)

Der Beschützer eines Stammes wurde auf Fahnen dargestellt. Gerade auf der Fahne lebte der Schutzgeist, weshalb sie etwas Besonderes war. In der Sprache der Altaltaier klangen die Wörter „Fahne“ und „Geist“ völlig gleich und bedeuteten dasselbe.

Die altertümlichen turkischen Fahnen wurden einst aus dem Fell von erlegten Tieren hergestellt. Später verwendete man Gewebe, darunter Seide, dazu. Wenn man eine Fahne fallen ließ, galt das als ein großes Unglück, und wer die Fahne senkte, brachte sich in Schande.

Die Schlange wurde nicht zufällig von allen verehrt. Sie galt als die Urmutter der Menschen, sie gab ihnen Wissen und Weisheit. Diese Sage lebt seit sehr alten Zeiten fort. In Zentralasien wird die Schlange (der Drachen) bis heute besonders verehrt, ihr werden Feste gewidmet, auf ihre Darstellungen trifft man überall.

Bemerkenswert ist, dass die Angehörigen des alten Turkvolkes in den Sagen anderer Völker oft „Nags“, d. h. „Schlangenmenschen“, genannt wurden. Wie es hieß, war die Schlange die Herrin über die unterirdische Welt. Deshalb lebten die ihr untergeordneten Gottheiten (Jer-Su, Erlik und andere) unter der Erde. Lange Zeit hindurch glaubten die Menschen an diese Herrscher der unterirdischen Welt.

Der neue Gott, Tengri, gehörte einer ganz anderen Welt an, nämlich der im Himmel. Mit ihm kam ein anderer Glauben zu den Menschen. Und auch ein anderes Leben! Mit Eisenwerkzeugen in den Händen. „Der Gott des Himmels ist der Herr der Welt“, hieß es beim Turkvolk. Oder doch bei jenem Teil davon, der erkannt hatte, dass die alten Götter ihre Kraft einbüßten.

Nicht alle waren damit einverstanden. Die Gegner gaben nach und zogen aus dem Altai, ohne den alten Glauben an die Herrscher der unterirdischen Welt aufgegeben zu haben. Auf diese Weise begann im 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung die Geschichte der Skythen (Saken, Skolten).

Sie zogen weg, im Altai aber setzten gewaltige Veränderungen ein, die beim Vorhandensein von Arbeitsinstrumenten aus Eisen auch eintreten mussten. Mit diesen hat sich Professor Rudenko beschäftigt. Bei seinen Ausgrabungen in den Kurganen von Pasyryk legte der Wissenschaftler wahre Schätze frei. Wir meinen natürlich nicht Gold oder Silber. Seine Funde haben einen viel höheren Wert. Sie erlauben es, viel vom Leben des Turkvolkes, als es schon Eisen herstellte, zu erfahren. Professor Rudenko hat Beweise unter der Erde hervorgeholt! Beweise, die von den Händen der Altaier angefertigt worden waren. Das ist der große Vorteil seines Buches.

Im Unterschied zu einigen besoldeten Wissenschaftlern, die auf Geheiß des Zaren handelten, trat Professor Rudenko nicht mit unbegründeten Behauptungen hervor, sondern lieferte der Wissenschaft archäologische Beweise. Am wertvollsten unter seinen Funden war zweifellos das Geschirr, ohne welches man ein Pferd bekanntlich nicht zäumen kann. In der Erde des Hügelgrabs haben sich nicht nur Lederriemen, sondern auch ein Eisenmundstück erhalten. Außerdem Kreuze aus Eisen, die als Schmuck dienten.

Heutzutage ist ein Pferdezaum nichts Außergewöhnliches. Doch kaum jemand weiß, dass er im Altai aufkam und dass mit ihm eine neue Kultur entstand, die wir turkisch nennen. Er sieht so einfach aus, dieser Zaum, dabei machte er das Turkvolk zu dem unbesiegbaren Volk der Reiter! Niemand in der Welt hatte es verstanden, so elegant das Pferd zu zäumen und hoch zu Roß die Welt zu erobern.

Das Pferd schob die Grenzen des Alten Altai auseinander, machte ferne Gegenden zugänglich, wurde zu einem neuen Beförderungsmittel und zur Zugkraft. Beritten strebte das Turkvolk vorwärts, zum Progress. Auch sonst kamen in der Lebensweise der Altaier viele Neuheiten hinzu.

In den Altai-Kurganen fanden die Archäologen Schwerter, Säbel und Dolche, Steigbügel und Kettenhemden, Helme und Panzer. Überzeugend? Doch ja. Kein anderes Volk der Welt hatte so viele ausgezeichnete Waffen. Nur das Turkvolk. Eben deshalb zerschlug sein Heer ohne weiteres die Riesenarmee des chinesischen Kaisers. Deshalb kam das Wort „Turk-“ in den chinesischen Chroniken auf. Mehr noch, schon im 4. Jahrhundert v. u. Z. übernahmen die Chinesen vom Turkvolk seine Kleidung, u. a. die Hose. Später übernahmen sie auch das Reiten.

Die Menschen im Altai wussten, dass es Tengri war, der ihnen die ungewöhnliche Stärke und ihre Fertigkeiten gab: Er lehrte sie den Boden pflügen, was ebenfalls niemand auf der Welt vermochte. Auch gusseiserne Pflugscharen (Urform des Pfluges) wurden von Archäologen im Alten Altai gefunden.

Die Altaier verwendeten eiserne Sicheln zur Ernte und reinigten das Getreide mit einem eisernen Dreschflegel. Sie bauten Roggen und Hirse an und verwahrten das Korn in Tonkrügen. Zur Getreideverwahrung dienten ihnen außerdem Speicher und Korndarren, Bastsäcke und Truhen. Brot wurde in speziellen Öfen in Form runder Laibe gebacken. Das taten Bäcker, Karawaitschi genannt (vgl. das russ. Karawai, rundes Brot). Ihre Brote mussten rund sein, damit sie der Sonne glichen. Dieses Brot aus Hefeteig und mit einer appetitlichen Kruste schmeckte sehr gut.

Seitdem wussten die Menschen im Altai nicht mehr, was hungern hieß.

Veränderungen traten auch in der Form der turkischen Unterkünfte ein. An die Stelle der Kurens traten aus Balken gebaute Blockhäuser (das russ. Wort Isba, Dorfhaus, kommt vom turksprachigen „Issi bina“, „warmer Ort“), in denen es warm und gemütlich war. Zum Heizen diente ein Ziegelofen – jener Ofen, der heute aus unerfindlichen Gründen „russisch“ genannt wird. Es hat sich vergessen, dass Ziegel („Kirpetsch“, d. h. „Lehm aus dem Ofen“; vgl. das russ. Kirpitsch, Ziegel) das wichtigste Baumaterial des Turkvolkes waren.

Kein anderes Volk der Welt verwendete damals Holzblöcke und Ziegel zum Bauen, weil niemand sonst die entsprechenden Fertigkeiten hatte.

Die Angehörigen des alten Turkvolkes bewahrten sich ihr Äußeres, ihre Gesichter sind selbst nach Jahrhunderten unverwechselbar. Dank ihrer Nationaltracht z. B. sahen sie anders aus als andere Völker. Zu ihrer Nahrung gehörten Fleisch- und Sauermilchgerichte, und weiches Schwarzbrot machte das Essen besonders schmackhaft. Andere Völker buken selbst Brot anders.

Trachten und Nationalküche sind für die Ethnografie überaus wichtige Dinge. Das ist logisch. Ein Volk der Reiter kleidet sich und isst ganz anders als z. B. ein Volk der Fischer.

Im Altai waren aber Alt und Jung Reiter. Zu Fuss laufen galt als schändlich. Ein Kind wurde auf ein Pferd gehoben, bevor es noch laufen lernte. Ein Angehöriger des Turkvolkes wuchs neben seinem Pferd auf. Sein Pferd begleitete ihn sein Leben lang. Selbst begraben wurde er mit seinem Pferd.

Deshalb erschienen die ersten Hosen der Welt (Schalware) und Stiefel mit hohem Absatz gerade bei diesem Volk der Reiter. Ebenso wie Sattel mit Steigbügeln, Eisensäbel, Dolche und Spieße aus Eisen, ganz besonders starke Bögen, denn die Reiter waren Krieger. Andere Völker benötigten diese Gegenstände einfach nicht. Sie hätten sie auch nicht zu handhaben gewusst.

Eiserne Sicheln und Äxte, gusseiserne Pflüge, warme Häuser, anmutige Paläste und Turmhäuser, Radfahrzeuge, Britschkas und vieles andere wurden der Menschheit vom fleißigen Turkvolk geschenkt.

Das wären also konkrete – und unbestreitbare – Errungenschaften der altturkischen Kultur. Im Altertum hieß es auf dem Altai: „Alles – Gut und Böse, Armut und Reichtum – wird nur von Tengri gegeben.“

So ist es.

 

Der Gott des Himmels

Wer war er, der Große Tengri, das Herzstück der turkischen Kultur?

Tengri war ein unsichtbarer riesengroßer Geist, der im Himmel wohnte. So groß wie der Himmel selbst, wie die ganze Welt. Deshalb nannte ihn das alte Turkvolk andächtig „Ewiger Blauer Himmel“ oder „Tengri Khan“. Der Titel „Khan“ wies auf seine Oberherrschaft im All.

Er war der Eine Gott, der Erzeuger der Welt und allen Seienden auf Erden. Der Herrscher. Alte Sagen künden davon, und sie sind nicht in Vergessenheit geraten.

Um die ganze Weisheit und Tiefe des Glaubens an Tengri zu verstehen, mussten sich die Menschen über die einfache Wahrheit klarwerden: „Es gibt nur Einen Gott. Er sieht alles.“ Ihm bleibt nichts verborgen. Er ist der Herr und Richter.

Mit dieser Regel, an das Gottesurteil denken zu sollen, lebte damals das Turkvolk. Dem war jedoch keine Angst beigemischt, denn die Menschen waren überzeugt: Es gebe in der Welt die höhere Gerechtigkeit, nämlich das Gottesgericht. Ihm könne niemand entgehen, weder ein Herrscher noch ein Sklave.

Gott war Schutz und Strafe in einer Person. Darauf gründete sich der Glaube des Turkvolkes an den Einen Gott.

Die Religion war der Höhepunkt der turkischen geistlichen Kultur, die Menschen hatten das Heidentum aufgegeben. Sie riefen Tengri mit vielen Namen an: Gott („Bogdo“ oder „Boshe“, vgl. das russ. Bog, Gott), Chodai (oder Kodai), Allah (oder Olloh), Gospodi (oder Gosbodi, vgl. das russ. Gospod, der Herr).

Die Altaiberge hörten solche Anrufungen bereits vor zweieinhalbtausend Jahren. Es gab natürlich auch andere Namen für Tengri.

Aber das Wort „Bog“ wurde öfter als alle übrigen ausgesprochen, es bedeutete „Frieden, Ruhe und Vollkommenheit erlangen“. Mit Bog, also mit Gott, zogen die turkischen Truppen nun in die Schlacht. Mit Gott gingen sie an jedes schwierige Werk.

Der Name „Chodai“ (buchstäblich: „Sei glücklich“) hatte einen anderen Sinn, es betonte, dass Tengri der Allmächtige dieser Welt war: der Schöpfer, der diese Welt erschaffen hatte. Folglich der Allmächtige, der Glück beschert.

„Allah“ (Ala) wurde vom alten Turkvolk seltener gebraucht: nur dann, wenn man den Großen Tengri Khan um etwas bat, besonders um etwas Heißersehntes. Dieses Wort stammte vom turksprachigen Wort „al“ (Hand). Anders gesagt bedeutete „Allah“ einst „der Gebende und Nehmende“. Beim Aussprechen dieses Wortes waren Gebete zu sprechen und die Hände dem Ewigen hinzuhalten.

Das Wort „Gospodi“ erst war ganz selten, nur Priester durften es aussprechen. Es bedeutet „Erkenntnis durch Schauen“ oder „der die Erkenntnis Gebende“. Das war die höchste, die heimliche Anrufung Tengris. Das Wort hatte einen sehr tiefen philosophischen Sinn. Ein geistig reiner Gerechter bat darum, ihm den rechten Weg zu der Erkenntnis dessen zu weisen, was sich hinter einer sichtbaren Erscheinung verberge.

Mit den Jahren wurden die Regeln, nach denen die Menschen beteten, ihre Feste feierten und das Fasten hielten, genauer formuliert. Aus den Regeln entstand ein Ritual. Geistliche wachten über die Einhaltung des Rituals.

Die turkischen Geistlichen unterschieden sich von den übrigen Menschen durch ihre Kleidung und ihre gerechte Denkweise. Sie trugen lange Chalate (Kaftane) und spitz zulaufende Kapuzen (Baschlyks). Die höchsten Geistlichen kleideten sich weiß, die übrigen schwarz.

Selbstverständlich „zeichneten“ die alten Künstler auch Geistliche an den Altaifelsen. Deshalb wissen wir heute, wie sie aussahen, diese geheimnisvollen „weißen Wanderer“ (so hießen sie im Volk). Sie predigten den Glauben.

Als Symbol von Tengri wählte das Turkvolk ein gerades gleichseitiges Kreuz, „Adshi“. Übrigens war das Kreuz auch früher ein Zeichen der turkischen Kultur gewesen. Außerdem gab es noch ein „schräges“ Kreuz als Symbol der Unterwelt und der alten, unterirdischen Gottheiten.

Ursprünglich waren die Adshis sehr einfach in der Ausführung, dann entwickelten sie sich zu echten Kunstwerken. Sie wurden von Juwelieren hergestellt, die die Oberfläche des Kreuzes vergoldeten und mit Edelsteinen besetzten, damit es strahlte und die Seelen ergötzte.

Schräge Kreuze entstanden im Altai vor 3000 oder 4000 Jahren. Doch genau genommen waren das keine richtigen Kreuze. Als solche bezeichneten sie die Europäer, als sie vom Tengri-Glauben erfuhren.

Im Kreuz überschneiden sich zwei Linien. Das Tengri-Zeichen aber wies keine Schnittlinien auf, sein Sinn lag in anderem: Darauf wurde ein Kreis, die Sonne, abgebildet, von der vier Strahlen ausgehen. Das war die Bedeutung des Tengri-Zeichens.

Sonnenstrahlen! Sie versinnbildlichten die Strahlen des göttlichen Segens, der von einem Zentrum aus herunterkam, und sind das Zeichen der Himmlischen Natur, das die religiöse Kultur des Turkvolkes für immer geprägt hat. Anders konnte es bei einem Volk, das an die Kraft des Ewigen Blauen Himmels glaubte, gar nicht sein.

Bisweilen wurde das Tengri-Zeichen (Kreuz) durch einen Halbmond ergänzt. Das gewann schon einen ganz anderen Sinn, gemahnte an Zeit und Ewigkeit. Denn das alte Turkvolk fasste die Zeit als Einheit von Mond und Sonne auf (daher ihr Zwölfjahreskalender).

Das Tengri-Zeichen wurde auf Kampfbanner gestickt, auch an einer Kette an der Brust getragen. Außerdem ließ man es sich an der Stirn tätowieren. Künstler flochten es in bunte Muster und Ornamente ein. Das ist natürlich, ist eine nationale Tradition.

 

Das Turkvolk in Indien

Die Kunde vom Allmächtigen Gott des Himmels und seinem reichen Land verbreitete sich weit über die Grenzen des Altai. Dazu trugen Angehörige des Turkvolkes selbst bei, nämlich durch ihre Taten und Leistungen. Ihre „weißen Wanderer“ reisten in verschiedene Länder und predigten den Tengri-Glauben.

China lehnte die turkischen Prediger ab – und musste das büßen. Reiter fielen ins Land ein und unterwarfen es gewaltsam. Nicht einmal die Große Chinesische Mauer half den Chinesen. Aber die Nachricht über Tengri kam so auch in dieses Land, das sich das Reich der Mitte nannte. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Chinesen ihren eigenen Kult des Himmels hatten und ihn zu verteidigen suchten.

In Indien gestaltete sich alles anders. Dort zeigte sich das Interesse für Tengri sofort. Und so begann vor zweieinhalbtausend Jahren (oder sogar etwas früher) ein indisches Kapitel in der turkischen Geschichte.

Der Altai und Indien lebten nun das gleiche geistliche Leben. Vieles verband sie miteinander, in erster Linie der Glaube. (Allerdings fassten die Inder ihren Buddha anders auf als das Turkvolk seinen Tengri, das hinderte sie jedoch nicht, nach den ewigen Wahrheiten zu suchen und geistliche Dialoge zu führen.) Über jene fernen Zeiten berichten z.B. indische Sagen von den Nag.

Als Nag bezeichneten die Inder die weisen Halbgötter, deren Urahnin die Schlange war. Ihr Land lag nördlich von Indien, in großer Entfernung davon, dort, wo die Erde unermessliche Schätze und das eiserne Kreuz barg. Die Inder nannten dieses ferne Land Schambhu („Gunst gewährend“) oder auch Schambhkala („Leuchtende Festung“ in der Turksprache).

Der Sage nach hatten die Nag einen Schlangenkörper, aber ein Menschengesicht und konnten nach Belieben die Schlangen- oder die Menschengestalt annehmen. Das waren sehr zarte, musikalische Wesen, die eine Schwäche für Poesie hatten. Ihre Frauen waren für ihre seltene Schönheit berühmt.

In Indien wird das altertümliche Buch „Mahabharata“ aufbewahrt, das darüber erzählt, wie die Religion dort eingezogen war und wie sich die religiöse Kultur herausgebildet hatte. Dieses Buch ist eine Art Chronik Altindiens. Es berichtet auch über die Nag und ihr rätselhaftes Land im Norden. In Wirklichkeit ist das beileibe kein Märchen. Die Rede ist von durchaus realen Ereignissen. Die Geschichte in Form von Legenden und Sagen zu erzählen, gehört zu den alten indischen Traditionen, die in unvordenklichen Zeiten wurzeln. (Indische Wissenschaftler nehmen ihre Legenden sehr ernst und nennen sie absolut zuverlässige Quellen.)

Die Inder geben z. B. offen zu, dass sie ihren heiligen Text „Pradschnyaparamitha“ den Nag, d. h. dem Turkvolk, entlehnten. Nur die weisesten Aufklärer durften ihn lesen, nur ihnen allein war die im Text enthaltene Weisheit zugänglich.

Natürlich erwiesen die Inder dadurch der turkischen Kultur eine große Ehre. Sie haben ihre Heiligtümer bewahrt: das, was das Turkvolk selbst vergessen hat.

Das Land Schambhkala lag am Fuß des Berges Sambyl-Tas-Hyl, im Becken des Flusses Khan Tengri. In dichten, eiskalten Nebel gehüllt, liegen dort Städte, Klöster und blühende Gärten. Legenden über dieses geheimnisvolle Land sind jahrhundertealt. Mönchen, die dort leben sollten, wurde das allerheimlichste Wissen nachgesagt.

Viele Menschen suchten nach diesem Land. Vergebens. Niemand konnte sich ihm auch nur nähern. Wie es heißt, liege das Land in einem unzugänglichen Tal von Tibet, dort, wo sich das irdische Leben und die höchste Vernunft des Himmels berührten.

Diese Meinung wurde von großen Orientalisten geäußert. Mit ihnen einverstanden waren z. B. der berühmte Reisende und Ethnograf Nikolaj Michajlowitsch Prshewalski, der Philosoph Nikolaj Konstantinowitsch Röhrich, die Aufklärerin Jelena Petrowna Blawatskaja. Leider fällt es schwer, ihnen zuzustimmen. Sie irrten sich offensichtlich und fanden deshalb nichts. Zu unserem größten Leidwesen.

Sie suchten am falschen Ort!

Im 19. Jahrhundert wussten die Wissenschaftler im Grunde nichts vom Altai und seiner altertümlichen Kultur, von vielem hatten sie nicht einmal eine Ahnung. Die russischen Behörden verbargen und entstellten die Geschichte des Turkvolkes, bis die gesamte russische Wissenschaft in eine Sackgasse geriet, so dass selbst anerkannte Autoritäten irrten.

Und so wusste niemand, dass der Glaube an den Gott des Himmels aus dem Altai nach Tibet und Indien gekommen war. Eine andere Ausgangsstelle gab es einfach nicht. Dort schlug er tiefe Wurzeln. Bis heute hat sich die Religionsströmung Lamaismus erhalten, deren Grundlagen beim Turkvolk zu suchen sind. Die tibetischen, mongolischen und burjatischen Lamaisten wissen das noch heute.

Der Name Tengri ist auch in Indien natürlich nicht vergessen worden. Nicht von ungefähr wird Buddha dort mit blauen – „turkischen“ – Augen dargestellt. Ist das nicht ein Nachhall einer halbvergessenen Geschichte? Beispielsweise der Geschichte aus der Zeit von vor 2500 Jahren, als unbekannte Reiter aus dem Norden nach Indien kamen. Sie siedelten sich hier an. Man nannte sie Schaken, ein neues Volk Indiens. Aber in Wirklichkeit waren es Angehörige des Turkvolkes.

Mehr noch, die Inder nannten Buddha (seine Lehre kam gerade in jenen Jahren auf) „Schakjamuni“ oder „turkischen Gott“. Folglich ist es durchaus möglich, dass die buddhistische Lehre vom Turkvolk verbreitet wurde. Und das ist schon, wie zugegeben werden muss, nicht wenig: Buddha habe die Gestalt eines Nag annehmen können, behauptet die indische Legende. Mit dem Glauben an den Gott des Himmels leben in Indien nach wie vor mindestens fünfzig Millionen Menschen. Sie sind weder Buddhisten noch Moslems. Man nennt sie Christen, aber als Christen ähneln sie den übrigen Christen der Welt wenig, denn sie haben andere Riten und Symbole. Sie erkennen das Tengri-Kreuz an, tragen es an der Brust und beten vor einem Kreuz. Ist das womöglich der einzige Ort auf der Erde, wo sich der turkische Glaube in seiner ursprünglichen Reinheit erhalten hat? Wer weiß. Bekanntlich geht auf der Erde nichts spurlos vorüber.

Spuren der Vergangenheit geben sich manchmal überraschend zu erkennen, und zwar dort, wo sie am wenigsten erwartet werden.

Nach Indiens Legenden zu urteilen, war es das Turkvolk, das den Indern beibrachte, den Boden mit eisernen Pflügen zu bestellen und die Ernte mit eisernen Sicheln zu schneiden. Die Inder verbanden die Bodenfruchtbarkeit und reiche Ernten von alters her nur mit den Nag. Die von den Archäologen im Altai gefundenen Pflüge und die Sagen aus Indien und Pakistan vereinigen gleichsam die vereinzelten Nachrichten über das alte Turkvolk zu einem Ganzen und stellen vieles in der Geschichte richtig.

Übrigens kam die berühmte indische Reiterei ebenfalls mit der Einwanderung der Altaier auf. Wir wollen es noch einmal betonen: Der turkische Einfluss auf Indiens Kultur war in jenen Jahren beträchtlich. Funde der Archäologen, aber selbstverständlich nicht nur sie, legen Zeugnis davon ab.

Die Einwanderer aus dem Altai waren ja keine Gäste in Indien, sie wurden vielmehr zu seinen Bürgern. Heute weist der Stammbaum beinahe jedes zehnten Inders oder Pakistaners turkische Wurzeln auf. Und das ist immerhin ein nicht geringer Teil der Bevölkerung.

In Indien war lange Zeit die berühmte Sonnendynastie – eines der beiden Herrschergeschlechter – an der Macht. Ihr Begründer war Ikschwaku, Enkelsohn der Sonne. Dieser Herrscher übersiedelte im 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung aus dem Altai, wo er im Tal des Flusses Aksu lebte, nach Indien. Nachdem Ikschwaku den Thron bestiegen hatte, begründete er die Stadt Ajodhja, die Hauptstadt des Staates Koschala (oder Koschkala?). Die Stadt besteht bis heute und hat ein Museum der Sonnendynastie; dieses beherbergt Nachrichten über das aus dem Altai eingewanderte Turkvolk.

Die Stadt Ajodhja erlebte gute und böse Zeiten. Eine Zeitlang nannte man sie sogar die Hauptstadt Nordindiens, so groß war der Einfluss des Staates Koschala. Dann geriet die Stadt in Verfall, auf den ihr erneuter Aufschwung folgte. Seit der turkischen Einwanderung hörte das Leben in Indien auf, ruhig zu sein.

Der Fluss, an dem die Stadt Ajodhja liegt, heißt Saraja. Offenbar eine weitere turksprachige geografische Benennung, denn sie weist deutlich auf einen Palast (Serail) hin. Tatsächlich hatte die Hauptstadt Paläste, Tempel und schöne Häuser. Der Palast des Herrschers gab denn auch dem Fluss seinen Namen.

Andere Ortsnamen in Indien regen ebenfalls zum Nachdenken an, und das recht oft. Woher kommt z. B. das Wort Hindustan? Die Endung -stan wurde nur vom Turkvolk gebraucht (Tatarstan, Kasachstan, Baschkortostan, Dagestan: „stan“ bedeutet in der Turksprache so viel wie „Land“).

Im Leben hängt alles miteinander zusammen, alles hat seine Fortsetzung und hinterlässt seine Spuren. Zur Zeit der Sonnendynastie zogen ganze Familien aus dem Altai nach Indien. Das dauerte jahrhundertelang. Angehörige des Turkvolkes stiegen in Indien oft zum örtlichen Adel auf, wurden große Feldherren, Dichter, Wissenschaftler, Geistliche. Nach wie vor sprachen sie jedoch ihre Muttersprache. Auch das ist in den Sagen, ebenso wie der Baumstamm so mancher Adligen, festgehalten. So hatten die berühmten Dynastien der Maharadschas von Udajpur, Dschodhpur und Dschaipur turkische Wurzeln und stammten eigentlich aus dem Altai.

Auch das ist nicht weiter verwunderlich, waren doch Indien und der Altai wie ein einheitliches Riesenland und miteinander durch Straßen verbunden. Einige davon haben sich bis heute erhalten, z.B. die Straßen von Bijsk und Nertschinsk.

Die allererste Straße nach Indien war der legendäre Hängende Durchgang, und er wurde vom Turkvolk angelegt. Eine rätselhafte Straße, niemand erinnert sich mehr an sie. Erhalten haben sich nur Sagen und außerdem Hängebrücken, die seitdem im Pamir und in Tibet gebaut werden.

Dank den Hängebrücken überwanden die altertümlichen Reiter Gebirgsflüsse und abgrundtiefe Felsenschluchten. So ritten sie über den Wolken dahin und fürchteten sich vor nichts.

Lange Zeit wurde diese Straße von Pilgern benutzt. Sie zogen nach Indien, um ihre Verwandten zu besuchen, den Heiligen Berg Kailassa und die Stadt Kaschmir zu sehen.

Für einen Angehörigen des Turkvolkes war es eine große Freude, den Berg Kailassa (wie auch Indien als Ganzes) zu sehen. Man glaubte daran, dass ein Mensch, der ihn gesehen hat, sein Leben lang glücklich sein werde. Denn auf dem Berg Kailassa war der Sage nach der Ort der Erholung von Tengri Khan, ein heiliger Ort.

 

Das Turkvolk im Iran

Nicht nur Indien lernte damals den Gott des Himmels kennen. Die „weißen Wanderer“ erreichten auch den Iran. Dort haben sich Sagen über Ashi-Dachaka erhalten, die uns über jene entfernte Zeit Aufschluss geben.

Ashi-Dachaka war ein fremdländischer Herrscher, der die Macht über den Iran eroberte. Er lebte in der Gestalt einer Schlange und kämpfte für den Glauben an den Gott des Himmels. Doch die einfachen Iraner nahmen seinen Glauben nicht an: Nicht jedes Volk war imstande, dieses Glaubens teilhaftig zu werden.

Die Iraner blieben noch lange Feueranbeter. Nur der Adel glaubte damals an Tengri. Wie ein großes Geheimnis überlieferten ihre Generationen die Erinnerung an ihre Urahnen, die beim Hofe von Ashi-Dachaka gedient hatten. Beziehungsweise übermittelten sie jeder nächsten Generation, dass sie turkische Ahnen hatten. Die Rede ist hier von der berühmten Herrscherdynastie der Arschakiden. Sie wurde im 3. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung von Arsak (Arschak), einem rothaarigen Einwanderer aus dem Altai, begründet. So steht es in der Geschichte des Iran geschrieben.

Eine verblüffende Tatsache: Im Iran hat man die Turksprache bisher nicht vergessen. So gibt es Städte und Dörfer, ja ganze Regionen, die eine Turksprache sprechen. Einst nahm der Iran ein Riesenterritorium ein, das ein Vielfaches seiner heutigen Fläche ausmachte. Als eine Spur jener Zeiten haben sich Völker und Sagen erhalten.

Das iranische Kapitel in der turkischen Geschichte begann mit der Einwanderung von Saken (Schaken), die nach Indien zogen. Dann war da Taschkent, eine uralte Stadt, die inzwischen ihr 2000-jähriges Jubiläum gefeiert hat. Die Geschichte dieser Stadt ist insofern charakteristisch, als sie – wie die gesamte Geschichte des Turkvolkes – gleichsam aus Ungewissheiten zusammengewoben ist.

Gewöhnlich übersetzt man das Wort Taschkent als „Stadt aus Stein“. Das ist jedoch nicht ganz genau, weil das Wort „kent“ in der Turksprache schon „Stadt aus Stein“ bedeutet. Folglich haben wir es hier mit etwas anderem zu tun, mit etwas, was nur die Toponymik erklären kann.

Professor Eduard Makarowitsch Mursajew wusste viel um die Fähigkeit des Turkvolkes, Städten, Flüssen und Bergen Namen zu geben. In seinem Buch versuchte er, auch die Geschichte des Namens „Taschkent“ zurückzuverfolgen, doch gelang es ihm nicht, das endgültig zu klären.

Später erwies es sich, dass das Wort „taschty“ oder „daschty“ in der Turksprache „in der Fremde“ bedeutete; es kam aus Indien, aus dem Sanskrit, der Priestersprache (darauf werden wir noch zurückkommen). Wenn es aber um eine „Fremde“ handelt, so lässt sich das Wort Taschkent schon anders deuten, eher ungefähr so: „eine Stadt aus Stein in der Fremde“. Im Namen wird also betont, dass die Stadt nicht aus Holzhäusern, wie sie im Altai üblich waren, sondern aus Steinhäusern bestand.

Warum aber in der Fremde? Auch das kann beantwortet und erklärt werden.

Mitten in Asien bestand einst ein großer blühender Staat, Baktrien, ein Bestandteil der iranischen Großmacht. Sein Ruhm erreichte Europa und zog Alexander von Mazedonien an, dessen Soldaten dort einfielen. Baktrien verfiel plötzlich und wurde dann durch langwierige Kriege vollends ruiniert.

Geführt wurden diese Kriege von Einwanderern aus dem Norden, von „wilden Stämmen“, wie Historiker sie heute gewöhnlich nennen, d. h. von Angehörigen des Turkvolkes. Jenes Teils des Turkvolkes, der als „Saken“ bekannt war. Gerade sie fielen in Baktrien ein. Über den Hängenden Durchgang überwanden die Saken den unzugänglichen Pamir, und ein Teil von ihnen zog weiter nach Indien.

Dreihundert Jahre nach diesen verheerenden Feldzügen, schon im 1. Jahrhundert, erschienen neue Einwanderer aus dem Altai auf der Bühne der Geschichte. Ihre Fahnen trugen ein Kreuz, sie brachten einen neuen Glauben mit sich. Ihre Einwanderung bildet denn auch ein neues, iranisches Kapitel der turkischen Geschichte.

Denn der Misserfolg Ashi-Dachakas (oder vielmehr seiner Prediger) brachte die turkischen Truppen nicht zum Stehen. Der Altai schickte seine Reiter nach dem Iran. Diesmal zeigte die turkische Armee ihre ganze Stärke. Der Krieg um das Territorium des in Verfall geratenen Baktrien war kurz und entschlossen.

Auf diese Weise entstand dort das Khanat Kuschan, ein Staat, dessen Geschichte im Nebel liegt, weil sie unerforscht ist. Heute verbindet man die Geschichte von Kuschan mit vielen Völkern: den Griechen, den Iranern usw. – nur nicht mit dem Turkvolk.

Taschkent war die erste turkische Stadt in diesem Teil der Erde. Sie wuchs neben Marakand und anderen altbaktrischen Städten empor. Denn unweit von Marakand befand sich ein großes Eisenerzvorkommen, und dieses hatte die Altaier in erster Linie angezogen.

Die baktrische Stadt bekam den turkischen Namen Samarkand (offenbar von Sumerkand abgeleitet). Die Region in der Nähe wurde Eisernes Tor genannt. Eisenerz interessierte damals nur das Turkvolk.

Kuschan war ein außerordentlich starkes Reich, das sich das heutige Mittelasien, Afghanistan, Pakistan, einen Teil Indiens und des Iran, selbst chinesische Gebiete unterworfen hatte. Leider weiß man vorläufig noch sehr wenig vom berühmten Kuschanreich. Selbst die Namen seiner Herrscher bleiben ein Rätsel, obwohl sie sich scheinbar erhalten haben. Das allerdings in der Sprache der Inder, der Iraner oder der Chinesen, nicht in den Turksprachen. Der Begründer dieses Khanats ist zum Beispiel unter dem Namen Guwischka bekannt. Auf seine Münzen wurde der Name „Gowerka“ geprägt. Wie aber klang er richtig, in der Turksprache? Das bleibt ungewiss.

Archäologen haben nicht wenig Denkmäler jener Zeit gefunden, einige davon tragen Inschriften, unverkennbare turkische Runen. Folglich begannen die Turkvölker schon vor unserer Zeitrechnung diese Fremde zu besiedeln. Daher die Runen und Taschkent, die „Stadt aus Stein in der Fremde“. Man muss nur den Willen haben, sie zu sehen: Eisen und die Runensteine kamen dort gleichzeitig auf.

Im Ort Dascht-Nawur (wiederum Dascht!) haben französische Archäologen auf dem Territorium des heutigen Afghanistan Spuren einer anderen turkischen Stadt aus jener Zeit und in der Nähe einen Felsen mit gleichen Runen gefunden. Auch in Kara-tepe, das unweit von Taschkent gelegen ist, war eine turkische Stadt gewesen. Dort entdeckte man unter den Ruinen eines alten Tempels beschriftete Gefäße. Da wären sie ja, die Botschaften unserer Ahnen! Aber auf Weisung von Politikern werden sie von Wissenschaftlern „übersehen“.

Selbstverständlich lässt sich über jene Zeit auch nach anderen sichtbaren Zeichen urteilen. Beispielsweise nach den Angehörigen des Turkvolkes selbst, die hier leben. Die Usbeken sind direkte Nachkommen der Einwanderer aus dem Altai. Der Staat Usbekistan mit seiner Hauptstadt Taschkent ist ein Stolz der turkischen Welt. Der Ruhm dieses Landes des Turkvolkes ist sein eigenes Verdienst. Was könnte überzeugender sein und schwerer ins Gewicht fallen? Man sollte meinen, eine klarere Aussage über ein Volk findet sich kaum.

Brüder der Usbeken leben seit der Kuschan-Zeit nach wie vor in Afghanistan und Pakistan. Sie nennen sich Paschtunen. Auch sie sind ein großes Volk. Allerdings haben sie in den seitdem verganenen Jahrhunderten ihre Muttersprache verloren, heute ist ihre Sprache stark von anderen Dialekten durchsetzt. Die Paschtunen haben sich das Äußere und die Gebräuche ihrer Ahnen bewahrt, die eigene Geschichte jedoch vergessen. Trotzdem bilden sie nach wie vor einen Bestandteil der turkischen Welt, deren Vergangenheit mit dem Alten Altai verbunden ist.

Von den Turkmenen kann man so etwas nicht sagen. Dort sieht alles anders aus. Nach allem zu urteilen, sind sie echte Turaner, wenn sie sich auch ein Turkvolk nennen. Ihnen bedeuten die Werte der iranischen Kultur mehr. Möglicherweise sind sie in der turkischen Welt Gäste, die eine fremde Sprache übernommen haben. Auf jeden Fall sind ihnen die turkischen Verhaltensregeln offensichtlich fremd.

Ein Kapitel für sich sind die Kirgisen, ein unbestreitbares Turkvolk, das im Pamir lebt. Sie haben viel der chinesischen Kultur entlehnt, sich jedoch die turkischen Verhaltensregeln in vollem Umfang bewahrt.

Vermischung von Kulturen ist eine überaus interessante Erscheinung in der Geschichte der Völker. Sie existierte immer. Im Kuschanreich übernahm die Altaier Kultur all das Beste, was die örtlichen, die Turan-Völker hatten, und gab ihnen das Beste von ihrer Kultur. Kuschan wird von Wissenschaftlern oft ein „Schmelztiegel“ der Kulturen der orientalischen Völker genannt. Angehörige des Turkvolkes, Iraner, Inder lebten jahrhundertelang sozusagen Schulter an Schulter, und vieles in ihrem jeweiligen Leben vermischte sich mit vielem im Leben ihrer Nachbarn.

Naturgemäß bekam das Turkvolk hier, in Zentralasien, ein neues Antlitz. Die Jahrhunderte gingen nicht spurlos an ihm vorüber. Die hiesigen Angehörigen des Turkvolkes unterschieden sich schon seit langem von ihren Altaier Verwandten. Im Grunde besaßen sie bereits eine neue turkische Kultur. Deshalb nannte man sie Oghusen („oghus“ heißt so viel wie „weise“, „viel erfahren“).

Der große „Schmelztiegel“ der Völker bescherte der Welt große Wissenschaftler, Dichter, Theologen und Ärzte, die dem Orient, der Welt der Turkvölker und der ganzen Menschheit Ruhm einbrachten. Es scheint, als hätte hier der Boden selbst Weise geboren. Sie leuchten wie Sterne erster Größe am Firmament der Kultur der Menschheit.

Wer ins Kuschanreich kam, staunte über dessen blühende Städte, mit prächtigen Statuen geschmückte Paläste und die herrliche Architektur der Tempel. Und selbstverständlich über die Dichter, die in paradiesisch schönen Gärten zum Vogelgezwitscher ihre Gedichte vortrugen.

Gute Nachbarschaft der Völker ist ein unergründliches Phänomen. Allmählich verändert sie sehr vieles. Selbst das Äußere der Menschen. Die turksprachigen Oghusen z. B. bekamen mit der Zeit überwiegend braune Augen und dunkle Haare. Aber ihr Charakter hatte sich nicht verändert: sie behielten das aufbrausende Temperament ihrer Ahnen vom Altai bei.

Zugleich war das ein sehr bedachtsames Volk.

 

Der berühmte Khan Erke

Die Welt erfuhr im 1. Jahrhundert vom großen Kuschanreich. Seinen Ruhm verdankte er in vieler Hinsicht dem hervorragenden turkischen Herrscher Kanischka. Zum Glück hat sich sein echter Name erhalten. Er hieß Khan Erke („Kanerka“, wie auf den Münzen geprägt wurde).

Ein Philosoph, Dichter, glänzender Herrscher und Feldherr, trug Khan Erke wie kein anderer zum Aufblühen der turkischen Kultur bei. Dank ihm errang sie den höchsten Rang im Orient. Während seiner Herrschaft wurde das Wort „turkisch“ voll Respekt und andächtig ausgesprochen – ungefähr so, wie man das Wort „heilig“ ausspricht.

Erke bestieg den Thron des Kuschanreiches im Jahre 78 und regierte 23 Jahre lang. Die Hauptwaffe des überaus weisen Khans waren nicht Säbel, Speere oder eiserne Panzer, sondern es war das Wort. Das stärkste Wort der Welt hieß „Gott“. Ebendieses Wort brachte ihm und der ganzen turkischen Welt viele Siege.

Khan Erke schenkte dem Orient den Glauben an Tengri.

Was ihm dabei half, war der Umstand, dass er in allem, was die Riten, Gebete und die Lehre selbst betraf, außerordentlich gut bewandert war. Seine Reden klangen schön und richtig, man hörte ihm stundenlang zu, denn der Herrscher war ein ungewöhnlich gebildeter Mann. Seine Reden und seine auf Vernunft beruhende Politik zeigten den Menschen des Orients, dass die turkischen Einwanderer nicht Gold, nicht Intrigen und die Macht über andere Völker am meisten schätzten. Sie legten vielmehr Wert auf gute Taten und Edelmut. Der Herrscher war eine Verkörperung seines Volkes. Vertraute man ihm, so vertraute man auch dem Volk.

Khan Erke wusste davon zu überzeugen, dass jeder Mensch selbst, d.h. durch sein Verhalten, das Paradies oder die Hölle auf Erden für sich und seine Nahen schaffe. Niemand dürfe die Schuld am eigenen Unglück, an der eigenen Not anderen zuschreiben, lehrte er, nur sich selbst. Denn Gott gebe einem jeden, was er verdient habe.

Das sei das Gottesgericht, das gerechteste Gericht der Welt. Unter dem Ewigen Blauen Himmel bestünden nur du, deine Taten und Gott, der über sie richte. Alles Übrige sei nicht so wichtig. Die Idee des neuen Glaubens war höchst einfach: Man tue Gutes, und die Welt werde es einem mit Gutem vergelten.

Die Menschen verstanden diese schlichte Wahrheit und akzeptierten sie. Denn kein anderes Volk hatte eine solche Weisheit. Gerade das zog sie an der turkischen religiösen Kultur an: Alles liegt in deiner Hand – nur darfst du das nicht vergessen.

Das Turkvolk glaubte z. B. an die Ewigkeit der Seele und an die Seelenwanderung nach dem Tode. Ein jeder wusste, dass im künftigen Leben selbst der schlimmste Sünder seine Sünden sühnen könne. So bekomme er eine Chance und die Hoffnung bereits in seinem irdischen Leben. Dadurch stärkte der Glaube an Tengri den Geist der Menschen und regte sie zu Großtaten an.

„Die Rettung liegt in guten Taten“, lehrte Khan Erke unermüdlich.

Fremde staunten auch über das turkische Tengri-Ritual, das sehr imposant und feierlich war. Der Name des Gottes des Himmels wurde nie in Eile erwähnt. Das Ritual zeichnete sich durch seinen Ernst und seine Gemessenheit aus. Die heidnische Welt kannte eine solche Pracht und Herrlichkeit nicht, hatte nie von etwas Ähnlichem auch nur gehört.

Den Heiden kamen die turkischen Einwanderer wie Ankömmlinge von einem anderen Planeten vor. Bei ihnen war alles besser und sauberer, deshalb nannte man den Altai im Orient das Paradies auf Erden und sie selbst Arier. Diesen Namen bewahrte sich die Heimat des Turkvolkes (ebenso wie Schambhkala in Indien) über tausend Jahre, und um die Reiter selbst rankten sich zahlreiche Sagen.

Die Städte in Kuschan erwachten unter Khan Erke zum melodischen Glockengeläut: Die Geistlichen riefen das Volk zum Morgengebet. Das müssen aufwühlende Minuten gewesen sein.

Leider weiß man sehr wenig von den Glocken. Wie waren sie beschaffen? Wie sahen die Glockentürme aus? Heute weiß das niemand. Doch Glocken waren schon da (das ist dank Ausgrabungen bekannt). Selbst das Wort kam möglicherweise in jenen fernen Zeiten auf. In der alten Turksprache bedeutete es eine Anrufung des Himmels, wortwörtlich: „Flehe den Himmel an“. Und die Menschen taten das.

Gebetet wurde neben dem Tempel, unter Tengris hohem Himmel. Ebenso hatte man einst im Altai neben den heiligen Bergen gebetet. Die Tempel waren, nach ihren Ruinen zu urteilen, nicht übermäßig groß. Ursprünglich waren sie wie eine Erinnerung an die heiligen Berge, später aber entwickelten sie sich zu einem Objekt der Architektur.

Hineingehen durften die Betenden nicht. Das war den Geistlichen allein vorbehalten, und auch sie betraten den Tempel lediglich für ein paar Minuten. Selbst das Atmen im Tempel war ihnen verwehrt, denn das war ein heiliger Ort.

Andere Völker hielten es anders damit. Bei ihnen durften die Anhänger des jeweiligen Glaubens die Tempel betreten. Möglicherweise übernahm das Turkvolk später diesen Brauch. (Leider weiß die Wissenschaft noch wenig davon, wie sich die einen oder anderen Kulturtraditionen entwickelten und weshalb die einen ihren Platz anderen abtraten.)

Vor dem Gebet wurde himmlischer Weihrauch verbrannt, und zwar in besonderen Behältern (Kadilo, vgl. das russ. Kadilo, Weihrauchfässchen). Einer alten altaischen Sage nach vertrügen die bösen Geister keinen aromatischen Duft. (Der Ritus hieß in der alten Turksprache „kadyt“, das bedeutete „abwenden“, „abschrecken“.)

Gebetet wurde zu leisem Gesang. Der Chor sang ausdrucksvoll himmlische Weisen, um den Gott des Himmels zu verherrlichen. Diese gesungenen Gebete hießen „jyrmas“, was wortwörtlich „unsere Lieder“ bedeutete.

Und überall war in der turkischen geistlichen Kultur das gleichseitige Tengri-Kreuz anzutreffen. Im Orient hieß es „Wadschra“.

Khan Erke scheute keine Mühe bei der Verbreitung des Glaubens. Das war ein Ereignis, ein großes Ereignis, das die Völker des Orients ihrem Gedächtnis fest einprägten. Was die Tengri-Kreuze, die Ruinen der turkischen Städte und Tempel jener „Kuschaner“ Zeit betrifft, so gerieten sie ins Blickfeld von Archäologen, deshalb sind die Zusammenhänge bekannt.

Man kann nur ahnen, welche Verwirrung in den Seelen der Menschen herrschte, die nicht an Tengri glaubten. Sie waren bestürzt, niedergeschlagen, vom Gefühl ihrer Schwäche gequält.

Es darf natürlich nicht vergessen werden, dass Eisen, die herrliche Armee, der Wohlstand im Lande ebenfalls von der hohen Bestimmung der turkischen Kultur überzeugten, doch auf eine andere Weise als der Gottesdienst. Deshalb wurde der Altai und später das Kuschanreich zu den religiösen Zentren des Orients. Zum Turkvolk, in seine Heimat zogen die Menschen wie ins Paradies. (Übrigens sind spätere altertümliche Landkarten bekannt, auf denen der Altai tatsächlich Paradies auf Erden heißt.) Abgesandte anderer Völker kamen hierher, um der turkischen Kultur teilhaftig zu werden. Für Fremde wurden im Kuschanreich die Kunstschule von Gandhar sowie geistliche Lehrzentren eröffnet. Offenbar gab es solche Zentren auch im Altai.

Ebenfalls im Altai lernte seinerzeit der Jude Jeschua, der nach Moses (Mussa) hierhergekommen war. Indirekt wird das im Koran erwähnt. Dieser Jeschua brachte denn auch später die Nachricht über die Reiter des Gottes des Himmels ins römische Kaiserreich. Seine Worte sind in der Apokalypse, dem allerersten Buch der Christen, festgehalten. Deshalb nannte man ihn Jesus Christus (Issa), den „Gesalbten Gottes“, d. h. den Menschen, „der Göttliches gesehen hat“. Häufige und gern gesehene Gäste des Herrschers von Kuschan waren Geistliche aus Indien und Tibet. Das war logisch, denn Khan Erke verwandelte Kaschmir in eine geheiligte Stadt, einen Pilgerort.

Pilger aus dem Altai hatten in Kaschmir ihren eigenen Tempel. Dort wurde die Turksprache gesprochen. Offenbar war das der bis heute berühmte Goldene Tempel.

Khan Erke widmete seine Kräfte und seine Zeit einem guten Werk, und dieses brachte reiche Früchte, die der ganzen turkischen Welt Nutzen brachten. Die Anhänger Buddhas kamen in Kaschmir zu ihrem IV. Konzil zusammen. Viele bekannte Buddhisten des Orients trafen ein. Sie erkannten den Namen Tengris und seine Lehre an, die den Buddhismus um einen neuen Inhalt (Mahayana) bereicherte.

Der Text des neuen Ritus wurde auf Kupferplatten geprägt, die sofort zu einem Heiligtum des Buddhismus in China, Tibet und der Mongolei wurden (und es bis heute bleiben). Seit dem Aufkommen dieser Platten, genauer: seit dem IV. Konzil der Geistlichen entstand ein neuer Zweig der buddhistischen Religion, der später den Namen Lamaismus bekam.

Seine Verbündete gewann Khan Erke, der größte Aufklärer des Orients, dank seiner Weisheit. Er wurde von den Buddhisten heilig gesprochen, sein Name wird in Gebeten erwähnt, und nur das Turkvolk erinnert sich nicht mehr an seinen ruhmreichen Khan.

Zum Glück bewahren ihn andere Völker im Gedächtnis.

 

Straßen, die in die Steppe führten

Das Aufblühen des Kuschanreiches im 2. Jahrhundert schien den Altai erweckt oder, richtiger, in Bewegung gebracht zu haben. Dafür gab es auch Gründe.

Im Altai ist das Klima härter als in Mittelasien. Deshalb waren die Ernten dort schlechter. Im Gebirge gibt es ja meist wenig bestellbaren Boden, so dass ein wahrer Wohlstand da gewöhnlich ausbleibt. So blickten die altaischen Khans nach der Steppe. Fruchtbaren Boden gab es da im Überfluss, doch das Leben in der Steppe schien kaum möglich.

Die Steppe flößte den Menschen seit alters Angst ein. Keine Bäume – also auch kein Holz für den Herd, keine Baumstämme für Häuser und Kurens. Wenig Flüsse – also auch kein Wasser für das Vieh und für Gemüsegärten, ja manchmal auch nur zum Trinken. „Die Steppe ist das Land der Finsternis“, flüsterten alte Leute.

Sie hatten Recht. Dort gab es nicht einmal Orientierungspunkte, nur flache Ebene, soweit das Auge reicht, und die Sonne darüber. Wohin gehen? Wie den Weg finden? Zudem bisweilen wochenlange, furchtbare Winde. Bei einem Sturm kann der Schnee eine Siedlung im Nu bis zu den Hausdächern zuschütten.

Das Steppenklima ist alles andere als milde. Selbst die Urmenschen siedelten dort nie, sie mieden die Steppe. Im Gebirge, an Meeresküsten, in Wäldern ließen sie sich sehr wohl nieder, aber nicht in der Steppe. Wenn unvorbereitet, kann der Mensch dort nicht überleben. Er kann zum Beispiel nicht lange laufen: So fest sein Schuhwerk auch sein mag, wird es durch das harte Gras rasch aufgerieben. Barfuß gehen erst ist völlig unmöglich.

Doch einen anderen Ausweg hatten die Altaier nicht. Nur über die Steppe führte der Weg zum Leben: zu üppigen Weideplätzen, fruchtbaren Ackerböden, schließlich zu neuen Horizonten.

Die Altaier legten ihr Schicksal gleichsam auf die Waagschale: Welche Schale werde sinken? Bekanntlich sind Hoffnung und Angst wie die zwei Flügel des Menschen. Die Hoffnung siegte.

Vorsichtig und nicht ohne Bedenken zogen die ersten Sippen in die Steppe aus. Im Altai aber kam das Wort „Kyptschak“ wieder in Gebrauch. So hießen Übersiedler schon immer, noch seit den Zeiten der ersten Wanderungen nach Indien. Welchen Sinn hatte diese Bezeichnung? Sie wird unterschiedlich übersetzt, beispielsweise als „jene, denen es zu eng ist“.

Im Übrigen ist auch etwas anderes nicht ausgeschlossen. „Kyptschak“ ist der Name einer der ältesten turkischen Sippen. Möglich, dass diese einst als Erste aus dem Altai ausgewandert war, und die späteren Übersiedler wurden nach ihr genannt.

Wie dem auch sei, nur ein starker Stamm konnte es mit der rauen Steppe aufnehmen. Nur ein starkes Volk vermochte es, sich dort anzusiedeln. Die Übersiedler entschieden selbst über ihr Schicksal, niemand vertrieb sie vom Altai, sie verließen es von selbst. Sie gingen jedoch nicht mit leeren Händen. Dieses Volk hatte die damals weltbesten Arbeitsinstrumente: solche aus Eisen! Es hatte außerordentlich reiche Erfahrungen des Lebens in Indien, Mittelasien und natürlich im Ural und Alten Altai. Leider scheinen die Historiker all das gleichsam vergessen zu haben.

Braucht man sich da zu wundern, dass in der Steppe rasch Städte und Stanizas entstanden? Es wurden Straßen verlegt, Übersetzstellen an Flüssen eingerichtet, Kanäle gegraben. So sehen die konkreten Taten eines starken Volkes aus, ihre Spuren überdauern Jahrhunderte. Heute bilden sie Schätze der Archäologen.

Mit den Jahren verwandelte sich Semiretschje (Siebenstromgebiet), ein neues turkisches Khanat, in eine blühende Region. Die Städte strahlten in der Steppe wie Sterne am Himmel. Sie mögen eine nicht sehr ausgesuchte Architektur gehabt und von keiner auserwählten Schönheit gewesen sein. Ihre Bestimmung war anders.

In unserer Zeit erforschte der namhafte kasachische Archäologe Akademiemitglied Alkej Chakenowitsch Margulan diese Städte. Zum erstenmal sah er die altertümlichen Ruinen zufällig, von einem Flugzeug aus. Der erfahrene Wissenschaftler bemerkte in der unübersehbaren Steppe Trümmer von Gebäuden, die von Gras überwuchert und mit Sand zugeschüttet waren. Später dann fuhr Alkej Margulan in die Steppe, zum Ort der verfallenen Städte und schrieb ein Buch darüber.

Vieles bleibt jedoch bis heute unerkannt. Dazu waren die Forschungen viel zu umfangreich und kompliziert. Es handelt sich um eine sehr wichtige Zeit in der Geschichte der Menschheit: Die Menschen begannen, die Steppe zu bewohnen, eine Naturzone, die früher unbewohnt gewesen war. (Die Rede ist selbstverständlich nicht von vereinzelten Ansiedlungen, sondern eben von der Besiedlung eines bis dahin unbewohnten Teils unseres Planeten.)

Jene Epoche hat die Wissenschaft mit zahlreichen Fragen konfrontiert. Zum Beispiel: Wie bewegten sich die Menschen fort? Welche Fahrzeuge benutzten sie? Es ist sehr wichtig, dies zu wissen. Die Frage ist nur auf den ersten Blick einfach. Zu Fuß konnte man nicht in die Steppe ausziehen, auch nicht viel Last mit sich tragen. Also musste etwas erfunden werden, was bis dahin nicht da gewesen war. Was konkret?

Gewiss, das Turkvolk war ein Volk der Reiter, sie hatten das Pferd gesattelt. Aber ein Reiter befördert nur sich selbst. Was macht er aber mit der Fracht? Mit all dem, was für die Bautätigkeit, den Herd, das Heim notwendig ist? Alles musste ja auf Vorrat mitgeführt, also irgendwie befördert werden.

Die Lasttiere der Araber waren damals Kamele, die der Inder Elefanten, die der Chinesen Büffel und die der Iraner Esel. Das Turkvolk hatte seine Pferde. Und die Pferde kamen ihm zu Hilfe.

Heute sind Leiterwagen und Britschkas eine allbekannte Sache. Die altertümlichen Altaier kannten nichts davon, sie hatten das Rad nicht erfunden: Für das Leben im Gebirge waren Radfahrzeuge nicht sehr geeignet, ja nicht nötig. So mussten sie das Rad den Lebensbedingungen in der Steppe anpassen. Mit Radfahrzeugen begann die Besiedlung der Steppe. Das war eine hervorragende Errungenschaft der menschlichen Intelligenz.

Wer hat das Radfahrzeug, die Britschka erfunden? Natürlich das Turkvolk. Denn es kam die Zeit, da es sie benötigte. Folglich sind die Beförderungsmittel ebenfalls ein Unterscheidungsmerkmal der turkischen Kultur, noch eines neben dem Ziegel, dem Blockhaus oder dem Filz.

Die Namen der Erfinder sind in Vergessenheit geraten, das Radfahrzeug aber dient den Menschen bis heute. „Telegan“ (vgl. das russ. Telega, Leiterwagen) bedeutete in der alten Turksprache „Rad“, also im Grunde Beförderung mit Radfahrzeugen.

Die Britschka entstand später. Sie gleicht dem Leiterwagen, ist jedoch besser, für die Steppe wie geschaffen. Eine mit zwei oder drei Pferden bespannte Britschka wurde zu einem Schnelltransportmittel. Die Nebenformen waren Kadarkas und Tarantas. Solche Dreigespanne (Troikas) sausten in der Steppe mit Windeseile dahin, Staubwolken aufwirbelnd.

Für sie wurden Straßen gebaut und zwischen den Städten „Jam“ angelegt (so hießen beim Turkvolk seine Posteinrichtungen; vgl. das russ. Jamschtschik, Kutscher). Niemand fuhr in jener Zeit schneller als sie. Eine Postler-Troika transportierte ihre Fracht mit unerhörter Geschwindigkeit: bis zu 200 und sogar 300 Kilometer am Tag.

Das war nicht einfach viel, sondern sehr, sehr viel. Vergleichsweise: Damals bewegten sich die Menschen über die Straßen mit einer Geschwindigkeit von 20 – 30 Kilometer am Tag. Nur Angehörige des Turkvolkes hatten keine Angst vor Entfernungen, ihre Troikas flogen nur so dahin. Dieses Volk unterwarf sich Raum und Zeit.

Die Steppe des Siebenstromgebiets sah damals die Jamschtschiks früher als alle anderen Regionen.

 

Die Große Völkerwanderung

Das Vordringen des Turkvolkes in die Steppe war ein grandioses Ereignis in der Geschichte der Menschheit. Damit zu vergleichen ist höchstens die Entdeckung und Besiedlung Amerikas. Doch damals war alles viel grandioser und hatte größere Dimensionen: Eine neue Naturzone der Erde wurde erschlossen!

Diese Übersiedlung nannte man die Große Völkerwanderung, sie begann im Altai im 2. Jahrhundert, bewegte sich in Richtung Europa und dauerte länger als 300 Jahre.

Massierte Übersiedlungen turkischer Sippen gab es gewiss auch früher: nach Indien, dem Iran, nach Mittelasien. Aber sie waren eben nur massiert, keine große Völkerwanderung. Auch die Auswanderung der Skythen in die Steppe wurde nicht als groß bezeichnet: Dazu waren sie damals zahlenmäßig und auch sonst viel zu schwach.

Dreihundert Jahre ist viel Zeit. Aber die Besiedlung neuer Lande konnte auch nicht schnell vor sich gehen. Sonst hätte man sie nicht groß genannt.

Die Kiptschak gingen durch die Steppe wie auf einem über dem Abgrund gespannten Seil: vorsichtig und doch sicher. Sie vollbrachten ein Werk, das anderen Völkern über die Kräfte ging. Damals kamen zahlreiche beeindruckende Erfindungen auf. Sie erleichterten das Leben und verliehen Sicherheit. Im Grunde halfen diese Erfindungen dem Turkvolk, in der leblosen Steppe zu überleben.

Die Britschka z.B. erhielt ein Verdeck. So entstand die Kibitka, ein bequemes Haus auf Rädern. Man legte die Kibitka der Wärme wegen mit Filz aus, und so kam ein Zelt zustande, das auch im Winter warm blieb. Wenn sich mehrere Zelte zum Übernachten ansammelten, wurden sie in einem Kreis aufgebaut, so dass eine kleine Stadt auf Rädern entstand. Das nahm nur einige wenige Minuten in Anspruch, die Menschen hatten aber nicht nur eine Unterkunft in der Steppe, sondern auch eine Art Festung.

Filz erlangte beim Turkvolk eine neue Eigenschaft, die eines Baumaterials. Auch das war eine sehr wichtige Erfindung, weil ein mit Filz ausgelegtes Zelt im kalten Winter warm und im heißen Sommer kühl war. Kein anderes Volk wusste die Wolle so schnell und einfach und zugleich so fein zu bearbeiten.

Ein Gegenstand aus Filz wird im Regen nicht nass, denn die Tropfen laufen an den Härchen hinunter. Die Reiter hatten nun Überwürfe aus Filz (Jepantscha, weiter runder Filzmantel ohne Ärmel; auch Burka genannt). Aus Filz stellte man schöne Teppiche (Arbabasch) und warme Stiefel her. Es gab geschickte Handwerker, die die Wolle so gekonnt walkten, dass sich die neuen Steppenbewohner Kleidung und Hüte daraus anfertigten. Filz ist zweifellos eine Visitenkarte des Turkvolkes, ein weiteres Zeugnis seiner Geschicklichkeit und Intelligenz.

Im fahrenden Wohnzelt war der Boden mit einem Filzteppich bespannt, darauf stand ein Sumawar, in dem bei der Reise Wasser gekocht oder auch Essen zubereitet wurde. Bis heute ist nichts erfunden worden, was einfacher und wirtschaftlicher als ein Sumawar wäre. Zwar heißt er heutzutage „russischer Samowar“, ist aber eine turkische Erfindung. Ebenso wie das Dreigespann der Jamschtschiks kam er in der Zeit der Großen Völkerwanderung auf.

Die Steppe gab dem Turkvolk damals viel ein und brachte ihm viel bei.

Aber auch die alten Altaier Traditionen wurden nicht vergessen. Neues ergänzte nur das Alte. Das Gebirge lebte in den Herzen der Menschen fort, sie träumten vom ihm in der Nacht. Und so kam etwas Seltsames zustande: Es wuchsen neue turkische Generationen heran, die das Gebirge nie gesehen, nur von ihm gehört hatten, es jedoch verehrten.

Im Ergebnis entstand in der Steppe eine weitere erstaunliche Erscheinung der turkischen Kultur: Kurgane, die Hügelgräber, eine Art von Menschenhand gemachte Kopie der Berge. Sie waren eine sichtbare Fortsetzung der Altaier Traditionen, ein weiteres Zeichen der Anwesenheit des Turkvolkes auf dem Planeten Erde!

Ein Kurgan wurde am Bestattungsort eines Khans oder eines berühmten Feldherrn aufgeschüttet und galt als heilig. Neben ihm trauerten die Kiptschak, die Steppenbewohner, um ihre Toten und beteten zu Tengri. Man befolgte so die Gebote der Ahnen, die ja ebenfalls neben heiligen Bergen gebetet hatten. In der Steppe nun gingen die Kiptschak nach dem alten Ritus und doch etwas anders vor.

Bei der Erforschung von Kurganen machten die Archäologen eine überraschende Entdeckung. Wie sich erweist, waren die Steppenkurgane ein Bauwerk! Nicht einfach aufgeschüttet, sondern eben gebaut. Ein Kurgan ist eine ingenieurtechnische Anlage, die viel verraten kann.

In der ersten Zeit bestatteten die Kiptschak ihre Toten ebenso wie im Altai. Aber die Steppe hat eine andere Natur, deshalb musste sich auch die Bestattungsart ändern.

Bei den alten Altaiern war es häufiger so, dass sie die Toten nicht beerdigten, sondern dem Himmel anvertrauten. Es vollzog sich ein Ritual, das nur bei Bergbewohnern entstehen konnte. Ein Grab lässt sich in einem Felsen oder im ewigen Frostboden oft gar nicht ausheben.

Die Altaier trugen den in weißes Gewebe eingewickelten Toten zu einem heiligen Ort und ließen ihn dort auf einem erhöhten Platz aus Stein liegen. In der Nähe wurde ein Feuer aus trockenen, mit Fett durchtränkten Zweigen angelegt. Die Rauchsäule zog Raubvögel an, und sie kamen aus dem umliegenden Gebirge zu einem Totenmahl angeflogen.

Auf dem Abschiedsstein blieben nur braune Flecke und Gebeine liegen.

Diese Bestattungsart hatte einen tiefen Sinn, in ihr war eine ganze philosophische Lehre eingeschlossen. Das Turkvolk glaubte, dass der Tod den Beginn eines neuen Lebens bedeute. Denn die Seele des Menschen sei unvergänglich, nach dem Tod sterbe sie nicht, vielmehr gehe sie in den Körper eines anderen Menschen oder eines Tieres über. Der Körper des Toten wurde also diesem neuen, entstehenden Leben zur Gabe gemacht.

In anderen Fällen beerdigten die alten Altaier ihre Toten meist an einem Berggipfel. Hierbei bauten sie in der Erde ein kleines Holzgerüst, eine Art „Heim“ für den Verstorbenen.

Die Holzgerüste in den Gräbern sind eine frühe Form von Särgen, in denen heute beinahe alle europäischen Völker ihre Toten begraben.

So war es im Altai gewesen. Aber die Steppe hat wie gesagt eine andere Natur. Deshalb ging man dazu über, die Toten nur zu beerdigen. Für den Adel baute man Holzgerüste und Kurgane, an deren Gipfel man ein Denkmal aufstellte. Es glich dem altertümlichen Abschiedsstein, auf dem Raubvögel ihr Totenmahl eingenommen hatten.

Das Holzgerüst befand sich innerhalb des Kurgans und beherbergte den Verstorbenen, neben ihm lagen Speisen, Waffen, allerlei Gegenstände, das geschlachtete Pferd und die toten Sklaven. In dieses letzte „Heim“ führte von oben ein unterirdischer Gang, über den Geistliche hinabstiegen. Einen unterirdischen Gang gab es bei weitem nicht in allen Kurganen, sondern nur dort, wo besonders verehrte Menschen – also Heilige – begraben wurden.

Die Hügelgräber veränderten die Landschaft um die turkischen Siedlungen. Nun gehörten sie zu dem Volk! Denn das Wort „Kurgan“ bedeutete bei den Nachbarvölkern in alten Zeiten so viel wie „Grenze“. Die Menschen wussten: Wo Kurgane sind, da ist auch das Turkvolk, da ist also fremder Boden.

Nicht nur das verraten die Steppenkurgane den Archäologen. Wie sie herausgefunden haben, dienten die Hügelgräber außerdem als von weit her sichtbare Orientierungspunkte, weshalb sie längs der Straßen gebaut wurden. Auch das entwickelte sich zu einer Tradition, Friedhöfe werden in der Steppe bis heute längs einer breiteren Straße angelegt.

Aber die überraschendste Bestimmung der Kurgane offenbarte sich gegen das 3. Jahrhundert. Früher hatte es so etwas nicht gegeben. Für den Steppenbewohner wurde der Kurgan zu einem Tempel unter freiem Himmel – wie einst die heiligen Berge. Vor dem Eingang zu einem Hügelgrab legte man einen Platz an, der „charam“ hieß (vgl. das russ. Chram, Tempel, Kirche). Auf dem Platz durfte man nicht sprechen, erlaubt wurde nur das Gebet. An der Spitze eines Kurgans baute man anstelle des einstigen Denkmals aus Ziegeln etwas wie ein Zelt auf.

Was war das? Wozu diente es? Es kann sein, dass die Menschen die rituelle Anlage so dem heiligen Berg Kailassa nachgestalteten. Es kann auch andere Gründe dafür gegeben haben.

Wenn unsere Vermutung richtig ist, dann ist begreiflich, warum um das 4. Jahrhundert in der Steppe die ersten Tempel aufkamen. Das waren wirkliche Tempel, in denen Reliquien aufbewahrt wurden und neben denen man betete. Die Kiptschak nannten sie „Kilissa“, d. h. Kirche (vom Wort „Kailassa“).

Der Zeltstil ahmte die Umrisse des heiligen Berges nach und setzte sich in der sakralen Architektur gerade damals durch. Das war ein weiteres neues Merkmal der turkischen religiösen Kultur. Seitdem führten die Kiptschak ihre Tempel nur an einem erhöhten Ort auf, gleichsam auf einem Kurgan. Oder auf dem Grab hervorragender Persönlichkeiten.

So viele Geheimnisse verbergen, wie wir sehen, die gewöhnlichen Steppenkurgane, die nur auf den ersten Blick wie aufgeschüttete Erdhügel aussehen.

Die Große Völkerwanderung war offensichtlich nicht eine Bewegung hungriger und zerlumpter Horden, wie das einige Wissenschaftler darstellen. Sie war eine Vorwärtsbewegung und Entwicklung der Kultur des Großen Altai auf dem Territorium Eurasiens. Das Turkvolk tat einen Schritt zur Annäherung von Ost und West, und das war eine titanische Leistung, schon an sich ein zweifelsohne hervorragendes historisches Ereignis. Anders gesagt: Indem das Volk seinen neuen Staat gründete, verband es gleichsam die abgesonderten Teile der alten Welt zu einem Ganzen. So bildete sich Eurasien heraus.

Fünf Generationen, fünfmal Menschenleben waren vergangen, ehe die Kiptschak den Kaukasus, die Grenzen des Römischen Reiches erreichten. Das tat Khan Aktasch. Er war der Erste, der den Westen sah.

 

Khan Aktasch

Die Reiter erblickten das Flussufer unerwartet – und blieben wie verzaubert stehen. Einen so wasserreichen Strom hatten die Kiptschak seit langem nicht gesehen. Sie nannten ihn Idel (Wolga). Dann schlugen sie wie auch sonst ein Lager am Ufer auf und begaben sich auf die Erkundung der Gegend.

Über kurz oder lang berichtete der Erkundungstrupp über Menschen, die da lebten und eine unverständliche Sprache sprachen. So (oder vielleicht ganz anders) begegneten sich Ost und West: das Turkvolk und die Einwohner Europas.

Wer waren diese Europäer? Mit Sicherheit kann das heute niemand sagen.

Der Strom mündete damals zwar ebenfalls ins Kaspische Meer, aber an einer ganz anderen Stelle als die heutige Wolga, vielmehr etwa 300 Kilometer weiter südlich. Der Strom machte eine breite Schleife, brach in die Kaukasische Steppe ein und trat nah an die Berge des Kaukasus. Wer damals an jenem Ort am Ufer lebte, den die Kiptschak erreichten, ist heute ungewiss.

Das alte Idel-Bett hat sich erhalten, was nicht von den Denkmälern jener Zeit gesagt werden kann. Die Zeit verschont bekanntlich nicht einmal Steine. Vieles ist verloren gegangen. Trotzdem liegen Forschungsmaterialien vor.

Beispielsweise altertümliche Städte. Viel kann man heute von ihnen zwar nicht erfahren, denn sie sind gleichsam auf dem Boden zerflossen, sich in Schmutz aufgelöst. Sie wurden ja aus mit gehäckseltem Stroh vermischtem Lehm gebaut. Dieses Baumaterial hieß Saman. Die Häuser waren zwar warm, aber kurzlebig. Bei Regenfällen oder Frost zerfloss der Lehm. Nur die Ziegelfundamente haben sich erhalten und den Archäologen Aufschluss darüber gegeben, wer die Erbauer waren: nämlich die Kiptschak. Sie allein hinterließen solche Spuren in der Steppe.

Es ist doch erstaunlich, wie viel einem aufmerksamen Archäologen ein gewöhnlicher Ziegel, also im Ofen gebrannter Lehm, erzählen kann. Beispielsweise konnten sie anhand solcher Ziegel die turkischen Längenmaße feststellen. Wie sich erweist, benutzten die Bauleute mehrere Maßeinheiten. Die Maße Arschin (ca. 70 cm) und Sashen (ewas über 2 m) hatten ihnen schon im Altai gedient. Aber das Hauptmaß war immer der Ziegelstein, seine Länge.

Die turkischen Handwerker fertigten ihre Ziegel immer so an, dass sie 26 – 27 cm lang und 5 – 6 cm dick waren. Die Hälfte der Länge bildete die Breite, sie bedeckte gerade die Handfläche eines Mannes. Alles war sehr praktisch.

Aus solchen Ziegeln wurden in der ganzen Steppe, vom Baikalsee bis nach Westeuropa, tausende Gebäude gebaut. Einige Ziegel wiesen ein Tamga (das individuelle Zeichen) des Erbauers auf, damit man ihn nicht mit anderen verwechselte.

Es gab auch quadratische Ziegel. Aber auch sie waren sich überall gleich, ebenfalls an allen Seiten 26 – 27 cm lang. Siebeneinhalb Ziegel machten einen Sashen aus (Mörtel selbstverständlich mitgerechnet). Das war eine Längeneinheit. Ein Sashen war drei Arschin lang.

Die turkische Architektur hatte demnach ihre Maßeinheiten. Die Bauleute hatten offensichtlich einen Entwurf vor den Augen, denn ihre Bauten waren schön, wohlproportioniert und präzise. Ohne Entwürfe und Berechnungen lassen sich solche Gebäude nicht aufführen.

Nicht wenig Spuren altertümlicher Gebäude fanden die Archäologen im Becken der Wolga (Idel), im Ural, Altai, in Kasachstan und Dagestan, am Don, in der Ukraine und in Mitteleuropa.

Gut erhalten sind in der Steppe auch andere Denkmäler der Großen Turkischen Wanderung. Manchmal sind sie überraschend, eigentlich gar keine richtigen Denkmäler, vielmehr einfach am Wege liegende Steine. Jeder davon zeigt einen eingemeißelten Hirschen. Deshalb nennen die Archäologen sie Elen-Steine.

Der Rothirsch (vgl. das russ. olen, Hirsch bzw. Elen) war ein weiteres Zeichen Tengris und folglich ein Zeichen der turkischen religiösen Kultur. Dieses Zeichen bestand beim Turkvolk lange vor dem Aufkommen des Kreuzes.

„Gehst du nach rechts, siehst du einen Palast, gehst du nach links, findest du nichts“: Das sind nicht Worte aus einem Märchen, sondern sie waren auf einem am Wege liegenden Stein entdeckt. Sie geben eine Auskunft, wenn auch eine, die nicht jedermann zu lesen verstand. Nur eben einer, der zum Turkvolk gehörte. Einer, der die Runenschrift kannte, ebenso wie die gute turkische Tradition, Reisenden zu helfen.

Nach rechts, nach links, gerade heraus, zurück – das waren geheime Orientierungsanweisungen. Nach rechts bedeutete südwärts, nach links nordwärts, gerade heraus ostwärts. Ein Reisender, der diese Wegzeichen las, wusste, was ihm bevorstand, und bereitete sich darauf vor.

Auf großen runden Steinen oder an Felsen, die hie und da über die Steppe verstreut lagen, wurden ganze Botschaften hinterlassen, sogar eingemeißelte Verszeilen. All das war ebenfalls eine alte altaische Tradition, und sie hatte sich in der Steppe für Jahrhunderte eingebürgert.

Über ihre Große Übersiedlung in die Steppe schufen die Angehörigen des Turkvolkes Dichtungen und Sagen. Etwas selbst von den Zeitgenossen jener fernen Zeiten Geschaffenes hat sich erhalten. Beispielsweise die alte Sage „Aktasch“; sie wird heutzutage unterschiedlich erzählt, aber die Hauptsache ist geblieben.

Freilich behaupten die Baschkiren, Khan Aktasch sei ein Baschkire gewesen. Die Tataren nennen ihn einen Tataren, die Kumyken halten ihn für einen Kumyken usw. In Dagestan gibt es den Fluss Aktasch; an seinem Steilufer liegen die Ruinen einer altertümlichen Stadt, die der Sage nach vom berühmten Khan als seine Hauptstadt gegründet wurde. Wem soll man nun glauben: den Tataren, den Kumyken oder den Baschkiren?

Am besten allen auf einmal. Und zwar aus folgendem Grunde.

Khan Aktasch gründete am Idel ein Land, das offenbar schon damals Descht-i-Kiptschak hieß. Die heutigen Kumyken, Baschkiren und Tataren waren sämtlich Kiptschak, also ein einheitliches Volk. Nichts trennte sie voneinander wie jetzt, sie hatten damals einen einzigen Herrscher, gehörten zu ein und demselben Khanat. Leider haben die Brüder ihre Verwandtschaft vergessen, daher rührt ihr Streit.

Unter Khan Aktasch, d. h. im 3. Jahrhundert, bildete sich ein neues großes turkisches Khanat heraus. Es wurde durch die Große Völkerwanderung hervorgebracht, war eines ihrer Ergebnisse. Die Erschließung der neuen Regionen konnte nur diesen Abschluss finden: die Gründung eines neuen Staates. Jedes Land muss aber bekanntlich seine Grenzen, seinen Herrscher und seinen Namen haben.

Descht-i-Kiptschak ist ein Name von sehr tiefem Sinn. Heute wird er als „Steppe der Kiptschak“ (d. h. des Teils des Turkvolkes, der in die Steppe ausgewandert war) übersetzt. Aber eine solche Übersetzung erklärt herzlich wenig, fügt sich nicht in die traditionelle turkische Kultur ein. Was stört, ist das Wort „Descht“ oder „Dascht“, es ist gleichsam überflüssig. Zudem bedeutete dieses turksprachige Wort im Altertum immerhin „Fremde“ und nicht „Steppe“.

Konnten die Steppenbewohner ihre Heimat als „die Fremde der Kiptschak“ bezeichnen? Aber niemals!

Des Rätsels Lösung liegt in dem kaum merklichen „i“ in der Mitte des Namens. Der Buchstabe ist wie ein vergessener Nachhall des Altertums und hatte einst die Form „issitep“, was in der Turksprache „die, die Wärme gegeben hat“ bedeutete. Die Übersetzung lautet also: „die Fremde, die den Kiptschak Wärme gegeben hat“. Dann wird alles klar. (In der Turksprache wird der Satz heute zwar anders gebaut, aber am Sinn ändert das nichts.)

Descht-i-Kiptschak – nur so konnte das Turkvolk, das in die Steppe ausgezogen war, seine neue Heimat nennen. Die gestrigen Bergbewohner hatten ein neues Heim gewonnen, und es hat ihnen „Wärme gegeben“.

Für einen Steppenbewohner gab es nun kein Wort, das ihnen das Herz mehr erwärmt hätte als das Wort „issitep“. Das war die Heimat, das wärmste Land der Erde. „Unsere Wiege ist der Altai, unsere Heimat die Steppe“, sagten die Kiptschak.

Übrigens sind auch andere Auslegungen des Wortes Descht-i-Kiptschak nicht ausgeschlossen. Einigen Menschen mögen sie genauer scheinen. Wenn man z. B. das turksprachige Wort „tasch“ („dasch“) – soviel wie Stein, Felsen, Anhöhe – als Grundlage nimmt, so entsteht das Wort „taschta“ („daschta“), also der „Aufenthaltsort“. Auch darin wird die Erklärung gesucht. Außerdem gibt es noch eine iranische Version, die ebenfalls ihre Anhänger hat.

Aber ob so oder so – das alte Wort der Turksprache „issitep“ bleibt dem Herzen eines Steppenbewohners doch vertrauter.

 

Am Idel

Khan Aktasch legte am Idel Städte, Stanizas, Gehöfte an und stellte Vorposten auf. Er war ein höchst tätiger Herrscher. Der Umstand aber, dass die Tataren, Baschkiren und Kumyken ihn den ihrigen nennen und von ihm unterschiedlich erzählen, zeugt leider von der Vergesslichkeit der Menschen.

Aktasch ist ein Held des Turkvolkes, am wahrscheinlichsten sogar eine Sammelgestalt, eine Figur als Verkörperung eines Volkes, das unglaubliche Schwierigkeiten überwunden hatte. Im Ural und Kaukasus hinterließ er Spuren seiner Leistungen: ein neues Khanat mit einem einheitlichen Volk.

Die Angehörigen des Turkvolkes führten ihre weißen Rosse entlang des Idel, nord- oder auch südwärts, wohin sie eben wünschten. Schon im 3. Jahrhundert wurden ihre ersten Städte am großen Strom angelegt. Diese Städte sind nicht vergessen, sie leben fort: zum Beispiel Sumeru (Samara) als Andenken an den heiligen Altaiberg Utsch-Sumer. Vielleicht war an diesem Ort etwas, was an den Berg erinnerte – ein anderer Berg oder vielleicht Pflanzen oder sonst etwas. Die turkischen Benennungen waren nie zufällig.

Neben dem Grab eines heiligen Menschen entstand die Stadt Simbir („einsames Grab“), später Simbirsk; auf einem sandigen Berg die Stadt Sarytau, „Gelber Berg“, heute Saratow. Und natürlich gab es schon damals die Stadt Bulgar, in der Angehörige des Turkvolkes und anderer Völker lebten. Die Stadt hatte eine gemischte Bevölkerung, das erhellt aus ihrem Namen.

Auch an den Idel-Nebenflüssen – an der Kama, der Oka, des Agidel – entstanden Städte. Im Ural waren das Tscheljaba (heute Tscheljabinsk), Tagil, Kurgan und andere. Das sind sämtlich turksprachige Namen, und ein jeder hat seinen Sinn.

Allerdings ließen die Kiptschak fremde Lande in Ruhe. Die Udmurten, Mari, Mordwinen, Komi, Permjaken und andere Völker des heutigen Wolgagebiets und der Uralregion blieben immer ihre guten Nachbarn. Im Grunde sind sie ja Brudervölker und haben gemeinsame Altaier Wurzeln.

Am Idel fanden die Reiter von Khan Aktasch Ansiedlungen der Skythen vor, jener Angehörigen des Turkvolkes, die einst aus dem Altai ausgewandert waren. Heute werden diese Menschen Tschuwaschen genannt. Sie hatten sich den altertümlichen Glauben des Turkvolkes bewahrt, erkannten jedoch auch schon Tengri an, den sie Tura nannten.

Die Tschuwaschen sind ein richtiges Museumsvolk, ein geheimnisvoller Schatz der turkischen Welt, der geduldig darauf wartet, erkannt zu werden.

Gewiss kam es am Idel auch zu blutigen Zusammenstößen, ohne Kriege ging es auch hier nicht ab. Die Reiter mussten beispielsweise ihre Säbel entblößen, als ihnen die Alanen in den Weg traten: ein sehr starkes und kriegerisches Volk, vor dem selbst die römischen Legionäre gewichen waren.

Die Alanen schnitten dem Turkvolk den Weg zum Donufer ab.

Khan Aktasch kehrte zum Idel zurück, ohne neue Lande gewonnen zu haben. An seiner Mündung legte er die Stadt Seminder, die künftige Hauptstadt des Chasarischen Khanats, an. Dadurch legte er fest, dass der Idel ein Strom des Turkvolkes sei.

Aber die Erschließung der Steppe verlangsamte sich damals. Ohne ein gutes Heer war es gefährlich, hier zu bleiben. Europa zeigte eine unverhohlen feindselige Haltung. Das Turkvolk wollte unbedingt im Kaukasus Fuß fassen, denn Berge sind eine naturgegebene Festung, zuverlässiger als alle anderen Festungen. Sonst hätten sie den Idel verloren.

Khan Aktasch kämpfte sich zum Kaukasus durch.

Am Ufer eines Gebirgsflusses legte er eine Stadt an. Im Grunde war das die erste turkische Stadt in Nordkaukasien und ganz Europa. Heute sind an ihrer Stelle nur Kurgane zu sehen. Hie und da kann man Überreste von Ziegelmauern und Erdwällen bemerken. In der Nähe fließt der Aktasch, dahinter liegt die Kumyken-Siedlung Endirej. Die Kumyken achten die Siedlung wegen ihrer altertümlichen Herkunft ganz besonders.

Von hier aus, in dieser nun vergessenen Stadt begann der Weg der Großen Südwanderung, sie sollte jedoch nur kurz sein. An den Mauern von Derbent blieb die Reiterei hoffnungslos stecken. Der Weg weiter war versperrt.

Die Stadt Derbent galt als ein zuverlässiger Vorposten der westlichen Welt und stand, einer uneinnehmbaren Festung gleich, auf einem Berggipfel. Von der Festung bis zum Meer zog sich eine hohe Steinmauer, sie versperrte den Weg nach dem Iran und ins Römische Reich ganz und gar. Die Mauer war sehr hoch und so breit, dass man sie wie eine richtige Straße mit einer Araba (zweirädriger hölzerner Bauernwagen) befahren konnte.

Die Stadt lebte von dieser Mauer oder vielmehr von ihren berühmten Toren: Diese wurden Handelskarawanen geöffnet, allerdings gegen Geld oder Waren.

Vor den einfallenden turkischen Truppen wurden die Tore dicht verschlossen. Hier, im Kaukasusvorland, blieb die Große Völkerwanderung stehen: Rechts ragten Berge empor, links lag die See. Vorne war eine Sackgasse. Es führte kein Weg weiter.

Inzwischen lebte man schon in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts. In der turkischen Welt brachen Jahre der Stille und Ruhe an.

 

Im Kaukasus

Das Land, das hinter den Toren von Derbent lag, zog die Kiptschak an. Schon deshalb, weil sie nicht wussten, was dort zu erwarten war. Für den Steppen-Osten handelte es sich um ein Land mit einer anderen Kultur. Selbstverständlich hatten sie auch schon früher von Europa und dem Römischen Reich gehört, aber gesehen hatten sie sie nicht.

Als sie sich in einer Sackgasse sahen, verließen sie sich auf den Himmel.

Descht-i-Kiptschak lebte im alten Rhythmus: Da wurde gebaut, Eisen geschmolzen, Getreide geerntet und Vieh geweidet. Die Menschen feierten ihre Feste und Hochzeiten, freuten sich über Neugeborene und trauerten um Verstorbene. Alles war nach wie vor, das Leben ging seinen gemessenen Gang weiter.

Im Kaukasus entstanden turkische Siedlungen und neue Städte. Eine davon war Chamrin. Die Stadt wurde durch ihren heiligen Baum berühmt, den beinahe alle Historiker des Kaukasus erwähnen. Der Baum hatte den Namen „Khan Tengri“.

Es handelte sich natürlich nicht einfach um einen heiligen Baum, wie sie von Heiden verehrt wurden. Nein, im Turkvolk lebte die Sage vom Weltbaum, in dem sich alles vom Großen Tengri Erschaffene vereinigt. (In diesem Fall sollte man Tengri als „Chodai“ – Erschaffer, Erzeuger – anrufen.)

Die Lehre vom Weltbaum war eine ganze Wissenschaft, und wer sie bewältigte, wurde zu einem Weisen. Ein Weiser durchschaut den Aufbau der Welt und erkennt, worauf sie sich gründet. In Europa nannte man diese Wissenschaft Philosophie.

Die Zweige des Weltbaums erreichen den Himmel, sie gehören Gott und den Vögeln. Seine Wurzeln reichen tief bis in die Unterwelt, ins Reich der Schlange, hinein. Der Stamm aber befindet sich in der Mittelwelt, dort, wo Menschen, Pferde und andere Tiere wohnen.

Der Baum des Lebens ist ewig wie Gott selbst und ebenso unsichtbar.

Der Sage nach gehen Geister und Gedanken über den Baum des Lebens von der einen Welt in die andere über. Gerade der Weltbaum gibt dem Menschen die Erkenntnis. War Chamrin eine Stadt von Weisen und Philosophen? Baten die Kiptschak vielleicht hier, unter der Krone des Weltbaums, Tengri um Rat und Hilfe? Lebten sie doch in einer feindlichen Umgebung.

Später wurden in Chamrin Kirchen und noch später Moscheen gebaut. Aber der Baum blieb das größte Heiligtum der Stadt. Heute besteht dort Kajakent, eine Siedlung, die eine strenge Stadtplanung besitzt. An ihrem Rand wächst als Mahnung an die Vergangenheit der heilige Baum „Tengri Khan“. Gewisse Dinge haben die Kumyken natürlich vergessen, vieles wissen sie vom Baum des Lebens nicht mehr. Trotzdem verehren sie den Baum in der Siedlung Kajakent nach wie vor.

Den Baum ihrer künftigen Erinnerungen?

Damals aber, im 3. Jahrhundert, kündigten sich große Ereignisse an. Sie begannen jenseits der Mauern von Derbent und vollzogen sich zuerst ohne Beteiligung der Kiptschak. Dabei war es gerade diesen beschieden, ihre Hauptteilnehmer und ihre Haupttriebkraft zu werden.

„Was Tengri vorgeschrieben hat, ist nicht zu vermeiden“, lehrt eine alte Weisheit.

Es ist unglaublich, aber Fakt: Die Tore von Derbent öffneten sich von selbst! Ohne Dazutun der Steppenbewohner. Bekanntlich kommen reine Gedanken vom Himmel, und ihre Wirkung bleibt nicht aus. Davon überzeugt die weitere Geschichte des Kaukasus und ganz Europas.

Von der Einwanderung der Kiptschak erfuhren die Armenier, die im fernen Transkaukasien einen hoffnungslosen Krieg gegen den Iran führten. Sie benötigten einen starken Verbündeten, und so fanden sie den Weg nach Chamrin. Als Erste in Europa erkannten sie das Turkvolk an und taten alles, damit Derbent die Reiter einließ.

Der armenische Herrscher Chosroi I. hatte sich in der Wahl seines Verbündeten nicht geirrt. Die Kiptschak versetzten den Gegner in Schrecken und schlugen ihn aufs Haupt. Damit war der Krieg zu Ende. Armenien warf die Macht des Iran ab, und die Kiptschak unterwarfen sich Derbent und das ganze westliche Küstengebiet am Kaspischen Meer.

Das heutige Aserbaidschan weist viele Anzeichen jener ruhmreichen Zeit auf, zum Beispiel die Siedlung Kyptschak oder die Stadt Gjandsha. Selbst in einigen wenig bekannten Siedlungen und Städten gibt es Denkmäler aus der Epoche der Großen Völkerwanderung. Man sollte sich die Stadt Gussary genauer ansehen; das ist ihr heutiger Name, aber abgeleitet ist er offenbar vom Namen Gesser. Damals, im 3. Jahrhundert, zog die turkische Welt vollberechtigt in den Kaukasus ein. Hier schlug sie Wurzeln und wurde für immer ein Teil der Kultur des Kaukasus und ganz Europas. Hier sind also die unglaublichsten Entdeckungen möglich.

Der Einzug des Turkvolkes in den Kaukasus war ein außerordentliches Ereignis in der Weltgeschichte. Darin vereinigten sich die Stärke der Reiter (einer neuen Armee, über die sich niemand mehr hinwegsetzen konnte) und die Zukunft der Großen Völkerwanderung, ihre sich abzeichnenden Perspektiven (am Horizont der Kiptschak zeigten sich Europa, der Nahe und der Mittlere Orient).

Alles verflocht sich damals im Kaukasus zu einem dichten politischen Knäuel, alles wartete auf seine Fortsetzung. Die Zeit war gespannt wie eine Feder, die bereit war, globale historische Ereignisse auszulösen. Die Welt war bereit, anders zu werden.

Gerade der Einfall des Turkvolkes in Europa zog dort einen Strich unter die Epoche der Antike und leitete die Epoche des Mittelalters ein. Ein neues Europa – eines bereits unter Beteiligung des Turkvolkes – nahm seinen Anfang. Der Kontinent erlebte gleichsam den Übergang von Kindheit zu Jugend. Leider haben die Historiker dieses überaus wichtige Ereignis übersehen.

Der Kaukasus spielte natürlich auch früher eine besondere Rolle in der Weltpolitik, bildete er doch die Grenze zwischen Ost und West, die Grenze zwischen zwei Welten! Lange prallten hier die Interessen des Iran mit denen des Römischen Reiches zusammen, und jahrhundertelang wurden hier blutige Kriege geführt.

Außerdem war der Kaukasus beinahe der einzige Ort in der westlichen Welt, an dem man Eisen zu schmieden verstand. Jenes Eisen, das mehr als Gold geschätzt wurde. (Freilich wurde hier Eisen nicht geschmolzen, es war daher von niedriger Qualität; etwas Ähnliches stellten die Kelten in den Karpaten her.) Trotzdem wurde um den Besitz von Eisen ein Kampf auf Leben und Tod geführt. Ohne das kaukasische Metall wäre das Römische Reich für immer in der Bronzezeit stecken geblieben. Denn die Römer kannten den Eisenguss nicht. Deshalb waren selbst die Panzer ihrer Legionäre aus Bronze. Der Iran dagegen benutzte kaukasisches Eisen.

Als das Turkvolk in Transkaukasien die iranische Armee zerschlagen hatte, veränderte sich alles auf die überraschendste Weise. Die Weltpolitik, die sich im Laufe von Jahrhunderten herausgebildet hatte, brach an einem Tag zusammen, und zwar ohne viel Lärm und Krach. Das verstanden jedoch nur vielerfahrene und hochgebildete Menschen.

Unter den Kiptschak fanden sich solche Menschen nicht. Sie wussten nicht viel von Dingen, die in Europa geschahen. Sie verließen Transkaukasien, ohne die Früchte ihres Sieges genossen zu haben, sie überließen sie vielmehr den anderen. Nachdem sie den Armeniern geholfen hatten, zogen sie weiter, die Kaspi-Küste zu erschließen.

Nach Transkaukasien aber, ins „Niemandsland“, eilte der römische Kaiser Diokletian, ein überaus schlauer und weiser Politiker jener Zeit. Europa war schon unter seiner Macht, und nun glaubte er, zum Herrn über die ganze Welt aufsteigen zu können.

Im Jahre 297 unterwarf sich Diokletian ganz Transkaukasien. Dann überfiel er den geschwächten Iran und eroberte seine reichsten Provinzen. Der Feldzug war stürmisch und siegreich. Rom jubelte. Man sprach schon von einem neuen „Goldenen Zeitalter“ des Reiches. Einen solchen Erfolg hatte niemand erwartet, nicht einmal der Kaiser selbst.

Aber der Sieg war viel zu leicht, verdächtig leicht errungen. Das machte Diokletian argwöhnisch. Er allein ahnte, dass jener Sieg über die Perser in ein Unglück umschlagen konnte. Der Aufstand, der dann in Armenien ausbrach, war nur ein fernes Wetterleuchten jenes Unglücks, das unabwendbar über das Reich heraufzog.

Der Aufstand in Armenien wurde natürlich niedergeschlagen. Die Anführer, die Christen, kamen ins Gefängnis. Doch konnte das nichts mehr ändern. Die Armenier waren wie gegen jedes Missgeschick gefeit. Sie warteten auf ein sehr wichtiges Ereignis, das jeden Augenblick eintreten musste. Sie warteten auf ein Wunder, das der Christ Grigorij vorausgesagt hatte.

Grigorij hatte nämlich am Himmel eine Feuersäule mit einem sie krönenden Kreuz gesehen. Das Kreuz strahlte ein Licht aus, so grell wie das eines Blitzes.

Damals glaubten die Armenier noch nicht an die rettende Kraft des Kreuzes, sie waren Heiden. Dafür aber blieben ihnen allen die Kreuzfahnen im Gedächtnis, unter denen die Kiptschak gekämpft hatten. Deshalb machte es einen tiefen Eindruck auf sie, als Grigorij ein ebensolches Kreuz am Himmel sah – das wies auf ein göttliches Vorzeichen hin.

„Dem Turkvolk hilft ihr Gott des Himmels“, sagten sie.

Die Kunde vom allmächtigen Gott des Turkvolkes durcheilte Europa. Sie wurde von Christen verbreitet, die die prophetischen Worte Jesu Christi über Reiter wiederholten, welche die Welt von der Herrschaft Roms erlösen sollten. Diese Prophetie stand in der Apokalypse, einem der Hauptbücher der Christen, geschrieben. Man lebte in Gedanken an sie. Die Menschen lasen in der Offenbarung immer wieder und verglichen jede Zeile des Buches mit dem, was um sie geschah. Alles stimmte. Alles war genau so, wie Jener gesagt hatte, den man Christus genannt hatte.

„Die Prophetie ist eingetroffen. Wartet“, sagte Grigorij allen, nachdem er das leuchtende Tengri-Kreuz am Himmel gesehen hatte. Waren es vielleicht diese Worte, dank denen die Armenier ihn später zu ihrem Aufklärer erhoben?

Der Sieg war nahe, er musste von selbst kommen.

Natürlich hatten die Kiptschak von dem, was sich in Europa zutrug, keine Ahnung. Sie wussten absolut nichts, bis ein junger armenischer Geistlicher zu ihnen kam. Er hieß Grigoris und war ein Enkel Grigorijs des Aufklärers. Der Junge war kaum sechzehn Jahre alt. Demütig verneigte er sich und bat in gebrochener Turksprache um die Erlaubnis, den Herrscher der Kiptschak zu sprechen.

Es hieß ja nicht von ungefähr: „Was Tengri vorgeschrieben hat, ist nicht zu vermeiden!“

 

Das Turkvolk und das Christentum

Weshalb kam der junge Bischof Grigoris? Was wollte er vom Khan? Auf jeden Fall ging es ihm nicht um militärische Hilfe.

Diesmal baten die Armenier, sie siegen zu lehren. Sie waren Heiden und Ungläubige, aber nun wollten sie den Glauben an den Gott des Himmels annehmen, der das Turkvolk unbesiegbar gemacht hatte. Der europäische Bischof Grigoris kam als erster Europäer, um den Tengri-Glauben kennen zu lernen und dann sein Volk aufzuklären. Im Grunde wollte er die Taten von Gesser und Khan Erke fortsetzen, allerdings nun in Europa.

Es sei betont, dass man in Europa von einem Gott des Himmels nicht einmal gehört hatte. Die Juden beteten Idole (Theraphim) und heidnische Götter (Elohim) an. Die Römer beteten zu Jupiter. Überall herrschten heidnische Vielgötterei und unverhohlene Barbarei.

Die Christen dagegen erkannten überhaupt keine Götter an. Sie lehnten sie ab und nannten sich Atheisten. Sie warteten nur auf die Ankunft der Reiter, der Abgesandten eines Boten des Gottes des Himmels. Und die Reiter kamen!

Das Auftauchen der Kiptschak an der Grenze des Römischen Reiches und ihr glänzender Sieg über den Iran wurden in erster Linie gerade von den Christen bemerkt. Über die Einwanderer wurde viel gesprochen. Sie waren ja so ganz anders: Ihre Waffen und ihr Rüstzeug aus Eisen machten die Kiptschak für die Europäer zu Ankömmlingen aus einer anderen Welt. Und das stimmte wirklich. Sie waren aus einer lichten Welt gekommen, die unter Tengris hohem Himmel lebte.

Das heidnische Europa blickte zu ihnen auf, wie ein Fußgänger zu einem Reiter aufblickt. Europa blieb im Wichtigsten hinter den Kiptschak zurück: Für Europa war der Gottesglaube ein unerreichbarer Wert. Der Glaube an jenen Gott, der dem Turkvolk Eisen beschert hatte.

Um den Sinn dieser Worte zu verstehen, genügt es, ein einziges einfaches Beispiel anzuführen. Ein guter Schlag mit einem Eisensäbel durchhieb einen Bronzeschild ohne weiteres. Anders gesagt: Die berühmten römischen Truppen waren, gleich Wilden mit Keulen, den Kiptschak gegenüber wehrlos.

Über den Zusammenbruch des Römischen Reiches mag Verschiedenes und auf verschiedene Weise gesagt, mögen beliebige Hypothesen auf- und Vermutungen angestellt werden, doch ohne die Berücksichtigung dieser einfachen Tatsache wären sie nicht mehr stichhaltig.

Der turkische Tengri verkörperte Eisen, der römische Jupiter aber nur Bronze. Die Siege der Kiptschak waren unabwendbar wie der Sieg von Eisen über Bronze. Das Römische Reich war dem Untergang geweiht, sein Schicksal hing nur noch von der Zeit und vom Willen der Kiptschak ab.

Es war offenbar kein Zufall, dass die Armenier den Bischof Grigoris zu den Kiptschak entsandten. Sie waren womöglich die Ersten in Europa, die den Verlauf der künftigen Entwicklung erraten hatten. Und so distanzierten sie sich rasch von dem noch lebenden, aber schon in den letzten Zügen liegenden Rom.

Deshalb traf der junge armenische Bischof in Derbent ein. Er ließ sich taufen („ary-sili“ oder „ary-alkyn“ in der Turksprache). Man tauchte ihn dreimal ins Wasser, das mit einem Silberkreuz geweiht worden war.

Die Taufe ist einer der wichtigsten Riten des Tengri-Glaubens, das Einweihen in den Glauben. Anders gesagt, die Einführung in die turkische Welt. Das ist ein Ritus aus dem Altai, weil im Alten Altai Neugeborene in eiskaltes Wasser getaucht worden waren. Nach einem solchen Bad trat ein Mensch in die Welt des Ewigen Blauen Himmels. (Daher rührt letzten Endes das Wort „Turk-“, was selbst im Chinesischen soviel wie „gesund“, „stark“ bedeutete.)

In der alten Turksprache hatte es außerdem das Wort „aryg“ gegeben. Es bedeutete „rein“ im geistlichen Sinne. Als „rein“ galt ein Mensch, der den heiligen Ritus der Reinigung hatte über sich ergehen lassen.

Die Wassertaufe kam im Altai auf, bei einem Volk, das Wert auf seine körperliche und geistige Reinheit legte. Heute wird sie bald den Christen, bald anderen zugeschrieben, aber diese Ansicht ist völlig irrig. Die frühen Christen hatten keine Taufe, konnten sie nicht haben. In Europa erfuhr man von ihr erst nach dem Einzug der Kiptschak. Das ist eine unbestreitbare Tatsache, die nicht einmal von christlichen Historikern verschwiegen wird. Im 4. Jahrhundert ging man dort daran, Baptisterien zu bauen: Becken, in denen die Menschen die christliche Taufe empfingen.

Mehr noch, in Tibet, wo sich die Traditionen des Tengri-Glaubens erhalten haben, bestehen nach wie vor die Riten Ary-alkyn und Ary-sili.

Folglich war der armenische Bischof der erste Europäer, der in den Tengri-Glauben eingeweiht wurde. So brachten die Kiptschak offenen Herzens ihre Einstellung zum Bündnis mit dem Westen zum Ausdruck. Bekannt ist sogar der See, in dem Grigoris getauft wurde. Er liegt unweit der Siedlung Kajakent und heißt Adshi, d. h. „der See des Kreuzes“.

Den geistig gereinigten Grigoris geleiteten turkische Geistliche nach Chamrin und weihten ihn dort ins Geheimnis des Weltbaumes ein. Er sah die heiligen turkischen Texte: die Gebote Tengris, die später, nach einigen Fragmenten zu urteilen, in den Koran aufgenommen wurden. Erst dann, nach der Einweihung, erlaubte man es ihm, zwei Finger – den Daumen und den Ringfinger – der rechten Hand auf eine bestimmte Weise zusammenzulegen. Das war das göttliche Zeichen des Seelenfriedens.

Mit diesen beiden zusammengelegten Fingern zeigte man im Orient dem Himmel seine Ergebenheit. Man berührte mit der Hand die Stirn, die Brust, die linke und dann die rechte Schulter. Mit dieser Bewegung baten die Angehörigen des Turkvolkes den Gott des Himmels um Schutz und Geborgenheit. (Der erste Christ, der sich bekreuzigte, war somit ebenfalls der Bischof Grigoris.)

Die Christen kannten nicht die Bekreuzigung, wie sie die Potenz des Kreuzes nicht kannten. Auch das übernahmen sie von den Kiptschak.

Grigoris erzählte ihnen von Christo, den er verehrte, von Europa und der Christenverfolgung. Und die Kiptschak glaubten ihm und nahmen an, Christus sei ein Sohn des Gottes des Himmels. Denn sie kannten auch andere Söhne von Tengri, namentlich den Propheten des Turkvolkes Gesser. Ihm galt ein Gebet, das sich durch seinen lakonischen Charakter und die ungewöhnliche Treffsicherheit des Ausdrucks auszeichnet.

„Wir haben dir Gesser gegeben, so bete zu Gott“, hieß es in Tengris Geboten. (Heute lassen sie sich in der 108. Sure des Korans wieder finden.) Sie bleiben im Orient unvergessen, wenn sich auch dort nicht mehr alle an den Sinn des Wortes „Gesser“ (Kaussar, Kewser) erinnern.

Lange lernte Grigoris die Geheimnisse des Gottesdienstes. Man half ihm, in Derbent eine christliche Kirche einzurichten. (Später wurde sie Albanische Kirche genannt, nach dem Namen eines Landes, das sich im Kaukasus herausbildete, nämlich Kaukasisch-Albaniens, und die Stadt Gesser war wohl eine seiner Städte.)

Aber die erste neue christliche Kirche Europas entstand in Armenien. Das geschah im Jahre 301. Dort erkannte man Tengri und sein Kreuz an. Die Armenier übernahmen von den Kiptschak das Ritual des Gottesdienstes. (Die Christen hatten nicht einmal ihr eigenes Ritual gehabt und nach den Regeln des judäischen Glaubens, in einer Synagoge gebeten.)

Die Armenier gaben als Erste die alten Regeln auf. Das löste in Rom Entrüstung aus, und Kaiser Diokletian begann mit der Christenverfolgung.

Aber die Verfolgungen, Hinrichtungen und Verbannungen flößten keine Angst mehr ein. Die Zahl der Anhänger des neuen Glaubens stieg nur noch. Die Samen der turkischen geistlichen Kultur gingen selbst auf dem steinigen Boden des heidnischen Rom auf. Denn niemand auf Erden ist so stark wie der Gott des Himmels.

Die Völker des Römischen Reiches sprachen furchtlos von der Ohnmacht der alten Götter. Alle wandten sich offen von Jupiter ab, zerstörten die Skulpturen Merkurs und die Darstellungen von Idolen.

„Was Tengri vorgeschrieben hat, ist nicht zu vermeiden!“

Endlich begriff man das auch in Rom. Kaiser Diokletian äußerte sogar den Wunsch, das neue Christentum anzunehmen, bekam aber dann Angst. In seiner Verzweiflung gab er seinen Thron auf und verließ den Palast. Mit einem Mal sah der weise Politiker, dass er gegen das Turkvolk verloren hatte.

Und das, ohne auch nur einen Kampf mit ihnen ausgefochten zu haben!

In eben jenem Augenblick brach das einheitliche Römische Reich zusammen. Ohne Kriege noch Katastrophen. Das Reich hatte den Glauben an sich verloren, und das ist die größte Sünde auf der Welt.

 

Das Kreuz über Europas Kirchen

Armenien, Kaukasisch-Albanien, dann Iberien (heutiges Georgien), Syrien und Ägypten luden die Kiptschak um die Wette ein: Die Große Völkerwanderung fand hier ihre Fortsetzung. Richtiger wäre sie in dieser Phase schon Große Kulturwanderung zu nennen.

In all diesen Ländern wurde das Tengri-Kreuz und mit ihm auch die geistliche turkische Kultur anerkannt. Das neue Christentum (nach turkischem Muster!) gab ihnen volle Freiheit von der Macht Roms.

Für diese Länder begründeten die Kiptschak in Derbent den Patriarchenstuhl. Das war eine Art geistliche Schule für den Westen und somit ein Markstein. Man kam hierher (wie einst nach dem Altai oder ins Kuschanreich), um Erfahrungen zu übernehmen. Hier lernten die ersten christlichen Geistlichen, sie erfuhren von den Riten und Regeln des Gottesdienstes und wurden in die Glaubensgeheimnisse eingeweiht; auch Prediger wurden hier ausgebildet.

Wie sonst hätten die Europäer vom Gott des Himmels erfahren können? Der Kaukasus blieb noch lange Europas Aufklärungszentrum.

In Derbent wurde die erste christliche Kirche der Welt gebaut. Sie glich den turkischen Tempeln insofern, als die Gläubigen auch die Kirche nicht betreten durften. Tausende Menschen aus den ehemaligen römischen Kolonien strebten dieser geistlichen Quelle zu.

Das Gebäude jener Kirche hat sich erhalten. Die Archäologen haben es bei den Ausgrabungen einer Festung völlig zufällig entdeckt. Niemand war hier auf einen so wertvollen Fund gefasst. Zuerst begriff man nicht, was da zu Tage kam, und glaubte, das sei ein Getreidespeicher. Erst nach der Freilegung des Raums wurde klar, dass es sich um eine altertümliche Kirche handelte. Sie war ganz, bis zur Kuppel, in der Erde eingesunken. Aber nach so vielen Jahrhunderten hat Gott es trotzdem bewahrt.

Die turkischen Tempel bildeten im Grundriss ein gleichseitiges Kreuz. Die Kirche in Derbent zeigt ebendiese Bauweise. Sie ist nicht groß, hat Ziegelmauern und unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht von den Tempeln der Steppenbewohner.

Genau solche Kirchen kamen auch in Armenien, Iberien und bei den anderen Verbündeten der Steppenbewohner auf. Von ihrer turkischen Herkunft zeugen auch Zeichen, die die Erbauer in die Mauern der Tempel einmeißelten. Lange zerbrachen sich die Wissenschaftler den Kopf darüber, was das für Zeichen sind.

Letztendlich erwies sich, dass alles recht einfach war. Es handelte sich um Tamgas, eine Art Wappen, die alle turkischen Geschlechter (Tuchums) besaßen. (Die Tamgas bildeten übrigens den Beginn der europäischen Heraldik, dieser ausdrucksvollen Wissenschaft, die sich mit Wappen, anderen Symbolen und Genealogie befasst.)

Die Inschriften an den Mauern der alten Tempel, die jahrhundertelang stumm gewesen waren, gaben ihr Schweigen auf, als ihre Herkunft festgestellt wurde.

In Armenien z. B. fanden die Wissenschaftler folgende Inschrift: „Nimm diese Gabe an die Mönchsgemeinschaft an.“ Daneben standen die Anfangsbuchstaben der Namen von Donatoren. Diese in der altertümlichen Turksprache eingemeißelten Worte sind beinahe 1700 Jahre alt.

Solche Gaben erhielt das armenische Volk von den Kiptschak anlässlich der Annahme des neuen Glaubens. Ein kurzer, aber höchst inhaltsreicher Satz, er kündet von einem ganzen Kapitel in der Geschichte der Völker.

In einer anderen Kirche (neben der Kapelle Watschagans III.) schnitt die Hand des altertümlichen Meisters einen Reiter in der Kleidung eines Geistlichen aus. Er sitzt wie ein Angehöriger des Turkvolkes im Sattel, seine Füße hängen frei, ohne Steigbügel.

Ein weiteres Rätsel der Geschichte? Mitnichten.

Nur auf diese Weise reisten die Geistlichen in der Steppe. Steigbügel kamen ihnen nicht zu, sie waren Zubehör eines Kriegers.

… Es war ein feierlicher Tag in Armenien, als sich am 10. November des Jahres 326 das Tengri-Kreuz über den ersten Kirchen Europas erhob. Das armenische Volk hat sich seinen Glauben und sein erlösendes Kreuz bis heute bewahrt.

Das Fest der Kreuzerhöhung wurde in Armenien schon immer sehr feierlich begangen, denn das war ein Wendepunkt in seiner Geschichte. Das Oberhaupt der Armenischen Kirche Grigorij der Aufklärer wird zu Recht ein Gerechter Gottes genannt: Er war es, der seinem Enkel und damit seinem Volk den Weg zum Turkvolk gewiesen hatte.

Grigorij verließ Derbent in einem Herrscherwagen und in Begleitung eines Reiterzuges. Er führte das größte Heiligtum der turkischen Welt mit sich: das gleichseitige Kreuz, das Zeichen eines neuen Europas.

Das Turkvolk erwies dem Oberhaupt der Armenischen Kirche eine sehr hohe Ehre, indem es ihn zu einem „Kathyliken“, d. h. einem „Verbündeten“ oder „Eingeweihten“, erklärte. Seitdem, seit vielen Jahrhunderten heißt das Oberhaupt der Armenischen Kirche der Katholikos aller Armenier (die griechische Endung „-os“ kam später hinzu).

Die christlichen Gemeinden von Syrien, Ägypten und Byzanz knieten vor ihm, einem Gerechten Gottes, dem ersten wahren Seelenhirten der christlichen Welt, nieder. Das Ansehen Armeniens wuchs in jenen Jahren unaufhaltsam.

Dank den Armeniern traten in der Kultur Europas und des Mittelmeergebietes viele Veränderungen ein. Der Westen wurde der Schätze der turkischen Welt teilhaftig. Seitdem strahlen unauslöschlich die Worte: „Aus dem Osten kommt Licht.“ Sie haben einen sehr tiefen Sinn.

Wahrhaftig, Licht kam aus dem Osten.

Vom Osten selbst wusste Europa indes so gut wie nichts. Seine Kontakte mit der turkischen Welt waren selten. Das nutzten die Römer aus, um die Kiptschak zu Bösewichten, schrecklichen und wilden Barbaren zu stempeln, den Menschen Angst vor ihnen einzujagen und so die eigene Herrschaft zu verlängern. Leider gelang ihnen das in nicht geringem Maße.

Es lebte jedoch ein einziger Europäer, der die Wahrheit vom Turkvolk und seiner Kultur wusste, und das war Bischof Grigoris. Er lebte in Derbent, zelebrierte den Gottesdienst im Namen des Gottes des Himmels und hatte alles mit eigenen Augen gesehen. Man verglich den jungen Mann mit einem Propheten und seinen aufrichtigen Dienst an der Kirche mit Gessers Großtaten. Auch die Europäer setzten Grigoris den Propheten gleich.

Gerade das missfiel den heimlichen Feinden des Gottes des Himmels, die sich in Rom eingeschanzt hatten. Die römischen Herrscher hatten Angst vor der Wahrheit von den Kiptschak, Angst vor ihrem Einfall in Europa. Und so griffen sie zu ihrer Lieblingswaffe: zur Verleumdung. Sie brachten in Erfahrung, dass Grigoris einem iranischen Adelsgeschlecht entstammte, und verbreiteten mit Hilfe von Iranern Lügen über ihn. Man beschuldigte ihn einer schweren Versündigung.

Ein tragischer Tag. Grigoris wusste nicht, wie er sich rechtfertigen sollte. Alles war gegen ihn. Und die Kiptschak lieferten ihn einem furchtbaren Tod aus. Er wurde in Derbent, auf einem Stadtplatz, hingerichtet. Man band den jungen Mann an den Schwanz eines wilden Pferdes, worauf die Richter das Urteil verkündeten.

Aber auch angesichts des Todes bat er nicht um Gnade. Er schwieg, weil er nichts zu bereuen hatte. Er sah nur zum Himmel und sagte leise: „Tengri salg-an namusdan katschmas!“ (Was Tengri vorgeschieben hat, ist nicht zu vermeiden.)

Bestürzt, begriffen die Richter nicht sofort, was geschehen war. Unterdessen raste das Pferd bereits entlang der Meeresküste dahin und hatte sich bereits viel zu weit entfernt.

Die Hinrichtung wurde als Opfer ausgelegt. Und so betete man zu Tengri, die Seele des Helden und unschuldigen Opfers möge die Kiptschak beschützen. Auch das war eine altertümliche Tradition aus dem Altai: den Schutz bei einem Helden zu suchen.

Seit jener Minute erhielt Bischof Grigoris den turksprachigen Namen Dshargan („unerschrocken bis zur Tollkühnheit“). Seinem Geist nach gehörte er nun zur turkischen Welt, waren doch auch die Kiptschak unerschrocken bis zur Verwegenheit. Die Steppenreiter nahmen ihn in ihre Gemeinde auf. Lange beteten sie darum, die Seele Dshargans möge sich in einem neugeborenen Knaben des Turkvolkes verkörpern und dessen Welt niemals verlassen.

(Bemerkt sei, dass das Turkvolk dem Namenwechsel, ebenso wie der Seelenwanderung, schon im tiefen Altertum viel Bedeutung beimaß: Der Namenwechsel bedeutete das Ende des alten und den Beginn eines neuen Lebens.)

Dshargan wurde mit vielen Ehren, als nationaler Held des Turkvolkes, begraben. Man beerdigte ihn auf dem Gipfel des in der Umgebung von Derbent höchsten Berges und baute am Grab eine kleine Kapelle. Am Hinrichtungsort wurde eine Kirche aufgeführt.

Am neunten Tag nach dem Begräbnis geschah ein Wunder. Neben dem Grab sprudelte plötzlich eine Quelle hervor. Heilsames Wasser drang aus der Tiefe, auf dem Gipfel des Berges, der früher nie Quellen gekannt hatte. Pilger wanderten zum heiligen Grab, selbst solche aus fernen Landen.

Bald entstand dort eine Siedlung, in der Wachen des heiligen Ortes lebten. Von Generation zu Generation wahrten sie das Geheimnis dieses Ortes. Sie haben auch die Quelle mit dem heilsamen Wasser erhalten, und nach wie vor kommen Menschen her.

 

Das Turkvolk und Byzanz

Verschiedene Völker bewahren die Geschichte im Gedächtnis unterschiedlich. Am häufigsten nahmen Ereignisse die Form von Sagen und Legenden, Dichtungen und Bylinen an, die dann mündlich überliefert wurden.

Selbst wenn ein Volk etwas vergaß, war es nicht das Wichtigste, es wusste um seine frühere Geschichte, weil in seinem Gedächnits Informationen fortlebten. Für die heutige Wissenschaft ist es durchaus möglich, eine in einer Sage verborgene Information zu entschlüsseln.

Folglich ist die Kultur neben allem anderen auch ein Gefäß des Gedächtnisses eines Volkes. Ohne Kultur gibt es kein Volk, keine Vergangenheit. Sagen, Legenden und Dichtungen entstanden nicht etwa aus Langerweile oder im Müßiggang, vielmehr hatten sie einen tiefen Sinn. Durch eine unsichtbare Verknotung war mit jeder Zeile ein Geheimnis verbunden.

Gerade das zeichnet die turkischen Sagen aus: kunstvoll verschlungene Worte, bis ins Kleinste durchdachte Gestalten und Bilder und unbedingt ein Geheimnis, genauer: ein tiefer Sinn, der zwischen den Zeilen zu lesen war.

Das Turkvolk bewahrte jeden seiner sagenhaften Helden wie eine teure Perle. Name, Kleidung, Waffen – alles war von Sinn erfüllt, alles war absolut nicht zufällig. Fahrende Sänger hatten Dutzende Sagen im Gedächtnis, und wenn einer von ihnen den Namen einer Figur oder ein Detail der Erzählung vergaß, hatte er kein Recht mehr, die Sage zu erzählen.

Die Geschichte, die sich an den Mauern von Derbent abgespielt hatte, vergaß das Turkvolk natürlich nicht. Die Aserbaidschaner, Kumyken und Tataren erzählen sich bis heute noch, dass es eine Stadt im Osten gab, die die Riesenschlange namens Adsharcha heimzusuchen pflegte. Sie ergriff Besitz von der Wasserquelle und forderte junge Mädchen als Opfer. Doch die Tochter des Herrschers wurde von einem Krieger gerettet. Er besiegte die Schlange nicht mit Waffen, sondern mit Gebeten. Alle sahen: Das Wort, das er aussprach, war stärker als ein Schwert, denn dieses Wort war „Bog“ (Gott).

Im Laufe der Jahrhunderte erfuhr die Sage kleine Änderungen. Dieses oder jenes Detail wurde abgewandelt, etwas auf eine andere Weise erzählt, der Krieger bekam hin und wieder einen neuen Namen: Man nannte ihn Hysr oder Hysr-Iljas, Keder oder Kederles, Dshirdshis. Doch immer blieb er der ewig junge Bewacher der Quelle des Lebens.

Auch in Europa war die Sage seit unvordenklichen Zeiten bekannt. Dort nannte man den Krieger den heiligen Georgios (oder Georg, Jegori, Juri, Jiři – die Zahl der Varianten geht in die Dutzende). Das darf eigentlich nicht wundernehmen.

Der heilige Georgios, Hysr, Keder und Dshargan waren im Leben ein und dieselbe Person. Doch wegen einiger (religiöser, politischer) Gründe wurde er in viele Figuren gespalten, man machte mehrere Menschen aus ihm. Solche Beispiele sind in der Geschichte der Völker keine Seltenheit, Politiker mischten sich oft in die Kultur ein, und das ohne den geringsten Skrupel. Im Übrigen sind auch gegenteilige Beispiele bekannt, da mehrere Menschen – ebenfalls zum Nutzen von Politikern – in den Sagen zu einer Person „vereinigt“ wurden. Wie beispielsweise Khan Aktasch.

Die turkische Dshargan-Sage wurde in Rom nicht anerkannt. Anders konnte es auch nicht sein. Die römischen Bischöfe hatten Angst, dass der Text der Legende das tiefste Geheimnis der Westlichen Kirche preisgebe. Und so verboten sie es im Jahre 494 den Christen, auch nur den Namen von Grigoris (Dshargan) zu erwähnen. Der turkische Heilige wurde umgedeutet, aus einem Märtyrer wurde ein Mörder: Man ließ ihn ein Pferd besteigen und ihn die Schlange, d. h. die Urmutter des Turkvolkes, töten. Die Sage wurde bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Eine solche Geschichte wurde dem heiligen Georg (Dshargan, Grigoris) angedichtet. In dieser Version ist sie auch heute bekannt.

All das wurde unternommen, damit niemand etwas von seiner wahren Großtat erfuhr: dass die Gestalt des Gottes im Himmel nach Europa vom Turkvolk gekommen war; dass dieses Volk am Ursprung der christlichen Kultur, die sich in Europa nach dem Verfall des Römischen Reiches durchsetzte, gestanden und den Niedergang von Rom bestimmt hatte!

Wie man sieht, wurde nicht die Sage verändert, vielmehr in böser Absicht die Geschichte des Turkvolkes entstellt. Das tat nicht etwa ein eingeschüchterter Mönch, der die Chronik abschrieb. Nein, das tat die Politik der Westlichen Kirche, die jahrhundertelang die Kiptschak verfolgte. Eine sehr schlaue Politik. Deshalb ist so wenig Wahres über Descht-i-Kiptschak und sein Volk bekannt.

Aber Fakten bleiben Fakten. Sie verändern sich nie, weil sie durch Logik zusammengehalten werden. Gerade die Logik (eine überaus ernste Wissenschaft von Beweisen) erlaubte es, so manches Ereignis zu rekonstruieren und den wirklichen Hergang aufzuspüren.

In Wirklichkeit geschah aber Folgendes. Im Jahre 311 tauchten griechische Christen in Derbent auf. Sie hatten böse Absichten und führten ein unerhört gemeines Verbrechen im Schilde, dessen Spuren bis heute verborgen werden.

Das ehemalige Römische Reich wurde damals von großer Verwirrung und Unzufriedenheit heimgesucht: Die frühere Macht war gefallen, eine neue nicht da. Sieben Anwärter kämpften um den Thron. Die Menschen sprachen offen von der Ohnmacht der alten römischen Götter. Kurzum, das Riesenreich zerfiel in ein Östliches und ein Westliches Reich. Und überall herrschte ein großes Chaos.

Die Griechen besannen sich als Erste unter den Europäern der uralten Regel der Politik: „Wes Gott herrscht, des ist die Macht.“ Sie gingen zu den Kiptschak, um ihnen hinterlistig den Gott des Himmels zu stehlen und so die Macht über Europa zu bekommen. Bis dahin hatte sich niemand so etwas einfallen lassen. Man kam zum Turkvolk sonst, um zu lernen und nicht, um ihnen etwas zu stehlen.

Einer der sieben Kaiser (oder doch erst Anwärter auf den Thron des ins Schwanken geratenen Römischen Reiches) war der Grieche Konstantin. Ebenso wie die Übrigen war er jedoch ein „nackter“ Kaiser, denn er hatte zwar den Titel, aber keine Armee und also auch keine Macht.

Über das mediterrane Gebiet herrschte Maxentius, ein wirklicher Kaiser. Seine Armee lag in Rom, und nichts schien ihr zu drohen. Plötzlich aber tauchten Reiter auf. Über ihnen wehten Kreuzfahnen (Labari), wie sie die Europäer früher nie gesehen hatten. Der Überfall war dreist und überraschend.

An der Mulvischen Brücke – an den Mauern des unbesiegbaren Rom! – wurden Maxentius’ Truppen im Jahre 312 aufs Haupt geschlagen, er selbst fand den Tod. Konstantin erklärte sich sofort zum Sieger. Er hatte nämlich ein Bündnis mit den Kiptschak geschlossen und mit ihren Händen das erreicht, was er wollte. Die turkischen Reiter gewannen die Schlacht, aber zugeschrieben wurde der Sieg den Griechen, die nicht einmal eine Armee hatten.

Die die Kräftegruppierung in Europa veränderte sich einschneidend zugunsten Konstantins. Die Zeit der Wirren war zu Ende.

Bemerkenswert ist, dass die Griechen 312 auch turkische Geistliche zu sich einluden, und diese beteten vor dem versammelten Volk zu dem Einen Gott (selbstverständlich taten sie das in der Turksprache). Sie beteten auf den Plätzen griechischer Städte, das hatte Licinius, Konstantins Rivale im Kampf um die Macht im Osten des Reiches, so verfügt.

Damals hörte man das Wort „Bog“ in Europa erstmalig, und man hörte es von Angehörigen des Turkvolkes. Das sind unauslöschliche Fakten der Weltgeschichte.

Die Menschen sahen im Sieg über Maxentius Gottes Willen. Unter der Kreuzfahne hatten die Kiptschak-Truppen mühelos die römische Armee geschlagen, und das wurde als ein Zeichen des Himmels aufgenommen. Ja, sagten alle, es sei wohl so: Wes Gott herrscht, des ist die Macht.

Konstantin, ein sehr geschickter Politiker, begriff sofort, dass es nun darum ging, sich den Glauben an den neuen Gott „anzueignen“, diesen Glauben und die Kiptschak zu seinen Verbündeten zu machen. Deshalb sprach er sich gleich Licinius für die Anerkennung des neuen Christentums aus, das damals im Kaukasus entstanden war. Das Bündnis mit den Kiptschak war für ihn höchst vorteilhaft.

Wenn die Geschichte von Wissenschaftlern geschrieben wird, gehen einige von ihnen auf Geheiß von Politikern daran, etwas zu negieren, anderes zu verschweigen oder zu verbergen. Als wüssten sie nicht, dass sich die Wahrheit nicht verbergen lässt. Sie kommt doch an den Tag. Die Griechen gingen den Weg der Verheimlichung der Wahrheit. Unter Konstantin nahmen sie den Glauben an Gott an, niemand bestreitet das. Aber sie übernahmen ihn von turkischen Geistlichen! Darüber schweigen die Geschichtsschreiber aus irgendeinem Grunde. Sie vergessen gleichsam, dass es damals keine anderen Lehrer und Träger des Glaubens an den Gott des Himmels gab als die Kiptschak:

Im Osten ging aus der turkischen Religion der Buddhismus, im Westen das neue Christentum hervor. Tengri offenbarte sich den Menschen auf verschiedene Weise, seine Anwesenheit war eine weitere Spur der Großen Völkerwanderung. Die Europäer erkannten den Gott und mit ihm auch die geistliche Kultur des Turkvolkes an. Das lässt sich nicht verheimlichen.

Ebenso wenig wie die Tatsache, dass Konstantin den Gott nicht anerkannte. Er blieb sein Leben lang ein Heide, der Oberpriester. Denn was ihn interessierte, war nicht der Glaube, sondern die Macht. Er ließ nichts unversucht, um die Kiptschak mit List auf seiner Seite zu behalten, damit sie ihm mit ihren Händen die Macht brachten.

Er zahlte großzügig für den Sieg über die Römer, geizte nicht mit Geschenken und Versprechungen, ihm war nichts zu schade, so sehr wünschte er, die turkischen Krieger möglichst lange in seinem Dienst zu haben. Und die Reiter blieben da! Es war, als hätten die Griechen sie verzaubert. Diese Verräter wurden später „Föderaten“ genannt (vom lat. foederatus, „Verbündeter“.)

Konstantin machte sich bei ihnen auf jede Weise beliebt. So führte er z. B. einen neuen Kalender ein und verlegte den arbeitsfreien Tag auf den Sonntag, wie das bei den Kiptschak üblich war. Er verpflichtete die Menschen, in die Kirche zu gehen und zum neuen Gott des Himmels zu beten.

Vor 325 hatten die Griechen wohlgemerkt nur zu Tengri gebetet sowie die turkischen heiligen Texte und Gebete gelesen.

Eine außerordentlich bedeutsame – und völlig in Vergessenheit geratene – Tatsache. Dabei bringt sie Licht in so manches dunkle Kapitel der Geschichte Europas. Die Münzen von Byzanz zeigten die Darstellung der Sonne, oder, richtiger, die gleichseitigen „Sonnenkreuze“, die Zeichen der Sonne. Konstantin selbst galt nur noch als „Anhänger des Sonnenkultes“. Warum eigentlich?

Mehr noch, die Turksprache bürgerte sich für lange Zeit in der byzantinischen Armee ein, so dass sie „Soldatensprache“ genannt wurde. Tausende Familien der Steppenbewohner siedelten zu den Griechen über. Sie bekamen die besten Ländereien, für ihre Übersiedlung wurde den Khans von Descht-i-Kiptschak mit Gold gezahlt. Sicherlich gehören diese Übersiedlungen ebenfalls zur Großen Völkerwanderung, sie bildeten deren Fortsetzung. Allerdings war diese Wanderung nicht freiwillig, eher doch ein Ankauf von Menschen gegen Gold.

Im Grunde schufen gerade die Kiptschak Byzanz, das berühmte Land im Osten Europas. Nach drei Generationen bildete sich dort die byzantinische Kultur heraus, eine bis heute viel bewunderte Frucht der Gemeinschaft von zwei Völkern. Nach Meinung von Fachleuten überwog darin doch der Orient.

Kein Wunder auch. In Europa wiederholte sich die Geschichte des Kuschanreiches – mit dem einzigen Unterschied, dass in Byzanz nicht ein Angehöriger des Turkvolkes, sondern ein Grieche herrschte. Doch das Verschmelzen von zwei Kulturen ist nicht zu leugnen. (Wie billig aber hatten sich die Griechen die Kiptschak erkauft, wie schlau sie überlistet!)

Nun hatte Konstantin keine Feinde mehr, er hatte die vertrauensseligen Kiptschak mit sicherer Hand für sich gewonnen. Deshalb war ihm nichts zu schade, um Freundschaft mit ihnen zu halten und sie auf seine Seite zu bringen. Sonst hätte niemand etwas von Byzanz gehört.

Im Jahre 324 gründete der Kaiser seine neue Hauptstadt Konstantinopel. Mit ihrem Aufbau betraute er turkische Meister, denn er wollte, dass sie die Stadt – den Römern zum Trotz – auf ihre eigene, orientalische Weise bauten und darin auch Tengri-Kirchen aufführten. Der schlaue Kaiser hatte an alles gedacht!

So entstand Byzanz.

 

Kaiser Konstantins Hinterlist

Die gestrige Kolonie Roms erstarkte von Jahr zu Jahr, dank den Kiptschak verwandelte sie sich rasch in ein blühendes Land. Das Bündnis mit ihnen gereichte ihm zum Vorteil. Die Griechen diktierten Ägypten, Palästina, Syrien und selbst Rom die eigenen Bedingungen. Doch Konstantin begnügte sich auch damit nicht mehr.

Im Jahre 325 versammelte er in der Stadt Nikäa alle christlichen Geistlichen. Das war das erste Konzil aller Geistlichen (ökumenisches Konzil), das später nach der Stadt Nikäisch genannt wurde.

Das Konzil hatte nur ein einziges Ziel, daraus wurde kein Hehl gemacht. Der Kaiser befahl dem Konzil, eine christliche Kirche zu errichten, aber bereits nicht nach turkischem Muster, sondern auf griechische Weise. Mit dieser Absicht hatte er sich jahrelang getragen, um dieses Zieles willen alles in Kauf genommen und vor nichts Halt gemacht.

In der Griechischen Kirche verschmolzen Tengri und Christus nach Konstantins Gedanken zu ein und derselben Person, zu dem Einen Gott. Die Griechen meinten, wenn sie sich den Namen Tengri aneigneten, würden sie auch seiner Kraft habhaft werden. Ebendazu brauchten sie das Nikäische Konzil und eine eigene Kirche.

Doch wenn sie Tengri ihrer Kirche einverleibten, vergriffen sie sich an den Gebeten, Riten und Tempeln des Turkvolkes. Im Grunde an seiner gesamten geistlichen Kultur. Was das Turkvolk in Jahrhunderten gesammelt und zusammengetragen hatte, ging nun an Byzanz und dessen Kirche über. Das war ein schweres Verbrechen am Turkvolk. Daher rührt das Streben, es totzuschweigen.

Beim Nikäischen Konzil verstand zuerst überhaupt niemand, was Kaiser Konstantin da eigentlich befohlen hatte. Als man das erkannte, löste das Empörung aus. Es war ja völlig absurd, ja lästerlich, Gott und einen Menschen miteinander verschmelzen zu lassen.

Als Erster setzte sich der ägyptische Bischof Arius für Tengri ein. Er sagte, man dürfe nicht einen Menschen Gott gleichsetzen, denn Gott sei der Geist, der Mensch aber bestehe aus Fleisch, sei also eine Schöpfung Gottes, die nur auf Gottes Willen zur Welt komme und sterbe.

Arius war ein hochgebildeter Mensch und sprach überzeugend. Die Bischöfe der Armenischen, der Albanischen, der Syrischen und anderer Kirchen begrüßten ihn. Keiner von ihnen negierte selbstverständlich Christus, doch niemand setzte ihn auch Gott gleich. Sie fürchteten die Strafe des Himmels.

Die Diskussion endete traurig. Kaiser Konstantin unterbrach sie grob und sagte, er erlaube es nicht, ihm zu widersprechen.

Aber die Bischöfe, die mit ihm nicht einverstanden waren, änderten ihre Meinung nicht. Sie fügten sich dem Befehl von Konstantin nicht und setzten Gott nicht Christo gleich. Anders gesagt, sie bewahrten den Glauben, den sie turkische Geistliche in Derbent gelehrt hatten, in Reinheit.

In den christlichen Kirchen Armeniens, Kaukasisch-Albaniens, Iberiens, Syriens, Ägyptens und Äthiopiens blieb Tengri der wahre Gott. Der einzige Gott, zu dem man betete. Er wurde auf Ikonen abgebildet, ihm wurden Tempel gewidmet.

Es ist erstaunlich, aber die turkischen Khans übersahen das Nikäische Konzil, als hätten sie in einer anderen Welt gelebt. Ihr Credo lautete: „Es gibt keinen Gott außer dem Einen Gott.“

Die Griechen konnten auch diesmal das durchsetzen, was sie wollten. Um sich wieder einmal zu rechtfertigen, erfanden sie das Neue Testament, ein Buch über die Taten Christi und seine Entstammung, wobei sie erklärten, sie hätten Aufzeichnungen von Christi Lehrlingen gefunden. Ihre Verlogenheit kannte keine Grenzen.

Wie hätten solche Aufzeichnungen gefunden werden können? Und wo? Wenn doch der Name Christus erst im 2. Jahrhundert (von den Griechen selbst!) erstmalig ausgesprochen wurde.

Für solche Fälle gilt die turkische Redewendung: Spuckt man in den Himmel, so trifft man das eigene Gesicht.

Im Übrigen gaben sich die Erdichter des Neuen Testaments nicht viel zu viel Mühe. Als die griechischen Redakteure von Gesser (Tengris Sohn) erfuhren, schrieben sie einen Teil seiner Taten Christus zu, und etwas entlehnten sie, ohne es zu verbergen, der Geschichte Buddhas. Auf diese Weise stellten Politiker, Menschen, die alles andere als religiös waren, das Hauptbuch des Christentums zusammen, und ebensolche Politiker schrieben es später immer wieder um. Mit dem wahren Glauben hatte das nichts zu tun.

Konstanin war eben ein Politiker, er wusste ausgezeichnet, was er tat, war bestens über alles unterrichtet und wählte eine sehr günstige Zeit für die Gründung seiner Kirche. Damals spitzten sich die Beziehungen zwischen den Kiptschak und den Alanen stark zu, und sie hatten wenig Zeit für die griechischen Novitäten.

„Wenn zwei einander befeinden, muss einer von ihnen sterben“, heißt es im Orient.

 

Die Schlacht um den Don

Der Orient lebte immer nach seinen eigenen Regeln. Dort hatte man stets die eigene Lebensauffassung, die eigenen Wertvorstellungen. Der Orient verzeiht eine Schuld, vergisst jedoch eine Beleidigung nie.

Die Feindschaft zwischen Alanen und Kiptschak wegen des Flusses Don dauerte lange. Sie legte sich auch nach Khan Aktasch nicht. Früher oder später musste der Streit doch ein Ende nehmen. Der Grund war nicht der Fluss, dieser lieferte nur den Vorwand.

Der Don bildete zu jener Zeit Europas Ostgrenze. Die Kiptschak kämpften um das Recht, den europäischen Boden zu betreten. Wer ihnen im Wege stand, waren nicht die Alanen, sondern immer noch die Griechen und Römer, die den Alanen insgeheim halfen und in den Angehörigen des Turkvolkes eindeutig nur Föderaten, d. h. abhängige Söldner, sehen wollten.

Das waren die geheimen Federn der Politik.

Es besteht die Meinung, dass das Wort „Don“ auf die Landkarte aus der Sprache der Alanen gekommen war (wenigstens behaupten das einige Wissenschaftler). Schon möglich. Bei den Alanen bedeutete es „Wasser“. Ebenfalls möglich. Bestehen andere Flüsse aber vielleicht aus Sand und Steinen?

Der Streit brach natürlich nicht wegen des Flusses und seines Namens aus. Die Kiptschak brauchten den Zugang zum Don, zu den Steppen Europas, sie benötigten neue Territorien, weil ihre Bevölkerung zunahm, und das sehr schnell. Das reiche Leben in ihren Städten und Stanizas wirkte sich auf die Bevölkerungszahl aus: Geachtet wurden große Sippen und reiche oder doch wohlhabende Familien und Häuser.

„Vier Kinder machen noch keine Familie aus“, sagten die Kiptschak. Nach dem fünften (oder siebenten!) Kind genoss ein Mann Achtung in der Gesellschaft. Am besten war, wenn es lauter Knaben waren.

Nach einer Tradition, die sich damals bei den Steppenbewohnern herausbildete, blieb der jüngste Sohn im Haus seines Vaters, um die betagten Eltern zu stützen. Die älteren Kinder zogen in neue Lande aus oder traten den Dienst in der Armee an.

Sehr weise Gesetze bestanden in Descht-i-Kiptschak: Das Land lebte um seiner Kinder willen, sorgte für sie. Man pflegte die Kinder auf jede Weise, damit sie später ihre Eltern pflegen konnten.

Falls eine Familie aus welchen Gründen auch immer nur einen Sohn hatte, trug er einen Ohrring. In der Armee sah der Kommandeur beim Kommando „Richt euch!“ den Ohrring und wusste, dass er diesem jungen Mann keine gefährlichen Aufträge erteilen durfte. Wer der letzte Mann in seiner Familie war, trug zwei Ohrringe. Um die Familie (den Stamm) zu erhalten, sorgte man ganz besonders dafür, dass er am Leben blieb.

Zur Armee gingen alle Männer, dieser Dienst war für sie Pflicht, eine Ehrenpflicht. Ausnahmen gab es nicht. Falls ein junger Mann die Armee nicht durchgemacht hatte, durfte er nicht heiraten. Junge Mädchen beachteten einen solchen Jüngling nicht. Und so gaben sich die Jungen die größte Mühe, um sich auszuzeichnen. Die Armee war ein starker Stimulus im Leben der Gesellschaft, sie wurde von allen geachtet.

Vor dem Armeedienst bekam ein Junge einen Fohlen, den er pflegte, und so kam er mit eigenem Pferd und eigenen Waffen zur Armee. Er war bereits nicht schlecht auf das Leben auf Märschen vorbereitet und konnte vieles. Auch das war eine Tradition: Ein Junge hatte stets zu arbeiten, für Müßiggang blieb ihm keine Zeit. Den Tag über half er den Eltern im Haus oder auf dem Feld, oder er trainierte mit seinen Altersgenossen. So, in Mühe und Arbeit, erkannte er die Regeln des Lebens in der Steppe. Anders waren sie nicht zu lernen.

Die Kiptschak waren geborene Reiter. Niemand in der Welt saß besser im Sattel als sie. Das Pferd war das zweite Ich eines Angehörigen des Turkvolkes, und das galt sowohl für Männer als auch für Frauen. Es gibt kein reineres, kein edleres Tier auf der Erde als das Pferd. Sie waren anerkannte Meister im Umgang mit dem Pferd.

Verwegene junge Männer erfreuten die Alten, die schon vieles erlebt und gesehen hatten. Das Kunstreiten stand beim Turkvolk immer hoch in Ehren. Pferd und Mensch verschmolzen zu einem Ganzen. Nur derjenige, in dem das Blut des Turkvolkes nicht erkaltet ist, weiß diese Hervorbringung der Großen Steppe nach Gebühr zu schätzen. Die Kiptschak konnten sich Fest- und Wochentage ohne Rennen, ohne Wettbewerbe im Reiten nicht denken. Kein Wunder, dass das Reiterheer für immer die Hauptstoßkraft von Descht-i-Kiptschak blieb.

Aber für einen Krieg gegen die Alanen reichte das nicht.

Die Alanen zeigten sich in der Kampfkunst überlegen. Besonderen Wert legten sie auf den Gefechtsaufbau. Sie stellten sich zu einem Kampfquadrat auf und sicherten sich nahtlos mit ihren Kupferschilden ab, hinter denen ihre langen Lanzen hervorstachen. Jede Annäherung war schwer. Kurze Schwerter und leichte Pfeilbögen in den Händen der alanischen Krieger hielten alle zurück.

Da halfen den Reitern ihre Säbel wenig. In der Kriegskunst waren die Alanen damals sowohl den Römern als auch dem Turkvolk überlegen. Trotzdem fanden die Kiptschak heraus, wie ihnen beizukommen war. Lange hatten sie gesucht – und den Ausweg gefunden. Sie erfanden den schweren Pfeilbogen (er ist in die Geschichte der Waffen als „schwerer Pfeilbogen turkischen Typs“ eingegangen).

Nicht jeder junger Mann konnte einen solchen anderthalb Meter langen Bogen spannen, nicht jeder war imstande, aus ihm einen Pfeil mit schwerer Eisenspitze abzuschießen.

Noch früher waren bei den Kiptschak heulende Pfeile in Gebrauch gekommen, das war eine ebenfalls glückliche militärische Erfindung. Im Flug heulte der Pfeil erschreckend, als verkündete er ein Unheil, als flöge da ein böser Dämon daher.

Es gab wohl auch andere Erfindungen und Neuheiten. Leider ist die Militärgeschichte jener Zeit von Wissenschaftlern noch wenig erforscht.

Das Jahr 370, ein historisches Jahr, brach an. Khan Balamir zog aus, um sich dem Don zu nähern. Er hatte ernste Argumente für eine ernste Auseinandersetzung. Die Alanen wussten nichts von den neuen Erfindungen der turkischen Waffenschmiede, stellten sich wie immer zu ihrem Kampfquadrat auf und erstarrten in Erwartung des Angriffs. Die Hornisten spielten das schicksalsträchtige Signal zum Angriff, und der Sturm war nun unvermeidbar.

Diesmal hatten es die Kiptschak jedoch nicht eilig mit einem Angriff. Khan Balamir küsste die Fahne, sprach mit fester Stimme die Worte des Eides und segnete die Truppen nach alter turkischer Tradition mit dem Tengri-Zeichen, dem Kreuz. Erst dann unternahmen sie eine Annäherung an den Gegner.

Vor seinen Reihen machten die Krieger Halt. Ein Kampflied wurde angestimmt. Die Bogenschützen traten vor. Eine Salve von pfeifenden Pfeilen versetzte den Gegner in Schrecken. Es war, als heulten böse Geister über den Köpfen der Alanen, als hätten Hexen ein Unglück heraufbeschworen. Die Armee geriet in Unruhe. Doch das war erst eine Nervenattacke. Allerdings gelang sie aufs Beste.

Für die Fortsetzung sorgten die Recken von Bogenschützen. Ihre schweren Pfeile waren tödlich. Die Kupferpanzer schützten die Alanen nicht mehr als eine Eierschale: Die turkischen Pfeile durchschlugen sie ohne weiteres. In die Kampfreihen wurde Verwirrung getragen, eine Panik brach unter ihnen aus. Erst dann nahm der Kampf den erwünschten Verlauf an. Die Säbel pfiffen durch die Luft, schlugen und schlugen nieder, unermüdlich. Schon war das Don-Wasser blutrot und der Boden mit Leichen bedeckt. Aber die Säbel wurden immer noch geschwungen.

Die Kiptschak gingen aus der Schlacht als Sieger hervor. Zwei Jahre lang kehrten sie nicht zum blutroten Don zurück; die Erde brauchte Zeit, um sich zu erholen.

Erst im Jahre 372 trafen hier die ersten Kibitkas (Zelte) der Aufklärer ein. Diesmal kamen sie, um den Ort für Städte und Stanizas zu wählen. Archäologen haben es genau festgestellt: Fast alle alten Städte am Don wurden gerade damals angelegt, und zwar von den Kiptschak.

So setzte sich der Name „Don“ für den Fluss Tanais durch. Anders hieß er Ana-Don (Mutter Don), so nannten ihn bisweilen die Kumyken.

„Don“ ist ein Wort der Turksprache und bedeutete in alten Zeiten so viel wie „hügelige Gegend“. Man vergleiche: Im Alten Altai gab es einen Don-Terek, einen Don-Chotan und noch andere ähnliche Namen. Folglich hatte das Turkvolk das Wort gekannt und gebraucht. Der Name betonte, dass ein Fluss nicht durch eine flache Steppe, sondern durch eine mit Erhöhungen und Hügeln floss.

Davon eben spricht dieser kurze, aber ausdrucksvolle Name.

 

Das Turkvolk in Europa

Die Steppensiedlungen entstanden in einer immer größeren Entfernung vom Altai. Die Grenze des unübersehbaren Landes verschob sich immer weiter westwärts. Seinen Riesenausmaßen nach hatte das Land bereits nicht seinesgleichen in der Welt.

Das Römische Reich besaß in seinen besten Zeiten nicht einmal ein Viertel des Territoriums, das auf Descht-i-Kiptschak entfiel. Byzanz hält da überhaupt keinen Vergleich aus, sein Territorium war nicht größer als ein oder zwei Jurts (Bezirke) der Großmacht in der Steppe.

Acht Monate nahm die Reise von der West- bis zur Ostgrenze der Großen Steppe, von Zentraleuropa bis zum Strom Ilin in Anspruch.

Die Kiptschak machten das „Niemandsland“ bewohnbar, dadurch wuchs ihr Territorium. Natürlich bedurfte das großer Anstrengungen. Die Menschen hatten stets gegen die Unwegsamkeit, den grimmig kalten Winter, die Dürren, die Überschwemmungen im Frühjahr zu kämpfen. Trotzdem zogen sie immer weiter und hinterließen Städte und Dörfer, Straßen und Übersetzstellen, Ackerböden, Gärten, Kanäle und Weiden.

Es gehörte viel Arbeit dazu, die unbewohnten Ländereien zu erschließen. Jedesmal musste man beim Nullpunkt anfangen, damit da Straßen, Übersetzstellen, Stanizas, Ackerland und Städte entstanden. Und so ging das von Jahr zu Jahr und nahm das Leben von Generationen in Anspruch.

Gewiss gab es Zusammenstöße mit dem Gegner, aber so große Schlachten wie die um den Don nicht mehr. In Europa war die Stärke der Kiptschak schon bekannt: Die Kunde davon eilte ihren Truppen voraus.

Säbel und Pflug, Schlachtross und Schafherde, Krieger und Hirt … All das gehörte zum Wappen der Großen Völkerwanderung, all das waren ihre Symbole. Hinzu kamen Bauarbeiter, Handwerker, Schmied, Waffenschmied, Weber, selbst Winzer und Bäcker. Nur wer all das meisterlich beherrschte, war imstande, das unwohnliche Land für die Menschen zu erschließen.

Die Kiptschak verstanden sich auf all diese Tätigkeiten. Die Große Völkerwanderung war nicht Eroberung anderer Länder und Völker, sie war vielmehr Schaffung eines eigenen, neuen Landes. Nicht heidnische Tataren und nicht kriegerische Nomaden erschlossen die Steppe, wie das manchmal geschrieben wird; es waren vielmehr Menschen, die fleißig arbeiten konnten.

Am Steilufer der Desna begründeten die Kiptschak im 5. Jahrhundert die Stadt Birintschi (später Brjanetschsk), was in der Turksprache „die Erste“, „die Wichtigste“ bedeutet, und sie wurde später zur Hauptstadt von Descht-i-Kiptschak, zu einer der einflussreichsten Städte Europas.

Der Ort war gut ausgewählt. Hier grenzte die Steppe an den Wald und die turkische Welt an Nordeuropa. Gegenwärtig heißt die Stadt Brjansk. Über ihre Vergangenheit wird Schweigen bewahrt. Nur die örtlichen Archäologen wundern sich über Funde, die wenigstens anderthalbtausend Jahre alt sind. Doch niemand vermag die Herkunft dieser „seltsamen“ Funde zu erklären. Die Stadteinwohner wissen nichts von sich selbst und ihrer Stadt. Sie sehen die Ziegel und Fundamente altertümlicher Gebäude, in der Erde finden sie Scherben von Tongeschirr, ab und zu Goldgegenstände und wundern sich – mit Recht. Vor tausend Jahren klang hier die Rede ihrer Ahnen, aber an sie erinnern sie sich nicht mehr. Die altertümliche Stadt hat jetzt keine Geschichte, auf Geheiß Peters I. wurde sie vergessen oder, richtiger, gelöscht.

Dabei spielte Birintschi in der turkischen Welt eine sehr wichtige Rolle. Hier lebten der Obergeistliche und die „weißen Wanderer“ (so nannten die Kiptschak ihre Prediger). Birintschi war die geistliche Hauptstadt der Großen Steppe, ein heiliger Ort.

Bedeutend war sie auch wegen reicher Eisenerzvorkommen. Deshalb hieß sie auch die Hauptstadt, während ringsum einfach Städte lagen, zahlreiche größere und kleinere Städte.

Zur Zeit der Großen Völkerwanderung wurde z. B. die Stadt Tolu (heute Tula) angelegt: eine Stadt der Handwerker, Metallwerker, Waffenschmiede und anderer Leute mit geschickten Händen. „Tolu“ stammt vom Wort der Turksprache „tolum“, Waffe. Leider lebt auch diese Stadt heute ohne Vergangenheit, gleichsam schlafend, dahin. Auch diese Vergangenheit wurde abgeschnitten, wie die ganze alte Geschichte der Großen Steppe und des Turkvolkes abgeschnitten wurde.

Ebenso traurig ist das Schicksal des alten Kurssyk (heute Kursk). Was war das für eine Stadt? Womit befassten sich ihre Einwohner? Die Toponymik erklärt das eindeutig: In der Turksprache bedeutete der Name „zum Kampf bereit“. Diese turksprachige Bedeutung weist darauf hin, dass die Stadt eine Art Vorposten und Befestigung war.

Auch Karatschew war eine Stadt, die erwachte, sobald das Wecken geblasen wurde. Diese Städte der Krieger bewachten die fernen und nahen Zugänge zu Birintschi. Andere Städte lebten von ihrem Gewerbe, von ihren Werkstätten: Kipensaj (heute Pensa), Buruninesh (Woronesh), Schapaschkar (Tscheboksary), Tscheljaba (Tscheljabinsk), Bulgar; ihre Zahl ging in die Dutzende.

Die Städte von Descht-i-Kiptschak waren durch Straßen und Poststationen miteinander verbunden.

In jenen fernen Zeiten entstand auch die Stadt Baltawar (heute Poltawa), berühmt für ihren Handel. Dort wurden reiche Messen und Jahrmärkte abgehalten, zu denen Kaufleute selbst aus fernen Ländern kamen. Das bestätigt auch der Name der Stadt, „wohlhabend“ in der Turksprache. Natürlich war das nicht die einzige Handelsstadt in Descht-i-Kiptschak.

Am Unterlauf des Don legte Khan Kobjak eine Stadt auf einem hohen Hügel an. Sie wird bis heute Kobjakowo Gorodischtsche genannt. In der Nähe befand sich die Stadt Aksai. Dort lebten Wachen, die die Zugänge zum Don beschützten. Die Kiptschak bauten am Unterlauf jedes großen Flusses eine Festungsstadt.

Ihre Städte zeugten von kluger Umsicht. Auf den ersten Blick waren sie einfach angelegt, unscheinbar, dafür aber genau nach Vierteln geplant und hatten breite Straßen. Gebaut wurden sie nach den Regeln der turkischen Architektur, d. h. auf Ziegelfundamenten und unbedingt mit einem Maidan (Zentralplatz), auf dem die Einwohner ihre Versammlungen abhielten.

Nach Fundamenten urteilen die Archäologen über altertümliche Gebäude und ihr Aussehen. Wie sich herausstellt, waren das ingenieurmäßig recht komplizierte Bauwerke. Die Erbauer arbeiteten nach genauen Berechnungen. Gab es unter den „Nomaden“ also Ingenieure, Mathematiker und Projektierer? Oder besaß ein einziger Mensch all die nötigen Kenntnisse? Erstaunlich.

Unter einer Stadt wurden unterirdische Gänge und riesige Säle für die Verwahrung von Nahrungsmittelvorräten angelegt. Bei einem überraschenden Überfall stiegen die Stadteinwohner in die unterirdischen Räume, um vor dem Gegner sicher zu sein. Die Stadt lag dann wie ausgestorben da. Nichts verriet die Anwesenheit der Menschen.

Die Archäologen waren verblüfft, als sie entdeckten, dass unter einer Stadt gleichsam eine andere, unterirdische Stadt lag. Nicht weniger erstaunlich sind die Ziegelgewölbe der Säle, die wohldurchdachte Anlage von Galerien, in denen Reiter unbehindert aneinander vorbeireiten konnten. Ferner gab es dort Wasserversorgung und Belüftung.

Wie kamen so kunstvolle Bauwerke zustande? Unbegreiflich. Aber die Kiptschak bauten eine Zeitlang gerade solche zweistufigen Städte. Manche ihrer Städte umgaben sie mit einem Pfahlzaun oder einer Ziegelmauer. Das war ebenfalls Schutz, wenn auch von einer anderen Beschaffenheit.

Eine Wasserleitung unter dem Steinpflaster war keine Seltenheit. Für sie verlegte man Tonrohre.

Für künftige Städte wählte man eine schöne und günstige Gegend. Aksai z.B. bietet einen einzigartigen Ausblick: auf den Don, die Steppe und den bis zum Horizont reichenden Himmel.

Vom Don zogen sich neue Straßen zu einem Fluss, der bei den Griechen Borysthen hieß. Heute ist dieser Strom als Dnepr bekannt.

Was bedeutet das Wort „Dnepr“? Die Meinungen darüber gehen auseinander. Es kommt jedoch nicht darauf an. Interessanter ist etwas anderes: Den großen europäischen Flüssen gaben die Kiptschak Namen, die mit „Don“ anfingen. Warum? Donepr, Donestr, Donai. Eine ausgesprochene Codeschrift. Was bedeutete sie? Die Wissenschaftler haben keine Erklärung dafür gefunden. Zuerst beschlossen sie, dass es sich um einen Zufall handele. Dem war jedoch nicht so. Die Erklärung ist wiederum in den Hügeln und Erhöhungen, an denen diese Flüsse vorbeifließen, und in der turkischen Tradition zu suchen. (Neue Länder zu entdecken, ist für uns keine gewohnte Sache mehr, und geografische Namen zu geben, überhaupt eine vergessene Beschäftigung.)

Die Kiptschak hatten ihre Aufklärungstrupps, diese sahen sich die Steppe genauer an: Waren dort Weideplätze vorhanden, konnte man dort Ackerbau treiben oder Siedlungen anlegen? Und sie waren es, die die Namen gaben. Aber wie? Das wissen wir nicht.

Vorsichtig ritten die Aufklärer durch die unbewohnte Steppe. Ebenso vorsichtig folgten ihnen die Übersiedler. Zweihundert Jahre lang bewegte sich die Avantgarde des Turkvolkes vom Altai fort, bis sie Europa erreichte.

Die Alpen (genauer: ganz Europa auf einmal) zu sehen – diese Ehre wurde dem großen Anführer des Turkvolkes Attila, dem ewigen Helden der Großen Steppe, zuteil.

 

Das heuchlerische Rom

Trotz ihrer ruhigen und friedfertigen Art versetzten die Kiptschak die römischen Herrscher in Schrecken. Man fürchtete die selbstbewussten Reiter, deshalb wurden heimlich Spione ausgeschickt, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit den Kiptschak Schaden zuzufügen suchten. Doch nach außen hin sah alles durchaus anständig aus.

So äußerten sich die Griechen schmeichelhaft über die Kiptschak; seit dem Jahr 312 zahlten sie Descht-i-Kiptschak freiwillig einen Tribut. (Wie sollten sie nicht schmeicheln, nicht zu Diensten sein und nicht zahlen, wo doch in ihrer Armee Kiptschak dienten, ihre Städte von Kiptschak gebaut und ihre Felder von ihnen bestellt wurden?)

Rom zahlte ebenfalls einen Tribut, doch keineswegs aus freien Stücken.

Um 380 tauchten in der Nähe der Nordgrenze des (Westlichen) Römischen Reiches die ersten Zelte der Steppenbewohner auf. Das Datum stammt von Zeitgenossen. Folglich entstanden die ersten turkischen Siedlungen hier gerade damals.

Die Nähe der Kiptschak jagte den Römern zuerst große Angst ein. Doch mit den Jahren änderte sich das. Ihre Furcht nahm ab. Nach dem Beispiel von Byzanz suchte Rom nach eigenen Mitteln, die Einwanderer zu überlisten, und fand sie.

Das kam rasch. Die Kiptschak wurden damals von Missernten heimgesucht, zwei Jahre hintereinander herrschte eine entsetzliche Dürre. Der Hunger mähte die Menschen dahin. Und die römischen Kaufleute fanden den Weg zu den neuen turkischen Siedlungen. Sie verkauften ihnen alte, verdorbene Ware und bereicherten sich an der Hungersnot der Kiptschak.

Sie verkauften die Lebensmittel nur gegen Gold. Wenn aber eine Familie ihr Gold ausgegeben hatte, tauschten die Kaufleute turkische Kinder gegen das Fleisch krepierter römischer Hunde ein. Die Eltern sahen keinen anderen Ausweg, sie verkauften ihre Kinder in die Sklaverei, weil sie ihnen dadurch die einzige Überlebenschance zu bieten glaubten.

Ein abscheulicher, niederträchtiger Handel. Er veranschaulicht die Moral der Römer, ihren wahren Charakter.

Die Kiptschak litten, blieben jedoch standhaft. Sie hätten die Händler ausrauben oder vertreiben können, taten es jedoch nicht und ertrugen die Unbill mit zusammengebissenen Zähnen. Dabei nahm Rom in jenen Jahren das griechische Christentum an und hieß nun „kathylik“, d. h. ein Verbündeter des Turkvolkes. Und bereicherte sich an dessen Unglück.

Dieser „Verbündete“ war zu allem fähig. Er war schon von Byzanz unterworfen und hasste die ganze Welt. Ganz besonders aber die Kiptschak, die Rom um seine einstige Macht gebracht hatten. Im offenen Kampf hatten die Römer verloren, und so begannen sie einen heimlichen Kampf. Dieser währte mehr als nur ein Jahrhundert, und in diesem Kampf siegten sie: Sie verleumdeten das Turkvolk vor den Nachkommen und stellten die Kiptschak bald als Missgestalten, bald als Wilde, bald als Nomaden hin, die sich selbst beim Essen „wie Tiere aufführten“. In diesem geheimen Krieg gelang ihnen alles glänzend.

Was heißt „wie Tiere“ essen? Nun, ganz einfach: mit einem Löffel oder einer Gabel in der Hand, so aßen nämlich die Kiptschak, wobei sie sich noch eines kleinen Messers bedienten (es steckte immer neben dem Dolch in der Scheide). Bevor sie „wie Tiere“ aßen, wuschen sie sich die Hände aus einem Kumgan und wischten sie an einem Handtuch ab.

Die Europäer hatten von Löffel und Gabel noch keinen Begriff. Sie aßen nicht „wie Tiere“, nämlich mit den Händen. Griechische Adlige z. B. hielten in ihren Häusern arabische Knaben, an deren dichtem Haar sie sich nach dem Essen ihre fettigen Hände abwischten.

Auch von der Schönheit hatten die Europäer ganz andere Vorstellungen als die Kiptschak. Der Kaiser von Byzanz Julian galt als schöner Mann, sein Bart war von Läusen wie von Asche bedeckt. Gewisse Leute bewunderten den „lebenden“ Bart voller Ungeziefer, und der Kaiser selbst war stolz auf ihn.

Die Griechen und die Römer kannten eine Einrichtung wie das Bad nicht. Bad war eine turkische Erfindung. In der Turksprache bedeutete „bu“ so viel wie Dampf und „ana“ so viel wie Mutter, das Bad (vgl. das russ. banja, Bad) war also „Mutter des Dampfes“.

Die berühmten römischen Thermen waren bei weitem nicht allen zugänglich. Nur Auserwählte konnten sich in Rom mit seinen 300 000 Einwohnern ein Bad leisten. Bei den Kiptschak war das ganz anders, das Bad gehörte zum Alltag. Die Steppe gewöhnte das Volk an Sauberkeit und Ordnung. Eine Hausfrau durfte das Essen erst dann zubereiten, wenn sie in der Wohnung sauber gemacht hatte. Die Sauberkeit der Wohnungen und des Körpers war ein weiterer Charakterzug des Turkvolkes, weil jeder Schmutz in der Steppe Krankheiten und sogar Seuchen nach sich ziehen konnte. Schmutz wurde nicht geduldet.

Jeder Kiptschak wusch sich Gesicht und Hände morgens und abends, außerdem vor dem Essen und dem Gebet.

Es gab einen turkischen Aberglauben: Wenn man schlafe, wandere die Seele durch die Welt und kehre am Morgen zurück. Das geschehe einen Augenblick vor dem Erwachen. Und wenn ein Mensch sich nicht gewaschen habe, erschrecke die Seele und fliege für immer fort. (Aus demselben Grund dürfe man im Schlaf den Kopf nicht unter die Decke stecken.)

Die Kiptschak hielten sich genau an ihre Sitten und Gebräuche, weil diese auf den Lebenserfahrungen des Volkes beruhten und seine Weisheit in sich konzentrierten. Und man erfüllte die alten Gebote, um nicht die Fehler der Altvordern zu wiederholen.

Jedes Detail eines Brauchs hatte seinen Sinn, zugleich verlangte ein Brauch den Menschen nichts Überflüssiges ab.

So bestand ein ganzes Ritual dafür, wie die Nägel zu schneiden waren. Man glaubte, die Lebenskraft eines Angehörigen des Turkvolkes (seine „huth“) stecke am Tage unter seinen Nägeln und in der Nacht unter den Haarwurzeln. Diese Stellen mussten also besonders sauber gehalten werden, das wusste selbst ein Kind.

Die Europäer verstanden vieles im Leben der Kiptschak nicht. Deshalb rätselten sie herum und erfanden allerlei Absurditäten, um sich Realien aus dem Leben des Turkvolkes zu erklären.

Wozu brauchten sie z. B. ihre Kibitkas? Ein Uneingeweihter findet da keine Antwort. Also meinten die römischen Spione, als sie die Kibitkas der turkischen Erkundungstrupps in neuen Landen sahen, die Kiptschak seien ein Nomadenvolk. Und verbreiteten diese Meinung in der ganzen Welt.

Doch die Griechen sahen etwas anderes bei ihnen, keineswegs nur die Kibitkas. Zufällig haben sich die Aufzeichnungen des Byzantiners Priskos erhalten. Das ist ein unschätbares historisches Dokument, der die Wahrheit über die Große Völkerwanderung, Attila und interessante Einzelheiten aus der Lebensweise der Kiptschak berichtet. Das Dokument hat sich zufällig erhalten, alle anderen Dokumente hatten die Römer im Laufe von Jahrhunderten gänzlich vernichtet.

Die Aufzeichnungen von Priskos sind deshalb so wertvoll, weil sie von einem Augenzeugen stammen. Er hat nicht nur gesehen, er hat viele Dinge auch mit der Hand berührt. Er kam in Attilas Palast als Mitglied einer Botschaft aus Europa, die eintraf, um den zornigen turkischen Herrscher um Frieden anzuflehen.

Hitzige Leidenschaften entbrannten damals.

 

Europas Anfänge liegen im Altai

Attila wurde gefürchtet. Schon allein die Erwähnung seines Namens ließ die Herrscher Europas erbeben. Attila – das bedeutete eine halbe Million Reiter, eine Riesenstärke.

Was ist eigentlich eine gute Armee? Eine Menge von bewaffneten Menschen? Nein. Sie muss organisiert, diszipliniert, gehorsam sein, Erfahrungen und Traditionen haben, einen starken Geist zeigen. Das zeichnet eine gute Armee aus. Dennoch ist das noch immer zu wenig.

Es ist nicht schwer, bewaffnete Menschen zusammenzurufen, viel schwerer dagegen und eine Sache von mehreren Generationen ist es, diese Menschen kämpfen zu lehren. Die Armee spiegelt all das Beste, was die Kultur der Menschen, die Wirtschaft eines Landes, schließlich der Charakter eines Volkes aufzuweisen haben.

Die Armee entsteht nicht aus dem Nichts. Vielmehr wird sie lange erzogen, man schweißt die Menschen zusammen, wobei diesem Prozess eine Idee zugrunde liegen muss.

Eine Geduldsarbeit, aber dankbar, weil eine Armee ihr Volk und ihr Land bewacht und schützt. Ohne seine Armee hat ein Volk kein Gesicht, es wird früher oder später zum Diener anderer, wird fremde Befehle ausführen und fremde Interessen vertreten müssen. Übrigens sind all das längst bekannte Dinge.

Dennoch lohnt es, sich ab und zu Gedanken über solche Dinge zu machen. Denn sie überzeugen uns u. a. davon, dass Attila keineswegs halbwilde Stämme am Ende Europas zusammentrieb, wie das in Geschichtsbüchern oft geschrieben wird.

Das Turkvolk hatte eine ausgezeichnete Armee, die sich bereits in China, im Iran, am Don und selbst an den Mauern von Rom bewährt hatte. In der Welt gab es keine stärkere Armee.

Sie war in Truppen (Tjma) gegliedert, je 10 000 Reiter in jeder Truppe. Die Truppen gliederten sich in Regimenter und Hundertschaften. Diese wurden aus Sippen (Jurt oder Ulus) aufgestellt und von einem Khan (Oberhaupt eines Ulus bzw. Jurt) befehligt. Er ernannte seine Helfer, die Atamane.

Jede Truppe trug den Namen ihres Khans oder ihrer Sippe. Das war eine alte Altaier Tradition, die schon bei der turkischen Besiedlung Indiens vermerkt wurde. Eine der Truppen von Attilas Armee hieß „Burgund“, eine andere „Savoyen“, noch eine „Thering“. Jede Truppe hatte ihre Fahne und damit ihren Namen und ihre Kampfgeschichte und genoss Achtung.

Insgesamt zählte die Armee 50 Truppen; einige davon hießen nach den Flüssen Jaik, Ural, Don, andere nach einem Jurt.

Selbstverständlich setzten sie sich aus Angehörigen des Turkvolkes zusammen, und die Reiter sprachen nur die Turksprache.

Andere Sprachen erkannte die Armee von Descht-i-Kiptschak nicht an, andere Völker brauchte sie einfach nicht. Freilich mögen einige Alanen zu den Hilfsverbänden oder sogar zu den Kriegern gehört haben, denn sie waren ein starkes Volk. In der Armee von Byzanz herrschte ebenfalls die „Soldatensprache“, d. h. die Turksprache, vor, denn die Kiptschak machten einen beträchtlichen Teil der Landesbevölkerung und die Mehrheit der Armee aus. Deshalb mussten die Griechen sich schon dazu bequemen, die Turksprache zu lernen.

Wenn römische Spione die Namen von Attilas Trupps – „Theringer“, „Burgunden“, „Langobarden“ – hörten, verloren sie sich in Vermutungen. Solche Namen hatten sie früher nie gehört. Was waren das für Menschen? Früher zwangen die römischen Herrscher Angehörige der unterwofenen Völker zum Dienst in der eigenen Armee. Also bestehe, meinte man allgemein, auch die Armee der Kiptschak aus Angehörigen anderer Völker. Daher rührt die Bezeichnung „Zusammenrottung von Völkerschaften“, die sich leider in der Wissenschaft eingeführt hat, wenn die Rede von Attila, seiner Armee und überhaupt von der Großen Völkerwanderung ist. Daher rühren auch die Bezeichnungen „Hunnen“, „Goten“ oder „Barbaren“.

Die Römer gebrauchten absichtlich beleidigende Bezeichnungen für die Kiptschak, denn sie wollten den Namen des Volkes, das sie besiegt hatte, nicht in den Mund nehmen. Seitdem spricht man von den Kiptschak nur als von einer „Zusammenrottung von Völkerschaften“, einem „Stammesverband“, von „Hunnen“, die Attila angeblich zusammengetrieben hatte.

In Wirklichkeit war alles ganz anders. So berichten byzantinische Chroniken aus den Jahren 438 – 439 über die „Hunnen“ und angebliche andere „Völkerschaften“ in Attilas Armee buchstäblich Folgendes: Sie unterschieden sich nur durch ihre Namen voneinander, sprachen sämtlich dieselbe Sprache und verehrten Tengri. In anderen Chroniken heißt es, die Hunnen seien frühere Goten. Und hier ein Zitat aus einem Dokument aus dem Jahre 572: „In dieser Zeit waren die Hunnen, die wir gewöhnlich als Turkvolk bezeichnen …“

Das sind Fakten.

Wem soll man glauben: Dokumenten der Epoche der Großen Völkerwanderung, der Geschichtswissenschaft oder politisierten Wissenschaftlern? Jenen Politikern, die den Mythos von den „germanischen Stämmen“, die Attila angeblich vereinigt hatte, erfanden?

Eine Lüge gebiert bekanntlich immer eine weitere. Gab es überhaupt „germanische Stämme“? Wenig wahrscheinlich. Jene, die von den Historikern so genannt werden, kamen im Bestand der Kiptschakarmee aus dem Osten, und zwar als Jurt-Abteilungen. Ihr Kampfruhm war schon im Altai begründet worden.

Eine einfache und bekannte, allerdings inzwischen vergessene Sache. Es handelt sich um eine große politische Lüge, die alles in falschem Licht darstellt. Eine wahre historische Untersuchung besagter Tatsache steht erst bevor.

Die Kiptschak nannten ihre Lande in Mitteleuropa Alman (in der Turksprache „entfernt“, „am weitesten entfernt gelegen“). Diese Territorien waren auch wirklich vom Altai am weitesten entfernt. (Bis heute nennen nur die Turkvölker Deutschland Almanien.)

Möglich ist, dass auch das Wort Alpen von gleicher Abtammung ist. „Alp“ bedeutet in der Turksprache so viel wie „Held“, „Sieger“.

Vor der Einwanderung der Kiptschak lebten hier, im Zentrum Europas, seit alters die Stämme der Franken, Veneder, Teutonen und anderer Völker. Der römische Geschichtsschreiber Tacitus berichtet recht ausführlich über sie. Auch andere altertümliche Historiker schrieben über sie. Und? Bei allen immer das Gleiche. Solche Stämme waren unmöglich zu einer erstklassigen Armee zu vereinigen, denn sie hatten eine urgeschichtliche Lebensweise, trugen Tierfelle, ihre Waffen waren Lanzen und Keulen, während selbst Bronzeschwerter und -spieße dort eine große Seltenheit darstellten. Davon zeugen neben Tacitus auch Archäologen. Von welchen „germanischen Stämmen“ kann also die Rede sein? Von was für einer Konfrontation zwischen diesen Stämmen und Rom?

Etwas anderes waren die Burgunden, die „ehernen Reiter“. Diese „Germanen“ waren vom Ufer des Baikalsees, an dem ihr Jurt gelebt hatte, nach Europa gekommen. Auf dem Territorium des heutigen Gebiets Irkutsk gibt es eine Gegend namens Burgundu, und eben dort lebte einst dieser Stamm. Funde der Archäologen aus dem Alten Altai lassen keinen Zweifel daran aufkommen. In der Geschichte der Burgunden finden sich tatsächlich die Runenschrift und Zeugnisse der gesamten turkischen Kultur. Sie bilden ganze Kapitel dieser Geschichte.

Das ist die wahre Spur dieses „germanischen Stammes“, eine nachgewiesene und nicht frei erfundene Spur.

Im Jahre 435 (Beginn der Herrschaft Attilas) erreichte das Heer das Zentrum Europas und gründete einen Burgund-Jurt (Burgund). Das sind bekannte Fakten. In Burgund wurde die Turksprache gesprochen und in Runen geschrieben, wovon man sich auch heute in burgundischen Museen überzeugen kann. Die ausgestellten Gegenstände sind beredter als alle Worte. Die Ornamente, der Hausrat, die nationale Küche, selbst das Aussehen der Burgunden – alles zeugt davon, dass sie turkischer Abstammung sind. Eigentlich liegt kein Grund zu Zweifeln vor, und wer verstehen will, wird auch alles verstehen.

Burgund ist ein von den Kiptschak gegründetes Land, davon spricht selbst sein Name.

Es sei hervorgehoben, dass Übersiedler beim Verlassen ihrer angestammten Lande immer, in allen Zeiten, deren Namen mitnahmen. Das ist eine weitere Tradition, die die Menschen befolgen, ohne sich viel Gedanken darüber zu machen. Aber ein erfahrener Ethnograf wird da aufmerken. Als die Europäer z. B. Amerika oder Australien besiedelten, haben sie dort ihre früheren Ortsnamen behalten, und so entstanden an neuer Stelle New York, Neuengland, New Plymouth, Moscow, St. Petersburg u. a. Solche Beispiele sind sehr zahlreich.

Hat nicht das Turkvolk diese Tradition eingeführt, in seinen neuen Siedlungsgebieten Namen aus seiner alten Heimat zu geben? Im Altai hat sich z. B. Jurt-Tulun (Tolun) erhalten, im Zentrum von Russland Tolu (Tula), in Frankreich die Stadt Toulouse. Sie wurden von Attilas Zeitgenossen gegründet. Und in jeder dieser Städte lebten Waffenschmiede. Toulouse z.B. war zwischen 419 und 508 sogar die Hauptstadt der westeuropäischen Kiptschak (Westgoten). All diese Städte sind Marksteine auf dem Weg der Großen Völkerwanderung, und ihre Namen leiten sich von ein und demselben Wort der Turksprache ab: „tolum“, Waffe.

Begann das heutige Europa nicht in Sibirien? Und hatte nicht Sibirien dem zurückgebliebenen Europa neues Leben eingehaucht?

Es ist schließlich so, dass vom Alten Altai der größere Teil der europäischen Bevölkerung kam, der durch die Anstrengungen der römischen Politiker in die Geschichte unter der Bezeichnung „germanische Stämme“ eingegangen ist.

Neben den Burgunden kämpften in Attilas Armee Theringer (Thüringer). Auch sie waren vom Altai gekommen. Auch dort hat sich der Ort ihres Jurt erhalten. Er ist nicht in Vergessenheit geraten.

„Thering“ bedeutet in der Turksprache so viel wie „tief“, „sehr reich“. Der Name „wanderte“ zusammen mit der Großen Völkerwanderung und hat auf der Landkarte mehr als nur eine Spur hinterlassen. Der Theringer-Jurt erschien in Europa gleichzeitig mit dem Burgund-Jurt. Heute ist er als Thüringen, ein Bundesland Deutschlands, bekannt. Erst vor relativ kurzer Zeit war er durch seine Rennpferde, einen ausgezeichneten Kumys (Stutenmilch) und würzigen Jogurt bekannt. Die alten turkischen Gewerbe haben sich also nicht verloren, sie leben fort.

Der Name der italienischen Stadt Turin entbehrt wohl einer Entzifferung, so sprechend ist er. Die Geschichte dieser Stadt ist ebenfalls sehr eng mit der Großen Völkerwanderung, mit dem Savoyen-Ulus verbunden.

Man muss feststellen, dass fast jede alte Siedlung Norditaliens so oder so in der turkischen Geschichte verwurzelt ist: Die Kiptschak ließen sich hier in großen Massen nieder. In Venedig gibt es den Türkenplatz, einen alten Ort in einer altehrwürdigen Stadt. Denn den Ruhm brachten dieser Stadt gerade die Kiptschak (Langobarden), die eine kleine Ansiedlung zu einer Stadt entwickelten. Vom Altai brachten sie Lärchen her, auf denen das alte Venedig bis heute ruht. Nein, die Große Völkerwanderung darf nicht vergessen werden, wenn die Rede von der europäischen Geschichte ist: Dazu ist alles im Leben viel zu eng miteinander verflochten.

Sachsen, Bayern, Savoyen, Katalonien, Bulgarien, Serbien, Kroatien, Tschechien, Polen, Ungarn, Österreich, England, Litauen, Lettland – die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Auch sie wurden von den Kiptschak gegründet. Die Geschichte dieser Länder begann mit Attila. Er brachte die Avantgarde seines Volkes nach Europa, er behauptete sich an den majestätischen Bergen, die dem Altai glichen. Und die Berge erhielten den Namen Attila-Alpen, heute Etzel-Alpen (so haben die Europäer den Namen des turkischen Feldherrn umgewandelt).

Die Angehörigen des Turkvolkes benannten auch die Karpaten und den Balkan. In der Turksprache bedeutet „balkan“ so viel wie „mit Wald bedeckter Berg“, und zwar nicht mit Nadel-, sondern mit Laubwald. Das heißt dem Wald, an dem dieser Teil Südeuropas reich ist. Früher hatte er Haemus geheißen (von Haemimont, Alt-Haemus).

Im Wort „Karpaten“ ist die Wurzel der Turksprache mit bloßem Auge zu sehen: Es bedeutet „aus den Ufern treten“, „überlaufen“. In der Tat ist diese Gegend für ihre gewaltigen Überschwemmungen bekannt. Genauer hätte man sie nicht benennen können. Vor der Einwanderung der Kiptschak nannten die Europäer die Gegend Sarmaten-Gebirge.

 

Attila, der Führer des Turkvolkes

Betrug ist leider ebenfalls eine Kunst, wenn auch eine schändliche. Die Römer beherrschten sie vollkommen. Sie erfanden eine Absurdität nach der anderen, um die Wahrheit über das Turkvolk zu verbergen, die Erinnerung an dieses Volk auszumerzen und so die eigenen Schwächen und Niederlagen zu beschönigen. Auf diese Weise entstand z. B. die Sage vom Mars-Schwert.

Dieses Schwert war in Europa ein Symbol des göttlichen Auserwähltseins. Attila hörte vom Schwert von einem Hirten, der bemerkte, dass eine Färse in seiner Herde hinkte. Besorgt, ging der Hirt ihrer blutigen Spur nach und entdeckte ein aus der Erde hervorlugendes Schwert. Er grub es aus und schenkte es Attila.

Ein harmloses Märchen?

Keineswegs. Es kam nach Attilas glänzendem Siege im Jahre 443 auf. Mit diesem Märchen suchten die Römer ihre Niederlage zu rechtfertigen. Aber das Zauberschwert hatte mit den Siegen des Turkvolkes nichts zu tun. Ihre wahren Gründe – die Stärke der Armee, die Furchtlosigkeit der Krieger, die Eisenwaffen, die schweren Bögen – sind inzwischen vergessen. Vergessen die Städte von Gewerbetreibenden und Metallwerkern, die die damals weltbesten Waffen herstellten. Alles vergessen, alles gelöscht oder entstellt. Die Siege der Kiptschak wurden auf einen Zufall, ein mysteriöses Zauberschwert zurückgeführt.

Leider gibt es nicht wenig solch schlaue Märchen. Darauf bauten die Gegner die turkische Geschichte auf. Hier eine Andeutung, dort etwas nicht zu Ende Ausgesprochenes, alles zusammen aber unverschämter Betrug. Was übrig blieb, waren nur Körnchen der Wahrheit.

Im Jahre 434 bestieg Attila den Thron des Riesenstaates Descht-i-Kiptschak. Das war sehr wohl ein Staat, dessen Einrichtung die Chinesen bewunderten (darüber wurden zahlreiche Bücher geschrieben). Attila führte also nicht einen „Stammesverband“ an, sondern er stand an der Spitze eines weltbekannten Landes.

Attila bestieg den Thron ganz jung. Zuerst herrschte er zusammen mit seinem Bruder. Die Herrschaft war erfolgreich. Aber ihre Eintracht passte Byzanz und Rom nicht, diese trachteten danach, die Brüder zu entzweien und um jeden Preis einen Streit zwischen ihnen zu entfachen, um in der turkischen Großmacht Wirren auszulösen und sie zu zerstören.

Verschwörungen wurden angezettelt, denn einen offenen Kampf fürchteten die Gegner, dazu waren sie zu hilflos und schwach. Vergiften, bestechen, entzweien, betrügen, meuchlings morden: Das waren die Lieblingsmethoden der Feiglinge. Attila musste all das erleben, als er die Herrschaft antrat. Er und sein Bruder überstanden mehrere Attentate.

Aber Tengri sei Dank: Die vergifteten Pfeile verfehlten ihr Ziel, und gegen Gift gab es Gegengift. Selbst hierin zeigten sich die Angehörigen des Turkvolkes stärker als ihre Gegner.

Attila erhielt den Beinamen „Gottes Geißel“. Die Gegner verloren sich in Vermutungen, knirschten mit den Zähnen vor Wut, konnten ihn jedoch nicht ermorden. Und sie wunderten sich über die Weisheit der beiden jungen Herrscher, denen selbst Gifte nichts anhaben konnten.

Attilas Herrschaft begann nicht mit Kriegen, sondern mit Frieden. Er war im Grunde ein friedfertiger Mensch, wie übrigens alle starken und selbstbewussten Menschen. In der Stadt Margus nannte er dem Kaiser des Westlichen Reiches seine Friedensbedingungen und erlegte Rom einen jährlichen Tribut von 300 Kilogramm Gold auf. Ebensoviel zahlte Byzanz.

Rom gab nach. Es war bereit zu zahlen, nur um nicht Krieg führen zu müssen.

Nach Abschluss des Vertrages ging Attila im Jahre 435 daran, die Besitzungen von Descht-i-Kiptschak in Nordeuropa zu erweitern. Zusammen mit seinem Bruder erreichte er die Ostseeküste. Nicht wenig neue Städte hinterließ der Einfall ihrer Armee auf dem Territorium des heutigen Tschechiens, Polens, Litauens und Lettlands.

So entstand in Nordeuropa ein Aufmarschgebiet des Turkvolkes.

Die Brüder besuchten ihre Besitzungen am Idel, Don und Jaik, im Altai und im Kaukasus. Descht-i-Kiptschak war ein großes Land, die Herrscher hatten viele Sorgen. (Ein Echo jener Besuche hat sich in Volkssagen erhalten. Attila ist der Lieblingsheld aller europäischen Völker turkischer Herkunft.)

Rom und Byzanz fürchteten die Verstärkung der benachbarten Großmacht sehr. Ihnen kam sie keineswegs gelegen. Allerdings wussten sie nicht, wie sie die Brüder zum Stehen bringen konnten. Dann fanden sie den Weg doch: über die Christen! Nur sie, die langjährigen Verbündeten, hatten Zugang zum Turkvolk, zu seinen Geistlichen.

Der Bazillus des Haders drang in Descht-i-Kiptschak ein. Die Christen ahnten gar nicht, dass mit ihren Händen eine schlaue Intrige angezettelt wurde. Die Politiker hatten heimlich die Religion zu ihrer Waffe gemacht.

Dieses Übel suchte die Kiptschak heim. Es schlich sich langsam ein und verlief im Verborgenen. Neid, Klatsch, Verleumdung schienen aus dem Nichts zu entstehen, doch wirkten sie unaufhaltsam, wie Rost auf Eisen. Alles wurde sehr geschickt eingefädelt. Als Byzanz die immer häufigeren Zusammenstöße zwischen beiden Brüdern sah, verweigerte es den Tribut.

Attila durchschaute die Hinterlist des Feindes und söhnte sich mit seinem Bruder aus. Im Jahre 441 ließ er seinem aufbrausenden Temperament die Zügel schießen. Seine Reiter machten es den Griechen rasch klar, dass ein Vertrag mit den Kiptschak voll und fristgemäß zu erfüllen war.

Damals war es, als ginge ein Feuersturm über die Nordgebiete von Byzanz, ungestüm und unabwendbar. Die Städte versanken in Finsternis: Trümmer waren dort, wo früher das Leben geherrscht hatte. Der Kaiser von Byzanz geriet in Verzweiflung, er bat um einen Waffenstillstand und war bereit, dafür jeden Preis zu zahlen.

Attila glaubte ihm und nahm sein Heer vom Balkan zurück.

Ein Jahr verging. Doch die Griechen hatten nichts dazugelernt. Alles begann von neuem. Griechische und römische christliche Agenten schlichen sich wieder bei den Kiptschak ein, stifteten Verwirrung und streuten Gerüchte aus. Byzanz wurde eine abermalige Lehre erteilt. Diesmal war Attila härter. Er schlug die byzantinische Armee aufs Haupt, so dass sie keine einzige Chance hatte, sich zu retten.

Natürlich war das ein Bruderkrieg! Die Föderaten unter den Kiptschak, die Byzanz dienten und zum Christentum übergewechselt waren, erhoben die Hand gegen ihre Brüder, welche Tengri-Anhänger waren – und mussten das schwer bereuen.

Attila rückte an die Mauern von Konstantinopel heran.

Die Hauptstadt von Byzanz ergab sich dem Sieger auf Gnade und Ungnade.

Die Kiptschak besetzten die wehrlose Stadt nicht, sie brauchten sie nicht. Sie brauchten auch Byzanz nicht. Es ist erstaunlich: In der ganzen Geschichte der Großen Völkerwanderung unterwarf sich das Turkvolk kein einziges anderes Volk, eroberte kein einziges Land. Seine Angehörigen besiedelten nur neue Gebiete und bauten dort ihre Städte.

Attila brauchte vor den Mauern von Konstantinopel nicht lange zu warten: Die Byzantiner sammelten rasch ihre Tributschulden – beinahe zweieinhalb Tonnen Gold! Die Kiptschak erlegten ihnen einen neuen Tribut auf und verließen Byzanz.

Kaum hatte sich der Staub auf ihrem Weg gelegt, da begannen die Griechen alles von neuem. Sie hatten die Lehre nicht beherzigt. Ihnen halfen Christen, betörende Schönheiten und teure Geschenke, vor allem aber die Fähigkeit der Griechen, geduldig Ränke zu schmieden. Alles wurde aufs Spiel gesetzt. Diesmal entschied der Dolch den Streit zwischen beiden herrschenden Brüdern.

Attila blieb allein auf dem Thron. Aber für das Blut seines Bruders, richtiger, für den ihnen beiden aufgezwungenen Streit, rächte er sich furchtbar und durfte wieder Gabel und Messer benutzen. (Nach der turkischen Sitte benutzte man in dem Haus, auf dem ungerächtes Blut lastete, beim Essen weder Gabel noch Messer.)

Über Attilas weiteren Feldzug gegen Byzanz (in den Jahren 447 – 448) ist leider so gut wie nichts bekannt. Alles ist dahingeschwunden, selbst die geringste Erwähnung. Bekannt ist lediglich, dass Byzanz überaus schwere Verluste erlitt und dass all seine Städte dem Erdboden gleichgemacht wurden. Aber wie verlief der Krieg? Welche Schlachten wurden geschlagen und wo? Das ist nicht bekannt, alle Zeugnisse sind vernichtet.

Die Griechen mussten ihre volle Niederlage zugeben und verließen den Nordbalkan. Dort blieben turkische Truppen. Die Grenze von Descht-i-Kiptschak näherte sich unmittelbar der Mittelmeerküste und Konstantinopel.

 

Das Turkvolk, wie es der Byzantiner Priskos sah

Man schrieb das Jahr 449. Der Sturm in Europa schien sich gelegt zu haben. Attila ließ Gnade vor Ungnade ergehen. Zu jener Zeit begab sich eine Delegation zu ihm, der auch der byzantinische Beamte Priskos angehörte. Die Delegation reiste an, um Frieden zu suchen, Frieden um jeden Preis zu erreichen.

In seinem Bericht schrieb Priskos: „Nachdem wir einige Flüsse überquert hatten, kamen wir in einer gigantischen Siedlung an, in der sich Attilas Palast befand.“

Wie hieß jene Siedlung? Das ist ungewiss. Möglicherweise war das Preslaw, die alte Hauptstadt Bulgariens. Oder eine altertümliche Stadt in Bayern. Wie dem auch sei, das war eine neue turkische Stadt mitten in Europa, entstanden gleichzeitig mit der Großen Völkerwanderung.

Der Grieche war über das, was er sah, verblüfft. Die Europäer bauten solche Städte nicht. Besonders beeindruckt war er von Attilas Palast. Aus runden Balken gebaut und mit reich geschnitzten Fensterrahmen geschmückt, schien der Palast über der Erde zu schweben und Licht auszustrahlen, so fein gearbeitet war er. Seine hohen Giebeldächer ragten hoch in den Himmel.

Neben dem großen Palast befand sich ein kleinerer, darin wohnte die Herrscherin Kreki. Dieser Bau erweckte den Eindruck, als sei er aus Spitzen gewoben, Schnitzereien machten aus ihm ein lichtes Märchen.

Um die Paläste des Herrschers und der Herrscherin zog sich ein hoher Zaun mit schlanken Wachtürmen.

Lange stand Priskos da, bezaubert von diesem nie gesehenen Wunder aus Holz. Er hatte keine Worte, konnte es nur stumm bewundern. Der Grieche betrat den Palast, es war ihm jedoch ein Rätsel, wie Balken so gelegt werden konnten, dass das Gebäude rund aussah. Dabei schien es nur rund, in Wirklichkeit war er achteckig. Das war die traditionelle Bauart des Turkvolkes. So hatte es seine achteckigen Kurens schon im Alten Altai gebaut.

Der Palast (Terem) ist im Grunde ein Kuren, nur eben höher und etwas anders gebaut.

„Der Boden ist mit Wollteppichen ausgelegt, über die man ging“, schrieb Priskos. Das stimmt. Die Kiptschak legten den Boden ihrer Wohnstätten stets mit Läufern oder Filzteppichen aus – ebenfalls eine sehr alte Tradition.

Der Byzantiner war sehr wissbegierig und ließ keine Kleinigkeiten der Lebensweise der Kiptschak außer Acht. Er beschrieb, womit sie sich befassten, was sie am Leibe trugen, was sie aßen; nichts entging seinem Auge, dem Auge eines erfahrenen Spions (denn das war Priskos in Wirklichkeit). Einen kleinen Mann hätte man nicht ohne weiteres mit der Delegation reisen lassen.

Über die Schönheit der turkischen Frauen war Priskos angenehm überrascht, ebenso wie über ihre saubere, strenge Kleidung, ganz besonders ihre meist mit langen Fransen und Quasten geschmückten Tücher. Die Kiptschak fertigten weiße Tücher gewöhnlich für den Kirchgang oder für die Trauer, bunte dagegen für den Alltag und auch für Feste an.

Man sollte meinen, der Bericht des Byzantiners sei völlig klar, man brauche ihn nur einigermaßen aufmerksam zu lesen. Aber nein, der Terem z. B., in dem die Herrscherin Kreki wohnte und den Priskos erstmalig beim Turkvolk sah, wird jetzt „griechisch“ genannt. Angeblich hatten die Griechen Terems erfunden. Die Erfindung von Filz wird den Franzosen zugeschrieben, die von Tüchern noch jemand anderem. Dabei sind sie seit Jahrhunderten ein Gut des Turkvolkes.

Im Grunde charakterisierten all diese Gebrauchsgegenstände die Kultur der Kiptschak in Europa, sie prägten das Antlitz des Volkes, machten es erkennbar und unverwechselbar.

Und die Kiptschak? Wie standen sie selbst zur offensichtlichen Fälschung ihrer Geschichte? Nun, sie verhielten sich neutral dazu, sie blieben, was sie waren: Angehörige des Turkvolkes, Menschen offenen Herzens, die allen alles zu verzeihen bereit waren. Ein Angehöriger des Turkvolkes ist unfähig, einen Groll auf jemanden zu hegen, vermag nicht, sich entschieden durchzusetzen, und verschiebt alles auf später. Das ist nun einmal seine Art. Er weiß, dass die Wahrheit trotzdem siegen wird. Und damit lebt er.

Attila lud die Delegation mit Priskos zu einem Festessen ein, und dies nach so vielen Vergiftungsversuchen und Anschlägen auf sein Leben. Ist das nicht beredt genug? Es handelte sich dabei nicht um eine großzügige Geste, sondern um eine natürliche turkische Sitte. Ein Kiptschak, der einen Gast nicht aufnimmt, bedeckt sich mit Schande. Attila lud Priskos zum Essen ein, es konnte einfach nicht anders sein.

Durchtriebene Politiker nutzten schon damals die Offenherzigkeit des Turkvolkes, seine Anständigkeit und Gastfreundlichkeit aus. Sie verfolgten dabei natürlich ihre eigennützigen Ziele. Die Kiptschak aber boten ihnen vertrauensselig ihre Blößen und machten sich dadurch verwundbar. Dadurch schwächten sie Descht-i-Kiptschak.

Schuld daran ist niemand, höchstens der Charakter des Volkes. Er lässt sich nicht durch einen Erlass verändern, er bleibt in den Zeiten unveränderlich, weil man ihn mit der Muttermilch einsaugt und weil er sich in Jahrhunderten herausbildet. So manche Tradition hätte man gewiss noch in der Zeit der Großen Völkerwanderung verändern sollen, denn in Europa war ein anderes Sozium, eine andere Kultur, foglich hätte man dort auch anders, gemäß einer anderen Moral, leben sollen. Niemand dachte jedoch daran, und ihre Kurzsichtigkeit mussten die Khans der Kiptschak teuer bezahlen. Es heißt ja nicht zufällig, dass man in ein fremdes Haus nicht mit eigenen Gewohnheiten und Sitten einzieht. Europa aber war damals immerhin ein fremdes Haus für das Turkvolk und wandelte es um.

… Die Räume, in denen getafelt wurde, dufteten nach frischem Holz. Längs der Wände standen breite Bänke, vor ihnen massive Tische aus Eichenholz. Attila saß der Tafel vor. Sein Ehrenplatz (Thron) hieß „Twer“ und war mit feinen bunten Vorhängen verdeckt. Auf einer Stufe neben ihm saß Attilas ältester Sohn Ellak. Er saß da, die Augen niedergeschlagen, und berührte das Essen nicht, denn er war jeden Augenblick bereit, dem Vater einen Dienst, eine Gefälligkeit zu erweisen.

Seinem Vater zu helfen ist Ehrensache eines Sohnes. Damit lebten die Kiptschak, auch hierin äußerte sich ihre Natur. Die Unterordnung unter einen Älteren war bedingungslos, weil der Ältere seinerseits nach der Adat (Gewohnheitsrecht) die Pflicht hatte, einen Jüngeren zu schützen. Es bestand ein ganzes Verhaltensritual für die Tafel und auch sonst für das tägliche Leben.

Vor dem Essen „beteten sie zu Gott“, schrieb Priskos. Erst nach dem Gebet gingen sie ans Essen. Gebetet wurde unter Anleitung eines Geistlichen. Er hieß Vater Orest und stellt eine sehr rätselhafte Persönlichkeit in der Geschichte Europas dar.

Er kannte die europäischen Sprachen ausgezeichnet, war eine Zierde seiner Zeit. Erstaunlich ist der Lebensweg dieses Menschen. Es gibt zwei Versionen davon. Nach der einen war er Attilas Beichtvater, nach der anderen Sekretär und Dolmetscher. Geboren wurde er in Descht-i-Kiptschak (im heutigen Österreich oder Ungarn). Gehörte er zum Turkvolk? Nichts weist auf das Gegenteil hin – außer der Behauptung der römischen Geschichtsschreiber, er sei ein geborener Römer gewesen.

Hätte Attila einen Fremdländischen in seine Nähe aufnehmen können? Ihm seine tiefsten Gedanken und Gefühle anvertrauen? Ihn als seinen Botschafter nach Konstantinopel entsenden? Niemals. Ein Beichtvater steht einem Gläubigen sehr nah, ihm vertraut man unbedingt und in allem, er ist Mentor und älterer Freund.

Bemerkenswert ist, dass Orest, gleich vielen aus Attilas naher Umgebung, nach dessen Tod eine glänzende Karriere in Rom machte. Dort gab es bereits viele Angehörige des Turkvolkes, sowohl im Kaiserpalast als auch unter Feldherren und Geistlichen. Das war eine Zeit der Wirren, eine Zeit von Komplotten, Umstürzen und Meuchelmorden. In der römischen Gesellschaft gärte es, als sie die Kiptschak bei sich aufnahm. Ein jeder suchte nach seinem Platz in der Gesellschaft.

Mit der Ankunft der Kiptschak wiederholte sich hier die Geschichte von Byzanz, auch hier begann eine Vermischung von Kulturen und Völkern. Die Kiptschak unternahmen einen Versuch, die Macht in ihre Hand zu nehmen. Das tat der schon erwähnte Vater Orest, er stellte sich an die Spitze der Föderaten und brachte seinen Sohn auf den römischen Thron, einen erstaunlich schönen jungen Mann. Dieser nahm den lateinischen Namen Romulus Augustulus an, als er zum Kaiser des Westlichen Kaiserreiches gekrönt wurde. Der letzte römische Kaiser war also ein Kiptschak!

Am 5. September 476 wurde er von einem anderen Angehörigen des Turkvolkes, Odoaker, gestürzt, der so dem Römischen Kaiserreich ein „offizielles“ Ende setzte. Die Kiptschak, die um den römischen Thron gestritten hatten, verloren ihn aus eigener Schuld.

Sehr ungewöhnlich gestaltete sich auch der Lebensweg des Vaters des letzten römischen Kaisers. Einer anderen Version zufolge „machten“ die Römer Orest im Jahre 511, d. h. 35 Jahre nach seinem Tod (!)), zu einem Christen und nannten ihn den heiligen Severinus. („Die Lebensbeschreibung des Heiligen Severinus“ ist ein ganzes Traktat, das sich aus lauter Widersprüchen zusammensetzt.)

Die Aufzeichnungen des Griechen Priskos regen jeden vernünftigen Menschen zum Nachdenken an. Die Ereignisse wollen sich nicht ins Prokrustesbett der „offiziellen“ Geschichte zwängen.

Wie bei Attila getafelt, was dabei getrunken, was gesprochen, wer ausgelacht wurde und wer wie gekleidet war – über all das schrieb Priskos recht glaubwürdig.

Wie sich’s gehörte, endete das Gelage mit einem Lied – jenem Lied, das die Seele besser als jeder Wein berauscht. Ohne Lied ist ein Angehöriger des Turkvolkes undenkbar, ob im 5. Jahrhundert, noch früher oder viel später. Das ist nun einmal so, jedes Volk hat seine eigene Musik, wie es seine eigene Sprache hat. Und die Geschichte hält das fest.

Musikanten kamen und vollbrachten kleine Wunder. Unter ihren Fingern lebten die Saiten auf, flogen die Bögen wie Schmetterlinge. Priskos benahm es den Atem. Er hörte eine erstaunliche Musik und erblickte wundersame Musikinstrumente, die die Griechen nicht kannten. (Es handelte sich um die Urahnen der heutigen Cellos, Geigen, Harfen, Balalaikas und Ziehharmoniken.)

Nach den Liedern erschien der Hofnarr und unterhielt die Gäste mit allerlei Späßen. Attila lachte über seinen Narren zusammen mit allen Anwesenden.

Ist es nicht so, dass später die europäischen Könige aus dem Wunsch heraus, es dem großen Attila gleichzutun, sich in ihren Palästen ebenfalls Hofnarren hielten, die die Gäste bei Bällen belustigten und unterhielten und den Königen die Wahrheit ins Gesicht sagten, was man ihnen, als Narren eben, durchgehen ließ? Wohlgemerkt, es gab Narren nur bei jenen königlichen Häusern, die turkische Wurzeln hatten. Die Schotten oder die Römer z. B. hielten sich keine Narren, diese Tradition existierte bei ihnen nicht.

Außerdem vermerkte Priskos Attilas Bescheidenheit, die ihn verwunderte. Der Herrscher lebte ganz schlicht. In seiner Kleidung und seinen Essgewohnheiten unterschied er sich nicht von allen anderen.

Was den Feldherrn auszeichnete, waren Menschen, die in ihm den Helden sahen und ihn bewunderten. Attila wurde wegen seiner Taten und Handlungen ungewöhnlich hoch geachtet. Seine Furchtlosigkeit und Weisheit ließen niemanden gleichgültig. Auf der Jagd z. B. konnte es keiner mit ihm aufnehmen. Er jagte hoch zu Ross und erlegte Eber, Elche und Bären im Reiten, wobei ihm eine Keule oder eine Streitaxt als Waffe dienten.

Besonders gern ging er auf die Beizjagd. „Sok-kol“ (vgl. das russ. sokol, Falke) bedeutet in der Turksprache „die Hand aufsuchen“, und „ber-kut“ (vgl. russ. berkut, Königsadler) bedeutet „Beute mitbringen“. Die Namen der Vögel sind sprechend genug. Das gleiche bezieht sich auf „kortschu“ (vgl. russ. korschun, Geier), dieses Wort bedeutet „Schädling“, deshalb nahm man Geier nicht auf die Jagd. Bei Attilas Hof dienten „Sokoltschi“ (vgl. das russ. sokolnitschi, Falkenmeister), Leute, die die Jagdvögel pflegten und abrichteten.

Andere Leute lieferten wilde Bären für festliche Belustigungen. Sie fingen die Tiere im Wald und beförderten sie in Käfigen in die Hauptstadt. Bärenkämpfe waren eine beliebte Unterhaltung.

Ein wilder Bär wurde in eine Umzäunung herausgelassen. Unter hitzigen Rufen des Publikums trat ein Wagehals mit einem Jagdspieß oder einem Messer in der Hand in die Umzäunung, wobei er ganz sorglos tat. Das Tier spürte die Nähe des Todes, konnte ihn jedoch nicht abwenden. Schließlich hielt es nicht mehr aus und … Die Versammelten erstarrten vor Spannung. Wütend stürzte sich der Bär auf den Menschen, der aber trieb ihm im Nu das Messer bis zum Griff ins Herz. Der Sieger wurde mit Ovationen gefeiert.

Beliebt war beim Turkvolk der Kampf mit Gurtbändern, ohne diesen nationalen Kampf gab es kein Fest. Der Siegerpreis war ein Hammel. Eine sehr alte Tradition!

Auch der Faustkampf war populär. Bei all dem handelte es sich um keinen Wettbewerb, keinen Sport, vielmehr um ein geheiligtes Ritual, das immer zum Charakter des Turkvolkes gehörte. Jeder konnte hervortreten, um seine Portion Adrenalin zu bekommen und seine Kraft zu demonstrieren. Die Kiptschak veranstalteten schon als Kinder Faustkämpfe, um sich im offenen Kampf zu prüfen. Da wetteiferten Häuser und Straßen miteinander. Auf diese Weise wurden auch Streitigkeiten geschlichtet: Aug in Aug mit dem Gegner, nur du und er!

In der Gesellschaft bestand das Faustrecht, und es wurde befolgt und gefürchtet. Man schlug sich entweder Reihe gegen Reihe oder zu zweit, bis zum ersten Blut und streng nach den Regeln. Wer gegen die Regeln verstieß, konnte sofort, auf der Stelle getötet werden. Und niemand war berechtigt, sich für diesen gerechten Mord zu rächen.

Im Leben der Kiptschak gab es viel Freude und zahlreiche Feste. Nach einem geglückten Feldzug veranstaltete man ein beliebtes Spiel: Die Reiter nahmen nicht ihre Säbel, sondern lange krumme Knüppel in die Hand und trieben damit den in ein Ledersack gesteckten Kopf eines besiegten Feindes über das Feld. Ein großartiges Siegesspiel!

Dieses wilde Spiel besteht bis heute und heißt Polo. (Beliebt ist es bei den Engländern, weil ihre Ahnen mit Attila auf die Inseln kamen.) Allerdings lässt man heute nicht der abgeschlagene Kopf eines Feindes über das Feld rollen, wie das einst geschah, sondern eine Holzkugel. Aber immer noch nach den alten Regeln.

Ebenso wie ein Volk, sterben die Traditionen nie ab. Was abstirbt, sind die Erinnerungen.

 

Die Schlacht gegen die vereinigte Armee Europas

Der Delegation, der Priskos angehörte, zeigte Attila absichtlich kalte Schulter. Jede seiner Gesten verriet, dass es sich nicht gerade um willkommene Gäste handelte. Der um ihn überhand nehmende Betrug war für ihn unannehmbar. Der große Kiptschak wusste seit langem, dass Politik eigentlich die Kunst der Lüge war. Er konnte sich jedoch mit dieser hässlichen Norm, die in Europa bestand, nicht abfinden. Sie war für ihn inakzeptabel.

Er lebte nach anderen Regeln, in Übereinstimmung mit einer anderen politischen Kultur. Seine Moral war anders. Die Kiptschak wuchsen in der Überzeugung auf, dass Betrug keinen Vorteil bringe und nur zur Schande gereiche. Auch damals sah Attila, dass die Christen ihm die besten Krieger abwarben. Sie taten das unverhohlen und frech. Er zeigte ihnen die Listen und verlangte die Auslieferung der Verräter. Aber heuchlerisch lächelnd, stritten die Europäer alles ab.

Der Herrscher der Kiptschak war in Verhandlungen nicht geübt, denn für Politik war er ein viel zu ehrlicher Mensch. Er sprach offen mit den Abgesandten. Diese verstanden das als Attilas Schwäche und spotteten über ihn.

Im Grunde gab es nichts zu verhandeln, alles war ohnehin klar. Ihm wurden die Armee und die Feldherren abgeworben. Natürlich konnte Attila das nicht hinnehmen. Aber das war noch halb so schlimm.

Viel schlimmer war, dass die Menschen zu gehen gezwungen waren. Ihr Weggang war unabwendbar, weder durch Erlasse noch durch Hinrichtungen oder Drohungen aufzuhalten, weil er in der Natur der menschlichen Gesellschaft lag. Denn die Gesellschaft setzt ihre zahlenmäßige Stärke selbst fest. Auf welche Weise? Das ist ein weiteres noch nicht erforschtes ethnografisches Geheimnis.

Talentierte Menschen verlassen ihr Land meist nicht des Geldes wegen, sondern in der Hoffnung auf Macht und berufliches Vorwärtskommen. Weil sie in der Heimat weder auf die eine noch auf das andere Aussichten hatten.

Die Kiptschak hassten Rom und machten kein Hehl aus ihrem Hass. Dennoch zogen sie aus, um einem fremden Land zu dienen. Einer der Überläufer schrieb z. B. in seinem Brief, er träume davon, selbst das Wort Römer auszulöschen und das Römische Reich zu einem Reich der Kiptschak zu machen. Traurig fügte er jedoch hinzu: Aber das Turkvolk habe sehr schlechte Gesetze. „Deshalb habe ich mich entschlossen, eine möglichst baldige Wiedergeburt des Ruhmes von Rom in all seiner Unerschütterlichkeit anzustreben“, und das auf Kosten des Turkvolkes, schrieb er abschließend.

Das ist eine Tragödie, und die Kiptschak mussten sie erleben: Der Bevölkerungszuwachs brachte ihnen giftige Früchte. Sie waren nun zu viele auf der Welt, selbst das riesige Descht-i-Kiptschak war ihnen bereits zu eng. Die Gesellschaft war außerstande, ihre begabten Söhne zu behalten, ihnen ein gebührendes und angemessenes Leben zu bieten. Ein Volk kann hundert Weise oder tausend talentierte Feldherren gleichzeitig haben. Aber sie sind dann beschäftigungslos.

Gebraucht wird nur ein Weiser und ein guter Feldherr (höchstens zwei oder drei, aber nicht hundert und schon gar nicht tausend Feldherren). Ebenso wenig können hundert große Dichter nebeneinander bestehen. Man wird müde sein, ihnen zuzuhören. Ein Überfluss an Talenten ist eine ebenso große Tragödie einer Gesellschaft wie ihr Mangel. Das erlebten nun die Kiptschak.

Den Römern und Griechen dagegen mangelte es an Talenten. Das heidnische Europa war längst hoffnungslos alt, brauchte frisches Blut, das seine Kultur erneuern sollte. Deshalb nahm es Überläufer gern auf, bot ihnen ausgezeichnete Bedingungen, selbst wenn es etwas opfern musste. Rom z. B. ging im Jahre 380 sogar zu dem für seine Gesellschaft erniedrigenden griechischen Christentum über. Das war eine Verzweiflungstat. Die Römer wussten nämlich, dass die Kiptschak Verbündete der Christen waren. Auf diese Weise ebneten sie sich den Weg zur turkischen Welt.

Und das Turkvolk, dieses vertrauensselige, vom Schicksal begnadete Volk? Seine Angehörigen saßen im Sattel, ohne die Binde zu spüren, die ihnen die Augen immer dichter verschloss. Sie bemerkten nicht, was sich um sie herum abspielte, und lebten in den Tag hinein. Früher oder später mussten die Aussiedler aus Descht-i-Kiptschak zeigen, dass in ihren Adern das Blut der Kiptschak floss.

Von ihnen erfuhren die Römer von der altertümlichen turkischen Sitte (Atalyk), die Kinder zur Erziehung in andere Familien wegzugeben. So schickten sie Aëtius, den Nachkommen eines adeligen römischen Geschlechts, zu Attila. Attila nannte ihn seinen jüngeren Bruder und lehrte ihn, wie die Sitte das verlangte. Als die Zeit kam, kehrte Aëtius als erfahrener Mann in die Heimat zurück. Er wurde General, dann Feldherr der römischen Armee. Niemand im ganzen Westlichen Kaiserreich kannte die Kiptschak besser als er: Schließlich war er Attilas Schüler!

Ohne sich zu schonen, hetzte Aëtius dann die turkischen Herrscher gegeneinander auf, verleumdete den einen in den Augen eines anderen, warb Kiptschak ab, forderte Feldherren, Geistliche und einfache Menschen auf, zu ihm zu kommen. Er schenkte ihnen fruchtbare Ländereien und große Güter, verteilte hohe Posten und Titel unter ihnen, tat sehr viel für sie, weil er die Tragödie der Talente des Turkvolkes früher als dieses selbst erkannt hatte. Er entdeckte die Schwachstelle und verstand es, sie zugunsten Roms auszunutzen. Er kämpfte gegen das Turkvolk mit den Händen von dessen Angehörigen.

Wer war Aëtius? In der Gesellschaft der Kiptschak fühlte er sich sehr sicher, was kein Wunder war. Sein Vater Gaudentius stammte aus dem Turkvolk, war Befehlshaber (Magister) der römischen Reiterei, und seine Mutter Itala war Römerin, eine „adlige und reiche Frau“, wie Zeitgnossen über sie schrieben. Aus dieser Ehe ging ein böses Genie hervor.

Gallien (heutiges Frankreich) verwandelte sich dank den Bemühungen von Aëtius in ein richtiges Königreich von Überläufern. Dort lebten tausende Kiptschak-Familien, und alles erinnerte dort an das Turkvolk. Selbst der Name der Hauptstadt, das einem Angehörigen des Turkvolkes vertraut in den Ohren klingende Wort Toulouse.

Attila forderte von der Delegation von Priskos, ihm diese Verräter auszuliefern. Er wusste nicht, dass man einen Fluss nicht zu seiner Quelle zurückzwingen kann, und verlangte etwas Unerfüllbares. Er führte hunderte Namen auf, erwähnte dabei Toulouse (Tolosa) und andere Städte, in denen sich die Überläufer aufhielten. Vergebens.

Die Aufklärung der Kiptschak arbeitete eifrig. So stellte sie z. B. fest, dass auch die gallische Stadt Aurelians auf turkische Art in Orleans umbenannt worden war. (Solche Umbenennungen sind unvermeidlich, Einwanderer passen sich ein fremdes Wort an, um es sich vertraut zu machen.)

Die Botschaft von Priskos stritt alles ab, selbst die Entstehung neuer turkischer Städte in Gallien. Attila war außer sich und jagte die Lügner aus seinem Palast fort.

Inzwischen nahmen die Ereignisse eine für die Kiptschak äußerst ungünstige Wendung. Die Feinde zogen die Sache in die Länge, damit Aëtius Zeit bekam, eine vereinigte Armee Europas aufzustellen. Sie rechneten mit einem Überraschungsschlag. Aber sie hatten sich verrechnet.

Attila fiel selbst in Gallien ein, Toulouse und Orleans zogen ihn an. Dort erwartete man den Einfall nicht und war nicht darauf vorbereitet.

Beim bloßen Anblick der Kreuzfahnen und des Reiterheeres verloren die Übersiedler und ganz Gallien ihre Ruhe. Das Gericht über die Verräter war kurz und gerecht. Ihm wurde nicht einmal Widerstand geleistet. Die Überläufer wussten, dass Verrat für einen Kiptschak die schwerste Sünde war. Die Steppenbewohner konnten alles vergeben, nur nicht Verrat und Feigheit.

Bittere Stunden der Reue und Sühne … Schon in Orleans, als Attila die Abrechnung zu Ende geführt hatte, berichtete man ihm, dass die römischen Truppen zum Kampf ausgerückt waren und dass Aëtius den Krieg erklärt hatte. Eine vage Ahnung stieg in Attila auf. Betrug und Argwohn quälten ihn schon lange. Er wandte sich an einen Wahrsager.

Nach altem Brauch wurde ein Hammel geschlachtet. Als der Wahrsager einen Blick auf das Schulterblatt des Tieres warf, schauderte er zusammen und prophezeite Attila ein Unheil. (Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Wahrsager ein Geschenk aus Rom bekommen hatte.)

So war Aëtius schon vor Kampfbeginn der Sieger. Ihm gelang die Nervenattacke: Er machte Attila unsicher.

Doch das war Aëtius’ einziger Sieg, er hatte sich viel zu früh gefreut und viel zu eilig gehandelt, als er in die Schlacht auf den Katalaunischen Feldern, einer berühmten Ebene der Champagne, zog.

Die Gegend war zwar für die Reiter ungünstig, aber Attila nahm die für ihn unvorteilhaften Bedingungen hin; vielleicht bestand seine Absicht darin, die Wachsamkeit des Gegners einzuschläfern. Dennoch überkamen ihn düstere Ahnungen. Mit einem Male schien es Attila, man habe ihm die Kampfbedingungen aufgezwungen und er habe sie gegen seinen Willen angenommen.

Von Zweifeln befallen, blickte der Feldherr lange zum Himmel, aber der Himmel schwieg. Die Nacht vor der Schlacht verlief stumm. Am frühen Morgen stellten sich die Truppen auf, Attila aber wurde immer noch von Zweifeln gepeinigt. Schließlich sagte er: „Flucht ist trauriger als Untergang.“ Trotz seiner inneren Zerrissenheit ging er zu seinem Ross. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel.

Mit einem Hurraruf setzten die Reiter zum Angriff an. Doch hatte Aëtius, ein Zögling Attilas, alles richtig kalkuliert. Der Angriff blieb stecken, das turkische Heer wurde zurückgeworfen. Attila, der die Bitternis einer Niederlage kennen lernen musste, fühlte plötzlich Ruhe. Tengri sei Dank: In jener Minute errang er einen Sieg über sich selbst.

Er ritt zur Truppe hinaus und fand die nötigen Worte. Sein reiner Geist gebar reine Worte, sie klangen wie das Lied eines niedersausenden Säbels. Die Worte des Feldherrn entflammten die Kiptschak zu neuen Taten.

„Verteidigung ist ein Zeichen der Angst. Mutig ist, wer den Schlag führt. Rache ist eine großartige Gabe der Natur. Wer zum Sieg schreitet, den verfehlen die Pfeile. Wer nicht mitkämpft, wenn Attila kämpft, ist schon begraben.“ Mit diesen Worten schloss er seine kurze Ansprache.

„Saryn kjotschak!“ („Ruhm den Mutigen!“), rief der große Kiptschak und schlug mit seinem Säbel ein Kreuz über sein Heer. Seine Worte übertönte ein ohrenbetäubendes Hurra, was in der Sprache der Kiptschak so viel wie „schlag zu“, „triff ihn“ bedeutet.

Im Nu entstand ein Getümmel. Das helle Licht des Sieges erstrahlte über den Katalaunischen Feldern. Die Sonne spiegelte sich in den Säbeln der Kiptschak und erhellte ihnen den Weg. Diesmal wurde die Schlacht gegen die vereinigte Armee Europas schonungslos geschlagen. Erst in der Nacht kehrten Tengris Boten, müde, aber zufrieden, in ihr Lager zurück.

Am Morgen ließ Attila, großmütig wie er war, die Reste der Armee von Aëtius von dannen gehen. Aber der Feind darf nicht geschont werden. Die Römer sahen in der edlen Geste eine Schwäche der Kiptschak. Ihre Historiker schrieben später, Attila sei in der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern besiegt worden.

So endet die Barmherzigkeit auf dem Schlachtfeld!

Attila konnte all das natürlich nicht wissen. Wie hätte er von Ereignissen erfahren können, die Jahrhunderte später geschehen sollten? Der Feldherr führte sein Heer gegen Rom, wobei er unterwegs die Städte Norditaliens, in denen nun Angehörige des Turkvolkes lebten, dem Erdboden gleichmachte. Besonders schwer traf es Mailand, einen weiteren Zufluchtsort der turkischen Überläufer.

Bald erreichte Attilas Heer die fernen Zugänge nach Rom. Die „besiegten“ Kiptschak kamen mit wehenden Fahnen nach Rom! Sie wurden vom Adel mit Bischof Leo an der Spitze empfangen. Die Römer flehten Attila an, sie zu verschonen, sie wussten um die Güte der Kiptschak, wussten, dass jene mitleidsvoll und nicht nachtragend waren. Der Papst von Rom kniete sogar vor Attila. Dieses Treffen ist auf einem Gemälde von Raffael dargestellt, das im Vatikan aufbewahrt wird.

Sicherlich waren es nicht die Tränen des Feindes, die die Kiptschak zum Stehen brachten, und nicht einmal die Lüge, in Italien sei die Pest ausgebrochen. Was sie zum Stehen brachte, war das Kreuz, das ein römischer Bischof emporhielt.

Ein Tengri-Kreuz! Die Reiter sahen darin den Willen des Himmels. Rom hob ein turkisches Heiligtum hoch und erkannte somit die Macht von Descht-i-Kiptschak an. Der Krieg war zu Ende.

Attila begab sich auf den Rückweg. Der Anblick des besiegten Feindes bereitete ihm keine Freude.

 

Attilas Tod

Und doch überlisteten sie ihn, dreist und hinterhältig zugleich. Nicht endgültig geschlagene Feinde sind gerade dadurch gefährlich, dass sie zu allem, selbst zu der größten Niedertracht, fähig sind. Moralische Hindernisse gibt es für sie nicht, vor nichts machen sie Halt.

Wie kam die schöne Ildiko zu Attila? Das wusste niemand. Der Feldherr erblickte das schöne junge Mädchen und verliebte sich in sie. Er war ein Mann mit heißem Herzen. Die Hochzeitsfeier dauerte die ganze Nacht. Am Morgen aber bemerkten die Wachen, dass Attila viel zu lange im Schlafraum blieb. Sie warteten bis zum Mittag. Verdächtige Stille herrschte in den Räumen des Herrschers.

Da brachen sie die Tür auf und stürmten ins Zimmer. Ein schrecklicher Anblick bot sich ihnen: Der Feldherr lag in einer Blutlache, während die Schöne starr wie eine Statue daneben saß. War sein Tod ein Zufall? Keinesfalls. In jener Nacht erschien dem byzantinischen Kaiser Markianos in Konstantinopel Attilas gebrochener Bogen im Schlaf. Das war ein böses Omen.

Im Leben kommt es schon vor, dass Schlafträume in Erfüllung gehen. Aber angesichts der vielen Versuche der Griechen, Attila zu vergiften, fällt es schwer, seinen Tod für einen Zufall zu halten. Ein vorbereiteter Mord? Ja doch, was denn sonst?

Vor Kummer schienen die Menschen von Descht-i-Kiptschak den Kopf verloren zu haben. Der dumme Tod ihres Führers brachte sie um ihre Kraft. Trauer herrschte in den Städten und Dörfern. Die Frauen zogen zum Zeichen der Trauer weiße Kleider an und lösten ihre Haare auf. Die Männer schnitten sich, wie es die Sitte verlangte, Haarbüschel ab und ritzten sich tiefe Narben in die Wangen. Der unbesiegbare Krieger war tot! Es galt, seinen Tod nicht nur zu beweinen, sondern auch eigenes Blut zu vergießen.

Im Feld wurde ein Zelt aufgeschlagen, dorthin brachte man die sterblichen Überreste des Führers. Die besten Reiter kreisten Tag und Nacht um das Zelt, um das Andenken des großen Angehörigen des Turkvolkes zu ehren.

Nach der Beweinung fand neben dem Zelt eine grandiose Gedenkfeier statt. Ein wilder, beinahe unmenschlicher Anblick: tiefe Trauer um den Verstorbenen und zugleich ein wüstes Gelage. Ein verblüffender Ritus. Wenn ein Herrscher in die andere Welt eingeht, muss er sehen: Der Wohlstand, den er seinem Volk gesichert hatte, bleibt auch nach seinem Tod da. Das Leben geht weiter.

Spät in der Nacht wurde Attila beerdigt.

Er hatte drei Särge, einen aus Gold, einen aus Silber und einen aus Eisen. In den Sarg legte man auch die Waffen des Feldherrn und seine Orden, die er zu seinen Lebzeiten nie getragen hatte.

Wo Attila begraben ist, weiß niemand. Alle, die dem Begräbnis beiwohnten, wurden ermordet. Sie gingen ruhigen Herzens in die andere Welt ein, um auch dort ihrem Herrscher zu dienen.

Die Trauertage der Kiptschak waren den Römern und Griechen ein Fest. Die Feinde freuten sich unverhohlen über Attilas Tod. Nun ging es ihnen darum, ein Zerwürfnis unter den Erben zu stiften und abzuwarten, bis die Kiptschak entkräftet und endgültig geschwächt waren.

Attilas ältester Sohn, Ellak, war der gesetzliche Thronfolger. Man verleumdete und erbitterte ihn. Ein Hader brach aus.

Die Kiptschak schienen sich selbst die schlimmsten Feinde zu sein. Die Brüder bekämpften einander, ein Stammeshader brach aus. Das war ein Krieg aller gegen alle (der Kummer verblendete die Menschen und ließ sie den Kopf verlieren). Als Ellak in einem Kampf getötet wurde, wussten die römischen Politiker, Prediger und Legionäre, was sie weiter zu tun hatten, nämlich zu teilen und zu trennen: die Schwachen zu unterstützen, den Starken in die Hand zu fallen. Vor allem aber möglichst viel zu verleumden und Gerüchte auszustreuen.

Ein Gerücht, eine falsche Beschuldigung sind die beste Waffe gegen das Turkvolk, das Übrige erledigt es im Kampf gegen sich selbst von allein. Auf diese Weise, mit einem grausamen und langwierigen Bruderkrieg, endete die Große Völkerwanderung: Ein Volk, das eine enorme zahlenmäßige Stärke erreicht hatte, vernichtete sich selbst.

Dennoch war das Ergebnis jener Jahre für die turkische Kultur nicht traurig. Eher schon überraschend, ja etwas paradox. Damals, d. h. gegen das Ende des 5. Jahrhunderts, besiedelten die Kiptschak bereits halb Europa und ganz Zentralasien. Die Turksprache übertönte auf dem eurasischen Kontinent jede andere. Das Turkvolk war zahlenmäßig das stärkste Volk der Welt.

Ja, sie kämpften untereinander, waren mitunter von unterschiedlichem Glauben, strebten eine andere Kultur an, doch stammten sie sämtlich aus dem Altai. In ihren Adern floss das Blut des Turkvolkes. Und das vereinigte sie, und wenn sie auch noch so unterschiedlich waren, für immer.

Das wäre wohl das Hauptergebnis der Großen Völkerwanderung. Aus einem einzigen Volk gingen zahlreiche andere Völker hervor.

 

Ein neues Descht-i-Kiptschak

Gleich dem Kuschanreich, zerfiel auch das riesige Descht-i-Kiptschak. Austrasien, Allemanien, Bayern, Burgund, Böhmen – viele neue turkische Staaten bildeten sich damals in Europa heraus (nicht geringer war ihre Zahl auch in Asien). Das blutende Descht-i-Kiptschak war in Scherben gegangen.

Einige turkische Länder nannten sich Königreiche, dort galten die römischen Gesetze, wie z. B. im Westgotenreich. Dagegen nannten sich Länder, in denen nach wie vor die Kultur des Orients vorherrschte, Kaganate. Dort regierten Kagans, die unter den Khans gewählt wurden.

Die Wahlen verliefen, wie erhalten gebliebene Nachrichten bezeugen, auf folgende Weise. Die Angehörigen des Turkvolkes ließen den künftigen Herrscher auf einem weißen Teppich Platz nehmen, dann wurde er um eine Kirche oder einen heiligen Ort herumgetragen (neunmal nach dem Sonnenkreis). Darauf wurde dem Auserwählten ein Strick um den Hals gelegt und zugezogen. Kurz bevor er das Bewusstsein verlor, fragte man ihn: „Wieviel Jahre kannst du Kagan sein?“ So viel er sagte, so lange regierte er.

Die Wahlen endeten mit einem massierten Raub. Ausgeraubt wurde der Kagan, und das gründlich. Der Ritus hieß „khan talau“ (Ausrauben des Khans) und hatte einen tiefen Sinn: So zeigte man dem Herrscher, dass er von nun an vom Volke unterhalten werde. (Bemerkenswert: Die Sitte „khan talau“ bestand noch lange in Europa; im Mittelalter z. B. wurden nach der Wahl jedes neuen Papstes von Rom die Vorratslager der Westlichen Kirche ausgeraubt.)

Bisweilen erfolgte die Wahl anders. Die Khans warfen einen heiligen Stab nach oben, aber so, dass er mit der Spitze in einem auf der Erde gezogenen Kreis landen sollte. Wer das schaffte, dem half also Tengri.

Am Ausgang des 5. Jahrhunderts wurde der Herrscher des Kaganats Austrasien gewählt. Das war ein neuer turkischer Staat in Mitteleuropa. Er nahm die Gebiete ein, die am weitesten westlich vom Altai lagen: das heutige Frankreich, Luxemburg, Belgien, die Schweiz, einen Teil Spaniens und Süddeutschlands sowie Österreich. Dort lebten Angehörige des Turkvolkes.

Später als Austrasien bildete sich das Kaganat Awarien heraus, es lag östlich davon, auf dem Territorium, das heute Tschechien, Ungarn, Polen, Litauen, Lettland, einige Teile Deutschlands und Kroatiens einnehmen. Auch dort lebten Angehörige des Turkvolkes, die während der Großen Völkerwanderung hergezogen waren.

Das Kaganat Ukraine nahm beinahe das ganze Territorium der heutigen Ukraine und einen Teil Mittelrusslands bis zur Moskwa ein.

Südlich der Ukraine befand sich das Kaganat Großbulgarien. In einem weiten Bogen umfasste es die Schwarzmeerküste, einen Teil des heutigen Bulgariens, Rumäniens und Jugoslawiens, einen Teil Südrusslands und der Ukraine. Auch diese Lande waren von Angehörigen des Turkvolkes besiedelt, die einst aus dem Altai gekommen waren.

Der ganze Kaukasus und die ganze Don-Steppe gehörten zum Kaganat der Chasaren.

Die Gebiete am Idel bildeten das Kaganat Bulgarien.

Die Altai-Steppe vom Fluss Jaik bis zum Baikalsee hieß Sibirien.

Im Norden lag wie ein vereinzelter Stern das östlichste Land des Turkvolkes, Sacha, das eigentümlichste der Kaganate.

Dennoch waren die Symbole jedes neuen Landes die gleichen: ein Reiter und die Fahne mit dem gleichseitigen Kreuz wie zu Attilas Zeiten. Die Menschen beteten nach wie vor zu Tengri, und immer noch war der Ewige Blaue Himmel über ihren Köpfen.

Das übrige Europa betete zum gekreuzigten Christus, der auf Gemälden als Agnus Dei („Lamm Gottes“) dargestellt wurde.

Das blieb für lange Zeit der Hauptunterschied zwischen den turkischen und nichtturkischen Ländern in Europa, zwischen beiden entsprechenden Kulturen.

 

 

* * *

 

Die Große Völkerwanderung hat für immer tiefe Spuren hinterlassen. Auf der Karte ist zu sehen, wann, wo und zu welcher Zeit sich Angehörige des Turkvolkes, denen der Alte Altai zu eng geworden war, ansiedelten. Die Spuren eines großen Volkes verschwinden nicht. Das zeigt u. a. unser Buch: Der Gestalter hat bekannte Musealien herangezogen, ohne auch nur einen Strich hinzuzufügen. Denn wir meinen: Über ein Volk berichten das Volk selbst und seine Kultur am besten.

 

 

 

Verzeichnis der Illustrationen

 

Zu S. 9

Architektur des alten Europa. Wien.

 

Zu S. 10 – 11

Handwerker Altägyptens. Fragment einer Darstellung (Nachzeichnung). 3. Jahrtausend v. u. Z.

Vogel. Applikation auf einem Filzteppich. 5. Jh. v. u. Z. Hügelgräber von Pasyryk, Altai.

Bronzegießen in Altgriechenland. Detail einer Schale (Nachzeichnung). 6. Jh. v. u. Z.

 

Zu S. 12 – 13

Museumssaal. Gemälde von P. Breughel „Der Turm zu Babel“. 16. Jh., Wien.

Stele mit altertümlichen turkischen Runen. Vermutlich 3. Jh. v. u. Z. Talkessel bei Minussinsk, Chakassien, Südsibirien.

Gleiche Runen auf dem Denkmal „Großer Elling-Stein“. 10. Jh., Dänemark.

 

Zu S. 14 – 15

Gesichter von Angehörigen des alten Turkvolkes:

Kuschanischer Herrscher. Ton. 1. – 2. Jh. Chaltschajan, Usbekistan;

M. M. Gerassimows Rekonstruktion nach einem in der Kenkol-Grabstätte gefundenen Schädel. 1. Jh. Kirgisien;

Porträt eines Unbekannten. Holzschnitzerei. 5. Jh. v. u. Z. Hügelgräber von Pasyryk, Altai;

Plastik aus einem Grab. Terrakotta. An der Wende zu unserer Zeitrechnung. Ujbat, Chakassien.

 

Zu S. 16 – 17

Der Reiter. Felsbild. Vermutlich 1. Jahrtausend v. u. Z. Lena-Ufer, Sacha-Jakutien.

Chinesische Darstellung von Angehörigen des alten Turkvolkes.

Fragment einer Tätowierung. 5. Jh. v. u. Z. Hügelgräber von Pasyryk, Altai.

 

Zu S. 18 – 19

Körpertätowierung eines Herrschers. 5. Jh. v. u. Z. Hügelgräber von Pasyryk, Altai.

Detail eines Pferdegeschirrs. Holzschnitzerei. 5. Jh. v. u. Z. Altai.

Altturkisches Runenalphabet. 1. Jahrtausend v. u. Z.

 

Zu S. 20 – 21

Zaumschmuck. Bronze. Vermutlich 5. Jh. v. u. Z. Semibratny-Hügelgräber, nordkaukasische Steppen.

Runenstein. Talkessel bei Minussinsk, Chakassien.

Turkischer Krieger mit einer „pfeifenden“ Fahne. Fragment einer altertümlichen Malerei (Nachzeichnung). China.

 

Zu S. 20 – 23

Rituelle Felszeichnungen, die als Schutz galten. 2. Jahrtausend v. u. Z. Talkessel bei Minussinsk, Chakassien.

 

Zu S. 24 – 25

Rituelle Darstellung einer Elenkuh. Gravüre in Stein. 3. Jahrtausend v. u. Z. Angara-Becken, Südsibirien.

Schützendes Felsbild eines Stammes. 2. Jahrtausend v. u. Z. Talkessel bei Minussinsk, Chakassien.

Speerspitze mit altertümlichen turkischen Runen. 4. Jh. Ukrainische Steppen.

Von Akademiemitglied A.P. Okladnikow gefundenes altertümliches Steinwerkzeug. 200 000 Jahre v. u. Z. Altai.

 

Zu S. 26 – 27

Altertümliche Steinfigur.

Greif-Talisman. Holzschnitzerei. 5. Jh. v. u. Z. Baschadar-Hügelgrab, Altai.

 

Zu S. 28 – 29

Axt eines Herrschers (Streitaxt). Gold. Vermutlich 5. Jh. v. u. Z. Kelermes-Hügelgrab, nordkaukasische Steppen.

Hahn als Totemzeichen und Beschützer einer Sippe. Holzschnitzerei. 5. Jh. v. u. Z. Hügelgräber von Pasyryk, Altai.

Sarkophag mit Tierdarstellungen. Holzschnitzerei. 5. Jh. v. u. Z. Baschadar-Hügelgrab, Altai.

 

Zu S. 30 – 31

Struktur eines Steppen-Kurgans (erläuterndes Schema). Steinstele. 2. Jahrtausend v. u. Z. Talkessel bei Minussinsk, Chakassien.

 

Zu S. 32 – 33

Becher. Silber. 1. Jh. Ukrainische Steppen.

Landkarte. Jenissej-Verlauf, aufgezeichnet von S.I. Remesow. Anfang des 18. Jh.

 

Zu S. 34 – 35

Altertümliche Felszeichnungen und Runen-Inschriften. 1. Jahrtausend v. u. Z. Chakassien.

Grabstein in Pabon-Cha. Tibet.

 

Zu S. 36 – 37

Tanne, der „Baum des Lebens“. Felszeichnungen. 1. Jahrtausend v. u. Z. Wald in Sagyr, Ostkasachstan.

Elch. Holzschnitzerei. 5. Jh. v. u. Z. Hügelgräber von Pasyryk, Altai.

 

Zu S. 38 – 39

Berühmte Stein-Babas, Bildhauerkunst des turkischen Altertums.

Speerspitze. 4. Jh. Ukrainische Steppen.

 

Zu S. 40 – 41

Schmelzofen. An der Wende zu unserer Zeitrechnung. Altai.

Bildnis eines Angehörigen des alten Turkvolkes. Stickerei. An der Wende zu unserer Zeitrechnung. Noinulin-Hügelgräber, Nordmongolei.

 

Zu S. 42 – 43

Eine der zahlreichen Gesser-Darstellungen. Tibet.

Eisenmeteorit. Aus der Sammlung eines Museums in Wien.

 

Zu S. 44 – 45

Becher. Gold. 4. Jh. v. u. Z. Hügelgrab Kul-Oba, Ukraine.

 

Zu S. 46 – 47

Detail eines Halsschmuckes. Gold. 4. Jh. v. u. Z. Hügelgrab Tolstaja Mogila, Ukraine.

 

Zu S. 48 – 49

Szenen aus dem Leben des Turkvolkes. Detail eines Bechers (Nachzeichnung). 4. Jh. v. u. Z. Hügelgrab Kul-Oba, Ukraine.

Ein Reiter im Kampf gegen unberittene Krieger. Detail eines Kammes. Gold. 4. Jh. v. u. Z. Hügelgrab Solocha, Ukraine.

 

Zu S. 50 – 51

Drache, der Beschützer des Turkvolkes, bzw. ein stilisierter Greif. Stickerei auf Seide. An der Wende zu unserer Zeitrechnung. Noinulin-Hügelgräber, Nordmondolei.

Kämpfer mit einer „Wolfsstandarte“ (Fahne in Form eines Wolfs). Beinschnitzerei. Grabstätte von Orlat.

Fabeltier. Fragment einer Tätowierung. 5. Jh. v. u. Z. Hügelgräber von Pasyryk, Altai.

 

Zu S. 52 – 53

Rosskopf und Sattel. 5. Jh. v. u. Z. Hügelgräber von Pasyryk, Altai.

Ein Steigbügel. Chakassien.

Reitendes Pferd. Fragment eines altertümlichen Basreliefs.

 

Zu S. 54 – 55

Geflügeltes Ross. Detail einer Amphora. Silber, Vergoldung. 4. Jh. v. u. Z. Hügelgrab von Tschertomlyk, ukrainische Steppen.

 

Zu S. 56 – 57

Symbolische Darstellung einer Großtat von Dshargan (Hl. Georg). Vermutlich Ende des 4. Jh. Gravüre in Stein. Dagestan.

Das ewig leuchtende Tengri-Zeichen. Gold. 6. – 7. Jh. Fund aus einem Hügelgrab in den Steppen von Dagestan.

Turkische Geistliche. Felszeichnung. 1. Jahrtausend v. u. Z. Altai.

 

Zu S. 58 – 59

Betende Frauen. Fragment eines Gobelins. 5. Jh. v. u. Z. Hügelgräber von Pasyryk, Altai.

Turkischer Prediger vor einem Tempel. Altertümliche Felszeichnung. Pakistan.

 

Zu S. 60 – 61

Elenkopf im Schnabel eines Greifs als rituelles Zeichen. Holzschnitzerei. 5. Jh. v. u. Z. Hügelgräber von Pasyryk, Altai.

Die Große Chinesische Mauer. 3. Jh. v. u. Z.

Kämpfer-Figurinen. Terrakotta. 3. Jh. v. u. Z. Museum in der Provinz Shenxi, China.

 

Zu S. 62 – 63

Hängebrücke. Pamir.

Herrscher der Nag. Fragment eines Basreliefs. 4. Jh. v. u. Z. Indien.

 

Zu S. 64 – 65

Eine Nag-Frau. Fragment eines Basreliefs. 4. Jh. v. u. Z. Indien.

Turkischer Krieger. Bronze. 2. Jh. Iran.

 

Zu S. 66 – 67

Altertümliche Reiter. Fragment eines Basreliefs in Persepolis. 5. Jh. v. u. Z. Iran.

Prediger des Tengri-Glaubens. Gold. Vermutlich 4. Jh. v. u. Z. Schatz vom Amu-Darja.

 

Zu S. 68 – 69

Belagerung einer heidnischen Festung. Fragment einer Schale. Silber. Anikowski-Schatz.

Mausoleum von Arab-ata. Innenansicht. Typisches Beispiel der turkischen Architektur: Kuppel über einem achteckigen Ziegelgebäude. Usbekistan.

Rhyton in Form eines Widders. Silber. 5. Jh. v. u. Z. Semibratny-Hügelgräber, nordkaukasische Steppen.

 

Zu S. 70 – 71

Kaftan eines Khans (Rekonstruktion). Mit Goldplatten benähtes Leder. 5. Jh. v. u. Z. Hügelgrab Issyk, Kasachstan.

Reiter. Fragment einer Stickerei. An der Wende zu unserer Zeitrechnung. Noinulin-Hügelgräber, Nordmongolei.

 

Zu S. 72 – 73

„Kuschanische“ Runen. Teil der Inschrift im Tempel zu Ehren von Khan Erke (Herrscher Kanischka). Stein. 2. Jh. Surchkotal, Nordafghanistan.

Ruinen einer altertümlichen turkischen Kirche und Festung Koi-Krylgan-Kala. 3. Jh. v. u. Z. Choresm, Usbekistan.

Geflügelte Tiere bzw. „Urahnen“ der turkischen Schimären. Detail eines Altars im Siebenstromgebiet. Bronze. Vermutlich 4. Jh. v. u. Z. Kasachstan.

 

Zu S. 74 – 75

Kopf eines turkischen Kriegers. Ton. 2. Jh. Chaltschajan, Usbekistan.

Dolch in Goldscheide. An der Wende zu unserer Zeitrechnung. Grabstätte von Tilla-Tepe, Afghanistan.

Schema einer Grabstätte in Tilla-Tepe.

Turkischer Krieger der Saken-Epoche. Fragment eines Basreliefs. Nagardschunikonda, Indien.

 

Zu S. 76 – 77

Münze von Khan Erke (Herrscher Kanischka).

Statue von Khan Erke (Herrscher Kanischka). Roter Sandstein. 1. – 2. Jh. Museum in Mathura, Indien.

Treppe eines Tempels zu Ehren von Khan Erke (Herrscher Kanischka). 2. – 3. Jh. Surchkotal, Afghanistan.

 

Zu S. 78 – 79

Münze von Khan Erke (Herrscher Kanischka), Revers.

Basrelief-Detail in einem Palast. Stein. 2. Jh. Ajrtam, Usbekistan.

Lautenistin. Detail eines Basreliefs. Stein. 2. Jh. Ajrtam, Usbekistan.

 

Zu S. 80 – 81

Buddhistisches Heiligtum (Sita-Tara). Bronze.

Der größte Schatz des Buddhismus, Wadschra (Tengri-Zeichen). Seitenansicht des „Kreuzes“.

Wadschra am Tempel des buddhistischen Klosters Erdeni-Dsu. Mongolei.

Geflügelter Löwe mit Schlangenschwanz. Sandstein. 2. Jh. Mathura, Indien.

 

Zu S. 82 – 83

Detail eines Halsschmuckes. Gold. 4. Jh. v. u. Z. Hügelgrab Tolstaja Mogila, Ukraine.

 

Zu S. 84 – 85

Radfahrzeug, Urform der Britschka. Holz. 5. Jh. v. u. Z. Hügelgräber von Pasyryk, Altai.

Radfahrzeug. Schmuck. Gold. Schatz vom Amu-Darja.

 

Zu S. 86 – 87

Heiliger Berg Kailassa des alten Turkvolkes. Himalaja.

Rhyton in Form eines Widders. Silber. 4. Jh. v. u. Z. Hügelgrab Kul-Oba, Ukraine.

Ausgrabungen in einem Hügelgrab. Zeichnung von 1864.

 

Zu S. 88 – 89

Überfall eines Greifs. Filzapplikation. 5. Jh. v. u. Z. Hügelgräber von Pasyryk, Altai.

Öllampe vor einem Heiligenbild. Bronze. 4. Jh. v. u. Z. Hügelgrab von Tschertomlyk, Ukraine.

 

Zu S. 90 – 91

Ausgrabungen in einem Hügelgrab. Zeichnung von 1864.

Tanzende Frau. Goldplatte. Hügelgrab Bolschaja Blisniza, nordkaukasische Steppen.

Überfall eines Greifs. Fragment einer Applikation. Filz. 5. Jh. v. u. Z. Hügelgräber von Pasyryk, Altai.

Ansicht der Ausgrabungen im fünften Hügelgrab von Pasyryk.

 

Zu S. 92 – 93

Khan (die Ehefrau eines Khans?) auf dem Thron. Fragment eines Filzteppichs mit Applikationen. 5. Jh. v. u. Z. Hügelgräber von Pasyryk, Altai.

Schüssel in Form eines Tischchens mit abnehmbaren Beinen. Holz. 5. Jh. v. u. Z. Hügelgräber von Pasyryk, Altai.

 

Zu S. 94 – 95

Reiter. Fragment eines Filzteppichs mit Applikationen. 5. Jh. v. u. Z. Hügelgräber von Pasyryk, Altai.

Krüge am Meeresufer. Komposition.

 

Zu S. 96 – 97

Reiter. Zeichnung. Dura-Europos, Irak.

Halsschmuck mit Reiterfiguren. Gold, Email. 4. Jh. v. u. Z. Hügelgrab Kul-Oba, Ukraine.

Drache. Detail eines Schmuckes. Gold, Granuliertechnik, eingelegte Granate. 5. Jh. Prähistorische Siedlung von Karjash, Nordkaukasien.

Elenstein.

 

Zu S. 98

Überfall von Greifen. Detail eines Halsschmuckes. Gold. 4. Jh. v. u. Z. Hügelgrab Tolstaja Mogila, Ukraine.

Schwertknauf. Gold. 4. Jh. v. u. Z. Hügelgrab von Tschertomlyk, Ukraine.

Ruinen der alten turkischen Burg Teschik-kala. Choresm, Usbekistan.

 

Zu S. 100 – 101

Verfolgungsszene. Fragment eines Basreliefs. Stein. 1. Jahrtausend v. u. Z. Iran.

Wasserschleuder in Form eines Löwen (Kopie). Stein. Orta-Kapy-Tor, Derbent, Daghestan.

Zitadelle (Naryn-Kala), Westtor. Derbent, Daghestan.

Orta-Kapy-Tor. Derbent, Daghestan.

 

Zu S. 102 – 103

Derbent im Jahre 1796. Zeichnung aus E. Eichwalds Buch. Deutschland.

Reliquiar, heiliges Behältnis zur Aufbewahrung von Reliquien.

 

Zu S. 104 – 105

Achtamar-Kirche zum heiligen Kreuz. Basrelief. Türkei.

Treppe von Orta-Kapy. Derbent, Dagestan.

Altertümlicher turkischer Tempel nach Ausgrabungen. Anfang des 4. Jh. Derbent, Dagestan.

M. Schongauer. „Die große Kreuztragung“. Kupferstich. 15. Jh.

 

Zu S. 106 – 107

Ruinen einer altertümlichen Kirche. Armenien.

Römische Legionäre. Marmor. 2. Jh. Aus einer Louvre-Sammlung, Paris.

 

Zu S. 108

Chorug (christliche Kirchenfahne) des Turkvolkes.

Detail des Patriarchenstabs des Katholikos der Armenischen Kirche.

 

Zu S. 110 – 111

A. Dürer. Die vier Reiter. Holzschnitt zur „Apokalypse“. 15. Jh.

 

Zu S. 112 – 113

Grundriss der Kathedrale von Etschmiadsin, ein Beispiel der turkischen sakralen Architektur. Fundament in vorgeschriebener Kreuzform. Anfang des 4. Jh. Armenien.

Grundriss einer Kirche in Garni, gebaut vor dem Einzug des Turkvolkes, ein Beispiel der europäischen Architektur jener Zeit. 2. Jh. Armenien.

Kirche von Garni. Zeichnerische Rekonstruktion.

Kloster Kiranz, ein Beispiel der den Kiptschak eigenen berühmten Zeltbauweise. Armenien.

 

S. 114 – 115

Kirchenruine. Darstellung eines Bauarbeiters. Basrelief, Stein. 7. Jh. Armenien.

Symbolisches Schenken einer Kirche als Gabe des Turkvolkes an die christliche Gemeinde. Stein. Kloster Achpat, Armenien.

Schema der Kathedrale von Etschmiadsin nach dem Umbau im 5. und im 7. Jh. Armenien.

 

S. 116 – 117

Entgegennahme des lebenspendenden Tengri-Zeichens (Adshi), heute Kreuzerhöhnung genannt. Dschwari-(Kreuz-)Kirche, Mzcheta, Georgien.

 

Zu S. 118

Hl. Georg. Detail der Kuppel der Kirche zum Hl. Georg. Mosaik. Ende des 4. Jh. Saloniki, Griechenland.

 

Zu S. 120 – 121

Sarkophag mit der Darstellung des Triumphes von Konstantin. Rosa Porphyr. 4. Jh. Aus den Vatikan-Sammlungen, Rom

Hagia Sophia, Innenansicht. Umgebaut im 6. Jh. Istanbul (Konstantinopel), Turkei.

Kaiser Konstantins Kopf. Marmor. 4. Jh. Rom.

Kirche San Vitale, ein Beispiel der turkischen Architektur: Zeltbauweise, achteckiger Grundriss. Anfang des gotischen Stils. 6. Jh. Ravenna, Norditalien.

 

Zu S. 122 – 123

Mosaik im Großen Palast von Konstantinopel, ein Beispiel des turkischen („barbarischen“) Einflusses auf die Kunst von Byzanz. 5. – 6. Jh. Istanbul (Konstantinopel), Türkei.

Frau mit Krug. Detail des Mosaikbodens im Großen Palast von Konstantinopel, ein Beispiel der griechischen Kunst. 5. – 6. Jh. Istanbul (Konstantinopel), Türkei.

Theoderichs Grabmal. 6. Jh. Ravenna, Norditalien.

St. Georgs-Rotunde, eine der ersten nach dem Beispiel der turkischen Kunst in Europa gebauten Kirchen. 4. Jh. Saloniki, Griechenland.

 

Zu S. 124 – 125

Eine unschätzbare Reliquie der Hagia Sophia. Mosaik. Istanbul (Konstantinopel), Türkei.

 

Zu S. 126 – 127

Beßschatyr-Hügelgräber. Kasachstan.

Schwerer turkischer Bogen.

Fisch als Zeichen des Altertums in der turkischen religiösen Kultur. Gold. 4. Jh. v. u. Z. Ukraine.

 

Zu S. 129

Figur eines Jünglings. Details eines Kandelabers. Bronze. 5. Jh. v. u. Z. Nymphäische Hügelgräber, Ukraine.

Reiter. Wandmalerei. China.

Zweikampf. Detail einer Schale. Silber. 7. Jh.

Frauenfigur. Detail eines altertümlichen Spiegels. Bronze. 5. Jh. v. u. Z. Ukraine.

 

Zu S. 130 – 131

Figur eines Jünglings. Detail eines Kandelabers. Bronze. 5. Jh. v. u. Z. Nymphäische Hügelgräber, Ukraine.

Kandelaber. Bronze. 5. Jh. v. u. Z. Nymphäische Hügelgräber, Ukraine.

Hammel im Rachen eines Wolfes. Vermutlich Zeichen einer Opferung. Holzschnitzerei. 5. Jh. v. u. Z. Hügelgräber von Pasyryk, Altai.

Bogendurchgang. Derbent, Dagestan.

Gefäß. Silber, Vergoldung. 4. Jh. Aus einer Ermitage-Sammlung.

Ruinen einer altertümlichen Stadt. Rumänien.

 

Zu S. 132 – 133

Engel des Himmels, Boten aus dem Altai. Detail eines Armbands. Gold, Bronze, Email. 4. Jh. v. u. Z. Hügelgrab Kul-Oba, Ukraine.

Steinbock als Zaumschmuck. Holz. 5. Jh. v. u. Z. Hügelgräber von Pasyryk, Altai.

 

Zu S. 134 – 135

Kupferleuchter. Kasachstan.

Innenansicht einer mittelalterlichen Burg. Typisches Beispiel des turkischen Einflusses auf die Kultur Europas. Österreich.

Pferdeschmuck. Horn. 5. Jh. v. u. Z. Hügelgräber von Pasyryk, Altai.

 

Zu S. 136 – 137

Kapitolinische Wölfin, nach Restauration. Bronze. Rom.

Säule. Ruinen einer altertümlichen europäischen Stadt.

 

Zu S. 138 – 139

Löwenkopf. Detail eines Halsschmuckes. Gold, Email. 4. Jh. v. u. Z. Hügelgrab Bolschaja Blisniza, nordkaukasische Steppen.

Fragment des Fußes einer griechischen Statue. Marmor.

Details des turkischen Schmuckes. Gold, Email. 4. Jh. v. u. Z. Aus den Hügelgräbern der Ukraine.

 

Zu S. 140 – 141

Griechische Vase. Keramik. Aus einer Ermitage-Sammlung.

Altertümlicher Schild. 5. Jh. v. u. Z. Tuektin-Hügelgrab, Altai.

Aus einer Schlacht ziehende Krieger. Detail einer Goldplatte (Nachzeichnung). Aus der Sibirischen Sammlung Peters I.

Helm eines Khans. Bronze. Kekuwatski-Kurgan, Ukraine.

 

Zu S. 142 – 143

Amazone. Bronze. 3. Jh. v. u. Z. Ukraine.

Goldschale. 4. Jh. v. u. Z. Hügelgrab Kul-Oba, Ukraine.

Säbelgriff mit deutlicher turkischer Symbolik.

 

Zu S. 144

Altes Gebäude mit Tengri-Zeichen. Frankreich.

Schlange, Symbol der Weisheit. Marmor. Museum in Constanţa, Rumänien.

 

Zu S. 146 – 147

Der Große Attila. Detail einer Vase. Silber. St.-Miklos-Schatz, Nordrumänien.

 

Zu S. 148 – 149

Armspange in Form einer Schlange. Gold. 5. Jh. v. u. Z. Semibratny-Hügelgräber, nordkaukasische Steppen.

Schwan. Gefäß. Blauer Marmor.

Köchereinfassung. Detail. Gold. 4. Jh. v. u. Z. Hügelgrab bei Melitopol, Ukraine.

 

Zu S. 150 – 151

Zaumschmuck. Bronze. 5. Jh. v. u. Z. Semibratny-Hügelgräber, nordkaukasische Steppen.

Holzschnitzerei, altertümliches Handwerk aus dem Altai.

 

Zu S. 152 – 153

Spitzen aus Holz und Fantasie eines Künstlers.

Dreieckige Platte mit Figuren. Gold. Karagodëuaschch, nordkaukasische Steppen.

 

Zu S. 154 – 155

Vorbereitung auf Falkenjagd. Mosaik. 4. Jh.

Ein Gesicht. Holzschnitzerei. 5. Jh. v. u. Z. Altai.

Detail des Dekors eines alten Hauses. Holz. Tomsk.

 

Zu S. 156 – 157

Geschnitzter Pfosten. Nachzeichnung. Holz. Dagestan.

Bär. 3. Jahrtausend v. u. Z. Grabstätte von Samus, Sibirien.

 

Zu S. 158 und 161

Raffael. Begegnung Leos I. mit Attila. 16. Jh. Freske „Stanza d’Eliodoro“, Vatikan.

 

Zu S. 162 – 163

Vase. Silber mit Vergoldung. 4. Jh. v. u. Z. Hügelgrab Gaimanowa Mogila, Ukraine.

Rhyton. 4. Jh. v. u. Z. Ukraine.

Weibliche Tücke. Gravüre. Elfenbein. 4. Jh. v. u. Z. Hügelgrab Kul-Oba, Ukraine.

 

Zu S. 164 – 165

Zwei Schimären vom Sarkophag eines Khans. Gold. Hügelgrab Bolschaja Blisniza, nordkaukasische Steppen.

Fabeltier, ein Löwe. Gold. 5. Jh. v. u. Z. Kelermes-Hügelgrab, nordkaukasische Steppen.

Verbrüderung. Platte. Gold. 4. Jh. v. u. Z. Hügelgrab Kul-Oba, Ukraine.

Tänzerin. Gold. 4. Jh. v. u. Z. Hügelgrab Bolschaja Blisniza, nordkaukasische Steppen.

 

Zu S. 166-167

Weltkarte von al-Idrissi. 1154.

Sphinx. Fragment einer Applikation auf einem Filzteppich. 5. Jh. v. u. Z. Hügelgräber von Pasyryk, Altai.

 

Zu S. 168

Im Louvre. Paris, Frankreich.

 

Zu S. 170 – 171

Schematische Karte der Territorien, auf denen sich das Turkvolk ansiedelte.

 

Zu S. 175

Schmuck. Gold. Sibirische Sammlungen Peters I.

 

Einband:

Vogel der Oberen Welt, Zeichen der Einigung des Turkvolkes. Filz. 5. Jh. v. u. Z. Hügelgräber von Pasyryk, Altai.

Sagenhafter Reiter. Gold, Email. 4. Jh. v. u. Z. Hügelgrab Kul-Oba, ukrainische Steppen.

 

Nachsatz:

Arba-basch-Teppich. Farbige Ornamente auf Filz. 5. Jh. v. u. Z. Hügelgräber von Pasyryk, Altai.

 

 

 



* Um Verwechselungen zu vermeiden, möchten wir hier gleich vorausschicken, dass sich das Wort „turkisch“ nur auf die Turkvölker und nicht auf die Türkei oder Türken bezieht.

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Ñîçäàíèå ñàéòà 2004
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